We Can Be Heroes
[ab 18!] say my name (5|16) - Druckversion

+- We Can Be Heroes (https://wecanbeheroes.de)
+-- Forum: We Can Be Heroes Just for One Day (https://wecanbeheroes.de/forum-5.html)
+--- Forum: The Others (https://wecanbeheroes.de/forum-15.html)
+--- Thema: [ab 18!] say my name (5|16) (/thread-169.html)



say my name (5|16) - June - 31.05.2021

Kapitel 5
or maybe it's my eyes

Castiel stand noch einige Wimpernschläge an der Wand, bis er es schaffte den ersten, tiefen Atemzug in seinen Körper zu zwängen, aus dem zu viele, zu heftige und zu schnelle wurden.
Seine Hand schnellte wie von selbst an seinen Hals, rieb über die Sehne und den pochenden Pulsschlag, während er sich mit der anderen an der Wand abstützte und versuchte, seinen Atem zu fangen.
Er konnte spüren wie sich Tränen in seinen Augen sammelten, hinter seinen Lidern prickelten, wenn er die Augen fest schloss, und an seinen Wimpern klebten.
(i]Nein[/i]!
Castiel zog stur die Luft tief durch die Nase eine, ehe er sie ruckartig durch den Mund entließ und rieb sich die Augen.
“Alles okay”, seine Stimme fühlte sich zu laut an in dem stillen Raum, aber er nickte mehrfach darüber hinweg. Immerhin, es war alles okay
Genau. “Alles okay, nichts passiert.” Wieder stieß er die Luft bestimmt aus. “Alles okay.” Castiel fuhr sich ein letztes Mal über die Augen, atmete ein letztes Mal tief aus und räusperte sich, um den zittrigen, nassen Klang aus seiner Stimme zu vertreiben.

Die Kerzen und Lichtelemente wirkten deplatziert und fade im Schein der hellen Deckenbeleuchtung und mit einem Mal hatten sie nicht mehr den Reiz des Romantischen, sondern schienen ihn nur höhnend anzufunkeln.
Castiel schniefte, schüttelte den Kopf, drückte sich bestimmt von der Wand weg und begann Kerzen auszupusten und Lichter auszuschalten.
Er musste das hier wegräumen, bevor Alastair wieder kam.
Nein, er wollte das wegräumen.
Es war eine dumme Idee gewesen. Wieso hatte er das nur gemacht? Wieso hatte er nicht nachgedacht?
Der ganze Abend hatte sich als Katastrophe entpuppt und das war seine Schuld. Ganz allein seine Schuld. Natürlich! Er wäre auch wütend, wenn Alastair Geheimnisse vor ihm hätte, nicht wahr? Er hatte-. Das war-.

Die Tränen prickelten wieder hinter seinen Augen und Castiel schnaubte höhnend über sich selbst.
Er war wirklich unmöglich!
“Jetzt komm schon!”
Mittlerweile hatte er den Tisch abgedeckt, das saubere Geschirr wieder in den Schränken verstaut und lehnte in der Küche; vor dem kalt werdenden, spöttischen Lammkarree mit seinen matschigen Kartoffeln und den Fettaugen im Sud aus Kräutern, Wein und Fleischsaft.
Seine Hand fuhr grob über seine Augen, in der Hoffnung es würde diese unsinnigen, dummen, peinlichen Tränen endlich endgültig vertreiben, aber sie kitzelten weiter in seinen Augenwinkeln. 
Er schniefte erneut und schluckte schwer.
Jede Entscheidung, die er für heute Abend hatte treffen können, hatte er falsch getroffen. So einfach war das.
Er hatte diesen Abend ruiniert, er ganz alleine - und er fühlte sich miserable deshalb. Miserable und alleine und unglücklich und-

Castiel griff in einer energischen Geste nach seinem Weinglas, das er neben dem Herd stehen gelassen hatte und war einen Moment versucht den gesamten Inhalt in die Spüle zu schütten, den Wein, die ganze Flasche und den Dekanter! Er und sein dummer, dummer teurer Wein und sein dummes, dummes teures Essen und-

Das Schluchzen erschreckte ihn selbst; seine Hand zuckte so schnell gegen seinen Mund, dass es klatschte. Aber es hatte keinen Zweck mehr, er hatte den Kampf verloren, in dem Moment, in dem die erste Träne über seine Wangen rollte.
Nicht nur weil er sich mit Alastair gestritten hatte, nicht nur, weil er einfach alles ruiniert hatte. Castiel wünschte sich, es wäre so einfach, aber wenn er ehrlich war, gehörte nur ein kleiner Teil der Tränen diesen Emotionen.
Die meisten davon rannen über seine Wangen, weil er sich in diesem Moment so einsam fühlte.

Die Klarheit dieses Gedanken, ließ ihn erneut schluchzen, ehe er sich dem Sog ergab, der ihn nach unten drückte. Er hatte es so oft fast gedacht und so oft energisch zur Seite geschoben; Immerhin war er in einer glücklichen Beziehung - es gab keinen Grund, sich einsam zu fühlen!
Es war nur-
Castiel zog die Knie an seinen Körper, auf dem Küchenboden sitzend, den Rücken an den Schränken, das Weinglas in der Hand - wie der unbrauchbare Versager, der er war.
Es war nur, er hatte niemanden, außer Alastair. Es gab niemandem mehr in seinem Leben und er war selbst daran Schuld.
Er hatte sich mit Anna und Gabriel, seinen so-zu-sagen-Geschwistern aus dem Waisenhaus, schon vor etwas mehr als einem Jahr heftig gestritten und keinen Kontakt mehr zu ihnen.
Seine Freunde? Hatten sich im Laufe der Zeit verloren, mit manchen hatte sich der Kontakt langsam aufgelöst, zu anderen hatte er den Kontakt abgebrochen, weil sie ihm nicht gut getan hatten; Alastair hatte ihn auf den schlechten Einfluss aufmerksam gemacht.
Aber genau jetzt? Weinend auf dem Küchenboden? Weil er einen potentiell wunderschönen Abend ruiniert hatte, weil Alastair vollkommen zurecht wütend war und weil er niemanden hatte, an den er sich wenden konnte?
Jetzt wünschte er sich so sehr sein Handy würde klingeln, nur eine kleine Nachricht, ein Emoji vielleicht, etwas unsinniges, kleines, das ihm nur zeigte, er wäre nicht so alleine, wie er sich fühlte.
Aber das Handy in seiner Hosentasche blieb stumm.

Die Tränen waren heiß auf seinen Wangen und sein Schluchzen erbärmlich, aber warum sich stoppen? Er hatte buchstäblich niemanden, den es im Moment kümmerte. Alastair würde heute Nacht nicht wiederkommen. Vermutlich war er bei Azazel (den Castiel nicht mochte, weil er ihn schmierig und überheblich fand, was er natürlich nicht laut sagte).

Castiel wusste nicht - und interessierte sich nicht dafür - wie lange er herum geschluchzt hatte, weinerlich und weibisch und jämmerlich, wie er war und wie Alastair ihm schon öfter hatte sagen müssen.
Er schnaubte über sich selbst und trank das Weinglas in einem Zug leer, sobald er sich wieder etwas gefangen hatte, und fuhr sich grob über das nasse Gesicht.
Weichei.
Es war kein Wunder, dass er ganz alleine war.
Er schüttelte über sich den Kopf und wischte auch die letzten nassen Bahnen von seiner Haut.
“Wirklich kein Wunder, Castiel”, wiederholte er selbst in die Stille und zog sich am Küchenschrank hoch.
Weinerliches Weichei oder nicht, er würde jetzt noch ein Glas Wein trinken.
Er hatte keinen Grund, jetzt nüchtern zu sein.

Seine Knie waren ungelenk und protestierten - er hatte wohl länger dort gegessen, als gedacht - und sein Smartphone rutschte aus der Hosentasche, als er sich nach oben wuchtete.
Castiel seufzte tief und griff erst nach dem Dekanter, um sein Glas wieder zu füllen, ehe er sich bückte, um es aufzuheben.

Aus einem Reflex klickte er darauf, aber er hatte keine neuen Benachrichtigungen. Sein Hintergrundbild - ein Foto von Alastair und ihm bei einem Ausflug an den Pier - lachte ihn regelrecht aus und irgendwie schaffte es seine Einsamkeit ihn allein deshalb nochmals kalt in den Magen zu boxen.
Castiel lachte trocken aber tränengetränkt über sich selbst und schob das Telefon über die Arbeitsfläche, wo es an der Rückwand des Tresens mit einem leisen klonk stoppte und nahm einen großzügigen Schluck aus dem Glas.
Dann war er eben alleine, dann hatte er eben niemand, dann-

... einen Freund brauchst.

Der Gedanke, nein, die Erinnerung traf ihn unerwartet, der weiche Honigton, die sich aufrichtig anfühlende Freundlichkeit in den Worten.

Dean.

Castiel blickte das Handy an, das immer noch eine halbe Armlänge entfernt auf der Arbeitsfläche lag und er runzelte die Stirn, während er auf der Unterlippe kaute.
Das war dämlich. Das konnte er nicht-
Was sollte das bringen?

Das war wirklich dämlich, und es wurde nicht besser, als er das Handy wieder zur Hand nahm und vorsichtig die blaue Gummischutzhülle an einer Ecke abpellte. Dahinter, klein gefaltet am Rücken des Smartphones, kam ein Stück Papier hervor.
Er hatte es dort nicht versteckt! Er hatte keine Geheimnisse vor Alastair.
Es war einfach nur ein praktischer Ort gewesen, als er es das letzte Mal in der Hand gehabt hatte.
Und da er ohnehin nicht vorhatte, die Nummer jemals in sein Smartphone einzugeben, gab es auch nichts, was er verstecken musste. Alastair konnte manchmal etwas eifersüchtig sein, daher wollte er nicht, dass er das falsch verstand.
Es war kein Geheimnis.

Außerdem war das sowas von dämlich, als er das Papier aus der Hülle zog, sie wieder an das Smartphone klemmte und den Zettel mit einer Hand auffaltete.
Die Zahlen darauf waren eine ganz eigene Handschrift und ein kleines Lächeln zog an Castiels nach unten gerichteten Mundwinkeln.
Dean hatte eine furchtbare Handschrift, das hatte er sich schon das erste Mal gedacht, als er das Schriftstück betrachtet hatte, vollkommen perplex, nachdem Dean den Laden verlassen hatte. Er konnte die Zahlen gerade noch lesen und das vermutlich nur, dachte er sich, weil Dean versucht hatte deutlich zu schreiben.

Dämlich.
Castiel hätte den Zettel damals schon wegwerfen sollen. Er hatte nie vorgehabt, Dean jemals zu schreiben. Er würde Dean nie schreiben! Das war nur- eine nette Geste gewesen.
Deshalb hatte er die Nummer aufgehoben, hatte sie nicht endgültig entsorgt, als er den Zettel beim Waschen der Weste ein paar Tage später wieder in der Hand gehabt hatte; wegen der Geste dahinter.
Und vielleicht wegen der Handschrift, dieser besonderen Handschrift; Die Art, wie Dean eine Fünf schrieb war fast schon kunstvoll - unleserlich aber kreativ.

... falls du es dir anders überlegst, schreib mir - oder ruf mich an.

Das Gefühl der Einsamkeit blubberte unter seiner Haut, kribbelte in seinen Fingern und er wollte.
Das war dämlich, das wusste er.
Es war - was? Zwei Wochen? her, dass Dean ihm die Nummer aufgeschrieben hatte? Er erinnerte sich vermutlich nicht mal mehr daran.
Er würde ihn stören, ihm auf die Nerven gehen und sich dadurch nur selbst demonstrieren, dass er verdient alleine war.
Außerdem war es wahrscheinlich nicht mal seine richtige Nummer, es war nur- Es war nur eine nette aber leere Geste gewesen.
Castiel legte den Zettel auf die Anrichte und trank noch einen großen Schluck Wein, während er mit der anderen Hand die Nummer in sein Smartphone eingab, sie unter D. einspeicherte (warum speicherte er sie überhaupt?!) und auf den kleinen, grünen Hörer drückte.
Er hinterging Alastair nicht. Er bewies sich nur selbst, dass das hier Schwachsinn war, dass er im Begriff war, betrunken zu sein und deshalb dämliche Entscheidungen traf, dass er alleine war. Das hier war eine Sackgasse, wie all die anderen Richtungen, in die er sich in den letzten Jahren gedreht hatte.
Er hatte nur Alastair.
Er würde die Meldung hören, dass die Nummer nicht vergeben war.

Es klingelte.
Castiel ließ ungläubig das Weinglas von seinen Lippen sinken.
Klingelte es wirklich? Das-

“Hallo?”

Ein unartikuliertes, von den vorhergehenden Tränen angegriffenes Quietschen kam schockiert über Castiels Lippen und er schaffte es gerade noch, auf den roten Hörer zu drücken, ehe er das Handy fallen ließ, als hätte er sich verbrannt.
Es landete mit einem Klappern auf der Arbeitsfläche, das sich beinah entrüstet anfühlte und Castiel konnte nicht anders als es fassungslos anzustarren.

Das- Das war Dean gewesen; Der warme und gleichzeitig angenehm raue Ton von kristallinem Honig.
Er hatte ihm- Wieso hatte er-?!

Castiel sprang mit einem Japsen zurück und presste sein Weinglas fest an sich, als sein Handy unvermittelt leuchtete und sich durch die Vibration über die Arbeitsfläche schob.
Das Display zeigte ein großes, weißes D..

Oh Gott. Oh Gott. Ohgottohgottohgott!

Castiels Augen waren groß und ungläubig.
Das passierte gerade nicht wirklich!
Das war so nicht geplant gewesen! Das hätte niemals funktionieren sollen, nein!, dürfen!
Was. Zum. Teufel?!
Sollte er etwas tun? Er konnte doch nicht rangehen! Aber er hatte zuerst angerufen.
Wie sollte er das Alastair erklären?!
Verdammt! Gottverdammt!

Das Smartphone vibrierte sich zum Rand, immer noch mit leuchtendem Display und dem großen, weißen D. darauf, unerbittlich und stur und viel zu laut in der ruhigen Wohnung.
Er musste- Er sollte rangehen, oder?
Castiel schüttelte sich selbst aus der Starre; Er sollte rangehen. Er sollte rangehen und sich entschuldigen und- Wie spät war es überhaupt? Egal. Es war unpassend gewesen ihn anzurufen. Er würde jetzt dieses Telefon nehmen und - und es hörte auf zu klingeln.

Seine Schultern senkten sich in einem erleichterten Seufzen.
Er war ein Idiot. Das war dämlich gewesen.
Wieso hatte er ihn angerufen??
Wieso hatte er zurückgerufen?! Wieso hatte Dean ihm überhaupt seine richtige Handynummer gegeben? Das war doch!
Castiel schnaubte geradezu höhnisch und trank mit einem großen Schluck sein Glas leer, um sich ein neues einzuschenken.

Egal, was es war, es war jetzt vorbei.
Davon müsste er Alastair nichts erzählen; Das war nur- Der Wein. Und das ungerechtfertigte Gefühl der Einsamkeit. Er wollte Alastair nicht wieder erzürnen, das hier war nichts.
Er würde Dean nicht wieder anrufen, Dean würde ihn nicht wieder anrufen. Das war doch lächerlich. Und dämlich. - Und vorbei.
Er nahm noch einen Schluck und schüttelte über sich selbst den Kopf.

Der Wein begann sich träge und warm in seinem Kopf auszubreiten, die Enden der aufgeschreckten Emotionen des heutigen Abends zu beruhigen und ihn einzuwickeln in dieses leicht schwummrige Gefühl, das seine Schritte etwas weicher und wackeliger werden ließ, ihm später einen tiefen Schlaf versprach - und vermutlich schuld war an diesem Schwachsinn.
Er hätte nicht anrufen sollen - aber jetzt war es vorbei.

Er musste noch irgendwas mit dem Lammkarree machen - und der Glaskugel im Flur. Er sollte sich nicht so dämlich verhalten und stattdessen weiter aufräumen.
Das war jetzt vorbei und alles war wieder, wie es vorher war.
Dämlicher Idiot.

Castiel schüttelte über sich selbst den Kopf und nahm den Dekanter. Er war mit dem Glas leer und Castiel brachte ihn zur Spüle für Spülmittel, Wasser und die metallenen Reinigungskügelchen, als sein Handy erneut vibrierte.
Er zuckte kurz zusammen, aber ein kurzes Vibrieren war alles. Kein Anruf.
Gut! Das war gut. Es war dämlich. Es war vorbei.
Vermutlich ein Wetterupdate.

Sein Handy vibrierte wieder.

Castiel runzelte die Stirn und ging vorsichtig zurück zu dem Smartphone, als könnte es ihn von der Arbeitsfläche anspringen, während er locker aus dem Handgelenk die kleinen Kügelchen in dem Dekanter im Spülwasser kreisen ließ.

Er hatte neue Nachrichten.
Seine Stirn runzelte sich.
Wie bitte?
Es vibrierte wieder.
Alastair textete ihm sonst nie. 

Castiel stellte den Dekanter ab, griff das Handy und öffnete die neuen Nachrichten.
Das- Dean hatte ihm geschrieben.
Er hätte das Telefon beinahe wieder fallen gelassen.
Er hatte ihm geschrieben?!

D.:
Hey! Wer bist du?
Vegane kekse bist du das?
Ist alles in ordnung??


Castiel starrte die Nachrichten perplex an.
Vegane Kekse. Er- Er fragte ob er es war, ob es Steve war, ohne seinen Namen zu nennen? Clever, ehrlich gesagt. Aber- aber wieso erinnerte sich Dean überhaupt an ihn?
Wieso schrieb er ihm?
Wieso-

Die drei Punkte kamen zurück und kurz darauf zwei weitere Nachrichten.

D.:
Hey mann sag bitte was das ist creepy
Du weißt ich seh den log wenn du das gelesen hast?


Castiel zuckte ertappt zusammen.
Verdammt! Natürlich!
Er schnaubte überrumpelt, blickte sich in einem kurzen Reflex einmal um, als würde er nicht wissen, dass er abgesehen von dem Lammkarree und der halbvollen Weinflasche auf dem Tresen alleine war, und schrieb selbst eine Nachricht.

(Ob Dean die drei Punkte jetzt auch gerade ansah?

Quatsch.)

Ja! Entschuldige, hier ist Castiel. Es tut mir Leid, Sie zu stör

Falsch.
Steve.
Er löschte die Nachricht wieder und schüttelte den Kopf.
Was machte er hier eigentlich? Das war doch dämlich. (So gesehen stand das große D gerade für zweierlei.)
Er setzte erneut an und schickte die Nachricht diesmal los.

Du:
Ja, hier ist Steve.

Vielleicht etwas wenig?

Du:
Haben Ihnen die Kekse geschmeckt?

Schwachsinn!

Du:
Entschuldigen Sie bitte, das geht mich nichts an.

Castiel fasste sich an die Schläfen. Dämlich, dämlich, dämlich! Beende das endlich!

Du:
Nein, ich meine: Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie gestört habe.

Die kleinen Symbole sprangen sofort nach Zugestellt auf Gelesen.
Dean hatte… auf seine Antwort gewartet? Nein, das war nur Zufall. Vermutlich hatte er einfach das Display nicht gesperrt.

Die drei kleinen Punkte erschienen wieder.
Castiels Mund öffnete sich, als wollte er in die Leere argumentieren, mit den drei Punkten diskutieren, ihnen klar machen, dass es keinen Grund und keinen Sinn darin gab, dass sie sofort wieder erschienen.
Wieso antwortete Dean ihm so schnell? Oder viel eher: Wieso antwortete er ihm überhaupt?!

D.:
Heya Steve!
Die kekse waren spitze!
Meine mitbewohnerin wird dir ewig dafür dankbar sein
Sie waren für ihre (mittlerweile freundin Wink
Aber ich hab sie auch probiert und sie sind echt lecker
Du hast nicht gestört! Ich freu mich über deine nachricht


Castiel konnte nicht anders als dabei zuzusehen, wie die Punkte immer neue Nachrichten ausspuckten, konnte nicht anders, als leicht zu schmunzeln, als ihm auffiel, dass Dean kaum Satzzeichen oder Großbuchstaben verwendete oder für neue Sätze eine neue Nachricht schickte.
Er bemerkte nicht mal, wie er sich gegen die Arbeitsplatte lehnte, während er die Nachrichten las, einerseits fast schockiert über die Nachrichten und ihren Inhalt, über die persönlichen Informationen, die Dean einfach so teilte, andererseits ungläubig, dass das hier überhaupt passierte.
Wieso schrieb Dean ihm eigentlich zurück?
Immerhin, er kannte ihn nicht. Er wusste nichts von ihm - außer dass er sich viermal zum Notruf verwählt hatte.
Castiel verzog das Gesicht bei der Erinnerung. Ja, die Ausrede war etwas dünn gewesen, aber was hätte er sonst sagen sollen? Er hatte unzurechnungsfähig reagiert, als er 911 angerufen hatte; Das war unnötig gewesen.

Sein Display war ausgegangen, während er gegrübelt hatte, und sein Smartphone vibrierte in seiner Hand, bevor er weiter über den abgebrochenem Notruf nachdenken konnte, oder den Tag, der dazu geführt hatte.

Ein vollkommen unbekanntes Gefühl zog von seinen Fingerspitzen, seinen Arm hinauf irgendwo in ihn hinein, fast als wäre er irgendwie froh.
Was lächerlich war - und erbärmlich. Dean war vermutlich nur höflich und schrieb ihm deshalb. Aber trotzdem öffnete Castiel die Nachricht mit einem leichten Lächeln.   
Er wusste nicht mehr wirklich, wann er das letzte Mal einfach zwanglos getextet hatte. Und die Tatsache, dass das schon ausreichte, damit er sich nicht mehr ganz so einsam fühlte, sprach ohnehin Bände über den Grad seiner Erbärmlichkeit.
Aber irgendwie war das- nett. Auch wenn es nur höflicher Smalltalk war, der vermutlich mit dieser oder der nächsten Nachricht von Dean enden würde.
Castiel legte leicht den Kopf zur Seite und blickte auf die nächsten Worte mit der Erwartung des baldigen Endes.

D.:
Hey steve ich will nichts implizieren aber
Geht es dir gut? Ist alles in ordnung?


Eine kurze Pause.

D.:
Bist du verletzt?


Natürlich.
Das Lächeln auf seinen Lippen bekam einen leichten Knick.
Dean war Emergency-Dispatcher, er half anderen und nach ihrem ersten Gespräch… Woran hätte er auch sonst denken sollen, außer das Castiel wieder gegen eine Tür gelaufen war. Dass er ihn deshalb kontaktierte und nicht weil er- weil er erbärmlich und alleine und weinerlich war.
Implizieren.
Castiel schnaubte höhnisch über sich selbst.

Es war nicht direkt Enttäuschung, die er fühlte, dafür gab es keinen Grund, er hatte keine Rechtfertigung für Enttäuschung. Aber es war - ernüchternd.
Das hier war kein belangloses Texten, kein lockerer Smalltalk über Kekse oder Deans Mitbewohnerin. Er belästigte Dean und Dean versuchte höflich und hilfsbereit zu sein. Es war spät am Abend - und Castiel zwang Dean in seinen Job.

Seine Augen starrten die kleinen Buchstaben auf seinem Bildschirm an, die einzelnen kleinen Rahmen um jede kleine Nachricht, die kleinen Symbole, die ihm und Dean sagten, er hatte jede erhalten und gelesen.
Sein Lächeln hatte an Schwung verloren, aber er zerrte es zurück nach oben, als ob Dean es sehen konnte, als er die Antwort schrieb:


Du:
Danke, Dean. Es ist sehr freundlich, dass Sie sich sorgen, aber es geht mir gut. Es ist alles in Ordnung. Ich bin nicht verletzt.
Ich freue mich, dass Ihrer Mitbewohnerin und ihrer Freundin die Kekse geschmeckt haben.
Ich entschuldige mich für die Störung. Haben Sie noch einen schönen Abend.

Er sollte das Handy weglegen. Es ausschalten und sich um das Chaos hier kümmern. Aber Castiel starrte dennoch auf sein Display, beobachtete, wie die Nachrichten zugestellt wurden und sofort danach auf Gelesen sprangen.
Ein Herzschlag verging, eine halbe Sekunde hoffnungsvoller- was? Erwartung? Nein. War es überhaupt hoffnungsvoll?
Er war nur erbärmlich und weinerlich und alleine.
Egal was es war, die drei Punkte erschienen nicht und Castiel nickte.
Besser so.
Es war ohnehin dämlich.
Aber - und das musste Castiel zugeben - nett. Es war wirklich freundlich gewesen, sich zu sorgen.
Castiel nickte nochmals und schaltete das Display aus, ließ das Handy achtlos auf der Arbeitsfläche liegen und trank noch einen Schluck Wein, ehe er Kehrschaufel und Handbesen unter der Spüle hervor holte und in den Flur ging.

Die kleine Glaskugel war in unzählige Bruchstücke zersplittert, die sich weitläufig im Flur verteilt hatten.
Castiel seufzte, ging in die Hocke und begann die Fragmente aufzukehren.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis er auch die letzten kleinen Bröckchen erwischt hatte und zurück in die Küche ging, um den zersplitterten Kadaver im Mülleimer zu entsorgen.

“Bleiben noch wir beide.” Er blickte das Lammkarree mit einer Mischung aus Beleidigung und Betrübnis an, als er wieder einen Schluck Wein trank und sich dann Alastair's Weinglas und die Flasche vom Tresen nahm. 
Er entfaltete seine Wirkung immer weiter in seinem Blut und Kopf. Castiel genoss das wattige Gefühl, das sich langsam in ihm ausbreitete.
Er wusste nicht, ob die Flasche wirklich die fast Fünfzig Dollar wert war, aber er schmeckte. Ihm schmeckten aber auch Fünf-Dollar-Weine.

Da das Karree unverzehrt hier stand war das sein Geld schon mal nicht wert gewesen.
Sollte er es aufheben?
Konnte man Lamm überhaupt aufheben? Oder wieder erwärmen? Oder kalt essen?
Castiel verzog unsicher das Gesicht. Wollte er das Alastair wirklich nochmal vorsetzen? Und wieder einen Streit provozieren?
Er schloss kurz die Augen, als könnte er dadurch besser denken und entschied sich letztendlich dafür, wenigstens zu googeln, was er damit machen könnte, bevor er es wegwarf.
Das Lamm konnte ja nichts dafür, dass er ein vollendeter Idiot war.

Er griff nach seinem Smartphone, während er noch einen Schluck trank, einen kleineren diesmal, und ließ es beinah fallen, als es zweimal schnell hintereinander vibrierte.
Seine Augen huschten erschrocken zu den Benachrichtigungen und den - neunzehn neuen Nachrichten?!
“Was?!”

Was hatte Dean denn alles geschrieben, um sich zu verabschieden?
Wieso hatte er überhaupt noch etwas geschickt?

Castiel wischte das Display wach und tippte auf den Chat:

D.:
Steve nochmal: Du störst nicht!
Ich freue mich über deine nachrichten und noch mehr darüber dass es dir gut geht
Ich hatte schon nicht mehr geglaubt dass du dich meldest
Aber ich bin froh dass du es getan hast!
Ohne mein glück überstrapazieren zu wollen aber warum heute?
Also gemeldet
*warum hast du dich heute gemeldet
#eloquent
Sorry mann anstrengender tag heute
Steve?
Komm schon mann
Nicht cool mich jetzt hängen zu lassen
Steve?
Ehrlich mann du klangst am telefon nicht so gut dass ich mir jetzt keine sorgen machen würde
Steve? Ein lebenszeichen okay?
Okay ich bin hartnäckig
Du hast mich bestimmt angerufen weil du mich seit dem laden nicht mehr aus dem kopf kriegst
War das ein booty call steve?
Big Grin


Castiels Augen flogen fassungslos über die Nachrichten. Als er am Ende angekommen war und er die letzten Nachrichten las, wurde sein Gesicht spürbar heiß.
Ein- was? Nein! Natürlich nicht! Er würde nie-!
Das- das war doch!

Du:
Das war kein booty call!

Bevor er noch etwas anderes schreiben konnte, erschien eine weitere Nachricht von Dean:

D:
AH! Du bist noch da! Zum glück! Big Grin


Castiel war einen Moment so von dieser Reaktion überrascht, dass er sich gegen die Arbeitsplatte lehnte.

Zum Glück?

Sein Mund klappte auf, als könnte er mit dem kleinen lachenden Gesicht am Ende der Nachricht diskutieren, aber wieder kam ihm der andere zuvor:

D:
Also steve warum heute?
Ich würde ja sagen ich will nicht neugierig sein aber das wäre einfach gelogen Wink


Castiel schnaubte ein Lachen und schüttelte mit einem leichten Schmunzeln den Kopf. Das war doch-!
Das war doch.
Kindisch. Und freundlich - und warm und… angenehm?

Und Castiel wollte ehrlich sein, so jämmerlich und einsam das auch war, dass er dem erstbesten Fremden, der ihn beachtete, sofort sein Herz ausschütten wollte.
Aber er wollte ihm sagen, dass er alleine war und traurig, weil er alleine war. Dass er sich mit Alastair gestritten hatte, dass alles seine Schuld gewesen war und- und er wollte, dass Dean ihn dann nicht für einen totalen Versager und Idioten hielt.
Aber das war wohl etwas viel verlangt.
Trotzdem war das Ziehen in seiner Magengrube warm und blubbernd und-

D:
Steve?


Du:
Wir haben uns gestritten

Castiel erstarrte.
Das hatte er nicht-
Oh Gott.
Das lag nur an diesem verdammten Wein!
Er war im Begriff, das Glas zur Seite zu schieben, für heute war es genu-

Dean tippte bereits eine Antwort.
Oh, nein. Neinneinnein.


Du:
Eswarnicht!
*es war nichts
Alles in Ordnung!
Es tut mr Ledi Dean!
Oh Gott
*Es tut mir Leid, Dean!

Castiel starrte auf den Fleck, wo immer die drei kleinen Punkte erschienen und biss sich schmerzhaft fest auf die Unterlippe, bis sie endlich auftauchten und nahm einen Schluck Wein zur Beruhigung. Jetzt war es ohnehin schon egal, oder?
Viel mehr Nonsense konnte er ja kaum texten.
Er war so ein Idiot. Als hätte Dean nicht ohnehin schon eine vollkommen falsche Vorstellung!

D:
Hey alles okay!
Du musst dich nicht rechtfertigen
Alles okay!


Die Punkte flackerten mehrfach auf und verschwanden dann wieder bis letztendlich eine weitere Nachricht erschien.

D:
Darf ich fragen, worüber ihr euch gestritten habt?


Castiel lachte unwillkürlich schnaubend auf. Dean hatte scheinbar so lange an der Nachricht gefeilt, dass sogar die Satzzeichen stimmten. Dean dachte gerade vermutlich - alles mögliche! und etwas in Castiels Magen zog sich kalt zusammen.
Er wollte nicht, dass Dean falsch über Alastair dachte; Dass Alastair dachte, er würde ihn das denken lassen!
Das war doch…
Er hatte von Anfang an gewusst, dass das eine dämliche Idee gewesen war und er wünschte, er konnte dem Wein alleine die Schuld daran geben und einfach aufhören.
Aber was würde Dean erst denken, wenn er das Gespräch jetzt abbrach?
Er wollte nicht- Er wollte nicht, dass Dean eine falsche Vorstellung hatte.
Castiel atmete tief durch, die Hand mit dem Weinglas verzweifelt an der Stirn, wenn er nicht gerade einen Schluck trank. Er durfte nicht mehr einfach so los texten! Er musste sich konzentrieren. Also schrieb er seine nächste Nachricht sehr sorgsam und durchdacht:

Du:
Ich hab nicht nachgedacht und uns den Abend ruiniert. *Er hatte einen anstrengenden Tag und ich habe ihn provoziert. *Er ist zu einem Freund gegangen.

Castiel starrte die erneut auftauchenden Punkte an, wie ein Damokles Schwert, und vergaß seinen Vorsatz, nicht mehr einfach drauf loszutexten:

Du:
Es tut mir Leid
Ich bin
*
Ich hab zu viel getrunken.
Ich hätte nicht anrufen sollen.
Ich war nur
Entschuldigen Sie bitte, Dean.

Oh Gott.
Er machte es gerade nur schlimmer, oder? Oh Gott.
Er klopfte sich mit der Kante des Smartphones wiederholt gegen die Stirn.
Er wollte nicht wissen, was Dean jetzt dachte. Er wollte nicht wissen, wie Dean darauf reagierte.
Er wollte wirklich, wirklich, wirklich nicht!
Aber sein Handy vibrierte gegen seine Stirn.

Castiel atmete einmal tief durch und blickte auf die neuen Nachrichten:

D:
Du musst dich für nichts entschuldigen steve!
Ich hätte auch getrunken, wenn mein abend so in die binsen gegangen wäre


Er blinzelte unverständig gegen die Buchstaben.
Sein Mund öffnete sich erneut, um zu argumentieren, aber seine Finger waren schneller.

Du:
Was?

Es folgte ein tränenlachender Emoji.

D:
Kein grund so überrascht zu sein
Ich hab dir doch gesagt steve
Wenn du hilfe brauchst oder einen freund: ich bin da


Castiel schüttelte den Kopf.
Das- wieso tat Dean das?

D:
Aber fürs protokoll: lass die förmlichkeit okay?
Ich hab mir gerade noch ein bier geholt
Das heißt wir trinken jetzt zusammen
Smile


Castiel lachte kehlig auf und schüttelte wieder - oder immer noch? - den Kopf.
Er verstand es nicht. Er verstand Dean nicht. Überhaupt nicht, weder den warmen Ton seiner Stimme, noch die ruhige Kraft darin, sein Auftreten, sein Engagement für ihn, obwohl er ihn nicht kannte und jetzt - das.
Aber er musste zugeben, jetzt mit einem Weinglas in der Küche und dem Licht seines Handydisplays im Gesicht fühlte sich weniger einsam an als auf dem Boden sitzend mit Tränen auf seinen Wangen.
Und auch wenn er und Dean keine Freunde waren, nicht mal im Ansatz, ehrlich gesagt, war doch auch nichts dabei, oder?
Alastair war selbst bei einem Freund. Da könnten ein paar Textnachrichten nicht schaden, richtig?

Ein Lächeln zog an seinen Lippen, als er noch einen Schluck Wein nahm und mit der anderen Hand eine Nachricht schrieb:


Du:
Okay
Danke, Dean