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say my name (3|16) - June - 17.05.2021

Kapitel 3
I just wanted to protect you but now I'll never get to


“Dean, es ist mir vollkommen egal, wohin du dafür fahren musst! Aber Gilads Lieblingssüßigkeiten sind nunmal diese veganen Bio-Kekse, also besorg sie
Dean hob ergeben die Hand, die nicht gerade das Telefon an sein Ohr hielt und stieg aus dem Impala.
“Ist ja gut, ist ja gut! - Ich bin gerade beim dritten Laden angekommen. Die haben sie bestimmt. Und wenn nicht, dann fahre ich zu diesem Bio-Supermarkt, den du mir geschickt hast.”
Einen Moment herrschte Stille auf der anderen Seite der Leitung.
“Das ist doch nicht verrückt, oder? Ich meine, sie wird nicht denken, ich - keine Ahnung - bin so ein irrer Stalker, weil ich dich durch die halbe Stadt schicke für die Kekse, oder? O-M-G, Dean, du darfst ihr das niemals erzählen!”
Dean lachte, klemmte das Handy zwischen Schulter und Ohr und zog einen der Einkaufskörbe aus seinem Ständer: “Nein, es ist nicht irre, du bist aufmerksam. Und du sagst selbst, dass sie unglaublich ist, also hat sie das wohl auch verdient. Und ich werde es erzählen! Aber frühestens bei eurem fünften Date, wenn ich schon seit einer Woche nicht schlafen kann, weil ihr es treibt wie die Karnickel.”
“Ach, pf! Als würde wir es treiben wie die Karnickel, wir sind zivilisierte, wunderschöne Ladies, wir treiben es wie die Priesterinnen der Venus.”
“Mhm, Roleplay, ich freue mich auf Einzelheiten. Mit Roben? Also - zu Anfang?”
“Perversling. Hol die blöden Kekse.”
“Ja, meine Hohepriesterin!”
Dean lachte, als die Verbindung kommentarlos beendet wurde und schob das Handy in die Hosentasche, während er aufmerksam durch die Regale des Supermarkts schritt.

Es war ein kleiner Laden, der allerdings eine Vielzahl an fair-trade- und Bio-Produkten besaß und nicht allzu weit von ihrer Wohnung entfernt war. Die Chancen standen also gut, zumindest hoffte Dean das. Er hatte eigentlich keine Lust zu dem Bio-Supermarkt zu fahren.
Aber Charlie schwärmte schon seit Wochen von niemand anderem mehr als von der wunderschönen, mysteriösen Gilda und jetzt hatte sie sie endlich um ein Date geladen.
Nichts besonderes, ein Videoabend mit Klassikern, weil Gilda ein paar Größen der Popkultur noch nicht kannte, aber Charlie war schon den ganzen Samstag damit beschäftigt, alles zu perfektionieren.
Um aus ihrer Schusslinie zu kommen, hatte er angeboten, einkaufen zu gehen. Er hätte nur nicht erwartet, dass es so ausarten würde.
Aber - Charlie war es wichtig, als würde er es auch ohne Murren erledigen.

Dean schlenderte durch die Regale. Im Prinzip hatte er schon alles was er laut Charlies Liste brauchte (außer die Kekse), aber hier und da erregte eine Produktverpackung seine Aufmerksamkeit und noch bevor er bei den Keksen war, lagen bereits ein paar exotisch klingende Schokoriegel, ein paar Konserven und noch ein paar andere Dinge, die er einfach wieder auffüllen würde, ob sie sie jetzt brauchten oder nicht, in seinem Korb. 
Dean murmelte ein Gott sei Dank, als er die gewünschte Keksmarke im Regal sah und lud gleich zwei Packungen pro Geschmacksrichtung in den Einkaufskorb.
Er hatte zwar keine Ahnung, wie vegane Kekse schmecken würden, aber er hoffte inständig, dass sie immer noch lecker wären - und Kekse zu Hause zu haben schadete nie.

Auf dem Weg zur Kasse hatte ihn eine Packung Bio-Cherry-Pie aus dem Kühlregal angeschielt und er war Mitten im Weg stehen geblieben, um die Verpackung zu studieren.

“Entschuldigen Sie bitte?”
Die grabestiefe Stimme sendete einen Stromschlag von oben nach unten durch seine gesamte Wirbelsäule, hinunter in seine Knie, die auf einmal weich und verwirrt waren unter seinem Gewicht, der plötzlichen Hitze in seinen Wangen und dem Schock, der durch seinen Körper vibrierte.
Dean zuckte heftig zusammen, so stark, dass eine instabil gestapelte Packung Kekse aus seinem zu vollem Einkaufskorb fiel und auf dem Boden landete.
Das konnte doch nicht sein!
“Oh, verzeihen Sie.” Die dunkle Stimme umspülte ihn wie Meerwasser einen Felsen und riss ihn und seine Gedanken vollkommen von den Füßen. Er hatte das Gefühl, er würde in der Schallwelle schwanken.

Es war eine Woche her, dass er mit Steve gesprochen hatte.
Das konnte doch nicht-!
Als er sich ruckartig umdrehte, hatte sich Steve bereits gebückt, um seine verloren gegangene Kekspackung aufzuheben und Dean blickte hinab auf einen zerzausten, dunklen Haarschopf.
Deans Mund war auf einmal trocken, als er auf den Mann vor sich hinab starrte und er schluckte schwer.
Verdammt nochmal, das war Steve. Da gab es doch keinen Zweifel. Oder? Oder?!
Diese Stimme hatte ihn fast jede Nacht gejagt, er hatte sich die verdammte Aufzeichnung des Anrufs angehört - mehrfach, er hatte zu der Vorstellung dieser Stimme-
Seine Wangen pochten unangenehm heiß.
Er würde diese Stimme unter hunderten wiedererkennen, allein daran, wie sie eine Gänsehaut seinen Nacken hinab schickte.

Steve richtete sich auf, den Blick auf die Kekspackung gerichtet; Als er hoch sah und Deans Blick begegnete, lächelte er leicht - und Dean war sich mit einem Mal sicher, dass es wirklich Steve war und das heiße Pochen in seinem Gesicht und seiner Brust wurde weggespült von der eiskalten Erkenntnis:

Er lächelte, höflich und freundlich, nur ein leichtes nach oben Ziehen der Mundwinkel voller Einzelhandel-Professionalität, seine Augen waren genauso unnatürlich blau, wie seine Stimme tief war, seine Gesichtszüge waren definiert und an den richtigen Stellen hart - und um seine linke Gesichtshälfte und sein Auge rankte sich ein schillerndes, buntes Veilchen.
Um Auge und Augenhöhle herum war es fast dunkellila und wurde nach Außen hin schwächer, blau, grün, an den Rändern war es bereits gelblich.
Dean hatte sich oft genug geprügelt und oft genug mit so etwas zu tun gehabt, um sich ziemlich sicher sein zu können, dass das Veilchen auf jeden Fall ein paar Tage alt war.
Ein Stein sank in Dean Magengrube, der eine Welle des Unwohlseins zu seiner Zunge schickte, er schluckte. 

Steve hielt ihm, immer noch mit dem leichten Lächeln, die Packung Kekse entgegen, die er für ihn aufgehoben hatte.
“Hier, bitteschön. Das ist eine gute Wahl, die sind wirklich lecker. - Der Pie übrigens auch. Wenn Sie allerdings nach einer veganen Alternative dafür suchen, empfehle ich Ihnen die veganen Käsekuchen-Tarts.”
Dean wusste, er sollte reagieren, etwas sagen - die Kekse nehmen - irgendwas! Aber gerade war er nur dazu in der Lage den Mann vor sich fassungslos anzustarren, vollkommen gefroren in der Absurdität dieser Situation;
In dem heißen, peinlichen Pochen in seinem Bauch, das an den Erinnerungen vergangener Nächte zog, in denen er schamlos genau diese Stimme für seine Fantasien missbraucht hatte, mit jedem freundlich-neutralen Wort, das Steve sagte; In der eiskalten, Realität seiner Vermutung, die in Form des Hämatoms als Horror in Steves Gesicht geschrieben stand und ihn sich übel und hilflos fühlen ließ, auch wenn er keinerlei Recht dazu hatte, denn es war nicht sein Schmerz; In der Unwahrscheinlichkeit aller Fäden, die hier zusammen liefen und sich so merkwürdig verknoteten, dass er bereits Charlies Verschwörungstheorien darüber hören konnte.
Das war-!

Steve änderte etwas unsicher das Standbein und verlagerte das Gewicht von einem großen Kanister, den er im Arm trug.
Deans Augen huschten kurz zu der Bewegung, dann wie von selbst über seinen Körper: Er war etwas kleiner als Dean und etwa gleich alt, vielleicht ein bisschen älter, lange Beine, schmale Hüften, die Ahnung von Muskeln unter dem weißen Hemdstoff seiner Arme, ein schlankerHals und pinke Lippen.
Der Anblick, und die Erinnerung an den dunklen Wirbel seiner Stimme, bracht Dean dazu, hart zu schlucken, um seinen übertrieben wässrigen Mund in den Griff zu bekommen.
Was ist denn los mit dir, Winchester?!

Es dauerte noch einen Augenblick, bis er zusätzlich die blaue Weste bemerkte, die Steve trug.
Er arbeitete hier.
Dean schluckte erneut, diesmal mehr um sich zu sammeln.
Er arbeitete hier.
“Ich- wollte Sie nicht erschrecken, verzeihen Sie bitte.” Steves Gesichtsausdruck wurde entschuldigend, blieb aber weiterhin freundlich und jedes einzelne Wort, das über seine Lippen kam setzte tiefe, dunkle Stromschläge in Deans Kopf und Körper frei.
Sie rissen an ihm, zerrten ihn zwischen zwei Seiten in seinem Kopf umher, der Realität, Steve, hier, vor ihm!, und der Fantasie, die befeuert wurde von unglaublich klaren, blauen Augen, die die dunkle Tiefe seiner Stimme irgendwie sogar noch unterstrichen.

Dean hatte immer noch nicht aufgehört ihn anzustarren und Steve kniff leicht die Augen zusammen, analytisch, während er den Kopf zur Seite legte. Er hielt ihm immer noch die Kekse entgegen.
“Könnten Sie vielleicht- Ich muss…” Steve korrigierte seinen Griff um den Kanister und bedeutete Dean, dass er vorbei musste, weil er weitermachen musste.

Deans Kopf drehte sich in sich um sich selbst, um die Eindrücke, die Hitze in den Wangen, die kalte Übelkeit in seinem Magen, die Absurdität seiner eigenen Gedanken, der vollständigen Verblüffung, dem Schock, der ganzen Situation.
Er holte Luft, etwas zu sagen, irgendwie zu reagieren, aber all das war wie eine große, harte Blase in seiner Kehle, um die er nicht herum kam - und das reichte jetzt, verdammt noch mal!
Dean klappte mit einem Mal den Mund wieder zu, schob sein Gedankenknäuel grob aus seinem Fokus und sah Steve direkt an, wirklich an.
Nicht die fehlgeleitete Sexvorstellung, von der der Arme nicht mal etwas wusste, sondern den Mann, den attraktiven Mann, mit dem professionellen Lächeln, dessen Winkel so viel mehr Wärme versprachen, als er jetzt zeigte, der Mann, der ihn angerufen hatte, in einem Moment tiefer Angst und grauenvoller Panik, der Mann, der Schmerzen erlitten hatte, erleiden musste, genau in diesem Moment, wo er seine Augen leicht zusammenkniff, um Dean zu mustern.
Der Mann, der seine Hilfe gebraucht hatte. Der Mann, dem er die Hilfe jetzt zuteil werden lassen konnte, denn jetzt war er hier!
Nicht weißgott wie weit entfernt am anderen Ende eines Telefons sondern direkt hier vor ihm.
Er könnte ihm helfen. - Er würde ihm helfen!


Steve räusperte sich und man konnte förmlich dabei zusehen, wie er sich seiner Selbst und seinem Aussehen überaus gewahr wurde. Er verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein, spannte die Schultern an, senkte etwas den Kopf und drehte ihn leicht nach links, als würde das den Blick von dem schillernden Hämatom ablenken.
“Sir, - Ich-”

Dean zuckte mit einmal aus seiner Trance: “Steve!”
Es brach geradezu aus ihm heraus und diesmal war es an Steve, erschrocken zusammen zu zucken.
Er starrte Dean einen langen Moment perplex an, ehe seine Augen sich erschrocken weiteten.
Dean!” Er presste es förmlich über seine Lippen, fast lautlos, aber Dean hatte es dennoch gehört, den dunklen Schall wahrgenommen, der durch seine Knochen vibrierte, sich in seinem Inneren an seinem Magen verfing und ihn nach unten in die Tiefe riss.
Die Art, wie er seinen Namen über die Lippen presste klang vollkommen anders, als er es sich in der Dunkelheit seines Schlafzimmers oder unter der Dusche vorgestellt hatte, aber es klang - besser.
Ein Schauer walzte über Deans Rücken und wehrte sich dagegen, sich dazu verleiten zu lassen, einen Moment die Augen zu schließen.
Dass seine Zunge ohne sein Zutun über seine Unterlippe fuhr - man konnte nicht jeden Kampf gewinnen.

Aber Dean drückte das erneut weg, weit weg, tiefer in die dunkelsten Ecken in seinem Kopf, dort wo es hingehörte und nicht mehr stören konnte und konzentrierte sich auf seinen eigentlichen Fokus:
Steve.
Der sich just in diesem Moment umwandte, als müsste er prüfen, ob jemand hinter ihm stand.
Deans Augenbrauen zogen sich besorgt zusammen, aber trotz der unwillkürlichen Sorge, die diese Geste in Dean auslöste, hüpfte etwas in ihm, leise und irgendwie fröhlich, das sich sofort danach wohlig zusammenzog: 
Es war unwichtig und lächerlich, nicht von Belang, und irrelevant aber dennoch ploppte der Gedanke in Deans Kopf auf:
Steve hatte sich tatsächlich seinen Namen gemerkt.

Dean ließ den Gedanken einen kurzen Moment verweilen, ehe er ihn zur Seite scheuchte und in die Professionalität schlüpfte, die Steve verdiente: Seine Lippen zogen sich in ein schiefes Lächeln, das aufbauend und beruhigend wirken sollte, wie er es bereits hunderte Male am Telefon getan hatte, auch seine Körperhaltung änderte sich, wurde deutlich entspannt und deeskalierend, freundlich und offen.
Allerdings hatte er nicht das Gefühl, dass es funktionierte. Nicht, wenn er Steve dabei zusah, wie er nochmal hinter sich blickte und dann hinter Dean, während er einen Schritt zur Seite, näher ans Regal, machte, als könnte ihn das besser verstecken.
Die kalte Übelkeit aus Deans Magen wellte wieder hoch bis in seinen Mund und er kämpfte es hinunter, sein Lächeln immer noch auf den Lippen. Am Telefon war das leichter.
Als Steve sich sicher genug war, dass niemand mit ihnen im Gang war, beugte er sich leicht zu ihm.
“Was machen Sie hier? Wie haben Sie-?! Ich habe aufge-” Steve presste die Lippen dünn zusammen und Dean konnte sehen, wie sein Adamsapfel bei einem harten Schlucken auf- und abhüpfte. “Ich hatte mich nur verwählt.”

Dean wusste nicht, wie es möglich war, aber Steves Stimme klang in der Realität, ungefiltert durch Headsets und Mikrofone, noch dunkler, grollender und tiefer. Es war - ablenkend, wie weit die sonoren Wellen in ihn zu dringen schienen und-
Er schluckte, um bei der Sache zu bleiben und fuhr sich einmal unbewusst mit der Zunge über die trockenen Lippen.
Er schob die Gedanken mit Nachdruck zurück in ihre Ecke, aber die Spitzen von Steves Stimme schienen genau zu wissen, wo sie sie fanden.
Dean zog den Mantel der Professionalität etwas näher um sich, machte selbst einen Schritt zur Seite, sodass Steve immerhin hinter ihm nicht zu erspähen wäre. Er wollte ihm ein Gefühl der Sicherheit vermitteln, er war auf seiner Seite.

Dean schüttelte beruhigend den Kopf und beugte sich ebenfalls etwas näher zu Steve, der leicht zu ihm aufsehen musste.
Etwas in ihm hüpfte wieder, bei der so vertraut wirkenden Geste, während etwas anderes sich in seinem Magen wandte wie ein Knäuel Würmer, weil es fast schon zu intim war, wie nah sie sich waren - und vor allem unpassend.

Einen kurzen Moment blieb Deans Blick an seinen Lippen hängen, die sich gegeneinander kneteten, ehe er ihm direkt in die kristallklaren, meerblauen Augen sah.
(Wow!)
“Ich bin nicht deshalb hier, Steve, ich- Ich bin nur durch Zufall hier.” Er hatte die Stimme gesenkt, auf denselben Level wie Steve, und hob den Pie, den er immer noch in der Hand hatte, leicht an. “Wirklich!”
Wenn Steve dachte, er würde ihn stalken, könnte das seinen Job kosten. Das wollte er wirklich nicht riskieren.
Außerdem war es wirklich Zufall gewesen, Danke, Glida!
Dean wartete einen starren, spannungsgeladenen Moment, in dem Steve auf den Pie blickte und dann auf seinen Einkaufskorb und die Kekse, die er immer noch in der Hand hatte, ehe er nickte und sich seine Schultern kaum merklich entspannten.

Auch Deans Körperhaltung wurde etwas lockerer und er lächelte den Mann aufbauend an.
Das hier war Steve.
Der Gedanke schien heißer durch seinen Kopf zu glühen, als er eine Rechtfertigung hatte, aber erst jetzt schien ihn die Realität der Erkenntnis vollkommen zu treffen: 
Das hier war wirklich Steve! Sein Steve!

Er hatte ihn nicht gesucht (auch wenn es ihn in der letzten Woche in den Fingern gejuckt hatte), aber er hatte ihn trotzdem gefunden!
Er hatte ihn gefunden und sah aus nächster Nähe, buchstäblich, warum Steve den Notruf gewählt hatte.
Er hatte ihn gefunden! Das war in etwa so unwahrscheinlich, wie die Tatsache, dass Steve jedes Mal bei ihm raus gekommen war, als er angerufen hatte.

Er durfte diese Chance nicht verstreichen lassen, er durft- Er konnte ihn doch nicht einfach so hier stehen lassen, ihn zurückgehen lassen, zu wem auch immer, der ihn so verletzt hatte. Zurück in die feuchten Ränder an seiner Stimme und das unterdrückte Schluchzen in den Worten.
Er musste-

Dean stolperte fast über seine eigene Zunge, als er geradezu hektisch anfing zu sprechen, bevor Steve sich mit seiner Last vielleicht doch noch an ihm vorbei quetschen würde.
“Aber, Steve, hör zu.” Er stoppte und knete seine Lippen aufeinander, weil er nicht einmal wusste, was er sagen sollte.
Jetzt wo ich schon mal hier bin?! Bullshit!
Er musste- Er musste etwas sagen, das Steve aufweckte! Etwas, das ihm klar machte, dass zurückgehen keine Option war. Hier, jetzt, direkt vor dem Kühlregal!

Steve blickte sich wieder um, sein Körper wirkte unnatürlich steif, wie er seinen Nacken immer wieder nach hinten bog, schien ihm aber dennoch zuzuhören, auch wenn Dean nicht wusste, was er sagen sollte.
Aber zumindest huschten seine Augen immer wieder fast auffordernd zu Dean zurück.
Er wartete darauf, etwas von ihm zu hören. Er wartete auf die Worte, die ihn aus dem schrecklichen Trott reißen würden, der ihn dazu brachte, sich ständig umzudrehen.
Er hörte ihm zu! Verdammt, er musste etwas daraus machen, er musste-
“Man verwählt sich nicht an einem Tag viermal zum Notruf!”
Die Worte waren aus ihm heraus gesprudelt, bevor er noch einmal darüber nachdenken konnte.

Steves Umherblicken hörte ruckartig auf und er gefror einen Moment in der Position, den Kanister fest an sich gepresst, den Kopf nach hinten gedreht, die Hände starr um den Metallkorpus verkrampft. Dann drehte er fast unendlich langsam den Kopf zu Dean und starrte ihm ohne zu Blinzeln beunruhigend lange direkt in die Augen.
Dean konnte nicht mal im Ansatz erahnen, was gerade in seinem Kopf vor sich ging. Steves Gesicht war eine sortierte, emotionslose Maske, die Perfektion von Neutralität, und Dean hatte plötzlich den Impuls, einen Schritt zurück zu weichen, aber er schaffte es, nur trocken zu schlucken.

“Hören Sie, Mr-” Steve benetzte einmal kurz seine Lippen mit der Zunge, scheinbar als ihm klar wurde, dass er Deans Nachnamen nicht kannte, und räusperte sich streng. Deans Augen folgten der kurzen Bewegung und er presste die eigenen Lippen aufeinander.
Man könnte sich in der angespannten Luft zwischen ihnen die Nase brechen, wenn man dagegen lief.
Dean hatte das Gefühl, Steves Stimme war noch ein paar Nuancen weiter nach unten gesunken, tiefer in die Höhlen des Ozeans, aus der sie kam und sie hatte etwas Bedrohliches geweckt, nicht nur einen dunklen Klang, sondern ein dunkles Gefühl, mit nach oben gebracht, das auf dem Schall mit schwamm. “Hören Sie, Dean, ich weiß nicht, was Sie versuchen, hier zu implizieren, aber-”
“Mr Novak?”
“Ja?!”
Deans Muskeln waren bis zum Zerreißen gespannt gewesen, als jedes baritone Wort aus Steves Mund in seine Ohren und um seinen Körper geflossen war, auf alles gefasst und trotzdem hilflos abwartend, wie sich Steve weiter vor einer Wahrheit drückte, die ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben stand.
Aber als das junge, dunkelhaarige Mädchen, ums Eck kam, hätte er beinah losgeprustet: Wenn Steve sich erschrak wurde seine Stimme so hoch, dass sie fast normal klang und wie er leicht auf der Stelle hüpfte war geradezu liebenswert mit anzusehen. Professionell liebenswert, versteht sich.
Auch wenn sich Dean einen Moment später dafür schalt, die Schreckhaftigkeit lustig zu finden, immerhin konnte er eins und eins zusammenzählen und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ahnen, woher es kam.
Aber trotzdem war die gepresste Luft aus der Situation entwichen und er konnte wieder einen tiefen Atemzug nehmen, ehe er an Steve vorbei blickte, um das Mädchen kurz zu mustern.

Sie trug auch so eine blaue Weste, stand immer noch am Ende des Ganges und musterte Dean und Steve leicht verunsichert.
Steve warf Dean einen mahnenden Blick zu und räusperte sich, um seine Schreck-erschütterte Stimme zu sortieren.
“Was ist denn, Kaia?” Die Grabestiefe war in Steves Stimme zurückgekehrt und das schien Kaia etwas zu beruhigen, zumindest entspannte sie sich sichtlich.
Sie deutete zum Ausgang des Ladens.
“Ich - uhm - würde gerne Pause machen. Können Sie die Kasse übernehmen?”
Dean bemerkte wie Steves Augen kurz zu ihm flackerten, ehe er nickte.
“Natürlich, Kaia, hab eine schöne Pause.”
Kaia nickte, lächelte Dean an, der es freundlich erwiderte, und verschwand. Kurz darauf erklang das Klimpern der Glocke am Eingang.

Dean richtete seine Aufmerksamkeit sofort wieder zurück zu Steve.
“Steve, hör zu, das-”
“Entschuldigen Sie mich bitte, ich muss an die Kasse.” Steve nickte ihm einmal kurz zu, legte die Kekspackung zurück in Deans Korb, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand aus dem Regal.
Dean blieb wie vom Donner gerührt stehen und brauchte ein oder zwei Herzschläge, um aus seiner Starre zu springen.
“Steve!” Er setzte dem Mann hinterher und folgte ihm zur Kasse. “Steve, bitte, hör-”
“Hören Sie auf, mich so zu nennen!” Steve zischte die Worte regelrecht, während er den Kanister hart auf dem Tresen aufsetzte und Dean klappte seinen Mund augenblicklich zu.
Steves Augen huschten einige Male durch den Laden, zu Dean, zur Tür und wieder von vorne, ehe er mühsam einen tiefen Atemzug zu Stande brachte.
“Entschuldigen Sie bitte, das war nicht in Ordnung. Es tut mir Leid.” Er räusperte sich und Dean könnte schwören, seine Stimme war noch eine Nuance tiefer gerutscht.
Wie machte er das?!

Dean würde nicht zugeben, dass er etwas kämpfen musste, um das aufheiternde Lächeln zurück auf sein Gesicht zu zwingen, aber er schaffte es.
“Kein Problem, St-” Er unterbrach sich und lachte leise, während er in einer wissenden Geste die Augenbrauen hochzog und über seine eigene unsinnige Gewöhnung nickte. “Entschuldigung, ich bin nur schon so daran gewöhnt.” Seine Augen glitten wie von selbst zu Steves Brust, in etwa da, wo er ein Namensschild vermuten würde. “Du könntest mir einfach deinen richtigen Namen sagen? Wenn dir das besser gefällt?”
Sobald Steve die Bewegung wahrnahm, machte er einen leichten Schritt zur Seite, sodass er halb hinter dem Kanister stand, der vorhin schon den Blick auf das Schild verdeckt hatte und es jetzt wieder tat, und benetzte sich unsicher die Lippen.
“Schon in Ordnung. Ich- Steve ist okay, das ist in Ordnung. Ich hätte Sie nicht-” Er brach wieder ab, nickte einmal und als er den Kopf wieder hob, war das leicht distanzierte aber freundliche Verkäufer-Lächeln in seine Lippen zurückgekehrt.
“Soll ich Ihre Einkäufe drüber ziehen?”
Deans Kopf sackte in einem besiegten Nicken leicht nach unten, aber er erwiderte das Lächeln, auch wenn seines deutlich wärmer und weniger distanziert war.
“Klar, gerne.”
Dean stellte den Korb auf den kleinen Tresen, reichte Cas den Pie, bejahte die Frage nach einer Tüte und beobachtete Steve dabei, wie er koordiniert die Produkte aus dem Korb holte, über den Scanner zog und in die Papiertüte ordnete.
Währenddessen kaute Dean nachdenklich auf seiner Unterlippe.
Das war nicht ideal gelaufen.
Aber er musste etwas tun. Das- nicht dass er daran glauben würde, aber er wusste Charlie würde es ihm genau so sagen:
Das Universum schrie ihn geradezu an! Er sollte zuhören und etwas tun!
Nicht nur, das Steve jedes Mal bei ihm raus gekommen war, wenn er den Notruf gewählt hatte. Nein, Dean schaffte es auch noch aus Versehen genau in den Laden zu spazieren, indem der dunkle Bariton arbeiten würde.
Zur Krönung war es ja auch noch nicht ablenkend genug, jeden Moment, den er hier war, dieser unglaublichen Stimme ausgesetzt zu sein. Nein, er hatte auch visuelles Material geliefert bekommen, ganz zu schweigen von einer mehr als vagen Vorstellung, warum Steve den Notruf angerufen hatte.

Er glaubte wirklich nicht daran, aber- Das Universum rüttelte quasi an seinen Schultern und schubste ihn zu Steve.
Er sollte etwas tun, er musste etwas tun.
Er musste mehr tun!
Das Problem war vermutlich nur, dass er kein Ersthelfer war, keiner, der vor Ort war. Er konnte Menschen mit seiner Stimme beruhigen, ihnen aus der Ferne Anweisungen und Ratschläge geben.
Aber hier - von Angesicht zu Angesicht - fühlte er sich fast etwas verloren.
Wie sollte er es schaffen, Steve zu überzeugen? Von was überzeugen überhaupt? Wen-Auch-Immer zu verlassen? Oder beim nächsten Mal nicht aufzulegen?!
Nun, zu irgendwas anderem auf jeden Fall.
Auch wenn sein erster Versuch nicht gerade gut funktioniert hatte.

Dean räusperte sich und blickte sich an dem Tresen um, als könnte er dort eine Antwort finden, oder wenigstens Zeit, die er schinden konnte.
Er zog ein paar Packungen Beef-Jerky aus einem Ständer und ließ sie nach kurzem Sondieren ebenfalls in den Korb gleiten. Dann noch einen Schokoriegel, als hätten sie mittlerweile nicht genug zu Hause, dann noch Kaugummis, einen Schlüsselanhänger.
Er räusperte sich wieder und verzog die Lippen zu einer Grimasse, während er Steves Seelenruhe beeindruckt verfolgte.
Die neutrale Maske saß wieder auf seinem Gesicht, machte ihn unleserlich und undurchschaubar, während das unverbindliche Lächeln eisern auf seinen Lippen ausharrte.
“Das - uhm - ist ein ganz schönes Veilchen. Muss - eh - weh tun”, sprudelte es dann auf einmal aus Dean heraus und am liebsten hätte er sich gegen die Stirn geschlagen.
Ja, Winchester, das half bestimmt.
“Nein, schon in Ordnung.” Steves Stimme war immer noch tiefer als ein Abgrund und so tönend, dass Dean einen Schauer hinunter kämpfen musste, auch wenn der neutrale, emotionslose Tonfall, mit dem er antwortete beinahe gruselig war.
Dean zog die Unterlippen zwischen die Zähne und nickte mehrfach.
“Wie ist das denn passiert?”
Steves ozeanische Augen huschten einen Augenblick von den Produkten nach oben zu Dean, ehe er wieder runter sah.
“Ich bin gegen eine Tür gelaufen.”
Dean zog quietschend die Luft zwischen Unterlippe und Zähnen ein und nickte.
“Ja, kenn ich, ist mir auch schon passiert. Wobei die Tür zugegeben dann nie an die Tür gehämmert-”
Dean wusste in einem Wimpernschlag, dass er zu weit gegangen war:
Hätte Steve weniger Selbstbeherrschung gehabt, hätte er das Beef-Jerky wohl auf den Tresen geknallt, aber so setzte er es nur mit Nachdruck ab.
Seine Augen, diese unglaublich klaren, blauen, tiefen Augen, zuckten nicht mal, blinzelten nicht, bewegten sich nicht, als er ihn unumwunden anstarrte, nein, niederstarrte.
“Ich weiß nicht, was Sie versuchen, hier anzudeuten, Dean, oder was Sie denken, aber- Aber ich habe mich nur verwählt. Nichts weiter. Ich war - leicht orientierungslos, nachdem ich gegen die Tür gelaufen war.”

Steve war ein ausgezeichneter Lügner, das wurde Dean in diesem Moment klar. Er war die Ruhe selbst, seine Mimik, seine Augen, seine unglaublich tiefe, sonore Stimme, alles ein perfektes Abbild einer ruhigen See.
Hätte Dean ihn nur am Telefon gehört, hätte er es vielleicht sogar fast geglaubt.
Aber als Steves Augen, kaum, dass er den Satz geendet hatte, erneut kontrollierend durch den Laden huschten, ehe sie fast schamerfüllt zurück auf die Produkte fielen, verknotete sich etwas in Deans Brust und eine erneute, kalte Welle der Übelkeit bedeckte seine Zunge. .
Es war praktisch, wenn man gut lügen konnte. Aber wenn man so gut darin war, dass man sich selbst fast überzeugen konnte; Da begannen dann die Probleme.

Dean nahm einen tiefen, fast enttäuschten Atemzug, aber ihm war klar geworden, dass er Steve hier an Ort und Stelle nicht missionieren konnte.
Aber- Aufgeben konnte er doch auch nicht. Er konnte- Er konnte Steve doch nicht alleine lassen.
Dean unterdrückte ein resigniertes Seufzen und nickte stattdessen mehrfach.
Er würde ihn nicht alleine lassen!
“Okay, klar. Ich wollte nichts implizieren, wirklich.” Er hob zur Unterstreichung abwehrend die Hände. “Aber- nur für den Fall...”
Dean zog an der Kassenrolle, bis er ein Stück abreißen konnte und fische dann nach dem an einem Bändchen befestigten Kugelschreiber neben der Kasse.
Er beugte sich darüber und schrieb seine Handynummer auf das kleine Stück Papier.
“Hier.”
Steve hatte gerade das letzte Produkt in seine Papiertüte gepackt und beobachtet, was Dean tat - um ihn jetzt geradezu fassungslos anzustarren.
“Wie bitte?”
Dean lächelte, charmant, freundlich - nicht beruhigend oder aufbauend, nicht professionell - sondern geradezu nonchalant.
“Naja, ich bin beim Notruf. Wenn du mal wieder gegen eine Tür läufst und dich orientierungslos fühlst oder - einen Freund brauchst. Ich kann vielleicht helfen. Immerhin, ich kenn mich mit Erste Hilfe aus, ob du Eis drauf legen solltest, oder sowas.”

Dean hielt immer noch das Stück Papier in der Hand, aber Steve machte keine Anstalten, sich zu bewegen, geschweige denn es zu ergreifen, sondern stand immer noch unbewegt und geradezu schockiert hinter dem Tresen.
Sein Lächeln wurde zu einem etwas schiefen Grinsen und er schielte auf die grünen Zahlen des Kassendisplays.
“Okay.” Er holte sein Portemonnaie hervor, zupfte die benötigten Scheine heraus, legte seine Handynummer darauf und platzierte alles auf dem Wechselgeld-Tellerchen.
Dann klopfte er zweimal mit den Fingerknöcheln auf den Tresen und nahm seine Tüte.
“Pass auf dich auf, Steve, und - falls du es dir anders überlegst, schreib mir - oder ruf mich an. Du kennst beide Nummern.”
Er zog in eindeutiger Geste beide Augenbrauen nach oben und verließ den Laden.

Verdammt noch mal, das hätte besser laufen können.