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[ab 18!] Close To Home (von iesika) | Teil 5/18 - Druckversion

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Close To Home (von iesika) | Teil 5/18 - tenten31 - 04.08.2020

Freitag

Er wäre am nächsten Morgen beinahe zu spät gekommen, weil die gottverdammte Kuh den gottverdammten Eimer umgestoßen hatte. Und weil sie kaum noch Kaffee hatten. Er rannte bereits los, kaum, dass er hinter einer Reihe von Geschäften gelandet war, die erst in ein paar Stunden öffnen würden. Den restlichen Weg legte er in einer Geschwindigkeit zurück, die zumindest für Menschen möglich war, auch wenn er sich damit wahrscheinlich für die Olympischen Spiele qualifiziert hätte.

Das erste, was er sah, als er zur Schultür hinein stürzte, war Clarences pinkes T-Shirt. Es wäre nicht einmal so schräg, wenn man bedachte, was Kons Freunde regelmäßig trugen, aber Clarence stand vor einem ebenso knallpinken Poster mit Glitzer-Regenbogen.

‚DU BIST NICHT ALLEIN!‘, stand in fetten, schwarzen Großbuchstaben darauf – und darunter stand in kleinerer Schrift: ‚LGBTS-Schüler-Treff: Mittagspause in der Bibliothek‘.

„Oh mein Gott“, stieß jemand aus, der hinter Kon hereinkam.

Clarence funkelte alle Leute auf dem Gang trotzig an, auch wenn Kon auffiel, dass er dabei großartig darin war, mit niemandem direkten Blickkontakt aufzunehmen. Sein Herz raste und am Haaransatz hatten sich einige Schweißtröpfchen gebildet. Kon ging den Gang entlang und auf ihn zu, aber erstarrte, als Clarences Herzschlag nochmals sprunghaft anstieg.

Clarence hatte Angst vor ihm. Plötzlich ergab alles auf widerwärtige Art Sinn. Der Junge könnte Kon nicht von Granny Goodness unterscheiden – klar hatte er Angst. Irgendein größerer und älterer Junge verfolgte ihn in den Gängen und jetzt stand er hier und starrte ihn an, als wäre er Miller oder einer von den anderen Football-Pennern hier.

Kon sank ganz bewusst in sich zusammen, machte sich so klein er konnte, ohne dass es lächerlich wirkte, und sprach so sanft und gedämpft wie möglich: „Ich wollte nur sagen, dass mir das mit Matt leidtut.“

Clarences Augen weiteten sich und er fuhr herum, um Kons Blick zu begegnen; er suchte etwas darin und wartete ganz offensichtlich darauf, dass auch der andere verfickte Schuh fiel.

„Er hat einen echt netten Eindruck gemacht“, fuhr Kon fort, weiterhin gedämpft, „Ich dachte nur, du solltest wissen, dass nicht alle an dieser Schule Riesen-Arschlöcher sind. Und ich verstehe, warum du nicht mit irgendeinem dahergelaufenen Typen reden willst, aber – also, wenn irgendjemand was versuchen sollte, bin ich auf deiner Seite, okay?“

Clarence antwortete nicht – er sah immer noch misstrauisch aus, aber immerhin würde er nicht mehr gleich an Herzversagen sterben.

„Also…“, meinte Kon, als er sich verlegen in Richtung der Naturwissenschafts-Räume entfernte, „Wir sehen uns in der Mittagspause?“ Der Gong ertönte und Kon rannte dankbar zum Unterricht.

Mister Dalton war noch nicht da, aber es gab eigentlich niemanden, mit dem Kon sich gerne unterhalten hätte, weshalb er einfach sein Buch und seinen Ordner hervorzog und anfing, Graphitminen in seinen Bleistift zu laden. Er zerbrach wöchentlich so viele Holzbleistifte, dass Clark sich schließlich erbarmt hatte und ihm mit mitfühlendem Blick einen Druckbleistift aus Titan geschenkt hatte.

Baumhauer saß hinter ihm und unterhielt sich mit zwei anderen Jungs aus ihrer Laborgruppe. Alle drei machten umfassend Gebrauch von Wörtern wie ‚Schwuchtel‘ und ‚Schwanzlutscher‘. Kon saß da und versuchte sie zu ignorieren, bis er realisierte, dass das seltsame Schleifgeräusch, das er hörte, seine eigenen Zähne waren. Er drehte sich um und funkelte sie an: „Hey, wärt ihr so gut?“

Der größte der drei – Smith? Schmidt? – kniff ebenfalls die Augen zusammen. „Wären wir so gut und was?“

„Und seid zum Beispiel keine Vollpfosten“, brachte Kon mühsam hervor. „Habt ihr nichts Besseres zu tun, als über einen Jungen herzuziehen, der gerade jemanden verloren hat, der ihm sehr wichtig war?“

Auf Baumhauers Gesicht erschien ein höhnisches Lächeln und Smith-Schmidt beugte sich auf eine Art über sein Pult, die wahrscheinlich einschüchternd sein sollte, hätte Kon ihn nicht wie ein gottverdammtes Streichholz in der Mitte durchbrechen können. „Was zur Hölle kümmert dich das?“

„Es kümmert mich, weil ich ein anständiger Mensch bin“, gab Kon zurück und stand auf, um ihm in die Augen zu sehen. „Ein Sechzehnjähriger wurde vor vier Tagen nur ein paar hundert Meter von hier brutal zu Tode geprügelt. Das bedeutet dir gar nichts?“

„Doch“, schaltete Baumhauer sich ein und für seinen Gesichtsausdruck hätte Kon ihm am liebsten den dürren, pickeligen Hals umgedreht. „Es bedeutet, es gibt einen weniger von diesen unnatürlichen kleinen—“

Er wurde vom plötzlichen Auftauchen Mister Daltons unterbrochen, der Kon mit einer Hand auf der Schulter behutsam in seinen Stuhl zurück schob. „Es reicht, Thomas.“ Er sprach lauter, zur ganzen Klasse. „Setzt euch alle auf eure Plätze! Laborarbeit ist hiermit gestrichen.“

Die übliche Mischung aus Fröhlichkeit und Enttäuschung war zu hören, als Kons Mitschüler alle zu ihren Pulten trotteten. Dalton ging zurück zur Stirnseite des Klassenzimmers und stemmte die Hände in die Hüften.

„Packt eure Bücher weg“, wies er an, „Denn ganz offensichtlich fehlt da was.“ Kon tat wie ihm geheißen und wenn er sich so in der Klasse umsah, war er nicht der einzige, der verwirrt war. „Ihr werdet nicht abgefragt über diesen Stoff, aber Gott helfe euch, wenn ich den Eindruck habe, dass ihr nicht aufpasst. Also Ruhe bewahren und Ohren spitzen! Das ist vielleicht die wichtigste Stunde, die ich dieses Jahr gebe, weil ihr das ganz offensichtlich von niemandem sonst beigebracht bekommt.“

Kon klappte seinen Ordner zu und stützte interessiert das Kinn auf seine Faust. Er beobachtete, wie Mister Dalton langsam um sein Pult herum ging und seine übliche Vortragshaltung am Whiteboard einnahm, auch wenn er keinen Marker in die Hand nahm.

Nach einer langen Pause, die sie alle unruhig hin und her rutschen ließ, fing er schließlich an: „Ich bin Wissenschaftler. Ich habe mein Bestes getan, euch Kids beizubringen, was das bedeutet, aber lasst mich euch nochmal dran erinnern – es bedeutet: Wenn ich mit einer neuen Situation konfrontiert bin, sammle ich so viele Informationen wie nur möglich, bevor ich mir eine Meinung bilde. Auf das Wesentlichste reduziert, bedeutet das, dass ich alles, was ich euch im Unterricht erzähle, auch mit empirischen Beweisen belegen kann und werde. Glaubt mir also bitte, wenn ich euch jetzt sage, dass Homosexualität ein ganz normaler und natürlicher Teil menschlichen Verhaltens ist.“

Ein paar Schüler murrten unzufrieden.

„Nein. Nein, ihr werdet euch das jetzt anhören. Hört euch die Beweislage an. Keine einzige soziale Tierart zeigt nicht zumindest gelegentlich homosexuelles Verhalten. In sozialen Säugetieren mit Partnerbindung ist sogar ein relativ gleichbleibender Prozentsatz dieser Bindungen gleichgeschlechtlich. Es gibt Studien mit nicht zur Zucht verwendeten landwirtschaftlichen Tieren, mit Pinguinen, mit Menschenaffen… Wir wissen nicht, warum es passiert, aber es ist ein Fakt. Manche Tiere und auch manche Menschen fühlen sich sexuell ausschließlich zu Artgenossen ihres eigenen Geschlechts hingezogen. Im Gegensatz zu allen anderen Tierarten werden die zugehörigen Verhaltensmuster bei Menschen oft durch kulturelle Zwänge unterdrückt – wenn also etwas unnatürlich ist, dann das Unterdrücken. Nicht das Verhalten.“

„Und Sie denken, dass wir uns nicht von Tieren unterscheiden sollten, nicht darüber stehen sollten?“, fragte Baumhauer und in seiner Stimme schwang offene Verachtung mit.

„Wir sind Tiere, Thomas. Wir reflektieren das nur ein bisschen mehr als die meisten anderen Arten. Ich wünschte—“ Er brach ab und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Whiteboard, die Augen geschlossen. „Ich wünschte, ich könnte – ich wünschte, ich hätte genügend Zeit – die geeigneten Mittel und Berechtigungen, damit ihr versteht, wie wunderschön und toll und notwendig es ist, dass wir eben auch nur Tiere sind. Dieses Wissen hat uns aus dem finsteren Mittelalter heraus geführt. Dadurch ist Medizin überhaupt erst möglich geworden.“ Er öffnete die Augen wieder und sein Blick wanderte durch die Klasse. „Keine Hausaufgaben, aber ich gebe euch eine Leseliste mit. Nichts davon ist verpflichtend. Ich kann euch nicht mal Bonuspunkte dafür geben. Aber ich kann zumindest denjenigen unter euch, die es interessiert, die richtige Richtung zeigen.“ Er nahm einen Marker auf und zog die Verschlusskappe ab. „Außerdem will ich, dass ihr wisst, ich bin gerne da für alle von euch, die reden wollen, egal ob das über den Unterricht ist oder—“ Er machte eine kurze Pause, wobei er sich im Raum umsah. „—oder irgendetwas anderes.“

*

Nach dem Unterricht machte Kon einen Umweg über den Eingangsbereich, nur um zu sehen, ob Clarence nochmal dort war. Als er dort ankam, lag das Poster verknittert auf dem Boden, also strich er es wieder glatt und holte etwas Tesafilm aus seinem Rucksack, um es erneut aufzuhängen. Ein paar Leute starrten ihn dabei an und jemand kicherte auch, aber Kon ignorierte sie alle und setzte dann seinen Weg zum Kunstunterricht fort.

Jake saß in seiner üblichen Ecke am hinteren Ende des großen Klassenzimmers. Kon zögerte eine Minute am Materialtisch, bis Jake den Kopf hob und ihm zuwinkte, so dass er sich zu ihm setzte. „Hey“, begrüßte er ihn, als Kon auf einem Hocker auf der anderen Seite des Tischs Platz nahm, „Was geht?“

„Nicht viel“, meinte Kon, während er seinen Malblock und einen Bleistift hervorzog. „Ich hab glaub ich entschieden, dass ich Bio mag.“ Er erstarrte einen Augenblick, sein Blick auf das Deckblatt seines Blocks gerichtet, bevor er sich davon befreite. Er sollte doch eigentlich damit fertig sein, sich mit Luthor zu vergleichen, oder? Er war sich ziemlich sicher, Tim mochte Biologie. Oder zumindest wusste er viel darüber.

Jake lachte, während er seinen Pinsel abwusch und mit einem Papiertuch abtrocknete. „Ich nehm an, das ist gut? Agrarwissenschaft ist echt ätzend. Das meiste vom Stoff weiß ich ja eh schon aus dem Laden. Ist also echt langweilig, aber wir müssen trotzdem diese ganzen dummen Projekte machen.“

Apropos dumme Projekte: Kon blätterte seinen Block durch, bis er die Seite fand, die er brauchte. Sie sollten heute die Aufgabe für diese Woche fertigstellen, und zwar ihre eigenen Hände zu zeichnen. Kon nahm an, dass er fast fertig war, auch wenn seine Zeichnung ziemlich mies war. Außerdem waren die Bleistiftstriche verschmiert und das Blatt zerknittert. Er warf einen Blick hinüber zu Jakes Bild, ein quadratisches, etwa 50x50 cm großes Gemälde in leuchtenden Falschfarben. „Oh, hey“, stieß er aus und beugte sich über den Tisch, „Wow, du bist echt gut!“

Die Hände auf dem Bild waren groß und kantig und männlich, aus den ganzen Schwielen zu schließen klar Jakes Hände. Und sie waren – naja, nicht wirklich fotorealistisch, aber sie waren genau richtig proportioniert und alles, im Gegensatz zu Kons dummer Zeichnung mit ihren riesigen Daumen. Sie waren von bunten Farben durchzogen, fast als hätte er seine Hände in Farbe getaucht und sie einfach daran herunter rinnen lassen, was die Konturen und die Form der Finger noch hervorhob, erst recht gegen den dunklen Hintergrund, der die Farben richtig leuchten ließ. „Äh, danke“, antwortete Jake und senkte verlegen den Kopf.

„Nein, ehrlich!“ Kon stand auf und stellte sich hinter Jake, um ihm über die Schulter sehen zu können. „Wo hast du gelernt, so zu malen?“

„Indem ich… einfach rumprobiert hab. Ich hab außer dem Unterricht hier nie irgendwelche Stunden oder so gehabt. Es ist… naja, eigentlich bescheuert?“

„Was? Was ist bescheuert?“

„Na der ganze hochtrabende Bullshit über—“ Jake hob seine farbverschmierten Hände und deutete ironische kleine Anführungszeichen an. „—Stil und Flow und das Ganze. Ich mein—“ Er kratzte sich an der Wange und hinterließ eine blassblaue Spur. „Es macht Spaß? Wie – wir haben doch als Kinder alle mit Fingerfarben und so gespielt, oder? Und mit Kreiden auf dem Boden rum gemalt und unsere Eltern mussten uns beibringen, dass wir die Wände nicht anmalen sollen und so?“

Kon nickte, als hätte er auch nur den Hauch einer Ahnung davon.

„Ich fühl mich ein bisschen so, als ob die anderen Kinder dem entwachsen sind und lieber sowas wie Sport und so machen wollten. Und ich selber bin da irgendwie hängen geblieben. Nell fand das immer toll. Sie kauft mir auch Farben und alles, weil es doch recht teuer ist. Also hab ich ihr ein paar Sachen für ihr Diner gemalt. Manchmal hängt sie auch im hinteren Teil Sachen von mir auf, die ich vielleicht verkaufen kann.“

„Das ist so cool“, meinte Kon nachdrücklich. Bart konnte richtig, richtig gut zeichnen – und natürlich auch richtig schnell. Und Tim konnte auf die Schnelle diese mathematisch genauen Diagramme und Schaubilder aus dem Ärmel schütteln. Selbst Cassie zeichnete manchmal diese niedlichen kleinen Comics, wenn ihr bei einer Besprechung langweilig war. Alle seine Freunde konnten gut zeichnen und sie alle zeichneten gerne – und bevor er gesehen hatte, was seine Mitschüler so mitbrachten, hatte er sich auch da immer wieder mal gefragt, ob ein Teil seiner Programmierung  fehlte, oder ob seine klobigen Hände nicht einfach nur zu riesig und zu ungeschickt waren, um irgendetwas zu erschaffen, was nicht Prellungen waren.

„Ist ja nicht so, dass ich denk, ich könnte damit wirklich Geld verdienen oder so“, fügte Jake hastig noch hinzu, „aber ich kann inzwischen den Großteil meiner Farben und Sachen selber kaufen, ohne dass dafür das Geld draufgeht, das ich im Laden verdien.“

„Nein, ganz ernsthaft, das ist super“, beharrte Kon. Er blickte finster zu seiner eigenen Skizze. „Ich bin da ein ziemlich hoffnungsloser Fall.“

Jake schüttelte den Kopf. „Jeder hat unterschiedliche Talente. Euer Garten sieht toll aus.“

„Das bin nicht ich, das ist Ma. Ich mach einfach nur, was sie sagt. Ich bin sozusagen der Mann fürs Grobe.“

Jake gab ein nachdenkliches kleines Brummen von sich, das Kon ein wenig an Tim erinnerte. „Okay, gut. Was machst du denn dann gerne so?“

Kon erlebte einen abrupten und absurden Moment der Panik. Jake hatte nur nach seinen Hobbys gefragt, verflucht nochmal. Er könnte sich irgendwas aus den Fingern saugen. Und wie er das konnte. „Ähm“, fing er an, „Ma hält mich ziemlich beschäftigt.“

„Ja, aber am Wochenende oder so. Was machst du so mit deinen Freunden?“

Oh Gott, es wurde immer schlimmer! „Ich… hab nicht viele Freunde.“ Was ihn wie einen absoluten Verlierer klingen ließ. „Also ich mein, hier. Ich – die meisten meiner Freunde wohnen nicht hier.“

„Oh“, machte Jake, „also, vielleicht können wir ja mal was zusammen machen?“ Er sah nicht von seinem Bild auf, aber Kon grinste ihn trotzdem an.

„Klar“, antwortete er, „Das wär cool.“

*

Kon kam absichtlich ein wenig später zu dem Treffen, so dass er sich nicht unter die Leute mischen musste. Mathe stellte da eine ziemlich gute Ausrede dar, weil er darin sowieso so verdammt langsam war, und dann hielt er auf dem Weg noch kurz an, um Mister Dalton nach einem guten Anatomiebuch zu fragen. Er erfand etwas über den Kunstunterricht und Dalton fragte nicht nach – er kritzelte lediglich einen Buchtitel auf ein Schmierblatt und klopfte Kon auf die Schulter, bevor er seinen Weg ins Lehrerzimmer fortsetzte.

Als er es nicht mehr länger aufschieben konnte, schlich er sich so leise er konnte in die Bibliothek und hielt auf die offene Fläche im hinteren Teil zu. Die Bibliothekarin sah mit hochgezogener Augenbraue zu ihm und Kon zog Kopf und Schultern ein, als er an ihrem Schreibtisch vorbei ging. Er konnte Clarence sprechen hören, also wandte er sich dorthin und schnappte sich ein Buch, als er ans Ende der Bücherstapel kam. Mit dem geöffneten Buch als Tarnung trat er ein wenig näher an das Ende der Regalreihe und spähte dahinter hervor.

Der Lesebereich war so umgestellt worden, dass alle Tische gegen eine Wand geräumt waren und alle Stühle in ordentlichen Reihen standen. Die Stuhlreihen waren vielleicht zur Hälfte gefüllt und Kon erkannte nur ein paar der Leute dort wieder. Delilah saß am ihm zugewandten Ende der vordersten Reihe. Sie sah auf, als er sich näherte und ihre Augen weiteten sich kurz, bevor sie ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem kleinen Lächeln bedachte. Clarence stand vor der Gruppe und hielt einen Moment inne, als er Kon sah, um ihm zur Begrüßung zuzunicken, bevor er fortfuhr.

„Seht euch doch einfach mal um“, sagte er und deutete auf das gute Dutzend Schüler, die sich hier versammelt hatten. „Sie wollen, dass wir glauben, wir sind allein, aber das sind wir nicht. Ich könnte wetten, jeder und jede hier kennt noch mindestens eine Person, die gern gekommen wäre, aber Angst hat, sich zu outen.“

Ein leises Murmeln setzte ein und ein paar Leute rutschten auf ihren Stühlen hin und her.

„Wenn die Lehrer und die anderen Schüler und die Eltern und die Polizei und alle anderen, wenn die wüssten, wie viele von uns es hier wirklich gibt, meint ihr nicht, dass sie uns dann ein wenig anders behandeln würden? Matt und ich wussten, dass es hart wird, als wir uns geoutet haben, aber wir haben wirklich auch gehofft, dass wir es für ein paar von euch einfacher machen würden, euch dem auch zu stellen.“

Ein schmaler, dunkelhaariger Junge weiter hinten verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja klar“, sagte er überzogen deutlich, „Weil ihr beide ja so gut aufgenommen worden seid, dass der Rest von uns das Coming-out kaum erwarten konnte.“

Clarence räusperte sich, aber die Antwort kam von Delilah, als sie sich mit den anderen in ihrer Reihe zusammen umdrehte, um dem Zwischenrufer zu begegnen. „Wenn du jemals geglaubt hast, dass dich jemand für hetero halten könnte, Chase, bist du echt dümmer als du aussiehst.“

„Oooh“, machte Chase, „sagt mir ausgerechnet die kleine Miss Butch.“

„Leute!“, schaltete Clarence sich dazwischen. Die anderen wandten sich wieder nach vorne und er seufzte. „Ich denke, ihr versteht das hier gerade falsch. Matt war immer der politisch Engagierte. Ich bin nicht gut mit sowas. Aber wir müssen irgendwas tun und ich glaub, im Moment ist alles, was wir tun können, aufeinander aufzupassen – und vielleicht unsere Sichtbarkeit etwas zu erhöhen, damit sie uns nicht mehr für einfache Opfer halten. Mel hatte da eine Idee dazu.“ Er sah hinüber zu einer kleinen, pausbäckigen Asiatin am anderen Ende der vordersten Reihe. „Willst du‘s erklären?“

Sie nickte und stand auf, um sich vor die Gruppe zu stellen. „Ich denke, wir müssen zu dem Ball gehen“, fing sie an, „Alle von uns und so viele Schüler von außerhalb, wie wir Date-Tickets bekommen können. Matt und Clarence sind zusammen zum Weihnachtsball gegangen und da hat alles angefangen. Idealerweise können wir noch dafür sorgen, dass jemand von der Zeitung oder vom Fernsehen drüber schreibt. Vielleicht können wir alle die gleichen Blumen tragen oder so – eben ein Zeichen setzen.“

„Hört sich gut an“, meinte Delilah mit einem schelmischen Grinsen, „Es ihnen etwas unter die Nase zu reiben.“

„Sie daran gewöhnen“, stimmte Clarence zu.

„Aber wir müssen trotzdem sicher sein“, fuhr Mel fort, „Wenn wir als Gruppe auftreten, ist es weniger wahrscheinlich, dass sie uns belästigen. Deshalb wäre es sinnvoll, ein Buddy-System einzurichten.“

„Willst du mein Buddy sein, Hamilton?“, fragte Chase halblaut den Jungen neben ihm. Hamilton zeigte ihm den Mittelfinger, ohne ihn auch nur anzusehen.

„Willst du, dass sie denken, wir haben Angst?“, fragte Delilah, „Jegliche Schwäche, die wir zeigen—“

„Ich denk ganz und gar nicht, dass es komisch aussehen wird“, unterbrach Mel sie, „Ich red nicht von Trillerpfeifen und Erkennungs-Armbändern, Lilah. Ich denk nur, wir sollten einfach alle aufpassen, dass sie uns nicht allein erwischen. Dass wir also zum Beispiel in Gruppen aufs Klo gehen. Oder uns vielleicht gegenseitig zum Unterricht begleiten, wenn jemand zu Werken oder Band oder in eins der anderen Nebengebäude muss. Wer hier macht Sport?“

Ein paar Leute hoben die Hände, unter ihnen Hamilton.

„Sucht euch jemanden von eurem Team, dem ihr vertraut und bleibt immer in Sichtweite mit ihnen. Katie und ich sind in der Marching Band und damit nach dem Unterricht ebenfalls noch auf dem Schulgelände. Und habt alle eure Handys immer griffbereit, für alle Fälle.“

Ein Junge in der vordersten Reihe hob zögerlich die Hand. „Glaubst du wirklich, dass wir in Gefahr sind?“

Die Frage war an Mel gerichtet, aber die Antwort kam von dem blonden Mädchen neben ihr: „Zumindest bis sie diesen Bastard gefasst haben. Es ist in der Schule passiert. Das bedeutet, wir sind hier nicht sicher.“ Sie sah zu Mel, die bestätigend nickte.

Clarence räusperte sich. „Und selbst wenn sie ihn fassen. Ich will ganz ehrlich sein mit euch… Ich bekomme seit Weihnachten immer wieder mal Drohungen, seit gestern allein waren‘s schon mehrere. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie viele Leute mich einfach nur schikanieren. Ich versteh vollkommen, wenn jemand aussteigen will, aber ich denke wirklich, dass wir als Gruppe sicherer sind. Ich mein, zwei Leute können sich gegenseitig den Rücken freihalten.“ Sein Blick wanderte über die kleine Ansammlung aus Schülern, während er redete, wobei sein Ton immer zuversichtlicher wurde. „Zehn Leute lassen diese Dreckskerle es sich zweimal überlegen. Zwanzig oder dreißig Leute und wir können alle umstimmen. Wir könnten uns organisieren – uns wehren—“ Sein Blick zuckte nach oben, über die letzte Reihe hinaus und er verstummte.

„Das hört sich ziemlich militant an, Mister Moore“, erklang die Stimme eines Erwachsenen und Kon sah zwischen den Bücherstapeln hindurch Rektor Cross bei den Neuzugängen stehen, die Arme vor dem Körper verschränkt. Er war noch nicht dort gestanden, als Kon hereingekommen war und Kon stellte betreten fest, dass er nicht bemerkt hatte, wann er sich genähert hatte.

Clarence biss die Zähne zusammen und Kon konnte sie gegeneinander knirschen hören. „Sir“, gab er nach einem Augenblick zurück.

Cross schüttelte den Kopf. „Ich verstehe ja, dass du wütend bist, Junge, aber ich kann nicht erlauben, dass diese… Gruppierung… sich weiterhin trifft.“

Clarence blieb stumm. Delilah allerdings sprang von ihrem Stuhl auf und fuhr Cross an: „Wir haben nichts getan!“

Cross schien unbeeindruckt. „Ich kann leider keine Organisationen auf dem Schulgelände erlauben, die den Schulbetrieb stören oder die Sicherheit der Schüler gefährden würden.“

„Wir sind nicht diejenigen, die hier irgendwen gefährden“, gab sie zurück, „Bestrafen Sie gefälligst nicht uns!“

„Das hier ist keine Bestrafung, Miss Roberts. Es tut mir leid. Ich kann Ihnen diese Treffen nicht erlauben.“ Er machte eine scheuchende Handbewegung zu den noch Sitzenden. „Gehen Sie alle in Ihre Klassen, der Unterricht fängt bald wieder an.“

„Wenn noch jemand verletzt wird“, sagte Clarence mit leiser, emotionsloser Stimme, „hoffe ich, dass Sie sich dafür niemals vergeben können. Ich werde es nämlich nicht tun. Selbst wenn ich nicht derjenige sein sollte, der angefallen wird.“

Cross sah aus, als hätte er einen Schlag abbekommen. Einen langen Augenblick starrten er und Clarence sich nur gegenseitig an, bevor Clarence ohne dabei wegzusehen meinte: „Ihr habt den Mann gehört. Das Treffen ist beendet.“

Leiser, grummelnder Protest war zu hören, aber niemand sagte wirklich etwas, während alle ihre Schultaschen schulterten. Clarence und Delilah waren stinksauer und Mel sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen, aber die meisten anderen schienen resigniert – als wäre das in etwa das, was sie erwartet hatten.

Während die anderen Schüler die Bibliothek verließen, hielt Cross auf Clarence und Delilah zu. „Ich kann Sie nicht davon abhalten, sich außerhalb des Schulgeländes zu treffen, aber ich würde sehr davon abraten. Sie spielen hier mit dem Feuer und am Ende wird noch jemand verletzt. Sie können hier nichts veranstalten. Keine Poster, Handzettel, Petitionen, Flugblätter oder was auch immer. Verstanden?“

Clarence drehte sich einfach um und ging. Delilah sagte etwas, das ihr Nachsitzen einbrachte und Cross‘ Gesicht puterrot werden ließ.

Kon seufzte tief  und schob sein Buch zurück ins Regal. Einen Moment stand er einfach da, starrte auf die Buchrücken und hasste Smallville High noch mehr, als er durch eine Lücke zwischen den Büchern eine Bewegung wahrnahm. Er schob ein paar Bücher zur Seite – und seine Augenbrauen wanderten in die Höhe.

Auf der anderen Seite des Regals wanderten Jakes Augenbrauen ebenfalls nach oben und seine Augen weiteten sich.

*

Delilah war nicht zu Englisch erschienen, was Kon genug Sorgen bereitete, dass er Miss Harris ignorierte und sie mit seinem Supergehör zu orten versuchte. Er konnte sie nirgends auf dem Schulgelände ausmachen, sie musste also nach der Konfrontation mit Cross gegangen sein. Als er sie nicht fand, streckte er seine Sinne noch ein wenig weiter aus, um zu sehen, wen er stattdessen finden konnte. Clarence schien ebenfalls nirgends zu sein, aber Mel arbeitete an einer Gruppenarbeit für Dr. Marcus. Jake – und was für eine Überraschung das gewesen war – war im Werkraum, was Kon ein wenig beunruhigte, bis Hamilton ihn nach einem Schraubenschlüssel fragte.

Chase war in den Toiletten bei der Aula, die kaum benutzt wurden. Kon war sich nicht sicher, aber vermutlich rauchte er eine Zigarette. Dem Gespräch nach zu urteilen, das er an seinem Handy führte, sollte er eigentlich im Sportunterricht sein, aber hatte das Gebäude seit Dienstag nicht mehr betreten.

Kon vergaß völlig die Zeit, hörte einfach nur zu und streckte sein Supergehör so weit aus, wie er eben konnte. Rektor Cross blieb in seinem Büro, aber er bekam zwei Anrufe von Eltern, die sich um die Sicherheit ihrer Kinder sorgten, und einen offen feindseligen Anruf von jemandem, der ihn nach dem Mord fragte und den er an die Polizei weiter verwies. Den Club erwähnte er gegenüber niemandem.

Jake ließ etwas mit metallischem Klirren zu Boden fallen und fluchte leise. Chase verabredete sich für Samstag zu Drinks in Topeka mit einem Typen namens Rico. Mel zog am Reißverschluss ihres Rucksacks.

Der Gong ertönte und Kon schrie auf, als er sich die Arme über den Kopf riss. Als das Klingeln aufhörte und der Schmerz langsam nachließ, bemerkte er, dass ihn alle auslachten, als sie das Klassenzimmer verließen. Besonders Miller schien ihn zum Brüllen komisch zu finden.

„Verzeihung, Mister Kent“, merkte Miss Harris spitz an, während sie ihren Zeigestab rhythmisch gegen ihre Handfläche schlug, „habe ich Sie etwa gelangweilt?“

*

Tim hatte einmal versucht, ihm Yoga zu erklären, damals als er einfach nur Robin gewesen war und Kon ihn in einer ruhigen Ecke der Höhle in Happy Harbor wie eine Brezel verknotet vorgefunden hatte. Er hatte ihm was von Muskelgedächtnis und seinem Diaphragma erzählt – was ihn verdammt verwirrt hatte, bis Kon verstanden hatten, es ging nicht um Verhütung. Dann hatte er sich wieder auseinander gefaltet und einige Tai-Chi-Taolu vorgeführt. Er hatte sie beim ersten Durchlauf langsam gemacht, sich deutlich darauf konzentriert, jede einzelne Bewegung ganz exakt auszuführen, bedacht und sehr bewusst. Dann hatte er die Bewegungen so schnell wiederholt, dass er dabei die Luft mit einem Pfeifen durchschnitt, er hatte getreten, geschlagen, sich um die eigene Achse gedreht, sich geduckt und Kon ganz genau gezeigt, was diese langsamen Unterwasser-Bewegungen wirklich machten.

Tim hatte es ‚körperliche Meditation‘ genannt und erklärt, dass es manchmal die einzige Möglichkeit war, wie er seinen Kopf leer genug bekam, um denken zu können. Kon hatte nicht die leiseste Ahnung gehabt, wovon er redete, bis er auf die Farm gezogen war.

Den Boden zu lockern und die Komposterde und Asche einzuarbeiten, verlangte ihm jedes kleine Bisschen Konzentration ab, das Kon aufbringen konnte. Zum ersten Mal seit er nach Hause gekommen war und Martha am Tisch vorgefunden hatte, dachte er nicht an den Fall. Er dachte nicht an Matt und nicht an seinen Gesichtsausdruck, als er von hinten angegriffen worden war. Er dachte nicht an seine trauernde Mutter oder seinen schuldzerfressenen Vater. Er dachte nicht an Clarence mit Matts Kissen eng an sich gedrückt. Oder das verdammte Huhn oder den Club oder Cross oder Chase, der sich auf der verdammten Toilette versteckte, oder irgendwas anderes davon.

Stattdessen konzentrierte er sich darauf, den Schwefel in die Erde um die winzigen Salat- und Blumenkohl-Sprösslinge einzuarbeiten, ohne dabei ihre zerbrechlichen, dünnen Wurzeln zu beschädigen. Er grub die Erde Stück für Stück um, erspürte vorsichtig die Bewegungen der Regenwürmer und mischte sie dann mit der Komposterde, die er darauf verteilt hatte. Er lockerte den Boden des Felds, wo er die Steckrüben geerntet hatte und streute großzügig Fischmehl darüber, für den Mais. Schließlich richtete er sich auf, schüttelte sich den Schweiß aus dem Gesicht und wischte sich die dreckigen Hände an seinen ebenso dreckigen Shorts ab.

Während er gearbeitet hatte, hatte Martha die Setzlinge nach draußen gestellt, so dass er sie jetzt dorthin schweben ließ, wo sie die Erbsen abgeerntet hatten. Dann begann er vorsichtig, Tomaten, Gurken und gelbe Kürbisse aus ihren Pappbechern in kleine Vertiefungen in der Erde umzusetzen. Die kleinen Pflänzchen waren direkt auf der vorderen Fensterbank gestanden, bis sie auch hinaus in die Sonne und den Regen konnten. Martha hatte jede einzelne davon mit Liebe groß gezogen, bis sie groß genug war, um von allein stehen zu können. Und jetzt, wo sie in die Welt hier draußen entlassen wurden, würde Kon sich um sie kümmern. Er band jede Ranke mit einem Stück Garn am Rankgitter fest und als er schließlich fertig war, ließ er sich rücklings ins Gras fallen und begutachtete sein Werk – so erschöpft, als hätte er zehn Runden gegen Metallo gekämpft, wenn ihm auch vielleicht nicht alles ganz so wehtat.

Unter ihm konnte er die Regenwürmer durch den Boden donnern hören. Wenn er sich konzentrierte, konnte er spüren, wie kleine Härchen bei ihrem mühsamen Weg an der Erde entlang fuhren, wie sie die Erde umwühlten, ohne je anzuhalten.

Was machte er hier eigentlich? Kon war kein Detektiv. Er wusste, dass er nicht dumm war, aber verglichen mit Leuten wie Tim und Dick hätte er genauso gut ein sabbernder Schwachkopf sein können, wenn es um Detektivarbeit ging. Er war weder darin ausgebildet noch hatte er Erfahrung darin, geschweige denn die Ausrüstung, um einen solchen Fall zu lösen. Kon war der Mann fürs Grobe. War er schon immer gewesen. Tim knobelte aus, was getan werden musste, dann würde Cassie Kon zeigen, wo der Bösewicht war und er würde sein Bestes geben, um ihn zu Brei zu schlagen, während die Anderen das taten, was nötig war, um die Situation zu lösen.

Bart hatte früher auch diese Rolle eingenommen. Robin und Wonder Girl gaben Befehle – in kurzen, präzisen Sätzen – und Impulse stürzte sich ins Geschehen und band dem Bösewicht die Schuhbänder zusammen oder positionierte eine Sprengladung oder verwirrte ihre Gegner lange genug, so dass Kon draufhauen konnte. Aber Bart hatte sich verändert, schon lange vor Kons Tod, und jetzt war er auch schlau und besaß jede Menge Wissen, mit dem er seine spontanen Entscheidungen auch verargumentieren konnte. Kon hatte ziemlich lange gebraucht, um sich daran zu gewöhnen, dass Kid Flash nicht dieselbe Art von Superheld war wie Impulse. Kon hatte nicht das einzige Kind in einem Team aus Erwachsenen sein wollen.

Aber wer sagte, dass er zurückgelassen werden musste? Impulse war erwachsen geworden. Sie hatten gedacht, das wäre unmöglich, aber er hatte es getan. Er hatte den einfachen Weg verlassen und war auf die Überholspur gerannt – und inzwischen hatte er niemanden mehr nötig, der ihm sagte, was er zu tun hatte, oder wohin er zu laufen hatte oder überhaupt. Als er gestorben war, war er der Flash gewesen. Er hatte das gesamte Vermächtnis des Blitzes auf seinen Schultern getragen, als hätte er es sich verdammt nochmal auch verdient – und er hatte es sich auch wirklich verdient.

Kon hatte erwartet, dass Tim herein rauschte und seine Probleme für ihn löste, aber das würde nicht passieren. Tim hatte viel zu tun, war immer vielbeschäftigt und hatte überhaupt auch seine eigene verrückte Stadt, um die er sich kümmern musste. Smallville war Kons Heimat. Also war er auch dafür verantwortlich. Es war seine Aufgabe, es zu schützen, selbst wenn er sich allein darum kümmern musste. Wenn das hieß, dass er eine andere Art von Held werden musste, dann in Ordnung, dann würde er das tun. Superman wartete auf niemanden, der ihm sagte, worauf er einschlagen sollte. Warum sollte Kon also? Und wenn er irgendwelche hinderlichen Gene von Luthors Seite mitbekommen hatte, dann waren das verdammt nochmal bestimmt keine dummen Gene, oder?

Es war ja nicht mal so, dass er noch nie einen Meisterdetektiv in Aktion erlebt hätte. Er war schon so oft Tims Verstärkung gewesen, dass er gar nicht mehr zählte. Er hatte die schreienden Horden des Bösen zurückgehalten, während Tim tupfte und mit der Pinzette hantierte und sammelte und befragte. Vielleicht wusste Kon nicht, wie man aus Fingerabdrücken und Teppichfasern heraus jemanden identifizierte, aber er konnte die Beweise verflucht nochmal sammeln, oder?

Ha! Er könnte Tim als besseren Labortechniker nutzen. Das wäre doch eine nette Umkehrung.

„Okay“, meinte er und drehte sich so, dass er den wolkenlosen blauen Himmel sehen konnte. „Was weiß ich schon?“ Ein paar Krähenrufe waren von irgendwo hinter der Scheune zu hören, aber blieben die einzige Antwort. Kon schloss die Augen und dachte nach, wobei er darauf achtete, jegliche Vermutungen zu vermeiden, genau so wie Tim es ihm gesagt hatte.

Matt war nach der letzten Unterrichtsstunde in der Umkleide getötet worden. Er war schwul, was das Mordmotiv sein konnte oder auch nicht. Er hatte einen schweren Schlag auf den Kopf abbekommen, was ihn auf der Stelle getötet und zu Boden sinken lassen hatte. Aber wer auch immer ihn ermordet hatte, hatte weiter mit seinen – oder ihren, fügte Kon im Geiste hinzu – Händen und Füßen auf ihn eingeschlagen, bis er nur noch Brei gewesen war. Es war alles sehr schnell gegangen und niemand hatte etwas gehört – außer es gab Augenzeugen, die einfach nichts sagten, was sein konnte, wenn ein furchteinflößender, verrückter Meta sie bedroht hatte.

Es gab eine Vorgeschichte mit seinem Dad, aber der Dad war fein raus, weil er kein Meta war. Er hatte einen festen Freund gehabt, mit dem er sehr eng gewesen und dem er, zumindest laut der Mutter, treu gewesen war. Seine beste Freundin konnte ziemlich schnell hochgehen und war diejenige gewesen, die die Leiche gefunden hatte. Er war bereits geoutet gewesen. Er war, naja, ein etwas schmächtiger Junge gewesen, eher dünn und körperlich nicht sonderlich einschüchternd.

„Shit!“, murmelte Kon. Es hätte echt jeder gewesen sein können. Die Umkleiden waren während der Schulzeit allen zugänglich und selbst danach waren sie offen für das Kommen und Gehen beim Training der Sportmannschaften. Und das Training fing nie direkt nach dem Unterricht an, aber viele der Jungs zogen sich schon um oder liefen ein paar Runden oder stemmten Gewichte, während sie warteten.

Kon öffnete abrupt die Augen.

~> tbc in Teil 6