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say my name (8|16) - June - 21.06.2021

Kapitel 8
If you gonna die


Das kalte Wasser stach angenehm auf seinem Gesicht und Castiel massierte die eisigen Tropfen fest in seine Haut und atmete tief durch, ehe er sich aufrichtete und sich einen strengen Blick im Spiegel zuwarf.

Er war- melancholisch war wohl das richtige Wort.

Castiel tupfte sich die Wassertropfen mit einem Handtuch ab; Stirn, Wange, Nacken, Hals und betrachtete sich dabei im Spiegel.

Es war jetzt zwei Wochen her, seit er sich von Dean verabschiedet hatte.
Dean hatte sich seither nicht gemeldet, was - natürlich - der Sinn der nächtlichen Nachrichten gewesen war.
Castiel hätte auch nicht erwartet, dass er sich meldete. Er hatte nicht erwartet, Nachrichten oder Anrufe zu erhalten, die ihn nach dem Grund fragten oder sich nochmal nach ihm ausstreckten, ihm vielleicht auch Lebwohl wünschten.
Seine Nachrichten waren deutlich gewesen und er hatte keine Antwort erwartet.

Er hatte sich auch keine erhofft.
Wer hätte ihm schon geantwortet, wenn er zu solchen Nachrichten aufgewacht wäre?
Er hätte mit Sicherheit nicht geantwortet und es wäre unfair, etwas anderes zu erwarten.
Außerdem hatte er nichts anderes erwartet!
Aber-
Das änderte aber nichts daran, dass er Dean-
Er vermisste ihn.

Castiel atmete nochmals tief durch und versuchte seine Haare zu ordnen, was von vornherein zum Scheitern verurteilt war, zupfte dann den Kragen seines Hemdes zurecht und starrte seine Reflektion stumpf an.

Er vermisste ihn.

Er vermisste die Nachrichten, die auf ihn warteten, wenn er das Handy einschaltete und die Anekdoten von Deans Tag, die Geschichten über Charlie oder seinen Bruder Sam, Berichte über sein Auto oder Bilder von Pies und Burgern, die er ihm geschickt hatte.
Er vermisste, wie Dean sich um ihn sorgte, nach seiner Meinung fragte, wie er ihm das Gefühl gab, irgendwie wichtig zu sein; Obwohl sie kaum Schnittpunkte in ihrem Leben hatten - außer der Textnachrichten, obwohl sie sich nicht wirklich kannten und nur ein einziges Mal gesehen hatten.
Er hatte trotzdem das Gefühl gehabt, er hätte Platz in Deans Leben.
Er vermisste es.
Er vermisste diese Gefühle. 
… Er vermisste Dean.

Als seine Finger seine Haare erneut aufschüttelten, war ihr Druck stärker als nötig und er presste einen langen Atemzug aus seinem Mund.

Er war unfair, mal wieder.
Er tat gerade so, als würde er von Alastair keinerlei Aufmerksamkeit erhalten - aber das tat er.
Alastair liebte ihn und zeigte es ihm.
Er hatte einen festen Platz in Alastair's Leben.

Castiel war derjenige, der die letzten Wochen schwierig gemacht hatte.
Er war trübsinnig gewesen, düster und - melancholisch; Verdammt er war es immer noch.
Alastair hatte das nicht verdient und sich dennoch damit herum geschlagen.

Aber heute - zugegeben - hatte Castiel das Gefühl, das er an jedem losen Faden zog, den Castiel hatte. Mit Sicherheit kam es ihm nur so vor und mit Sicherheit war es nicht mit Absicht, aber heute stach Alastair zielsicher auf jeden wunden Punkt.

Und Castiels Haut war, was das anging, dünn und gespannt und-
Er atmete nochmals tief durch und fuhr sich fast grob über das Gesicht.
Deshalb hatte er sich kurz zurück gezogen, ins Badezimmer, um seine rotierenden Gedanken zu kühlen und sich zu sortieren.

Castiel musste sich endlich zusammenreißen.
Es gab keinen Grund trübsinnig oder melancholisch zu sein.
Weder hatte er Dean richtig gekannt, noch hatte er ihn lange gekannt. Dean war ein flücht- Nein, Dean war ein Freund gewesen.
Dean war für ihn da gewesen, als er sich eingeredet hatte, er wäre alleine.
Aber damit musste er jetzt endlich aufhören. Er war nicht allein, zum einen, und zum anderen war es das richtige gewesen, sich von Dean zu verabschieden.

Seine Zunge fuhr unruhig über seine Unterlippe und ein unkontrollierter Blick glitt zur Dusche, als ihn die Erinnerung in die Magengrube traf, wieso es nicht nur richtig, sondern vor allem nötig gewesen war, den Kontakt abzubrechen.
Es war das einzig richtige gewesen. Er hätte es gar nicht erst soweit kommen lassen dürfen.
Er liebte Alastair.
Und Alastair liebte ihn.

Deswegen würde er sich jetzt zusammenreißen, wieder ins Wohnzimmer gehen und Alastair’s Abendessen kochen. Er würde dankbar und offen und fröhlich sein, für Alastair, weil er es verdient hatte und sich nicht den Kopf über eine flüchtige, textuelle Freundschaft zerbrechen, die er niemals hätte zulassen sollen und er ganz alleine ruiniert hatte.

Castiel zog nochmal bestimmt an seinem Hemdkragen, musterte sein Aussehen und nickte sich zu.

Genau das würde er jetzt tun.


Es funktionierte nicht.

Castiel gab sich Mühe, versuchte wirklich positiv und glücklich zu sein, wie Alastair es verdient hatte. Wie er es ihm schuldete, wie es zu sein hatte.
Aber Alastair fand heute jede Lücke in seinem Lächeln.

Ihm schmeckte die vegane Lasagne nicht und er kritisierte, dass sich Castiel in letzter Zeit ohnehin hatte gehen lassen, was seine Figur anging.
Um nicht weitere Kritikpunkte aufkommen zu lassen, hörte er auf zu essen, machte sich an den Abwasch und schob die angespannte Stimmung auf die schwindenden, letzten warmen Tage und den beginnenden Herbst: Es war mittlerweile Mitte Oktober und die Tage wurden kälter, die Nächte länger.
Vielleicht zog das an Alastair’s Stimmung?

Alastair kritisierte sein unsoziales Verhalten, weil er sich in der Küche vergrub.
Castiel schluckte hart und trocken, ehe er versuchte, von der Spüle aus über den Tresen hinweg eine Unterhaltung mit Alastair zu führen.
Dass er den Abwasch einfach Abwasch sein ließ, würde ihm auch nicht gefallen, also machte er weiter, obwohl Alastair mit der Lösung nicht zufrieden war.

Ihm gefiel seine melancholische Stimmung nicht, ihm gefiel nicht, was oder wie Castiel ihm antwortete - und dass er jede Antwort aus ihm heraus zerren musste.

Als Castiel mit dem Abwasch fertig war, schenkte er sich ein zweites, großes Glas Wein ein.
Alastair gefiel es nicht.


Castiel konnte im Nachhinein nicht mehr sagen, was es gewesen war, welcher Kommentar, welcher Satz, welche Stichelei ihn dazu gebracht hatte, die Geduld zu verlieren;
Aber er setzte das Weinglas zu kräftig auf den Tresen, fuhr sich mit einem so festgezurrten Lächeln durch die Haare, das es geradezu grotesk wirkte und blickte Alastair direkt an.

“Weißt du, Alastair, wenn dir alles hier so sehr zuwider ist, dass du es hier kaum aushalten kannst, wieso gehst du dann nicht einfach wieder zu Azazel, wie du es sonst auch machst, wenn ich dir mal wieder irgendwie gegen den Strich gehe?!”

Kaum, dass er seinen Satz beendet hatte, noch bevor er realisiert hatte, was er gesagt hatte, bevor der eine Chance hatte, darüber nachzudenken, wieso er es gesagt hatte, spürte er heißen, pochenden Schmerz durch sein Gesicht schießen.

Die Wucht des Schlages riss ihn um, bevor sein Verstand Alastair direkt vor ihm anstatt auf der Couch, die erhobene Faust und die Schmerzen in Einklang bringen konnte.
Er fiel gegen den Tisch, riss dabei die eisernen Kerzenständer und einen Stuhl zu Boden und blieb einen Moment perplex liegen.

Seine Hand war zu seiner geschundenen Wange geschnellt, die Haut brannte schmerzhaft unter seinen Fingerspitzen und er starrte zu Alastair hinauf, der über ihm stand; Groß, aufragend, schnaubend, so, so wütend.

“Alast-!”

Alastair’s lange, starke Finger rauschten gegen seinen Hals und Kehlkopf und rissen ihn auf die Beine. Sein Körper und Kopf kollidierten mit etwas hartem, das ihm wertvolle Luft aus den Lungen drückte, etwas klirrte und schepperte an dem Rand seiner Wahrnehmung, aber er konnte nicht ausmachen, was.

Alastair hielt ihn weiter fest am Hals.
So fest.
Zu fest!
Viel zu fest

Er konnte nicht atmen. Er konnte nicht atmen!
Alastair’s unbarmherziger Griff drückte ihm die Luft ab; Er würgte ihn. Wieso würgte er ihn?! Was hatte er getan?!

“Alastair!” Seine Stimme brach unter dem festen Druck der fremden Hand, krächzend und grugelnd, aber er spürte nur, wie der Griff stärker wurde.
Seine Finger kratzen hilflos an der weichen Haut von Alastairs Handrücken, aber es hatte keinen Erfolg.

Er konnte nicht atmen.
Er konnte nicht atmen!

Castiel versuchte, röchelnd Luft einzuziehen. Das Blut pulsierte in seinem Kopf, in seinen Ohren, seinen Lippen, seinen Wangen. Er spürte, wie die Taubheit an seiner Haut kribbelte und versuchte noch hektischer Alastair’s eisernen Griff zu lösen, kratzend, röchelnd und windend.
Als er dachte, er hätte endlich etwas erreicht, packte Alastair’s freie Hand sein Handgelenk und knallte es mit schmerzhafter Wucht gegen die Wand in seinem Rücken.

Castiels Blick folgte der Bewegung panisch, eine Hand weiter an Alastair’s Griff kratzend, während er versuchte die andere frei zu bekommen.
Er konnte den atemlosen Druck in seiner Brust spüren, das schmerzhafte Pochen bei jedem nicht getätigten Atemzug.

“Also wirklich, Castiel.” Alastair's Stimme war ein kaltes, knurrendes Zischen direkt an seinem Ohr, grotesk ruhig, sortiert und berechnet.
Sie machte ihm Angst, so fürchterliche Angst.
Er wollte die Augen zumachen, wegschauen, bis alles wieder in Ordnung war, sich vor der Situation verstecken, aber er traute sich nicht, auch nur eine Sekunde des Schreckens zu verpassen.
Die Panik erstickte auch die letzten Tropfen Sauerstoff in seinem Blut und als er Alastair in die Augen sah, traute er sich nicht einmal, sich weiter zu bewegen:
Er lächelte, gefroren und gehässig, wie er es noch nie gesehen hatte, seine Augen wie tote Gletscher, die alles erstarren ließen, auf das ihr Blick fiel und Castiel wäre zurück gewichen, würde sich die Wand nicht bereits zu fest gegen ihn drücken.
Wieso war er so wütend? Wieso war er so wütend?!
Was hatte er getan?
Wieso?
Wieso?!

Die Furcht fror sich durch seinen Venen und verklumpte sein Blut mit Eiskristallen.
Wieso war er so wütend? Was könnte er tun? Er musste etwas tun! Er konnte nicht atmen!

“Redet man so mit seinem Partner, Castiel? Denkst du, es ist in Ordnung, so mit mir zu reden?”

Heiße, brennende Tränen aus Angst und Atemlosigkeit sammelten sich in seinen Augenwinkeln und er versuchte unter einem röchelnden, flehenden Atemzug den Kopf zu schütteln.

“Es - tut - mir - Leid!” Seine Stimme war gepresst und luftleer.

Er brauchte Luft, Luft! Er konnte nicht atmen!
Sein Herz pochte zu schnell, zu panisch.
Wieso ließ er ihn nicht los?
Er musste ihn loslassen!

“Alast-”

“Das sollte dir auch Leid tun, Castiel.”
Er spürte, wie Alastair’s Zunge zäh über seine Wange leckte und dabei verirrte, heiße Tränen aufsammelte. Sie brannte an der Stelle, wo Alastair ihn geschlagen hatte. “Es sollte dir Leid tun, weil wir zusammengehören, Castiel. Du gehörst zu mir, hast du das verstanden? Du liebst mich - und so redet man nicht mit jemanden, den man liebt, hast du das verstanden?!”

Um seine Worte zu unterstreichen wurde sein Griff einen Moment fester und Castiel nickte panisch, während weitere glühende Tränen aus seinen Augenwinkeln über seine Wangen liefen.

“Sehr gut.”

Die Hand löste sich von seinem Hals und Castiel japste einen hektischen Atemzug hinunter, als ein herrischer, schmerzhafter Ruck in seinen Haaren seinen Kopf nach hinten zwang.
Er schrie überrascht auf und schlang beide Hände um Alastair’s Handgelenk.

“Dann tu uns beiden einen Gefallen, Castiel.”

“Alastair, bitte! Lass-” Seine Stimme brach unter dem Flehen, aber Alastair riss nur fester an seinen Haaren und würgte dadurch seine Worte ab.

“Vergiss!”
Castiel sah die Wand auf sich zukommen, geführt Alastair’s Zerren, und prallte mit voller Wucht dagegen.

“Es!”
Sein Kopf schwirrte wie Watte, heiße Watte, brennende, glühende Watte, die in seiner Stirn saß und sein Gesicht versengte.
Die Wand kam wieder auf ihn zu.

“Nicht!”
Wand.
Knall.
Schmerzen.
Sein Kopf war dumpf; Klebrige Feuchtigkeit zog an seinem Augenwinkel. Dunkle Punkte tanzten an den äußeren Rändern.

Alastair zwang seinen Kopf nochmals nach oben, um ihn anzusehen.
“Ich werde jetzt zu Azazel gehen, weil du mich einfach zu sehr aufregst, Castiel. Ich erwarte, dass du dich künftig zusammen reißt und aufpasst, wie du mit mir redest.”

Er ließ ihn los und Castiel sackte schwindlig auf den Boden.
Sein Zeitgefühl verschwamm mit den dunklen Punkten zu einem schwarzen, groben Brei.
Einen Moment war Alastair so nah bei ihm, direkt vor ihm, als er das nächste Mal die Augen öffnen konnte, sah er ihn in den Flur gehen, dann riss ihn das Zuknallen der Wohnungstür aus seiner Trance.


Als Castiel sich das nächste mal seiner Umgebung bewusst wurde und die schwarzen Flecken langsam verschwanden, lag er auf dem Boden.
Er war einen Moment verwirrt, bis das Geschehene mit voller Wucht in seinen Kopf zurückkehrte. Er zuckte zusammen und setzte sich hektisch auf. Sein Kopf dröhnte bei der plötzlichen Bewegung und er stützte sich schwindlig an der Wand ab, während seine Augen durch das leere Zimmer hetzten. 

Eine plötzliche, kalte Angst pochte in seiner Schläfe, seinem Kiefer und seiner Kehle, während er versuchte auszumachen, seit wann er hier gelegen hatte.
Seine Atemzüge waren hektisch und flach und schmerzten den Weg seinen Hals hinunter.

Wie lange?
Wie spät war es?
Würde Alastair gleich zurück kommen?
Sein Blick schnellte zum Flur, als könnte er dort jeden Moment das Klimpern von Alastairs Schlüsseln hören oder beobachten, wie die Wohnungstür aufging, aber es blieb still und sein trockenes, schmerzhaftes Schlucken klang in der Ruhe wie ein Paukenschlag.

Er musste wissen, wie spät es war.
Er- wie lange hatte er hier gelegen?
Er musste wissen, wie- Er musste aufräumen, bevor Alastair wieder nach Hause kam!
Er wollte nicht, dass er wieder wütend wurde.

Castiel zuckte bei dem Gedanken zusammen und rutschte unwillkürlich näher an das Sideboard, vor dem er saß.
Alastair war-
Wieso?
Wieso war er so wütend gewesen?
Was hatte er falsch gemacht?

Sein Atem verfing sich durch die zu schnellen, zu ruckartigen Atemzüge in seiner Brust, während sein Torso in hilflosem, luftleerem Japsen zuckte.
Wieso war er so wütend gewesen?!
Was hatte er falsch gemacht?

Castiel hatte ihn aufgeregt. Wieso hatte er das nur getan?! Er hätte ihn nicht so angehen dürfen!

Das Schluchzen, das sich brennend durch seine Kehle kämpfte, war so laut, dass er sich erschrocken die Hände auf den Mund schlug, um die verzweifelten Töne zu ersticken.
Aber sein Körper zitterte weiter unter dem Schock und den heißen Tränen, die sich den Weg über seine Wangen bahnten.

Er versuchte, dagegen anzukämpfen, versuchte sich nicht davon überrennen zu lassen, nicht hier und jetzt völlig zusammen zu brechen, aber schließlich konnte er kein weiteres Schluchzen mehr unterdrücken.
Castiel zog sich tiefer in sich zusammen, die Knie so nah an sich, wie er nur konnte, und vergrub sein Gesicht weinend in den Händen.
Er war - Er fühlte sich - erbärmlich und schwach und-
Ein weiteres Schluchzen brach aus seinem Mund und zerschellte an seinen Händen.
Er wollte verschwinden, sich verstecken, schrumpfen, so klein, dass Alastair ihn nicht finden könnte, wenn er wieder kam, ihn einfach nicht sehen könnte und-

Wann würde Alastair wiederkommen?
Castiel zog scharf die Luft ein und richtete sich ruckartig auf.
Alastair würde wiederkommen, aber wann? Jeden Moment? In einer halben Stunde?
Wie spät war es?!
Er musste es wissen, sofort, jetzt. Wie spät war es? Wie lang hatte er hier gelegen?!

Castiel tastete sich hektisch ab, um auszumachen, in welcher Hosentasche er sein Handy hatte, zog es hervor und schaltete es ein.
Die Augenblicke, bis es hochgefahren war, zogen sich zu kleinen Ewigkeiten und dann - fiel sein Blick auf die Uhrzeit.

Nur ein paar Minuten.

Castiel zog verwirrt Luft ein und starrte das Display an.
Er hatte hier nur ein paar Minuten gelegen, außer er - nein. Er wusste, wann sie zu Abend gegessen hatten, wann er mit dem Abwasch fertig gewesen war.
Wann alles eskaliert war.

Er konnte hier nicht länger gelegen haben, als ein paar Minuten.

Die Erleichterung, die ihn daraufhin durchzog fühlte sich kalt und übel an, grotesk falsch, aber er nahm sie dennoch und schloss für einen tiefen, feuchten Atemzug die Augen.
Es war alles in Ordnung, Alastair war gerade erst gegangen.
Er würde noch- Castiel hätte noch genug Zeit.

Er nickte sich ein paar Mal selbst zu, schniefte mehrfach und versuchte die pulsierenden Schmerzen in seiner Schläfe, Kiefer und Kehle zu ignorieren.
Es war alles gut.
Seine Finger strichen fahrig über das Handydisplay, als wollten sie die Minuten dankbar streicheln, die nicht verstrichen waren.
Es war alles in Ordnung.
Er könnte aufräumen, bevor Alastair wieder kam und dann- dann könnte, Nein.
Er würde sich dafür entschuldigen und- Er hätte ihn nicht so angehen dürf-

Was ist das?
Castiel blickte verwirrt auf das leuchtende Display vor sich mit den klebrigen, roten, schmierigen Flecken darauf.
Was- Woher?

Seine Augen glitten verwirrt über die Schlieren, dann zu seinen Fingern; Rot.
Castiel brauchte noch einen Moment, bis er sich an die klebrige Feuchtigkeit erinnerte, die an seinem Augenwinkel gezogen hatte, und hob vorsichtig tastend die Hand an seine Schläfe.

Es brannte fürchterlich und er zog die Hand zischend weg. Aber es hatte gereicht, um mehr Blut an seinen Fingern zu sammeln.
Blut.
Er blutete.

Castiel zog scharf die Luft ein und erstarrte.
Er blutete.
Eiskalte Angst pochte erneut durch seine Venen und seine Augen hetzten wieder zur Tür.
Alastair hatte- er hatte.

Wieso war er nur so wütend gewesen?
Was hatte er getan? Er musste- Besser aufpassen und-

Was sollte er tun?
War es schlimm?
Musste er-

Castiel versuchte panisch seinen hektisch werdenden Atem unter Kontrolle zu bekommen, aber Angst und Zittern strömten durch seine Venen und Muskeln.
Was sollte er tun?
Was sollte er tun?!
Und-

Immerhin, ich kenn mich mit Erste Hilfe aus, ob du Eis drauf legen solltest, oder sowas.

Dean.

Dean könnte- Dean würde wissen, was er tun sollte, ob es schlimm war.

Dean könnte ihm helfen.

Castiel hatte kaum realisiert, das er den Kontakt bereits geöffnet und die Nummer gewählt hatte, als das Lautsprecher-Klingeln durch das sonst viel zu stille Zimmer schallte.

Es klingelte, mehrfach, dreimal, viermal, fünfmal - und mit jedem unbeantworteten Ton krampfte sich etwas in Castiel zusammen.
Er würde nicht rangehen.
Wieso sollte er rangehen?
Nach allem, was passiert war!

Er würde nic-:
“Uh- Hey, Steve?”

Die rauchige Sanftheit in den wenigen Worten raubte ihm fast den Atmen.
Er war rangegangen!
Eine warme Erleichterung flutete durch seine Brust und er presste schniefend die Augen zusammen, um sich zu sammeln.

Er brauchte ein paar Anläufe voller zittriger, schluchzender Atemzüge, bis er endlich sprechen konnte:
“Dean…“
Seine Stimme brach ihm mitten im Wort und er zog sich soweit möglich enger in sich zusammen, als er hörte, wie Dean tief Luft holte. 

“Was ist passiert, Steve?”
Die Wärme aus seiner Stimme umhüllte ihn, hielt ihn, wiegte ihn und er wollte sich dagegen schmiegen und einen Moment in der eingebildeten Sicherheit ausruhen, aber stattdessen begann er langsam den Kopf zu schütteln.
Was war passiert?
Er hatte alles falsch gemacht. Er hatte- Alastair war-
Neue, dicke Tränen sammelten sich in seinen Augen, als sein Kopf als Antwort auf Deans Frage alles Revue passieren ließ.

“Er war so- i-ich hab- Er war so wütend- und-”
Ein hohes Schluchzen unterbrach ihn und Castiel klatschte sich die freie Hand gegen den Mund, während er weiter den Kopf schüttelte.

Er konnte doch nicht- Es- es war seine Schuld gewesen!
Nicht wahr?
Er- er hätte nicht so mit Alastair sprechen dürfen, er hätte nicht-
Er konnte ihn doch nicht so- so- so diffamieren und-
Wenn Alastair herausfinden würde, das er so über ihn sprach-
Er war so erbärmlich! Es war seine Schuld gewesen!
Er konnte nicht- Durfte nicht-

Castiel zwang einen zittrigen Atemzug seinen wunden Hals hinunter und blinzelte neue, aufwellende Tränen weg.
“Ich bin- hingefallen.” Ja. Das war besser, das war- Er konnte nicht. “Ich- ich bin hin-hingefallen und ich- ich blute, Dean und- ich- weiß nicht was- Bitte, hilf mir.” Seine Stimme brach erneut in einem verzweifelten Schluchzen.

Stille.

Castiels ganzer Körper zitterte unter den Tränen, der Angst, der angespannten Ruhe in der Leitung.

Sie zerriss ihn, in jeder Sekunde, die sie andauerte, immer weiter auseinander, immer tiefer, ein Stück nach dem anderen.
Was, wenn Dean auflegte?
Er hätte- es wäre sein gutes Recht, aufzulegen.
Er hätte nicht-
Es war so still und-

“Hey! Natürlich, Steve. Hey, ist schon gut: Ich bin da, okay? Wir schaffen das, Steve. Alles wird gut. - Ich muss dir ein paar Fragen stellen, ja? Du musst mir sagen, was passiert ist. Ganz langsam, nacheinander.”
Er konnte hören, wie sich eine bestimmte Professionalität mit den honigweichen Scotch-Tönen seiner Stimme verband.
Sie war trotzdem warm und tief, voller bedingungsloser Freundlichkeit, vielleicht eine kleine Spur Zuneigung, auch wenn er sie sich nur einbildete. Sie war warm und ruhig, sicher und so wohltuend.
Ein warmer Schauer rann seinen Rücken hinab und er schloss einen Moment die Augen.

Castiel nickte mehrfach, ehe er ein Okay über seine Lippen presste.
“Gut; Wo blutest du, Steve?”

“Uh- Kopf, meine- Ich glaube, an der Stirn.”

Er konnte hören, wie Dean hart schluckte. “Ist dir schlecht? Oder schwindlig? Blutet es stark? Warst du-” Er räusperte sich. “Warst du ohnmächtig?”

Seine Stimme zu hören, fühlte sich so gut an.
Sie war wie zäher Balsam, der sich auf seine aufgeschreckten Nerven legte und sie langsam glättete.
Castiel wollte sich in sie lehnen, eine Spur Entspannung für seine zitternden Muskel in den warmen Schallwellen finden, sie um sich ziehen, wie eine Decke und sich davon wiegen und beruhigen lassen, aber eisige Angst pochte mit jedem Herzschlag schmerzhaft durch sein Gesicht und seinen Hals und riss ihn zurück.

Er musste-
Er musste aufräumen und-
Alastair wäre wütend, wenn er nicht alles wieder in Ordnung gebracht hätte, bis er wiederkam.
Er blutete. War da Blut an der Wand? Wie entfernte man Blut von der Wand?
“Steve?”

Castiel zuckte fast zusammen, als Deans honig-raue Stimme seine Gedanken sanft zu sich zurück zog.
Er räusperte sich schmerzhaft durch den Kloß in seinem Hals und wischte Tränen von seinen Wangen, die fast augenblicklich durch neue ersetzt wurden.
“Nein, ich, ich glaube nicht. Nicht mehr, es - es gerinnt und eh - Nein, also - nur, nur kurz.”

Er konnte hören, wie Dean tief ein- und ausatmete.
“Wie oft bist du gefallen?”

Castiel erstarrte mitten in einem Atemzug.
“Steve, wie oft bist du gegen deinen Kopf gefallen?”

Er wollte nicht antworten.
Neue, heiße Tränen liefen über seine Wangen, während er hilflos den Kopf in den Nacken legte und die Augen schloss.
Natürlich wusste es Dean.
Er wusste, dass Dean wusste, er war nicht gefallen. Aber das änderte nichts daran, dass er vor Dean nicht zugeben wollte, was dazu geführt hatte.
Dass er schwach war und erbärmlich, ein feiges, weinerliches Elend, das-
Alastair war so wütend gewesen und er hatte es verdient. Er hatte es verursacht! Er war Schuld gewesen, nicht wahr?
Etwas in ihm krampfte kalt.
Er wollte nicht, dass Dean diesen Teil an ihm sah, den erbärmlichen und schwachen Teil, der das alles verdiente.
Aber er würde es zugeben, würde es ihm klar machen, wenn er ihm bestätigte, wie oft er gefallen war.
Er wollte nicht antworten, wollte es nicht bestätigen, wollte Dean nicht noch mehr verdeutlichen, wie er wirklich war.
Er wollte nicht. Er konnte nicht!
“Stev-”
Er musste.

“Dreimal.”
Es war nur fair. Er musste endlich ehrlich sein.
Dean endlich zeigen, was er war und wie und warum es gut war, dass sie keinen Kontakt mehr hatten. Das war besser. Für Dean auf jeden Fall.
Vermutlich hatte Dean ihn nicht einmal vermisst. Er hoffte es fast; Das wäre besser.
Castiel konnte wieder hören, wie Dean schluckte.
Es pochte dumpf in seiner Brust. Was musste er nur von ihm denken?

“Steve, du hast vermutlich eine leichte Gehirnerschütterung, okay? Ich kann dich in ein Krankenhaus bringen, wenn du mir sagst, wo-”

“Nein!”
Die Wucht, die seine eigene Panik in das Wort gelegt hatte, erschreckte Castiel selbst.
Die laute Belastung in seiner Kehle führte dazu, dass er husten musste und sein Hals brannte danach.
Aber allein der Gedanke daran, wie wütend Alastair wäre, wenn er einfach-
Er mochte es nicht, wenn Castiel einfach verschwand, ohne ihm zu sagen, wo er hingegangen war.
Er konnte nicht.
Das machte ihn vermutlich noch erbärmlicher, noch schwächer, aber- das ging nicht.
Er konnte einfach nicht.
“D-Das geht nicht, ich kann nicht-” Er hustete wieder und räusperte sich, bevor ein schmerzerfülltes Wimmern seinen Hals hinauf kroch.
“Bitte, Dean, ich… kann nicht.” Er versuchte leiser zu sprechen, aber seine Stimme kratzte dennoch unangenehm und er strich sanft über seinen Hals, als könnte er sie damit beruhigen. Es fühlte sich heiß und geschwollen an. 

Er hörte Dean wieder schlucken.
“Okay, Steve. Kein Problem. - Was ist mit deinem Hals? Als du-” Dean unterbrach sich und Castiel hörte ein vertrautes Rascheln; Dean fuhr sich durch die Haare. “Als du - gefallen bist; Bist du auf etwas- etwas sichelförmiges gefallen? Das dir vielleicht die- die Luft abgedrückt hat? Für ein paar Augenblicke?”

Allein die Erinnerung an die atemlose Panik und Alastair’s harten Griff, ließ Castiel zusammenzucken und seine Hand legte sich fast behutsam um seinen wunden Hals.
Er presste die Augen fest zusammen und schluckte ein Schluchzen hinunter.
Er konnte nicht-
“Dean, ich bin gefallen.”

“Ja, Buddy, das weiß ich. - Hast du Schwierigkeiten beim Luftholen? Kannst du einmal tief für mich atmen, bitte?”
Deans Stimme war so ruhig und professionell, aber dennoch so warm, sanft und rau.
Es tat so gut ihn zu hören, dass es weitere Tränen in seine Augen trieb, aber er versuchte sie runter zu schlucken und stattdessen für Dean einen hörbaren, tiefen Atemzug zu nehmen.

Es fühlte sich gereizt an, wund, aber er bekam Luft und röchelte nicht.
Er konnte sich vorstellen, dass Dean mehrfach nickte, nachdem er es ihm gesagt hatte, er hörte das Rascheln seiner Kleidung, als er sich wieder durch die Haare fuhr.

“Steve, hör mir zu.” Dean stieß gepresste Luft aus. “Ich bin kein Arzt oder Sanitäter. Ich kann keine Diagnose stellen, schon gar nicht übers Telefon, und ich rate dir dringend dazu, ins Krankenhau-” Castiel holte tief Luft, um zu protestieren, aber Deans Stimme schwemmte seinen Versuch in honiggetränkten Scotchwellen beiseite. “Ich weiß, Steve. Ich sag nur, dass ich dir dazu rate. Du musst dich aber ausruhen - und das meine ich ernst. Du bist verletzt, Steve, du musst dich hinlegen und schlafen. Dein Körper braucht das jetzt. Trink warmes Wasser oder Tee für deinen Hals und - und wenn du morgen Probleme hast beim Schlucken, Sprechen oder Atmen oder wenn dir Übel oder Schwindlig ist, dann musst du zu einem Arzt, okay? Steve, das ist wirklich wichtig.”

Die Sorge, die sich durch Deans Stimme zog, umhüllte ihn, warm, wie eine Sommersonne, und fest und Castiel presste schniefend die Augen zusammen.
Er hatte ihn nicht verdient.
Er hatte nicht verdient, wie sehr Dean für ihn da war, wie sehr er sich um ihn sorgte.
Weitere dicke, salzige Tränen flossen über sein Gesicht und er nahm ein paar davon mit der Zunge auf, als er sich über die Unterlippe fuhr.

“Danke, Dean. Ich-”

“Hey, Steve, nicht dafür. Ich hab dir doch gesagt, ich bin da. Ich meinte das ernst. Aber du musst dich jetzt hinlegen und ausruhen, okay?”

Das Schluchzen brach wimmernd in Castiels Kehle und er fuhr sich fahrig über die Wangen.
“Okay. - Ich muss nur noch- Ich hab viel umgeworfen, als ich- als ich gefallen bin. Ich räum auf und-”

“Steve.”

“Das geht ganz schnell und-”

Steve.”

Castiel schluckte hart. “Dean…”

“Du musst dich ausruhen. Und am besten schon schlafen bevor-” Dean brach ab und atmete betont durch.

Neue Tränen sammelten sich in Castiels Augenwinkeln und sie brannten heiß auf ihrem Weg über seine Wangen.

“Du glaubst mir doch, oder, Dean?”
Er konnte es nicht, nicht schwach und erbärmlich sein, ein weinerliches, abstoßendes, schwaches Elend, das alles verdiente, was ihm passierte, das an allem Schuld war.
Nicht gegenüber Dean.
Bitte, nicht gegenüber Dean.
Nicht jetzt, wenigstens nicht in diesem einen Moment.
Er wünschte sich so sehr, dass er- Er wollte es nur einmal hören.
“Du glaubst mir, dass ich gefallen bin, oder?” Die Tränen eroberten die Tiefe seiner Stimme zurück und brachen sie in der Mitte durch. “Bitte, Dean, bitte sag, dass du mir glaubst.”

Er konnte wieder hören, wie Dean schwer und tief Luft holte.
“Natürlich glaub ich dir, Engel.”