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[ab 18!] Close To Home (von iesika) | Teil 4/18 - Druckversion

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Close To Home (von iesika) | Teil 4/18 - tenten31 - 28.07.2020

Donnerstag

In der Theorie erschien der Plan einfach. Matts Freunde gingen auf Kons Schule und Delilah war sogar mit ihm in Englisch. Eigentlich sollte es Conner Kent ein Leichtes sein, sich mit ihnen anzufreunden, ihr Vertrauen zu gewinnen und ihm sogar etwas über den Freund zu erzählen, den sie alle gerade erst verloren hatten. Aber es gab da ein kleines Problem mit dem Plan: Weshalb auch immer, aber Kon hatte vergessen, wie furchtbar schlecht Conner Kent darin war, Freundschaften zu schließen.

„Warte!“, rief Kon, als er Clarence Moore den Gang hinunter hinterher lief, als dieser sich seinen Weg durch das Gedränge zwischen Schulstunden bahnte. „Ich will doch nur—“ Kon hielt inne, um einer Reihe sich an den Händen haltender Mädchen auszuweichen und dann heimlich einem Jungen seine gefährlich windschief aufgetürmten Bücher zu stützen. „Ich will doch nur mit dir reden.“

Clarence erstarrte mitten auf dem Gang und drehte sich langsam um: „Tja, aber ich will nicht mit dir reden. Also zieh Leine, Cowboy!“

Cowboy? Könntest du mir wenigstens kurz zuhören?“ Aber Clarence hatte sich schon wieder in Bewegung gesetzt, so schnell, dass Kon seine Schritte beschleunigen musste, um ihn einzuholen. Sie bogen um eine Ecke in den Gang mit Schließfächern und Clarence hielt erneut an. „Ich wollte nur sagen, dass es mir leidtut wegen Matt. Er machte einen echt netten—“ Kon verstummte. Das Schließfach, vor dem Clarence angehalten hatte, war mit geschmacklosen Strichmännchen mit enormen Penissen beschmiert. Jemand hatte über den größten Teil der Reihe Schließfächer darüber gesprayt: ‚Du bist der nächste, Niggerschwuchtel‘. Und jetzt, wo er darauf achtete, konnte Kon auch einen vertrauten Geruch wahrnehmen.

„Lass—“, begann Clarence leise, als seine Hand zum Zahlenschloss ging. „Lass mich einfach in Ruhe!“

Kon packte sein Handgelenk und bestimmte: „Mach das besser nicht auf.“

„Hau verdammt noch mal ab, Mann!“ Er zog unwirsch gegen Kons Griff, bis Kon ihn loslassen musste, bevor er sich selbst verletzte.

„Hol einen Lehrer oder sowas“, protestierte Kon. „Mach nicht einfach—“

Aber es war zu spät. Clarence riss die Schließfachtür auf, so dass sie lautstark gegen die nächste knallte, bevor er hastig zurück stolperte. Drinnen hing ein totes Huhn an einer winzigen Galgenschlinge, das Genick gebrochen. Alles im Schließfach war mit Blut beschmiert und vollkommen zerstört.

Die Schüler um sie herum hielten inne und starrten; alles war mit einem Schlag ruhig, bevor ein Flüstern einsetzte. Clarence gab einen elenden, gebrochenen Laut von sich und drängte sich durch die Schaulustigen, um zum nächsten Ausgang zu rennen.

Kon war hin und her gerissen, aber schlussendlich gab es nur eine einzige sinnvolle Entscheidung: Clarence würde sowieso nicht mit ihm reden, also ließ Kon ihn laufen und zog sein Handy hervor. Er musste unbedingt ein paar Fotos machen, bevor die Lehrer nachsehen kamen, was hier los war.

*

Englisch lief nicht ganz so katastrophal – zumindest floss kein Blut. Kon lungerte nahe der Tür herum, bis Delilah sich auf ihren Platz gesetzt hatte, bevor er sich auf den Platz neben sie setzte. „Hi“, sprach er sie an und sie sah verdutzt zu ihm. Sie war wirklich ziemlich heiß – kleiner als die Mädchen, die er normalerweise mochte, aber hübsch kurvig. Ihre dunklen Haare waren in einem kurzen, strengen Bob geschnitten und von einem dunklen Rot durchzogen, das sie auf den Weihnachtsbildern noch nicht gehabt hatte. Leider fiel Kon nichts ein, das er jetzt sagen konnte. „Äh“, machte er schließlich, „weißt du, wann wir die Hawthorne-Sache abgeben müssen?“

Sie blätterte für die Antwort ein paar Seiten in ihrem Notizbuch zurück. „Erst am zehnten.“ Sie sah danach allerdings nicht mehr zu ihm auf.

„Hast du schon angefangen?“, fragte er, in der Hoffnung ihre Aufmerksamkeit zu halten.

„Sind nur zwei Seiten“, winkte sie ab, ihr Blick auf ihr Notizbuch geheftet.

Kon spielte mit seinem Kugelschreiber und blickte düster auf seinen eigenen Ordner, aber ihm fiel nichts ein, was diesen Kontakt hätte verlängern können. Erfüllte Rao Bitten um plötzliche Gruppenarbeit? Er war ein bisschen eingerostet, was kryptonische Theologie anging.

„Hey“, sagte jemand und Kon sah gerade rechtzeitig auf, um mitzubekommen, wie Miller seine Hand auf Delilahs Pult legte und sich über sie beugte.

„Verschwinde, Pete“, zischte sie ohne aufzusehen.

Er stützte sich mit der anderen Hand an ihrer Stuhllehne ab, womit er sie effektiv mit seiner ganzen Größe gegen ihr Pult drängte. „Ich will nur reden.“

Kon sah, wie sich Delilahs Finger um ihren Stift schlossen, sah wie sich die Muskeln in ihrem Unterarm anspannten und hervortraten. Aber er hatte noch nicht entschieden, wie er damit umgehen sollte, als es bereits zu spät war, um in menschlicher Geschwindigkeit zu reagieren. Ihr Arm zuckte und eine Sekunde lang dachte er, sie hätte wirklich in Millers Hand gestochen – bis er realisierte, dass der große rote Fleck, der sich über ihrer beider Hände ausbreitete, von ihrem Stift kam, dessen Spitze beim Aufprall gegen das Pult zersprungen war.

„Shit“, zischte Miller und zuckte zurück. „Bitch, du bist ja psycho!“

„Ja, bin ich“, gab sie mit ruhiger, leiser Stimme zurück, wobei ihr kontrollierter Ton Kon verdammt an Tim erinnerte. „Und deshalb solltest du besser zuhören, wenn ich dir sage: Wenn du mir nochmal zu nahe kommst, bring ich dich um!“

„Versuch es doch, du kleine—“

„Wehe“, drohte Kon, als er aufstand, „du sprichst den Satz zu Ende!“

„Verpiss dich, Kent, das geht dich nichts—“

Delilahs plötzlicher Schrei voller Wut und Frustration ließ den ganzen Raum erstarren. Selbst die paar Leute, die diese Konfrontation noch nicht mit angesehen hatten, drehten sich jetzt in ihren Stühlen um, als sie ihre Sachen in ihren Rucksack warf, sich an Miller vorbei drängte und zur Tür hinaus eilte. Ein paar Sekunden später kam Miss Harris herein. Sie hielt ihren Kaffee gegen ihren Körper gepresst und sah sie alle betroffen an. „Ist mit Delilah alles in Ordnung?“

Kon senkte den Blick zu seinem Pult. „Sie ist sich saubermachen gegangen“, erklärte er und deutete auf die Sauerei. „Ihr Stift ist kaputtgegangen.“

*

Sobald er zu Hause war, rief er als erstes Cassie an. Er hatte schon seit Sonntag, als sie den Titans Tower verlassen hatten, nicht mehr mit ihr gesprochen. Nachdem sie also von dem Minotaurus fertig erzählt hatte, den sie heute Morgen in Portland zur Strecke gebracht hatte, setzte er sich mit einem Teller voll mit Marthas Keksen auf sein Bett und erzählte ihr alles, was seitdem passiert war. Er erzählte ihr von Matt und von dem Fall und wie absolut unfähig er war, bestimmte Dinge zu schaffen. Und es fühlte sich gut an. Cassie war eine gute Zuhörerin und im Gegensatz zu Tim gab sie genau die richtigen verständnisvollen kleinen Laute an genau den richtigen Stellen von sich und fragte nicht nach unnützen Details.

Wenn er Tim angerufen hätte, hätte er erklären müssen, warum er keine neuen Informationen hatte. Er hasste es, Tim zu sagen, wenn er Mist gebaut hatte – nicht weil Tim ihn damit aufzog, sondern weil er das in der Regel eben nicht tat, selbst wenn sie beide wussten, dass Tim es besser gekonnt hätte.

„Was sagt es Schreckliches über mich aus, dass ich es nicht schaffe, mit Leuten Freundschaft zu schließen, die nicht wissen, dass ich ein Superheld bin?“, fragte er.

Cassie war gerade dabei, sich die Nägel zu lackieren. Er konnte die leisen Pinselstriche in der Stille hören, während sie überlegte. „Ich denk nicht, dass es das tut“, meinte sie schließlich. „Es ist eben einfacher, zu jemandem eine Verbindung aufzubauen, mit dem man sowieso schon Gemeinsamkeiten hat, richtig? Also macht es Sinn, dass man mit den meisten anderen Superhelden klar kommt, denen man begegnet. Und wenn man als Superheld normalen Leuten begegnet, dann, naja, wollen sie meistens von sich aus mehr von einem. Man muss also gar nicht so viel tun, um ins Gespräch zu kommen. Ich glaub, das ist einfach normal – Freundschaften zu schließen geht langsamer, wenn man nicht mit Leuten in einem Team ist oder sie rettet.“ Kon hörte zu, wie sie die Verschlusskappe vorsichtig wieder auf das Fläschchen schraubte. „Himmel, bevor ich ihnen meine Identität verraten hab, waren die ganzen anderen Mädchen immer so gehässig. Danach auch noch, aber nur noch, wenn sie dachten, dass ich es nicht höre, weißt du?“

Um einen Bissen Snickerdoodle herum gab Kon ebenfalls einen verständnisvollen Laut von sich. „Manchmal hasse ich mein Supergehör.“

„Glaub ich dir. Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie… Ist ja schon schlimm genug, wenn jemand nicht weiß, dass du auf der Toilette bist.“

„Denkst du, das gleicht sich irgendwann aus?“

Cassie blies über ihre Nägel. „Wie, das gleicht sich aus?“

„Naja, schau uns doch an“, meinte Kon nachdenklich, als er sich so weit zurück lehnte, bis er die verblassten Brandspuren an der Decke anstarrte. „Du, ich, Bart, Tim… Wir rocken, klar, und wir sind alle gute Freunde, was ich nie im Leben für irgendwas eintauschen würde, aber ich glaub nicht, dass auch nur einer von uns jemals glücklich drüber war, ein normales Leben zu haben – außer vielleicht, wenn du mit Cissie und Traya zusammen warst, aber das war was anderes.“

„Ich denk nicht, dass eins das andere ausschließen muss“, hielt Cassie dagegen. „Manche Leute kommen mit beidem richtig gut zurecht. Superman zum Beispiel.“

Aber Kon war nicht Superman. Es gab einige ziemlich fundamentale Unterschiede zwischen ihm und Clark und die wenigsten davon hatten überhaupt etwas mit den Luthor-Genen zu tun. „Manchmal frag ich mich, ob sie damals bei Cadmus in ihrer Programmierung einfach was vergessen haben. Ich bin zu früh da raus, richtig? Ich war noch nicht fertig. Die haben keine Sicherung eingebaut. Vielleicht haben sie ja noch mehr vergessen. Oder vielleicht… Ach, ich weiß nicht. Vielleicht stand es auch nicht gerade auf ihrer Prioritätenliste, dass ich ein glücklicher, ausgeglichener Typ mit einem großen Freundeskreis werde, weißt du?“

Als sie antwortete, konnte er das Lächeln in Cassies Stimme hören. „Ich denk, du kommst ganz gut klar.“

„Aber – überleg doch mal, wie lange es gedauert hat, bis Tim und ich uns verstanden haben. Wir haben uns so ziemlich wöchentlich gegenseitig den Arsch gerettet und haben trotzdem ständig gestritten—“

„Ja, da mach ich jetzt mal Tim für das meiste davon verantwortlich“, gab Cassie trocken zurück. „So viel zum Thema soziale Probleme…“

„Worüber ich echt nicht reden will. Du weißt, wie seine Familie ist. Du weißt, wie Batman ist. Ist wirklich nicht ganz fair, über ihn zu lästern, wenn er nicht hier ist, um sich zu verteidigen.“

„Hört er nicht sowieso unsere Leitungen ab?“ Cassie gab ein freudloses kleines Lachen von sich. „Was ich meinte, ist, dass ihr zwei euch recht schnell zusammen gerauft habt, sobald er nicht mehr so verdammt geheimnistuerisch war. Es ist aber auch schwer, jemanden als besten Freund zu haben, wenn du nicht mal seinen Namen kennst.“

„Ja, vielleicht—“ Kon warf einen Blick zur Uhr hinüber. Es war bereits nach 15 Uhr. „Shit, Cassie, ich muss los. Hausarbeit und so.“

„Okay. Wir sehen uns Freitag?“

Er stand auf und wühlte sich durch seine Kommode auf der Suche nach anderen Klamotten. „Kann nicht“, meinte er. „Ich muss noch eine ganze Menge erledigen und ich hab mich gestern schon drum gedrückt, als Tim hier war. Außerdem müsste ich sowieso nochmal zurückfliegen, für die Beerdigung. Wir sehen uns Samstag Nachmittag?“

„Ja, okay“, lenkte sie ein. „Aber du bist mir ein Essen schuldig.“

„Abgemacht, Babe.“

Sie machte noch Kussgeräusche in Richtung des Hörers, aber legte auf, ohne auf seine Antwort zu warten. Kon warf das Handy beiseite, als er endlich seine abgetragene alte Arbeitskleidung fand und setzte sich, um sich die Stiefel auszuziehen.

*

„Du hättest mir sagen können, wie spät es ist“, rief Kon, als er auf den Rasen hinaus trat. Martha kniete zwischen den Zwiebeln und zog vorsichtig Frühlingszwiebeln aus der Erde, um sie in ihren Korb zu legen.

„Du hast jede Menge Zeit“, antwortete sie und klatschte ihre Handschuhe gegeneinander, um etwas von dem Dreck daran abzulösen.

„Ich muss aber auch noch deine Bestellung vom Futterlager abholen.“ Was so viel länger dauerte als es eigentlich müsste; in der Zeit, die es dauerte, mit dem Truck dorthin zu fahren, könnte Kon hin und mit einigen hundert Pfund Dünger und Komposterde zurück fliegen.

„Mister Jenkins hat dieses Jahr seinen Sohn dabei, der ihm bei der Auslieferung hilft“, erzählte Martha, während sie behutsam aufstand und sich ihren Weg zwischen den Reihen roter Beete und Paprika hindurch bahnte.

„Für wie viel?“, fragte Kon.

„Kostenlos für diese nette alte Witwe“, lächelte sie breit und klemmte sich den Korb unter den Arm. Ich glaube, Mister Jenkins ist ein kleines bisschen in mich verliebt. Skandalös, wirklich.“ Sie machte einen Schritt über den Broccoli hinweg, als Kon realisierte, wo sie hin wollte.

„Oh nein“, ging er bereits, um sie aufzuhalten. „Nein. Du willst Karotten. Ich hol dir Karotten.“

Martha sah ihn missbilligend an. „Wenn du mich weiter wie eine alte Frau behandelst, fange ich noch an, mich auch so zu fühlen.“

„Ich mach das alles nur aus aufgeklärtem Eigennutz heraus“, beharrte Kon und nahm ihr den Korb ab. „Je eher das Gemüse geerntet wird, desto eher essen wir. Du weißt ja, dass ich schließlich noch im Wachstum bin.“

„Tja“, meinte sie mit einem verschmitzten Lächeln, „wenn das so ist, kannst du die Steckrüben hier drüben ernten, so dass wir morgen dann den Mais säen können, zusammen mit dem Rest. Und wenn sie schon so weit sind, dann auch die ganze erste Reihe Karotten. Dann hab ich morgen was zu tun, während du in der Schule bist.“

Kon schüttelte amüsiert den Kopf und sauste in Supergeschwindigkeit nach drinnen, um den Korb auf der Küchentheke abzustellen. Das hatte er direkt herausgefordert, aber das war in Ordnung. Es war sowieso einfacher, alles auf einmal zu machen.

Martha war gerade dabei, sich Handschuhe und Hut auszuziehen, als er zurückkam. „Säcke für die Steckrüben sind in der Scheune.“

„Jawohl, Ma’am“, antwortete Kon und zog sich sein T-Shirt aus. Wenn er die Karotten und die Steckrüben erntete und das Sommerfeld vorbereitete, wäre es sowieso verloren. Er warf es zwischen den Kopfsalat und rieb sich die Hände. Der einzige menschliche Laut meilenweit war das Quietschen der Fliegengittertür, als Martha nach drinnen ging, also knackte er mit den Knöcheln und kniete sich ins Steckrüben-Beet, um seine Finger in den Boden zu rammen.

Die Erde war noch von der Sonne gewärmt und von einem feuchten Winter verdichtet. Kon bewegte die Finger leicht hin und her, um ein Gefühl dafür zu bekommen, bevor er sich konzentrierte und seine Aura ausstreckte, durch den Boden hindurch, und die Form all der Wurzeln um ihn herum erfühlte. Die Erde um seine Hände herum lockerte sich, bebte, als er sie bewegte, als er drückte und zog, bis die Spitzen von mehreren Dutzend Steckrüben aus der Erde schossen. Er ballte seine Hände langsam zu Fäusten, zog gegen das Gewicht der Erde, und die Steckrüben schoben sich nach oben und aus der Erde heraus, nur um dann in der Mitte der Parzelle einen Haufen zu bilden.

Kon stand auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Und fluchte, als er auf seine dreckigen Hände starrte. Naja, früher oder später wäre das sowieso passiert. Er wischte sich die Hände an seinen Jeans-Shorts ab, rollte seine Schultern und setzte sich in Richtung der Scheune in Bewegung, um die Futtersäcke zu holen.

Er war gerade fertig geworden, hatte die Steckrüben in die Säcke gefüllt, die älteste Reihe Karotten geerntet, frisches Unkraut weggebrannt (das so schnell wuchs, dass Kon einmal überlegt hatte, ob es etwas mit den Meteoriten zu tun hatte, bis Martha ihm versichert hatte, nein, Unkraut wuchs überall so) – und wollte gerade damit anfangen, die Erbsenranken zu guter, feiner Asche zu machen, als er am Rande seiner Wahrnehmung ein Geräusch hörte. Ein alter Dieseltruck näherte sich, vielleicht noch zwei Meilen die Straße hinauf.

Kon ließ sich zu Boden sinken und sah sich sorgfältig um. Er hatte wahrscheinlich die Säcke mit den Steckrüben zu voll gemacht, als dass ein normaler Mensch allein sie bewegen könnte – also sammelte er den ganzen Stapel auf und schaffte ihn in die Scheune. Drinnen holte er sich ein paar der rostigen, verstaubten alten Gartengeräte von hinter dem alten Traktor hervor, den Martha hauptsächlich zum Schein behielt, und nahm sie mit zurück nach draußen. Dort lehnte er sie gegen das Rankgitter. So. Das sah normal aus, oder?

Er lief hinüber zum offenen Küchenfenster und flog gerade so hoch, dass er seinen Kopf hinein stecken konnte. „Hey, Ma?“, rief er.

Martha sah auf und drehte sich zu ihm um. Ihre Hände waren mit Mehl bedeckt; Kon fand, das sah vielversprechend aus.

„Deine Lieferung ist – ups“, machte er und ließ sich zurück auf seine Füße fallen, als der Truck um ein Wäldchen herum und in Sichtweite kam. Er war noch weit genug weg, dass Kon sich ziemlich sicher war, nicht gesehen worden zu sein. Er ging aber trotzdem in menschlicher Geschwindigkeit zum Garten zurück, um sicherzugehen.

Der Wind drehte und Kon erschnupperte den Geruch nach Frittierfett, der einem im Dorf öfter begegnete und an den Kon sich so langsam auch gewöhnte. Eine Weile nach seinem Tod hatten die Pearsons angefangen, Trucks mit Biodiesel auszustatten und im großen Stil altes Pflanzenöl wiederaufzubereiten. Kons Geruchssinn war längst nicht so empfindlich wie Clarks, aber er war trotzdem dankbar. Er winkte dem Truck zu, ein Lächeln auf den Lippen, als dieser dröhnend zum Stehen kam. Im selben Moment kam auch schon Martha aus dem Haus, sich noch die sauberen Hände an ihrer Schürzte trocken wischend.

Kon kannte Mister Jenkins schon aus dem Laden. Er war ein eher stämmiger Mann mittleren Alters, vielleicht ein paar Jahre jünger als Martha, und trug einen blauen Overall. Als er Martha auf der Veranda entdeckte, erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht und er kletterte aus dem Truck, um sie zu begrüßen. Ein paar Sekunden später hörte Kon die Beifahrertür schlagen und ein Junge in seinem eigenen Alter kam um den Wagen herum.

„Oh, hey“, begrüßte Kon ihn, als er ihn sah. Er erkannte den Jungen aus dem Kunstunterricht wieder, wusste aber seinen Namen nicht. Er war kleiner als Kon, wie so ziemlich alle seine Mitschüler, aber für seine Größe war er relativ breitschultrig, was vermutlich Sinn ergab, wenn er den ganzen Tag lang Säcke voll Komposterde und ähnlichem auslieferte.

Der Junge sah hinüber zu Mister Jenkins und Martha und verdrehte die Augen. „Sperrt euer Weibsvolk weg“, meinte er gedehnt, ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht. „Mein Dad hat Auslauf.“

Kon lachte, als er sich umdrehte, um nachzusehen – und hielt abrupt inne, denn oh ja, da drüben flirtete definitiv jemand. Kon erkannte Flirten, wenn er welches sah, und er sah in diesem Moment welches, zwischen Ma und einem Kerl im Overall und… das war einfach falsch.

„Dein Gesichtsausdruck!“, stieß der Junge deutlich vergnügt aus. „Oh Gott, das war den Weg hier raus schon wert. Ich nehm an, deine Tante geht nicht viel mit Männern aus?“

„Versuch’s mal mit gar nicht“, gab Kon zurück, immer noch baff. „Sie – nein!“, machte er und zwang sich kopfschüttelnd dazu, sich wegzudrehen. „Okay, ich schau mir das nicht länger an. Hi, ich bin Conner.“ Er streckte dem Jungen die Hand entgegen.

Der Junge grinste: „Ja, ich weiß. Wir sind in derselben Klasse.“ Trotzdem schüttelte er Kons Hand. Sein Griff war fest und seine Hände schwielig – sogar schwieliger als Tims. „Ich bin Jake. Jenkins, was du dir aber sicher schon denken konntest.“

„Weißt du, was sie bestellt hat? Oder müssen wir warten, bis…“ Kon warf einen Blick über seine Schulter.

„Ich kann die Liste holen“, bot Jake an und stieg auf das Trittbrett, um ein Klemmbrett vom Vordersitz zu holen. „Lass mal sehen…“ Er schüttelte sich die hellbraunen Haare aus den Augen und überflog ein paar Seiten, bis er scheinbar fand, wonach er suchte. „Vor allem Komposterde und etwas Schwefel. Fischmehl. Mehrkorn-Hühnerfutter. Seid ihr komplett bio?“

„Ja, so ziemlich.“ Es lag inzwischen im Trend, alles biodynamisch anzubauen, obwohl Kon sich recht sicher war, dass die Kents etwa zu dem Zeitpunkt aufgehört hatten, Pestizide und Futter mit Antibiotika zu kaufen, als Clarks Supersinne sich das erste Mal gemeldet hatten.

Ein breites Lächeln trat auf das Gesicht des Jungen und die weißen Zähne standen in beinahe unerhörtem Gegensatz zu seiner gebräunten Haut. „Cool. Habt ihr Eier übrig, die ihr verkaufen könntet? Meine Schwester hat einen Laden im Dorf. Sie würde euch sicher einen guten Preis machen.“

„Nee“, winkte Kon, ebenfalls grinsend, ab. „Ich ess meistens alles, was die Hühner legen. Aber ich sag es Ma. Mit entsprechenden Abnehmern will sie vielleicht noch ein paar aufziehen.“

Jake ging zur Ladefläche des Trucks und Kon folgte ihm. Sie öffneten die Ladeklappe, Jake kletterte auf die Säcke und legte das Klemmbrett auf das Dach der Fahrerkabine. „Willst du sie irgendwie auf eine Schubkarre oder so? Sind ziemlich viele.“

Kon dachte angestrengt nach. Hatten sie sowas überhaupt? Sollten sie sowas haben? „Äh… nein, aber… wir können sie einfach hier stapeln. Vor nächster Woche soll’s ja nicht regnen und wenn ich bis dahin nicht fertig bin, kriege ich sowieso keinerlei Kuchen mehr von Ma.“

Jake runzelte die Stirn. „Sicher?“

„Ja“, bestätigte Kon und kletterte ebenfalls auf die Ladefläche. „Welche sind unsere?“

„Für den Anfang auf jeden Fall schon mal alle grünen. Hier, nimm du das Ende—“ Jake gab Kon Anweisungen, wofür er dankbar war. Es war leichter, normal zu tun, wenn jemand einen dabei anleitete. Gemeinsam brauchten sie etwa 20 Minuten, um alle Säcke von der Ladefläche zu bekommen, was wohl in einem annehmbaren Rahmen war, weil Jake sich einfach fallen ließ und die Beine von der Ladefläche baumelte, nachdem sie den letzten Sack abgeladen hatten. „Puh!“, machte er. „Du bist ja besser in Form als ich. Sieh dich an, du schwitzt kaum.“ Er piekste Kon mit einem sonnengebräunten Finger mitten in den nackten Oberkörper.

Kon verlagerte verlegen sein Gewicht und nestelte an einem Loch am Oberschenkel seiner Shorts herum.

„Machst du hier die ganze Arbeit? Das ist ein ziemlich großes Fleckchen Land für einen allein.“

„Ähm“, erwiderte Kon, „Ma ist zäher als sie aussieht. Und normalerweise kommt mein Cousin noch vorbei und hilft mit der Aussaat und der Ernte und so, aber in letzter Zeit ist er ziemlich beschäftigt.“

Jake bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick. „Dein Cousin. Du meinst Clark?“

„Ja“, nickte Kon und ließ sich auf einen Sack voll Schwefel sinken. „Kennst du ihn?“

„Hab ihn ein paarmal getroffen“, gab Jake zurück. „Als ich noch ein Kind war. Vor allem im Laden.“

Eine eigenartig unangenehme Stille breitete sich aus, von der Art, wie sie Kon vor allem anfangs bekommen hatte, als er von Hawaii hierher gezogen war – ganz dörflich und neugierig und ‚Ich wusste gar nicht, dass Jonathan einen Bruder hat‘. Natürlich fragte nie jemand direkt, aber alle tratschten hinter vorgehaltener Hand.

„Äh… Limonade?“ schlug Kon vor.

„Was?“

„Wir haben drinnen frisch gemachte Limonade und da ist es auch kühler.“ Kon stand auf und setzte sich in Richtung Hintereingang in Bewegung.

Jake sprang von der Ladefläche. „Ja, gerne, danke“, meinte er. „Aber ich bin ziemlich verschwitzt und verdreckt. Sicher, dass ihr mich in euer Haus lassen wollt?“

Kon zuckte die Schultern. Als sie die Stufen hinter dem Haus erreichten, schnappte er sich den Gartenschlauch und drehte das Wasser auf. Jake machte einen Satz nach hinten, um dem Wasser auszuweichen, das plötzlich hervor spritzte. Was Kon ein Lachen entlockte, während er seine Füße leicht abspritzte, um den Dreck abzuwaschen. Er schlüpfte aus seinen Schuhen, kickte sie die Stufen hinauf und spritzte sich ein paar Sekunden lang herrlich kaltes Wasser direkt ins Gesicht, bevor er sich den Dreck von Armen, Beinen und Oberkörper wusch. Er reichte den Schlauch weiter an Jake und schüttelte seine Haare aus, während der andere Junge sich die Hände sauber wusch. „Siehst du“, meinte er, „schon viel besser.“ Dann erklomm er die Stufen und ging nach drinnen, überließ es Jake, das Wasser abzudrehen und den Schlauch wieder zurück unter die Stufen zu schieben.

Als er in die Küche kam, hatte Ma schon dafür gesorgt, dass zwei Gläser Limonade auf der Küchentheke auf sie warteten. Sie und Mister Jenkins saßen am Tisch, ebenfalls jeder ein Glas Limonade vor sich. Kon ging zu ihnen hinüber, wobei er sich sanft zwischen sie schob. „Hi“, sagte er und leerte sein Glas in zwei Zügen.

„Seid ihr Jungs etwa schon fertig?“, fragte Jenkins. Kon sah, dass er sich große Mühe gab, nicht so enttäuscht zu klingen wie er war. Er blickte zu Jake, als dieser herein kam, und musterte dann Kon von oben bis unten. „Hat ja nicht lang gedauert. Willst du dir ein bisschen was dazu verdienen, Conner?“

Panisch sah Kon zu Martha, bevor er beschloss, sich erst einmal darauf zu konzentrieren, dass er sich noch einmal ein Glas einschenkte. „Äh, ich hab zurzeit eigentlich echt viel zu tun. Schule und so.“

„Schade“, gab Mister Jenkins zu. „Martha hat mir gerade erzählt, wie fleißig du arbeitest. Vielleicht im Sommer, wenn du etwas mehr Freizeit hast? Früher hat meine Eleanor im Laden ausgeholfen, aber sie hat ja inzwischen ein paar Häuser weiter ihr eigenes Restaurant aufgemacht, wir sind also eigentlich zu wenige. Ich bin sicher, Jake würde sich freuen, mal eine Weile aus dem Lager raus zu kommen, mit Leuten zu reden, mal mehr von der kaufmännischen Seite zu übernehmen.“

„Mir macht das nichts aus“, versicherte Jake. Statt sich mit an den Tisch zu setzen, lehnte er gegen den Tresen und presste sich das Glas für einen langen Moment gegen seine feuchte Stirn, bevor er einen großen Schluck trank. „Mmmmmh“, machte er und schloss die Augen. „Genau das hab ich gebraucht. Vielen Dank, Mrs. Kent. Die ist wirklich super.“

„Vielen Dank, Jacob“, lächelte Martha ihn an, bevor sie Mister Jenkins einen leicht verärgerten Blick zuwarf, der Kon das Herz höher schlagen ließ. „Ich denke, ihr Jungs solltet lieber zusehen, dass ihr zum Abendessen zu Hause seid? Die Sonne geht bald unter.“

„Nell erwartet uns“, stimmte Jake angesichts der Enttäuschung auf dem Gesicht seines Vaters zu, „und wir sollten uns vorher noch frisch machen.“ Er leerte sein Glas und stellte es ins Spülbecken. „Nochmal danke für die Limonade, Mrs. Kent. Wir sehen uns in der Schule, Conner?“

Kon nickte, ein Lächeln auf den Lippen. Immerhin ein Punkt für Conner Kent, der vielleicht doch kein vollkommener Loser war. Er sah ihnen noch nach, als sie davon fuhren, bevor er sich Martha zuwandte und ungläubig anstarrte. „Der Typ?“

„Ich bin mir sicher, ich hab keine Ahnung, was du meinst“, antwortete Martha, lächelte aber in ihre Limonade hinein.

„Du weißt, dass ich es nicht mag, wenn du den ganzen Tag allein hier im Haus bist, aber der Typ?“

„Oh, Conner, er ist harmlos“, gab sie zurück und machte eine abwehrende Geste. „Ich habe nicht vor, nochmal zu heiraten, nur dass du es weißt.“

Gut so, dachte Kon bei sich, aber zum Glück schien sein Kopf-zu-Mund-Filter ausnahmsweise zu funktionieren, da er es nicht laut aussprach. „Muss ich anfangen, fremde Männer zu verjagen?“, fragte er stattdessen. „Ich hätte immer gedacht, es wäre Kara—“

Martha lachte so herzhaft, dass sie etwas von ihrer Limonade auf dem Tisch verschüttete. „Ich hoffe ja, Kara wird auch ganz allein mit jeglichen fremden Männern fertig, die sie verjagen möchte. Und ich weiß auch sicher, dass ich das kann. Himmel, so sehr du Clark immer damit aufziehst, wie altmodisch er ist…“

Kon zog den Kopf ein, auf einmal verlegen. Er war ein Superheld, verdammt nochmal. Es war Instinkt. Aber vielleicht sollte er wirklich etwas öfter versuchen, sich selbst daran zu erinnern, dass ‚Jungfrau in Nöten‘ noch nie wirklich auf seine Familie zugetroffen hatte.[/align]

~> tbc in Teil 5


RE: Close To Home (von iesika) | Teil 4/18 - Lossi Kal-El - 04.11.2020

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