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say my name (9|16) - June - 28.06.2021

Kapitel 9
Not by mistake




Sein Kopf dröhnte bei jedem eiligen Schritt die Stufen der Hochbahn hinunter.
Er hatte verschlafen. Natürlich hatte er ausgerechnet heute verschlafen.

Castiel zog unten angekommen tief die Luft ein, als ihn eine Welle voller Übelkeit überkam und er lehnte sich für einen Moment gegen den Stützpfeiler, um seinen Kopf zu halten.
Er bildete sich ein, dass das half.
Auch wenn es dafür einen trockenen Kloß in seinem Hals bildete.
Sein Schlucken fühlte sich heiser an in seiner Kehle und Castiel musste einmal kurz durchatmen, um sich zu sammeln, als seine Hände begannen zu zittern.

Die Erinnerungen an den gestrigen Abend waren an manchen Stellen unwirklich ungenau, dann wieder messerscharf. Er konnte sich genau daran erinnern, wie sich Alastair’s Hand um seinen Hals geschlossen hatte, an die schmerzhafte Atemlosigkeit in seinen Lungen und die klumpige, kalte Angst in seinen Venen.
Castiel konnte spüren, wie sein Puls allein bei der Erinnerung daran schneller wurde und sein Atem zitterte in seiner Kehle.

Er durfte nicht-
Er musste an etwas anderes denken, etwas, das ihn beruhigte und-
Alastair hatte ihn heute morgen geweckt; Castiel hätte bereits aus dem Haus sein sollen, als er nach Hause gekommen war, aber er hatte ja verschlafen müssen.
Er hatte seine Hand in Castiels Haaren vergraben und ihm einen Kuss aufgepresst, sich entschuldigt, dass es soweit hatte kommen müssen.
Castiel hatte sich kaum getraut zu atmen, auch nicht, als Alastair's Finger so sanft und in vollständigem Kontrast zum Vorabend über seine Blessur am Kinn gestrichen hatten.
Er hatte die blauen und lilafarbenen Stellen in seinem Gesicht geküsst und leise Liebkosungen gemurmelt, während jede Berührung feurigen Schmerz durch seine Haut geschickt hatte.
Castiels Herz wäre vor- vor Angst beinah aus seiner Brust gesprungen, auch wenn er vehement versuchte hatte, sich davon nicht überrennen zu lassen. 

Alastair hatte sich entschuldigt. So etwas- das-
So etwas konnte schon mal passieren, wenn die Emotionen überkochten, Alastair hatte sich entschuldigt. Es wäre nicht fair, nachtragend zu sein.
Natürlich hatte er ihm- er-
Er würde ihm verzeihen, immerhin das- Alastair hatte selbst gesagt, es war ein Ausrutscher gewesen. Er hatte die Kontrolle verloren, er hatte sich entschuldigt!
Und auch wenn Castiel sich eilig aus Alastair’s Griff in die Dusche und dann aus dem Haus geflüchtet hatte.
Alastair hatte einen Fehler gemacht - und sich entschuldigt.
Er hatte keine Angst vor ihm! Er liebte ihn, sie waren in einer Beziehung, sie waren Partner, da stritt man sich schon mal.
Das war nur- er musste-

Sein Puls wurde wieder schneller und Castiel zog tief die Luft ein.
Nein, er musste sich beruhigen, er musste an etwas anderes denken. 
An etwas beruhigendes.
Ruhe und Wärme und…

Dean.

Castiel schloss einen Moment die Augen und ließ sich von seiner Erinnerung in das gestrige Gespräch zurückführen.

Jetzt, wo er daran zurück dachte, fühlte es sich mehr an, wie ein Traum, als wie etwas, das er tatsächlich erlebt hatte, das tatsächlich passiert war.
Deans honigweiche, warme Stimme hallte noch in seinen Ohren nach, die Kraft und Stärke darin, direkt neben der rauen Sanftheit, die ihn umschlungen und gehalten hatte.
Er kämpfte einen Schauer hinunter, schluckte, um sich zu sammeln und setzte seinen Weg fort.
Sein Puls war nicht weniger schnell, aber allein der Gedanke an Deans Stimme, half, seine Nerven zu beruhigen.

Castiel hatte gestern Abend nicht wirklich erwartet, dass Dean rangehen würde, als er ihn angerufen hatte, auch wenn ihm das erst heute Morgen klar geworden war.
Nicht, nach den Nachrichten, die er ihm geschrieben hatte; Nicht, nachdem er sich sang-, klang- und erklärungslos einfach abgewandt hatte.

Aber Dean war nicht nachtragend oder wütend gewesen.
Er war rangegangen.
Ein trauriges Lächeln zuckte an seinen Mundwinkel, als er die Straße zum Laden hinab lief.
Nein, Dean hatte ihm einfach-
Einfach bedingungslos geholfen.

Er hatte das nicht verdient, das war ihm klar.
Er hatte Dean nicht verdient.
Und er wollte sich erkenntlich zeigen, irgendwie, wollte Dean klar machen, dass er die Freundlichkeit und Wärme, die er ihm so freizügig gab, nicht als Selbstverständlichkeit erachtete, sondern wirklich schätze.
Er wollte ihm zeigen, wie viel es ihm bedeutete, wie viel seine Freundschaft ihm bedeutete; Wie viel Dean ihm bedeutete.
Die letzten Wochen, in denen er nicht mit ihm geschrieben hatten, waren düster und trübsinnig gewesen, weil Dean ihm gefehlt hatte. Er hatte ihn vermisst.

Und in den Moment, in dem er ihn gebraucht hatte, war er da gewesen.
Einfach so.
Ohne Bedingungen oder Forderungen, er war-
Castiel wollte- musste! Er musste irgendwas tun, um sich bei Dean zu bedanken.
Er wusste nur nicht, was.
Wie sollte er in Gesten oder Worten ausdrücken, was er nicht mal klar denken konnte?

Castiels Schultern sanken mutlos und er korrigierte den Schal um seinen Hals, den er heute Morgen umgelegt hatte, um die blauen Flecke und Kratzer von Alastair’s Fingern etwas zu kaschieren. Es war nicht wirklich kalt genug für einen Schal, andererseits war es auch nicht hell genug für die Sonnenbrille, die er trug, um die Spuren an seiner Schläfe etwas zu kaschieren. Er hoffte, sein Schal war hoch genug gezogen, um das schillernde Hämatom am Kinn etwas zu verbergen.
Allerdings machte er sich keine Illusionen, es war nur bei einem flüchtigen Blick hilfreich, ansonsten täuschte er wohl niemanden.
Castiel seufzte und fuhr sich durch die unordentlichen Haare.
Vermutlich sollte er sich darüber Gedanken machen, wie er so auf seine Kunden und Mitarbeiter wirkte, aber sein Kopf kreiste nur weiter um Dean:

Er hätte ihm schreiben sollen, heute Morgen.
Er hätte genügend Gelegenheiten gehabt, hatte oft genug das Handy in der Hand gehalten und es dann doch wieder in die Tasche geschoben.
Was sollte er sagen? Was ihm schreiben?
Jedes Mal, wenn er den Chat öffnete, starrten ihn seine eigenen Nachrichten von vor zwei Wochen wütend an und erinnerten ihn daran, wieso er den Kontakt ursprünglich abgebrochen hatte.

Er war nicht gut für Dean.
Das wurde ihm jedes Mal von neuem klar, wenn er die Nachrichten sah, wenn er daran zurück dachte, wieso er sie geschrieben hatte, wenn er sich vor Augen führte, was alles passiert war, womit er Dean belastete.
Castiel sollte es beenden, es wirklich beenden und Deans Nummer löschen, sich für alles bedanken, sich für alles entschuldigen, ehrlich sein und einfach gehen.
Das wäre besser für Dean, bevor er ihn noch mit sich riss, weiter und tiefer in dieses kompliziert gewordene Konstrukt seines Lebens.
Vorher war alles so einfach gewesen, so leicht.
Er wusste nicht, was passiert war; Wann es so schwierig und kompliziert geworden war. 

Mittlerweile war er nah genug am Laden, um zu sehen, dass er geöffnet und die Aufsteller bereits draußen waren und Castiel erlaubte sich einen beruhigten Atemzug.
Er hatte gut daran getan, Kaia einen Schlüssel zu geben, nachdem er das andere Mädchen, Claire, eingestellt hatte.
Zugegeben, er hatte Claire nur eingestellt, weil sie ohnehin die ganze Zeit im Laden rumhing und Kaia von der Arbeit abhielt - er ging davon aus, sie schwärmte für sie - und so konnten sie wenigstens Zeit miteinander verbringen und sich dabei nützlich machen und eine weitere Kraft hatte wirklich nicht geschadet.
Ein kleiner Wermutstropfen war allerdings, dass sie ihn ständig “Bizarro-Dad” nannte, scheinbar hatte er moderate Ähnlichkeit mit ihrem Vater. Es war wohl auch ein erweiterter Ausdruck Ihrer Teenage-Rebellion, sich keiner Norm hinzugeben; Genauso wie der schwarze Nagellack und die auffälligen Frisuren oder ihre Tätowierungen, aber was ertrug man nicht alles, für junge Liebe.
Außerdem hatten sie dafür jetzt neue Stammkunden in ihrer Stiefmutter Kelly und ihrem Stiefbruder Jack.

Castiel war im Begriff, die letzten paar Schritte zu joggen, stoppte sich aber, als das einen heftigen Kopfschmerz auslöste. Er fasste sich beruhigend an die pochende Schläfe und atmete tief durch, ehe er langsam weiter ging.

Als er sortiert und lächelnd den Laden betrat, fand er Kaia hinter der Kasse vor, Claire lehnte direkt daneben, und sie tuschelten.
“Er starrt uns an! Das ist ein Stalker, definitiv. Der sitzt seit heute morgen in dieser alten Kar-!”
“Entschuldigt bitte die Verspätung, Ladies”, sein Lächeln war wacklig, aber warm. “Aber ich fürchte, sogar Chefs verschlafen manchmal. - Danke, dass du den Laden aufgesperrt hast, Kaia, ist bereits alles fertig?”

Kaias Blick auf sein Gesicht war nicht so unauffällig, wie sie vermutlich dachte, aber sie nickte nur und erwiderte das Lächeln. “Kein Problem. Ja, es ist alles fertig, Mr. Novak.”
Clair war weniger subtil: “Guten Morgen, Johnny Depp, Zusammenstoß mit Amber Heard gehabt?”

Für schrecklich langen Wimpernschlag, war Castiel von der Bemerkung aus dem Konzept gebracht.
War es so offensichtlich? Sah man so direkt, woher die Spuren in seinem Gesicht kamen? Wieso ausgerechnet dieser Vergleich? Was- Wieso-?!
Er durfte nicht aus dem Konzept gebracht sein!
Er durfte- wollte; konnte sich nicht anmerken lassen, das- was passiert war.
So etwas passierte doch nur- Außerdem war es nicht, das! Es war nur ein Ausrutscher gewesen! Nichts- nicht so etwas.

Zu seiner Erleichterung war er wider erwarten jedoch nicht im Scheinwerferlicht von Claires Bemerkung gefangen; Sein Mund schaffte wie von selbst ein schiefes Lächeln, das sich vor seine rasenden Gedanken schob, und er nahm die Sonnenbrille ab.
„Claire, das ist ein sehr ernstes Thema und niemand weiß, was hinter verschlossenen Türen passiert, auch nicht bei Prominenten. Daher möchte ich derartige Witze nicht mehr hören, verstanden?“

Claire verdrehte in typischer Teenager-Rebellion die Augen, nickte aber: „Ja, Bizarro-Dad, verstanden. – Aber ernsthaft, was ist passiert?“
Sie nickte zu der kleinen Platzwunde an der Schläfe und dem dunklen Hämatom an seinem Kinn und auch Kaia, die versuchte beschäftigt auszusehen, schielte neugierig nach oben.

Castiel lächelte nonchalant.
„Ich bin die Treppe runtergefallen.“
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, betete er, dass es ein plausibler Grund war, ein mögliches, plausibles Szenario und-
Er hatte sich vorher etwas vernünftiges Überlegen sollen und nicht nur an Dean denken!

Kaia und Claire tauschten kurz einen Blick, ehe sie ihn wieder ansahen.
„Treppe? Haben Sie keinen Aufzug?“

Castiel lachte auf, einerseits erleichtert, scheinbar war es nicht vollständig abwegig, andererseits halb amüsiert über die Frage.
„Alte Menschen wie ich müssen versuchen, Bewegung in ihren Alltag einzubinden, Claire, deshalb nehme ich manchmal die Treppe.“
„Vielleicht erstmal nicht mehr, so als Tipp.“
Diesmal verdrehte Castiel die Augen. Ein scharfer Schmerz schoss dabei durch seine Stirn und er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.
„Ich werd’s mir merken, danke.“
Er ließ seinen Blick einmal routiniert durch den Laden wandern und nickte den beiden dann freundlich zu.
“Ich bin im Büro, falls ihr mich braucht, ansonsten kümmere ich mich um den Papierkram.”
So würde er zumindest mit seinem Aussehen keine Kunden verschrecken.
“Alles klar, Mr Novak.” - “Verstanden, B.D.!”


Castiel hatte gerade den ersten Schritt in sein Büro im hinteren Teil des Ladens gemacht, als seine Beine unter dem heftigen Herzschlag beinahe nachgeben wollten.
Er hatte nicht mal bemerkt, wie hektisch und rasend er gewesen war.
Seine Hand klammerte sich an den Türknauf und er zog die Luft tief durch seinen rauen Hals ein.
Es war alles in Ordnung. Er war die Treppe hinab gestürzt, das war eine plausible Erklärung.
Es war nichts passiert, nur ein- ein Versehen. Genau.

Er nickte sich einmal selbst zu und war gerade im Begriff, die Tür zu schließen, als Claires Stimme ihn innehalten ließ.
“Oh, pass auf! Stalker im Anmarsch!”
Was, Stalker?
Castiel hörte das vertraute Klimpern über der Tür und runzelte die Stirn.
Wieso Stalker? Was für ein Stalker?
Sollte er lieber nochmal nach vorne gehen?

Er war im Begriff, das Büro wieder zu verlassen, um nach dem Rechten zu sehen, als er eine weitere Stimme hörte und abrupt innehielt:

“Guten Morgen, uh, Kaia, richtig?” Es war, als würde der süße Klang von rauem Honig ihn auf dem Boden festkleben. 
“Guten Mor-” - “Guten Morgen, Stalker”, Claires Stimme war überzogen und irritierend freundlich und er konnte sich den verwirrten Gesichtsausdruck, den sie verursachte, nur allzu gut vorstellen.
Wieso zum Teufel-?!
Castiel beugte sich aus der Tür, um einen Blick auf die Kasse zu erhaschen, obwohl er wusste, dass er sie von hier nicht sehen konnte.
“Uh, Guten Morgen, Teenage-Mutant-Rebellen-Barbie?!” Er konnte die Sanftheit in den herben Scotchtönen ausmachen, ruppig, abwehrend, aber noch freundlich. “Wo ist Mr Novak? - Da? Okay.”

Castiel stand weiterhin perplex im Türrahmen seines Büros und starrte den Gang entlang, der die Schritte von schweren Stiefeln zu ihm warf.
Obwohl er wusste, zu wem die kristallinen Töne gehörten, obwohl er die Stimme sofort erkannt hatte, vielleicht sogar immer erkennen würde, war er doch überrascht, als Dean tatsächlich um die Ecke bog, und ihn direkt ansah.
Für einen Moment zuckte ein Lächeln in seinem Mundwinkel.
Dean sah- Also, er sah gut aus, wie er auf ihn zukam, groß und kräftig, die breiten, starken Schultern umhüllt von einer dunkelgrünen Jacke, die hellbraunen Haare schmeichelhaft in Form gestylt. Er konnte sogar die Sommersprossen erkennen und die grünen, grünen Augen die ihn direkt-

Es zog kalt in Castiels Magen. Deans Augen waren dunkel, zu dunkel.
In seiner Stirn prangte eine tiefe, zuckende Furche und seine Nasenflügel blähten sich weit in einem bemüht ruhigen Atemzug.
Was hatte er falsch gemacht?
Was hatte er falsch gemacht?!
“Dean…?” Castiel war selbst davon überrascht, wie dünn und durchsichtig seine Stimme klang - hatte Dean ihn überhaupt gehört?! - als Deans feste, energische Schritte weiter auf ihn zukamen.
Es dauerte noch ein paar Sekunden, rasende Herzschläge, ungläubiges Blinzeln, bevor er in Aktion zuckte und hektisch zurück wich.
Dean hatte ihn fast erreicht.
Nein!, nein, nein, nein, nein!
Was hatte er falsch gemacht?!

Castiel warf aus Reflex die Tür zu, wodurch sie direkt in Deans Hand landete und stieß rücklings gegen seinen Schreibtisch. Dean schob die Tür wieder auf, betrat das Büro und warf sie hinter sich ins Schloss.
Das klickende Geräusch verriet Castiel, dass er die Tür verriegelt hatte.

Sein heftiger Herzschlag brannte in seinem Hals, pochte in seinem Kopf, während er die Augen nicht von Dean abwenden konnte.
Was hatte er falsch gemacht?
Wieso war Dean so wütend?
Wieso war Dean hier?
Was hatte er getan?!
“Dea-”
“Du bist ein vollendeter Idiot!”
Castiels Mund klappte augenblicklich zu. Er konnte die raue Welle von Deans Stimme fast körperlich spüren, wie sie ihn gegen den Schreibtisch presste, in die Enge trieb, ihn festhielt.
Aber noch konnte er atmen, seinen Brustkorb und Lungen dehnen und atmen, tief ein, tief aus und er starrte Dean an.
“Was zum Teufel machst du hier?!” Deans Wogen prasselten gegen seinen Torso und sein rasendes Herz darunter und er zog stockend die Luft ein.
Er spürte, wie die Panik an der Hinterseite seines Kopfes kratze, wie der hektische Herzschlag so viel Sauerstoff aus seinem Blut zog, ohne, dass er die Gelegenheit hatte, es schnell genug zu ersetzen. Er spürte das beginnende Zittern in seinen Muskeln und schluckte hart und schmerzhaft.
Nein, er durfte nicht- Er musste-
Tief atmen. Sich konzentrieren.
Alles war in Ordnung.
Es war alles in Ordnung.
Es gab keinen- Wieso sollte Dean wütend-
Es war alles in Ordnung.

Castiel schluckte erneut, um seine Stimme zu festigen, ehe er antwortete, ruhig, sortiert und neutral.
“Ich arbeite hier, Dean.” Er konnte hören, spüren wie seine Stimme trotzdem an den Enden zitterte.
Deans Stirn zog sich in noch tiefere Falten.
“Ja, no shit?! Du bist verletzt, verflucht nochmal, Steve! Du musst dich ausruhen!”
“Ich habe mich ausgeruh-”
“Doch nicht nur einen Abend, du Idiot!” Castiels Mund schnellte wieder zu, als Dean ihm erneut ins Wort fiel und er bemühte sich um einen ruhigen, tiefen Atemzug.
Es war alles in Ordnung!
“Dean-” Er musste sich räuspern, um das brüchige Wackeln aus seiner Stimme zu vertreiben. Seine Brust schmerzte von dem heftigen Schlag in ihrem Inneren, sein Kopf pochte im Takt seines Pulses und er konnte jeden zittrigen Atemzug in aller Deutlichkeit in seinem wunden Hals fühlen. “Ich- ich hab mich ausgeruht und- es-” Das Schlucken schien schwieriger zu werden. Das Reden war anstrengend.
“Wenn du jetzt sagst, es geht dir gut- dann- ich schwör bei Gott-! Du musst dich länger ausruhen als einen Abend!”
Dean kam einen energischen Schritt auf ihn zu und Castiel machte einen unwillkürlichen Satz nach hinten, gegen den Schreibtisch.
Die Kante schmerzte in seinem Rücken, schoss seine Wirbelsäule hinauf durch seinen Kopf. Er konnte fast spüren, wie der Schmerz mit der Panik in seinen Nerven kollidierte, bis seine rasenden Gedanken sich davon auseinander stoßen und erden ließen.
Etwas unwirkliches, trotziges klickte in ihm an einen Platz, eine Mischung aus heißer Widerspenstigkeit und kalter Panik, und er zog unwillig die Augenbrauen zusammen.
Nein! Das hier- das- das war sein Büro und- und sein Laden! Dean hatte nichts davon gesagt, dass er-
Außerdem- Er- er hatte nicht bei Alastair in der Wohnung bleiben wollen.
Nicht- heute Morgen zumindest.

Es war sein Recht hier zu sein.
Nicht Deans!
“Davon hast du nichts gesagt. Ich habe mich an das gehalten, was du gesagt hast!”
Es stimmte; Er hatte alle Anweisungen befolgt, er hatte alles richtig gemacht.
Das hier war nicht seine Schuld! Diesmal, verdammt, diesmal war es nicht seine Schuld!
Es gab keinen Grund, warum Dean so wütend war.
Er hatte lediglich die paar Sachen aufgehoben, die unmittelbar um ihn herum gelegen hatten, bevor er aufgestanden war und sich von Dean am Telefon ins Bett hatte dirigieren lassen.
Er hatte mit ihm gesprochen, sanft, kristallin und beruhigend, bis er eingeschlafen war.
Ein warmes Gefühl zog in seiner Brust und sein kalter, rasender Pulsschlag wurde wärmer und weicher.

Dean schnaubte.
“Wer hätte denn auch ahnen können, dass man dir sagen muss, dass du mit einer Gehirnerschütterung am nächsten Tag nicht gleich zur Arbeit rennst?!”
“Du, offensichtlich, oder warum bist du sonst hier?!” Die patzigen Worte hatten Castiels Mund verlassen, bevor er überhaupt richtig darüber nachdenken konnte und einen Augenblick lang erstarrte er, genauso wie Dean, mitten im Moment.
Das war zu viel.
Trotz und Widerspenstigkeit hin oder her, das war zu viel.
Das hätte er nicht sagen sollen.
Die Erinnerung an den Schlag gegen sein Kinn, an Alastair's wütendes Gesicht nach seiner letzten Aufmüpfigkeit huschten mit scharfen, schneidenden Ecken durch seinen Kopf.
Die Schreibtischkante drückte schmerzhaft gegen seinen Rücken, als er versuchte, mehr Abstand zwischen sich und Dean zu bringen, aber es ging nicht.
Castiel hielt erschrocken die Luft an, die Muskeln zum Zerreißen gespannt, seine Augen auf jede noch so kleine Bewegung von Dean gerichtet, bis-

Dean lachte schnaubend auf und fuhr sich durch die Haare, rieb sich über den Hinterkopf, lachte wieder: “Klugscheißer.”
Die tiefen, reißenden, rauen Wellen aus Scotch und Honig hatten ihre Härte und Wucht verloren und trafen ihn fast sanft, fast beruhigend.
Die Spannung wich nur langsam und vorsichtig aus Castiels harten Muskeln und er schluckte, um einen Kloß herum, während er Dean weiter beobachtete.

Dean erwiderte den forschenden Blick und nickte leicht, mehr für sich, als für Castiel.
Er zog seine Jacke aus; darunter trug er ein schwarzes T-Shirt und ein rot-schwarz kariertes Hemd, und warf sie zielsicher auf den Aktenschrank neben sich und schob die hochgekrempelten Ärmel höher. Er machte einen betonten Schritt zurück.
“Ich hab dir Angst gemacht.”
Castiel konnte spüren wie Deans tiefe, grüne Augen über ihn glitten; Erst, als sie an seinen Händen hängen blieben, bemerkte er, wie hart er sie um die Schreibtischkante gekrallt hatte.
Es war mühsam sie zu lösen und er massierte die angespannten Finger gegeneinander, sobald er es geschafft hatte. Seine Handflächen waren unangenehm feucht.

Dean fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und rieb sich wieder den Hinterkopf. “Tut mir Leid, ich wollte dir keine Angst machen.”
“Hast du nicht”, seine Worten kamen zu schnell, zu atemlos, zu hektisch. “Ich- warum auch? Ich hab- Ich bin- bin ja nur-” Er machte eine unbestimmte Geste mit der Hand. “Gefallen.”
Dean sah ihn nur einen Moment an, ehe er nickte: “Ich weiß.”

Castiel konnte fast körperlich spüren, wie die Stimmung im Raum, die Spannung, langsam schmolz.
Deans Körpersprache war betont ruhig, seine Stimmlage wieder der angenehme Ton von kristallinem Honig, keine Härte oder heiße Wut dahinter.
Seine Augen sondierten den Raum, als würde er nach etwas anderem suchen, das er beobachten konnte, etwas, das ihn ablenken könnte, bis sie doch wieder bei Castiel landeten.
Auf der offensichtlichen Suche nach Worten, benetzte er erneut seine Lippen mit der Zunge und Castiel folgte der Bewegung für einen unbewussten Moment.
“Ich bin hier”, Deans Stimme war betont sortiert und fremdartig klumpig in ihrem Klang und er machte beiläufig einen weiteren Schritt nach hinten, bis er mit dem Rücken an der Tür lehnte, “weil ich mir Sorgen gemacht habe.” Castiel setzte an, ihm zu widersprechen, zu sagen, dass das zwar nett war (und liebenswürdig und freundlich und warm und-) aber Dean hob die Hand, um ihm Einhalt zu gebieten.
“Steve.” Es war eine Bitte, fast ein Flehen, als würde Dean sich wirklich sorgen, als würde er die Gewissheit brauchen, nicht nur für Castiel sondern für sich. Sie machte seine Stimme dick und schwer. Ein Schauer lief heiß seinen Rücken hinab und Castiel wandte die Augen ab. Dean räusperte sich: “Darf ich…?”
Sein Blick drehte sich gerade noch rechtzeitig zurück zu Dean, um zu sehen, wie er leicht die Hände hob und in seine Richtung nickte.

In Castiels Kopf stoben die Gedanken gegeneinander wie ein Erdrutsch, der auf das Meer traf.
Der Herzschlag in seiner Brust war dumpf und klobig, zu hart, zu kantig, seine Hände zitterten, wenn er die feuchten Handflächen an seiner Hose abwischte: Er hatte - Angst; Angst vor dem, was Alast- was gestern passiert war. Angst vor den Schmerzen in seinem Hals und dem Pochen in seinem Kopf und er wollte nicht klein und weinerlich und wehleidig sein, wegen ein paar Kratzern, aber- Aber Dean machte sich auch Sorgen. Nicht wahr? Dean machte sich Sorgen deswegen, also dürfte er doch auch…?
Auf der anderen Seite wollte- konnte er es nicht zugeben. Und würde er es nicht zugeben? Wenn er Dean gestatten würde- was eigentlich?
Alastair hätte ihn doch nie- Das- Das was gestern passiert war; Er hätte ihn niemals so sehr verletzt, dass-
Es war ein Unfall gewesen, ein Versehen, wie, wenn man die Treppe hinab fiel.
Außerdem: Dean war kein Arzt. Dean war nur beim Notruf aber-
Er sorgte sich, er kümmerte sich, er war wegen ihm hier.

Ein wohliger, warmer Schlag drang durch seine Brust, glättete die Kanten in seinem Herzschlag, und Castiel schloss einen Moment die Augen.
Dean war wegen ihm her, er sorgte sich, er- Er war nicht wütend, wegen Castiels Nachrichten oder weil er ihn angerufen hatte. Er war einfach - da.
Es zog in ihm, zog ihn in diese Richtung, zu Dean, zu der Wärme, die aus seinen Augen strahlte und aus seiner Stimme tropfte und sich so beruhigend und sicher anfühlte, im Gegensatz zu seinen aufgeschreckten und unruhigen Nerven.
Castiel wollte sich nur einen Moment lang in dieser kleinen, wattigen Zuneigung zurücklehnen, nur einen Moment dort Kraft tanken, dann könnte er weitermachen.
Dann wäre alles in Ordnung und-
“Ja.”

Über Deans Gesicht huschte ein halbseitiges Lächeln und er nickte, ehe er langsam näher kam, die Hände halb erhoben, bis er direkt vor ihm stand.
Er beobachtete seine Bewegungen, betont vorsichtig, ruhig, wie das leichte, beruhigende Lächeln nicht von seinen Lippen wich, wie er versuchte seinen Blick zu halten und auch, wenn es kindisch war, es beruhigte ihn wirklich.

Dean würde ihm nichts tun.

Als seine Hände nach den Enden von seinem Schal griffen, zuckte Castiel trotzdem unwillkürlich zurück und schalt sich im nächsten Moment selbst dafür.
Weichei!
Er senkte beschämt den Kopf und konnte spüren, wie sein Gesicht unangenehm heiß wurde, aber Dean lächelte ihn nur beruhigend an und wickelte den Stoff vorsichtig ab.
Seine Hände bemühten sich, in Castiels Blickfeld zu bleiben, sichtbar, weit von seinem Hals, das Schaltuch weit auseinander gezogen, sodass es keinen Druck ausüben würde.

Castiel war davon einen Augenblick lang abgelenkt, von der Rücksicht, von der Vorsicht in seinen Bewegungen, von Deans ganzer Art, voller Selbstverständlichkeit und Sanftheit.
Nur einen kurzen Moment lang erlaubte er sich, nach oben zu sehen, Deans geschickte Hände aus den Augen zu lassen und in das warme, leichte Lächeln zu sehen und- 

Er stand direkt vor ihm.
Er war so nah.

Castiel wusste nicht mehr, wohin er sehen sollte.

Er war- Er war Dean noch nie so nah gewesen.
Er hatte nicht bemerkt, wie viele Sommersprossen sich wirklich auf Deans Gesicht tummelten, oder das Grübchen im Kinn, das fast von seinen Bartstoppeln verdeckt wurde. Er hatte bemerkt, wie grün und tief Deans Augen waren, aber jetzt sah er erst die verschiedenen Sprenkel und Lichtreflexe, die Nuancen und Schimmer und wie lang und geschwungen seine Wimpern waren.
Ganz zu schweigen von seinen Lippen, definiert, voll und pink, gekrönt von seinem ausgeprägten Amorbogen.
Die kleine, dünne Narbe an seinem Kinn.

Dean war so nah, dass die Knopfleisten seines offenen Hemdes an Castiels Weste kratzen, dass er die Wärme spüren konnte, die von ihm ausging, dass er ihn riechen konnte; Leder, Kaffee und sein Deodorant, männlich und frisch.
Er wusste nicht wieso, aber es wunderte ihn, dass Dean nicht nach Honig roch, es würde so gut dazu passen, süß und herb - Castiel schluckte hart und Dean zog seine Hände alarmiert zurück.

Nein!

Die unangenehme Hitze stieg wieder in Castiels Wangen auf, zusammen mit einem irrationalen Sehnen, Dean wieder näher zu sein und er räusperte sich peinlich.
Dean wirkte ehrlich besorgte, als er ihn forschend anblickte.
Er schüttelte als Antwort leicht den Kopf: “Alles - nichts, alles okay.”
“Sicher? Ich will nicht, dass du-”
Castiel schluckte wieder und straffte seinen Rücken: “Sicher.”

Verdammt nochmal, er musste sich zusammenreißen!
Was trieb er denn hier?
Dean war nur gekommen, um ihm zu helfen und er- er verlor sich in unmöglichen Gedanken!
Es hatte ihn nicht zu interessieren, wie Dean roch, oder wie grün seine Augen waren, oder wie viele Sommersprossen und Narben er hatte. 
Genau das, ganz genau deswegen, war es richtig gewesen, Dean die Nachrichten zu schreiben. Diese dämliche, kindische Schwärmerei, die er hier entwickelte, war unangebracht und dämlich und falsch! Dean hatte das nicht verdient, er hatte besseres verdient, er-
Es war nicht mal eine Schwärmerei.
Er war nur irrational!
Es war Projektion; Er bildete sich völlig unsinnig ein, einsam zu sein und projizierte es auf Dean, er stritt sich mit Alastair und flüchtete sich zu den Textnachrichten, er- Castiel bildete sich ein, etwas zu vermissen und formte in seinem Kopf ein Idealbild, das nichts mit der Realität zu tun hatte und das, obwohl Dean einfach nur freundlich sein wollte.
Nichts davon war rational oder gerechtfertigt und- er musste damit aufhören.
Für sich und für Alastair und für Dean.
Das hier war nicht fair!
Nur weil er hin und wieder einen kleinen Streit mit seinem Partner hatte, durfte er nicht so über einen Freun- über einen fremden Mann denken. 
Etwas in Castiel krampfte kalt und er schloss einen Moment die Augen.
Dean war kein fremder Mann; Dean war hier. Wegen ihm. Für ihn. Er war-

Er hatte ihn so vermisst.

Deans Hände schwebten direkt über seiner Haut, direkt an seinem Hals. Als es ihm klar wurde, konnte er die Wärme spüren, die Präsenz und Castiel hob vorsichtig den Blick; Dean sah ihn, sah ihm direkt in die Augen, Gott, diese Augen, und fragte ihn stumm, ob es wirklich in Ordnung war.
Er wollte seine Stimme hören, er wollte keine stumme Frage, er wollte Wörter, sanft und schwer wie Honig, herb wie Scotch, tief, vibrierend, er wollte in den Wörtern verloren gehen, sich mit davon schwemmen lassen, nur für einen Augenblick! Er hatte sie so vermisst - aber er nickte nur.


Castiel zog überrascht und scharf die Luft ein, als Deans Finger auf seine Haut trafen.
Noch bevor Dean die Hände wegziehen konnte, hatte Castiel nach seinem Handgelenk gegriffen und hielt es in Position.
Sein Atem stockte verwirrt in seiner Kehle. Peinlichkeit und Scham pochten hart gegen seine Brust, aber er konnte Deans Handgelenk nicht loslassen; Er wollte nicht.
Er hätte niemals erwartet, dass diese kleine Berührung ihn so aus dem Konzept bringen würde, diese kleine Berührung dürfte ihn gar nicht so aus dem Konzept bringen!
Aber Denas Hände waren wie seine Stimme; Sie waren rau und kratzig von hart erarbeiteten Schwielen, trotzdem war ihre Berührung sanft, fast weich und so warm.

Es kostete Castiel sämtliche Überwindung, dem Schauer, der seinen Rücken hinab laufen wollte, nicht nachzugeben, seine Augen nicht zu schließen, sich nicht in den wohltuenden Kontakt von Haut und Haut zu lehnen.

Es war lächerlich und dämlich, peinlich!, falsch. Aber Deans Finger an seinem geschundenen Hals waren wohltuend und sanft und er sehnte sich danach.
Nach gestern, nach den Schmerzen, dem Druck und den Kratzern, nach den kalten Küssen und klebrigen Lecken von Alastair heute Morgen. Diese Sanftheit fühlte sich so- selten an. Und wertvoll, er wollte sie nicht- er konnt nicht-

Natürlich war das völliger Blödsinn.
Alastair war nicht ständig so grob zu ihm, das war ein Ausrutscher gewesen, den er ihm- er- er würde ihm das verzeihen, weil er wusste, dass Alastair ihn liebte. Und er liebte Alastair.
Aber trotzdem war seine geschundene Haut und seine aufgeschreckten Nerven von gestern verstört und wund und sehnten sich nach- nach- nach Dean.
Nach seiner Sanftheit und Stärke, der Ruhe, Wärme, der Fürsorge, die er sogar ausstrahlte, wenn er wütend war, oder die er gerade deshalb ausstrahlte, weil er aus Sorge wütend wurde?

Dean sorgte sich so sehr um ihn, dass er sogar her kam, ohne zu wissen, ob Castiel überhaupt heute hier gewesen wäre. Er war hergekommen, um nach ihm zu sehen.
Er war wütend gewesen, weil er sich um Castiel gesorgt hatte - und auch wenn es ihn im ersten Moment verschreckt hatte er- Er wusste es zu schätzen.
Er hatte es nur nicht verdient.
Nein, schlimmer, er projizierte lediglich. Mal wieder, immer noch!
Aber Deans Berührung war so angenehm.
Für einen Moment, für diesen einen Moment, könnte er es sich gestatten, richtig? Der gestrige Abend war- anstrengend gewesen, beängstigend und brut- heftig.
Er würde es sich nur für einen Moment gestatten, um sich in diesen falschen Gefühlen kurz auszuruhen.
Nur einen Moment, nur ganz kurz.

Langsam wurde ihm klar, dass er Deans Handgelenk immer noch festhielt. Seine Haut unter seinen Fingern fühlte sich sicher an, erdend, und ohne es zu bemerkten, begann er sanft mit dem Daumen darüber zu streichen, die weichen Haare vor und zurück zu schieben, als wäre es das selbstverständlichste der Welt.
Sein Schlucken war hart und schwer und als es seinen Hals hinab wanderte drückte es seine Haut gegen Deans Finger.

Seine Augen schlossen sich ohne sein Zutun, ohne seine Erlaubnis.
Es waren keine Funken, kein Feuerwerk oder ein Blitzschlag der ihn traf, kein dämliches, kindisches Klischee, das außerdem ohnehin vollkommen fehlplatziert wäre, weil er nicht für Dean schwärmte.
Aber trotzdem wollte er diesen Moment nicht verlieren, diesen sanften, warmen Kontakt, der sich so weltenentfernt von dem anfühlte, was gestern passiert war.
Er war einfach verschreckt von gestern, das war der Grund.

“Steve…?” Sein Name in dem rauen Raspeln von kristallinem Honig ließ ihn beinah schaudern.
Verdammt, das war nicht sein Name!

Castiel schluckte nochmals hart, spürte wieder, wie sein wunder Hals dabei gegen Deans Finger stieß und zwang seine Augen offen.
“Ich- Es tut mir Leid.”
Er sollte die Hand wegnehmen. Er musste die Hand wegnehmen!
Deans sanftes Lächeln fing seine Augen und seine rasenden Gedanken ein.
“Nein, ist schon-” Seine Stimme war tiefer als sonst, dicker und er räusperte sich. “Ist schon okay, Steve. - Darf ich deinen Hals abtasten?”
Deans Augen zuckte über ihn, zu seiner Hand an Deans Handgelenk, er bildete sich fast ein, Dean würde seinen Arm sogar noch dagegen schieben, aber das war wirklich nur reine Einbildung, zu seinen Händen, die so nah über Castiels Haut schwebten, zu seinen Augen, Lippen, Augen.
Lippen? Nein, das hatte er sich auch eingebildete.

Castiel räusperte sich selbst und nickte dann. Er musste sich endlich zusammenreißen. 
Das halbseitige Lächeln zuckte wieder in Deans Mundwinkel und er begann seinen Hals abzutasten.

Seine Finger drückten fest gegen die weiche, empfindliche Haut und diesmal schloss Castiel die Augen, weil es wehtat.
“Entschuldige”, murmelte Dean leise, tastete aber weiter seinen Hals ab und das warme Grollen seiner Stimme reichte Castiels Nerven als Beruhigung. Seine Finger fuhren mit stetigem Druck gleichzeitig auf beiden Seiten hinunter, kreisten an manchen Stellen kurz.
Castiel zischte und zuckte leicht zurück, als er eine Stelle traf, die besonders schmerzte und Dean murmelte eine erneute Entschuldigung.
Aber trotz der Schmerzen - und ja, Castiel war sich darüber im Klaren, dass das irrational war - fühlte es sich gut an, sicher, als würde man sich um ihn kümmern, sich sorgen.
Es war - fast intim.

Intim war nicht gut.

Bevor Castiels Gedanken weiter abrutschen konnten, räusperte er sich streng - Dean hielt währenddessen inne - und benetzte sich die Zunge mit den Lippen.
Er musste - etwas sagen.
Es war ohnehin schon merkwürdig genug, richtig?
Er sollte etwas sagen.

“Was- Was machst du da eigentlich?”
Deans Augen, bisher fixiert auf seinen Hals und die Blessuren daran, schnellten einen Moment nach oben.
“Ich prüfe, ob du Einblutungen im Hals hast. Die kann man ertasten, tun höllisch weh und müssen von einem Arzt untersucht werden. Sind schlimmer als die oberflächlichen Hämatome. - Achtung, das kann jetzt unangenehm werden.”
Dean schloss die Augen, scheinbar um sich besser auf seinen Tastsinn zu konzentrieren und tastete Castiels Kehlkopf ab. “Kannst du einmal schlucken?” Castiel folgte der Anweisung und Dean dem Hüpfen in seiner Kehle mit den Fingern, platzierte sie dann an den Seiten und bat Castiel nochmals darum. Wieder folgte er und Dean nickte zufrieden.
“Okay, das sieht gut aus. - Darf ich?”
Er machte eine vage Geste in Richtung von Castiels Gesicht.

Die Unterhaltung tat ihm gut. Sie erdete ihn, Deans warme, kristallraue Stimme erdete ihn, beruhigte ihn, machte die Situation, die Nähe weniger merkwürdig.
Dennoch legte er fragend den Kopf schief.
Dean lächelte wieder halbseitig, aber diesmal wirkte es, als wolle er damit sein eigenes Unwohlsein verstecken. Es funktionierte nicht.
“Ich - möchte mir deine Augen ansehen. Bitte.”
Castiel runzelte die Stirn und kniff verwirrt die Augen zusammen.
“Warum?”
Dean benetzte unruhig seine Lippen mit der Zunge und atmete einmal tief durch.
“Wenn- Uh. Also. Bei-” Er brach ab und schloss einen Moment die Augen, um sich selbst zu sammeln, seine Händen lagen mittlerweile locker auf Castiels Schultern, seine Hand immer noch auf Deans Unterarm. Er konnte spüren, wie Dean einen Moment die Muskeln und Sehnen anspannte, wie er kurz Castiels Schultern drückte, sich dann aber wieder entspannte.
“Es könnte sein, dass du Stauungsblutungen hast. Je nachdem wie-” Er brach wieder ab. “Darf ich? Bitte?”

Eigentlich, stellte Castiel plötzlich fest, sollte es ihn stören.
Es sollte ihm unangenehm sein, dass Dean ihm so nahe war, sie kannte sich kaum, hatten sich bis heute erst einmal gesehen. Sie waren Fremde, sowas wie Internet-Freunde, wenn überhaupt; Sie existierten nicht in einer realen Welt, in einem realen Rahmen.
Aber dennoch konnte er nichts Störendes daran finden, wie Dean etwas Gewicht auf seine Schultern legte, dass sein Gesicht so nah an seinem war, wie sein Daumen begonnen hatte, sanft aber fest an der Verbindung von Castiels Nacken zu Hals zu streichen.
Das - war nicht gut.

Er schluckte - und nickte.
Dean erwiderte es und legte beide Daumen dann unter je eines von Castiels Augen.
“Kannst du nach oben schauen?”
Castiel folgte; Es war unangenehm, als Dean seine Unterlider hinab zog, noch unangenehmer, als er seine Oberlider anhob und Castiel nach unten sah, aber schnell vorbei.
"Woher… weißt du das eigentlich alles?" Es war ungewöhnlich, oder? Wieso wusste Dean solche Dinge? Wie man einen Hals abtastete und dass es sowas wie Stauungsblutungen gab?
Dean grinste leicht.
"Weißt du was? Das ist eine echt lange Geschichte, die ich aus Prinzip nur in Bars erzähle; Wenn du es also wissen willst, müssen wir mal was zusammen trinken gehen."
Das Ziehen in seiner Magengrube war zu gleichen Teilen warm und quirlig und kalt und hart.
Er schluckte kurz, antwortete aber nicht darauf.

Als nächstes legten sich Deans Hände vollkommen selbstverständlich an Castiels Lippen, die rauen Schwielen von seinen Daumen kratzig gegen die weiche, pinke Haut.
Es war ein gutes Gefühl, so natürlich, warm, er wünschte sich, Dean würde über seine Lippen streichen, nur ein paar Milimeter, das raue, sanfte Kratzen seiner Schwielen an-
Castiel zuckte nicht zurück, aber sein Atem verfing sich einen Moment in seinem Hals.
Das hatte nichts zu bedeuten!
Es fühlte sich nicht gut an, nicht besser, als bei jemand anderem, als bei Alastair - es war nur; Nur irrational intim.
Ja, intim war nicht gut.

Das musste auch durch Deans Kopf gehen, denn er konnte beobachten, wie sein Adamsapfel unter einem harten Schlucken hüpfte, wie Deans Augen auf seine Lippen fixiert waren, wie er seine Lippen benetzte.
Es war nur - irrational intim. Aber Dean untersuchte ihn, daher; Das war quasi medizinisch, sonst nichts.

Dean machte ein raues Geräusch im hinteren Teil seiner Kehle, ehe er mit den Daumen Castiels Unterlippe nach unten schob, die Innenseite eingehend mit gerunzelter Stirn betrachtete und dann gleichsam mit der Oberlippe weitermachte.
“Okay, sehr gut.” Seine Hände lagen sanft an den Seiten seines Kopfes, seine Stimme rauschte um ihn, wie das Brummen eines Bienenschwarms, als er ihn einmal nach links und dann nach rechts drehte, um hinter seine Ohren zu sehen.

Deans Hände sanken wieder auf seine Schultern und er ließ für einen tiefen Atemzug den Kopf hängen.
Er wirkte - erleichtert.

Castiel legte den Kopf schief und versuchte einen Blick in Deans Augen zu erhaschen; Er hatte sie geschlossen.
“Dean?”

Dean richtete sich auf, als hätte man einen Knopf gedrückt und warf ihm ein warmes Lächeln zu.
“Ja, Entschuldige, Steve. Es ist alles in Ordnung.”
Seine Augen huschten nochmals über sein Gesicht und Castiel war sich mehr als bewusst über die dunkellila Flecken, die blauen Schattierungen und grünen Ränder an seinen Blessuren.
Er wusste, Dean wollte damit lediglich sagen: Es war nicht schlimmer, als es aussah.

Dean riss seine Augen förmlich von ihm los, drehte sich um und ging zu seiner Jacke. Er hob sie hoch, um in den Taschen wühlen zu können, ehe er sie wieder achtlos auf den Aktenschrank fallen ließ.
“Hier”, murmelte er, halb in Gedanken, und kam wieder auf Castiel zu.
Es waren zwei Cremetuben; Castiel kniff fragend die Augen zusammen, aber Dean schraubte nur eine auf, gab etwas der weißen Creme auf seine Finger und kaum einen Augenblick später fühlte er den klebrigen, kalten Kontakt zusammen mit Deans rauen, warmen Fingern.
Es brannte und schmerzte, als er die Creme auf der kleinen Platzwunde an seiner Schläfe verstrich und Castiel verkniff sich ein schmerzhaftes Brummen. Mit dem Rest an seinen Fingern bedeckte er die kleinen Kratzer an seinem Hals.
“Dean, was-”
“Moment.” Dean wischte seine Finger nachlässig an seiner Hose ab, öffnete die zweite Tube und begann deren Inhalt auf die blauen Flecken um seine Wunde, an seinem Kinn und an seinem Hals zu schmieren. “Kann ich dein Handy haben?”

Die Frage war so beiläufig, dass sie Castiel tatsächlich aus dem Takt brachte.
“Was?”
Dean war zu dem großen Hämatom an seiner Schläfe zurückgekehrt und noch damit beschäftigt, die Creme möglichst sorgsam an seiner Schläfe zu verreiben, also versuchte er, aus dem Augenwinkel nach oben zu schielen. Es schmerzte und er ließ es.
“Dein Handy, Steve, nur einen Moment, bitte, okay?”

Er hätte erwartet, dass etwas in ihm sehr deutlich Nein! schreien würde. Aber stattdessen fühlte er nur eine eigentümliche Ruhe.
Was sollte er vor Dean verstecken? Dean war der Grund, warum er sein Handy in Gegenwart von Alastair ausschaltete. Aber Dean wusste von ihm.

Es zog kalt in Castiels Brust; Er war ein niederträchtiger Lügner und Betrüger.
Immer noch.

Aber trotzdem zog er das Handy aus der Hosentasche.
Sein Sperrbildschirmhintergrund war das Foto von Alastair und ihm auf dem Pier und er zeichnete schnell den Code ein, ehe er das Handy Dean gab.
Sein Hintergrundbild war das Logo seines Ladens.

Er bemerkte, dass Dean lächelte, als er das sah und beugte sich dann etwas nach vorne, um zu sehen, was Dean mit seinem Telefon tat; Dean änderte den Winkel, damit Castiel es in aller Deutlichkeit sehen konnte, sobald er es bemerkte.

Er ging in die Google-Suchleiste und Castiel runzelte die Stirn, als Dean mit beeindruckender Geschwindigkeit verschiedene Suchwörter eingab:
Blaue Flecke
Was hilft gegen blaue Flecke
Blaue Flecke im Gesicht + Hilfsmittel


Er klickte verschiedene Suchbegriffe an, wartete exakt so lange, bis die Seite vollständig geladen hatte, verließ sie wieder und änderte die Suchbegriff, bis er schließlich auf eine Seite kam, die eine Creme anbot; Heparinsalbe.

Castiel runzelte die Stirn; Dean gab den Begriff ein, klickte auf weitere Links und gab schließlich den Namen der Apotheke auf der anderen Straßenseite ein und suchte dort nach der Salbe, dann schloss er den Browser und reichte Castiel beide Salbentuben.

“Was…?”

Dean scrollte und klickte weiter durch sein Handy, aber Castiel war einen Moment von den Salben abgelenkt.
“Die Heparinsalbe hilft gegen die Hämatome, das andere ist Bepanthen, das ist für die Wunde und die Kratzer. Du hast sie heute morgen gekauft, in der Apotheke gegenüber, du hast Bar bezahlt”, Dean antwortete so beiläufig, dass Castiel das angenehme raue Rauschen seiner Stimme beinah über das Studieren der Tuben nicht als Wörter identifiziert hätte. “Trag beides so oft am Tag auf, wie es geht, bis es besser wird. Damit sollte es schnell heilen.”
Er hielt ihm sein Display entgegen. “Gib einen PIN ein.”

Castiel, noch damit beschäftigt, die Informationen über die Salben zu verarbeiten, war vollkommen verwirrt.
“Was?”

“Einen PIN, such dir einen PIN aus, einen, den nur du kennst und den auch sonst niemand erraten kann. Keinen, den du woanders schon benutzt!” Er wackelte ungeduldig mit dem Handy. Castiel blinzelte verwirrt, aber bevor er ansetzen konnte, zu Fragen, was gerade passierte, wackelte Dean nur ungeduldiger damit und Castiel gab die ersten vier Zahlen ein, die ihm in dieser Situation einfielen.

“Okay, super.” Dean zog das Handy zu sich zurück, testete offensichtlich etwas und lächelte dann zufrieden, ehe er Castiel das Handy wiedergab.
“Dean, was-?”

“Ich hab deine Messenger-App gesichert.”
Was??” Castiel starrte das Handy verwirrt an und Dean beugte sich nach vorne, um auf dem Telefon zu navigieren.
Seine Messenger-App war nicht mehr, wo sie vorher gewesen war, sondern in einem kleinen Ordner. Als Dean sie antippte, erschien eine PIN-Abfrage.
“Jetzt kann niemand mehr deine Nachrichten lesen, außer dir.”

Castiel Boden zog sich unter seinen Füßen zusammen und ließ ihn luftleer und alleine. Er war einen Moment überwältigt von der schieren Wucht der Informationen, die Dean ihm gerade entgegen geworfen hatte, dass er nicht wusste, was er sagen sollte.
Heparinsalbe, Bepanthen, für seine Verletzungen. Bar bezahlt, der Suchverlauf in seinem Handy.
Das verschlüsseln seiner App.
Die Untersuchung.

Es juckte in seinen Fingern, Stauungsblutung zu googeln.

“Dean- Ich-”
Er wollte sich bedanken. Er musste sich bedanken! Aber seine Zunge war wie Blei in seinem Mund.
Was sollte er sagen?

“Ich weiß, Buddy”, Dean hatte sich bereits umgedreht und war gerade dabei seine Jacke wieder anzuziehen. Er zog mit einem Ruck seinen Kragen zurecht. “Du bist gefallen.”

Etwas Kaltes sank auf den Boden von Castiels Magen und er schluckte schuldbewusst.
Es war lächerlich, nicht wahr? Es war so lächerlich. Wem machte er etwas vor?
Aber er- er konnte nicht. Es ging nicht. Wenn er- wenn er es aussprechen würde, dann-
Er konnte das nicht.
“Ja, ich bin gefallen.” Seine Stimme fühlte sich dünn und brüchig an in seinem Hals, sein Blick war auf die Salben gesenkt und er räusperte sich. “Danke, Dean, für- Ich danke dir, für alles.” Einen Moment lang wirkte es fast so, als würden Deans Schultern sich unter seinen Worten anspannen, aber nur für einen flüchtigen Moment.

“Klar doch, uh- Buddy.” Dean nickte, lächelte verkrampft und legte seine Hand auf den Türknauf.
Der Augenblick zog sich, Sekunde um Sekunde.
Für einen Moment, war sein Büro wie ein Stillleben, ein Herzschlag, noch ein Herzschlag, dann sprang Dean in Aktion; Er ließ den Türknauf los und drehte sich zu Castiel.

Er konnte geradezu sehen, wie sich Wut und Ungeduld in Dean aufstauten und aus ihm heraus brachen:
“Okay, weißt du, ich-” Er schnaubte und fuhr sich durch die Haare. Castiels Muskeln spannten sich nervös an. “Ich weiß, du bist gefallen.” Er bemühte sich, seine Stimme ruhig zu halten, das Grollen in den Scotchtönen nicht überhand gewinnen zu lassen, aber Castiel konnte sehen, dass es ihm schwer viel. Trotzdem fühlte sich das kristalline Rauschen gegen seine Ohren - gut an. Warm; Er konnte Deans Sorge darin fast schmecken, süß, zäh und herb.
Er war nicht auf ihn wütend und als Castiel das klar wurde, entspannte er sich deutlich.
“Aber du- Es ist nicht deine Schuld, dass du gefallen bist, okay, Steve? Es ist- Es ist- Der Boden. Okay? Der Boden ist Schuld daran und-” Er stoppte erneut, um tief und streng Luft einzuziehen. “Der Boden, auf dem du stehst, der ist Schuld daran und du hast das nicht verdient, Steve. Du hast- du hast einen guten Boden verdient. Einen- stabilen Boden, der, der dir guttut und dich nicht fallen lässt. Okay? Und es gibt- tonnenweise gute Böden, Steve, okay? Es gibt viele Böden, die sich freuen würden, wenn du auf ihnen stehen würdest, wirklich gute Böden, und- und die würden dich nicht fallen lassen. Die- die würden dich- stützen und halten und wären - stabil und- Du hast es nicht verdient zu fallen, Steve. Du verdienst einen guten Boden.”

Die Verzweiflung in Deans Worten war fast greifbar, breitete sich zäh und klebrig in dem Raum aus, aber trotzdem zog ein leichtes Lächeln an Castiels Lippen.
Müde, erschöpft und selbst verzweifelt, aber es war ein Lächeln.
“Dean…”

Dean wandte sich abrupt ab, als er Castiel ins Gesicht sah, als hätte er zu viel gesagt und entriegelte die Tür.
“Du hast guten Boden verdient, Steve, und das ist kein guter Boden.”

“Dean-”
“Ich weiß, du bist gefallen-”
Er öffnete die Tür.
Er würde gehen; Aus dem Laden gehen und verschwinden. Castiel könnte ihn nicht nochmal anrufen, er dürfte ihn nicht nochmal anrufen. Bewies das alles hier nicht, dass er damals richtig daran getan hatte, ihm die Nachrichten zu schreiben?
Gott, er hatte ihn so vermisst

Aber er sollte das nicht so stehenlassen, nicht wahr?
Castiel konnte doch nicht, er durfte doch nicht- Er musste etwas sagen, richtig? Deans Annahmen, Deans Ansicht war - falsch. Es war nicht so.
Es war ein Ausrutscher gewesen. Es-
Er-
“Er hat sich entschuldigt.”

Dean hielt Mitten im Schritt inne, den Rücken zu Castiel. Er konnte sehen, wie sich seine Schultern in einem tiefen, betonten Atemzug hoben, ehe er sich langsam umdrehte.
“Er hat gelogen. Dieser Boden, Steve,” er machte eine unterstreichende, auf den Boden deutende Geste. “Der liebt dich nicht. Und er wird dich weiter fallen lassen.”

Dean sagte das mit einer solchen Gewissheit, mit einer derartigen prophetischen Sicherheit, dass es kalt und taub in Castiels Blut klumpte.
Er schluckte und wich Deans Blick auf.
Ein Zittern drohte durch seine Muskeln zu stoben, aber er kämpfte es hinunter.
Was sollte er darauf sagen? Er sollte darauf etwas sagen. 

Der tiefe, sortierte Atemzug und das Rascheln, als sich Dean wieder durch die Haare fuhr, ließen Castiel den Blick heben.
Er sah vorsichtig auf und konnte beobachten, wie Dean den Nacken knacken ließ und einen Moment die Augen schloss, ehe er nickte und Castiel direkt ansah.
“Aber weißt du was, wenn-” Er stoppte sich und leckte sich wieder über die Lippen. “Falls das passiert: Ich bin da, okay? Ich lass dich nicht allein, Steve.” Er lächelte, nonchalant und offen - wie das erste Mal, als er ihn gesehen hatte.

“Warum?” Das Wort war schneller aus Castiels Mund, als sein Kopf überhaupt geschaltet hatte und einerseits pochte es peinlich in seiner Brust, andererseits war das genau das, was ihn irritierte.
Warum?
Warum sollte Dean weiterhin für ihn da sein wollen?
Er war nicht Deans Problem, nur weil er damals seinen Notruf angenommen hatte.
Dean musste sich nicht um ihn kümmern.

Dean schnaubte lachend auf.
“Ouch, Steve. Ernsthaft, Ouch: Weil wir Freunde sind.” Sein Blick war durchdringend, fest und bestimmt.
Es tat so gut.
Sie waren Freunde, sie waren Freunde und der einsame Schatten, der ständig in Castiels Hinterkopf lauerte schrumpfte ein wenig, zumindest für einen Sekundenbruchteil, bis eine kalte und dunkle Realität sich in seine Gedanke schob:
Es durfte nämlich nicht sein.
Ein Protest wellte in Castiels Brust auf, ein kalter, trauriger Protest, umwickelt von Scham und Schande. Aber er war nötig.

Sie waren keine Freunde, er hatte- Er hatte Dean verraten, er hatte die Gedanken an ihn und sein Vertrauen missbraucht.
Es war nötig gewesen, den Kontakt abzubrechen.
Er verdiente das nicht, nicht die Freundschaft und Sorge, nicht seine bedingungslose Hilfe.
Und so sehr er es jetzt genoß, ihn hier zu haben, in der Ruhe seiner Präsenz Kraft zu tanken, genauso wusste er, dass das nicht in Ordnung war.
Er durfte nicht.

“Dean, ich-”
“Wann ist Earl wieder auf Geschäftsreise?”
Castiels Kopf kippte fragend zur Seite.
“Was? Earl?”
Dean räusperte sich streng und machte eine ungenaue Handbewegung in Richtung Boden und Castiel: “Du weißt, Earl.”

Oh. Alastair.
Warum Earl?
Seine Augen verengten sich zu fragenden Schlitzen.
Earl?
Wie kam Dean auf Earl?

Nein, das war gerade egal!

Es ging Dean nichts an. Es war für Dean nicht wichtig, es war nicht relevant, wann Ear- Alastair nicht da war. Er sollte nicht antworten. Er musste- er musste einen Strich ziehen, sich bedanken und verabschieden.
Genau das würde er jetzt tun:
“Er- uh- Mittwoch, also, Nächste Woche Mittwoch, bis uh- den Mittwoch darauf.”

Was? Nein!
Dean nickte langsam, räusperte sich schwer und sah betont nicht zu Castiel.
“Ich- Du-” - Ein weiteres Räuspern. - “Ich würde dich gerne anrufen, am- am - Nächste Woche Mittwoch.”

Nein.
Sag, Danke, Dean, das ist sehr freundlich. Aber Nein, Danke.
Es ist besser so.

“Danke, Dean.” Ein wackeliges Lächeln zuckte in seinem Mundwinkel. “Ich würde mich freuen.”

Was?! Nein, verdammt!

Ein breites, ehrlich fröhliches Grinsen spaltete Deans Lippen und er sah Castiel wieder an.

“Okay, Steve, dann bis Mittwoch. Pass auf dich auf.” Er klopfte zur Verabschiedung zweimal mit den Fingerknöcheln gegen den Türrahmen, blieb dann aber nochmal stehen.
“Und, ruh dich aus, okay? Heb wenigstens nichts schweres und mach keinen Sport, ja?”

Okay, das eskalierte gerade. Was trieb er hier?
Ja, die warmen, sanften Wogen von Deans Stimme waren angenehm und beruhigend und ablenkend, aber er musste sich jetzt konzentrieren.
Er musste ihm sagen, dass er sich umentschieden hatte.
Dass es keine gute Idee war, wenn sie telefonierten, dass es keine gute Idee war, wenn sie wieder- wenn sie weiterhin einen solchen Kontakt pflegten.
Es war keine gute Idee; Er sollte sich nochmals bedanken, für die Unannehmlichkeiten entschuldigen und absagen.

“Danke, Dean. Das werde ich.”

Dean warf ihm noch ein letztes, breites Lächeln zu und winkte über die Schulter, ehe er sein Büro verließ; Kurz darauf erklang das Klingeln an der Tür.

Castiel fühlte sich - warm, fast glücklich.

Fuck.