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A/N:Die folgende Vignette entstand im Rahmen des Tropetobers 2020 zum Prompt
(11) Feststecken im Aufzug. Ich fürchte fast, dass das Ende etwas gerusht wirkt, doch die Story entwickelte sich schnell aus dem Rahmen heraus, den ich ihr eigentlich geben wollte. Sicherlich schreit es nach einer Überarbeitung
Falls "Mozart in the Jungle" nicht bekannt sein sollte, anbei eine warme Empfehlung für Serie: Eine tolle Serie für alle, die Spaß an (klassischer) Musik haben! Die Story setzt im Anschluss an die vierte, abschließende Staffel an: Die Oboistin Hailey hatte sich als Dirigentin auf die Spuren Rodrigos begeben. Beide führten innerhalb der Serie noch eine Beziehung, trennten sich jedoch zum Ende, obgleich sie sich künstlerisch jederzeit unterstützten - zuletzt übergab Rodrigo Hailey die Leitung der der New Yorker Symphoniker für eine namenhafte Uraufführung, während er sich selbst der Aufgabe gegenüber sah, endlich etwas zu tun - Musik um der Musik willen zu machen und nicht wegen des Ruhmes.
I'll Maestro? La Maestra!
Mit einem Seufzen betrat sie den Aufzug. Das Meeting war vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Aber wie hätte sie sich auch darauf vorbereiten können, ihm ausgerechnet hier und ausgerechnet heute wieder über den Weg zu laufen? Gar nicht, denn es hatte wohl keiner für nötig befunden sie vorzuwarnen.
Hatte sie sich in den letzten Jahren nicht auch einen Namen als Dirigentin gemacht? War sie nicht mittlerweile weit mehr als die kleine Assistentin des großen Rodrigo de Souza?
Und wo war er eigentlich gewesen?
Abgetaucht!
Beinahe zwei Jahre hatte man nichts von ihm gehört. Wo sie auch hingekommen war, war sein Name in aller Munde gewesen, obgleich immer ein schwellender Unterton immenser Enttäuschung mitgeschwebt war.
Und nun saß er einfach da…
Sah sie an, als sie nie etwas geschehen; als sei er nie fort gewesen; als sei er nie einfach untergetaucht; von der Bildfläche verschwunden?
Wutentbrannt stürmte Hailey mit ihrem Oboenkoffer in Aufzug, dreht sich ruckartig auf dem Absatz um und suchte noch in voller Aufregung mit fahrigen Fingern nach dem Knopf, der sie zum Erdgeschoss befördern würde. Ungeduldig drückte sie Knopf nicht einmal, sondern nochmals – immer wieder, in der Hoffnung, dass sich die Türen schneller schließen würden, als Rodrigo ihr folgen konnten.
„CHAILEI! CHAILEIII“, rief er ihr auf seine eigene, charakteristische mit mexikanischem Akzent geprägt Art und Weise zu. Der kleine Mann stürmte ihr noch, doch die Tür schlossen sich bereit. Schnell genug waren sie jedoch nicht und ehe sich Hailey versah, nahm sie eine Hand zwischen den Türen war, die den Sensor aktivierten.
Die Türen öffneten und Rodrigo gesellte sich zu ihr in den Aufzug. Nervös und etwas verhalten stellte er sich neben sie; kreiste mit den Schultern, wippte ein wenig nach vorn und nach hinten. Hailey richtete ihren Blick stur nach vorn und nahm sich fest vor, Rodrigo keine Angriffsfläche zu bieten. Dennoch registrierte sie seine Blicke, die erst ihr galten und dann den Fahrstuhlknöpfen. Noch immer leuchte der E-Knopf in einem hellen, grellen Licht und verriet ihr Ansinnen, die Flucht zu ergreifen und das Weite zu suchen – am besten soweit weg wie möglich.
Wieder ein Räuspern. Der ehemalige Star-Dirigent beugte sich vor und drückte seinerseits auf die E-Taste- einmal, zwei mal.. mehrmals. Die Tür schloss sich.
Sie waren allein.
Mit einem Ruck setzte sich der Aufzug in Bewegung und fuhr sie hinab – dem befreienden Ausgang entgegen. Wie lange konnte das schon dauern? Eine Minute? Maximal zwei Minuten, wenn überhaupt.
„Chailei“, setzte Rodrigo beschwörend an, ehe er sich ihr vollends zuwandte.
Er war über einem Kopf kleiner als sie.
Das hatte sie beinahe vergessen, versuchte sie sich einzureden. Dabei fühlte es sich an, als hätte sie sich gestern zum letzten Mal gesehen. Unsicher wagte sie es, einen Blick zu Seite zu werfen, ehe sie ihn doch wieder stur der Tür vor ihr zuwandte und ihre Haltung korrigierte.
„Chai…“
Der Aufzug ruckelte mehrmals heftig, sodass einerseits Rodrigo unterbrochen wurden (was Hailey nur recht war) und andererseits sie selbst aus dem Gleichgewicht brachte (was ihr ganz und gar nicht recht war). Verunsichert blickte sich die Oboistin um, sah hinauf zu decke und registrierte dann erst, was fehlte…
…. Bewegung.
„Stecken wir fest?“ rutschte es ihr heraus, während sie sich mit aufgerissenen Augen umsah.
Sie steckte fest?
Im Aufzug?
Ausgerechnet mit ihm?
„Ja, Chailei… Wir“, und Rodrigo blickte sich ebenfalls, einmal um die eigene Achse drehend, um.
„Wir stecken fest… in diesem, diesem Aufzug… Ai… Chailei… das ist nicht gut. Das ist ganz und gar nicht gut“, plapperte er und drehte sich immer noch ein wenig weiter.
„Ich weiß, Rodrigo!“ erwiderte sie schon deutlich aufgeregter, während sie sich dem Notrufknopf zuwandte.
Es dauerte einige Minuten, ehe sich jemand durch das Mikrofonrauschen hindurch meldete. Ein unmotiviertes Nuscheln war zu vernehmen.
„Hey! Können Sie uns hier herausholen? Bitte? Wir“, Hailey blickte zur Etagenanzeige, „stecken zwischen Stockwerk sechs und sieben. Bitte!“
„Eine Stunde“, kam nur zurück und ließ Hailey verdattert zurück.
„Eine Stunde“, wiederholte sie und drehte sich wieder zu Rodrigo um. Sachte ließ sie sich auf den Boden gleiten und wirkte müder als je zuvor.
„Chailei…“, setzte Rodrigo nach einer Pause an, in der er vermutlich selbst hatte einordnen müssen, was das bedeutete. Schnell erhob Hailey ihre Hand und ließ ihn verstummen.
„Kein Wort! Ich will nichts hören!“ erwiderte sie missmutig und freundete sich schon mit dem Gedanken an, dass sie Ihr Vorspielen am anderen Ende der Stadt vermutlich nicht mehr schaffen würde. Zwei vergeigte Termine an einem Tag und eine Stunde im Aufzug mit einem egoistischen, verrückten, unzuverlässigen, ehemaligen Star-Dirigenten mit Höhenflügen… Exfreund. Dabei war es lange her… lange genug.
„Was wolltest du da eigentlich? Du warst zwei Jahre lang verschwunden!“
„Ich war nicht… verschwunden. Ich habe komponiert… bin gereist“.
„Und plötzlich willst du meinen Job?“
„Nein Chailei. Oh, Chailei…“, er schüttelte den Kopf.
„Ich wollte dich… als Dirigentin für das Konzert“.