15.01.2021, 21:25
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A/N: Dann poste ich das hier auch endlich mal - die Story geschrieben habe ich damals im November 2019, auch wenn ich seitdem einiges daran noch hier und da hin und her geschoben habe. Aber irgendwann muss es auch mal gut sein. Vielen lieben Dank an Estefania für die Beta!
What Happens In Vegas
Blue hatte bisher nur Geschichten über ihn gehört: Richard Campbell Gansey III, Codename King, einer der Top-Männer in F.O.X., der Field Operative Expedition. In diesen Geschichten könnte man meinen, er wäre magisch begabt, so viel wie er bereits erlebt und überlebt hatte. Richard C. Gansey III war praktisch in eine Spionage-Dynastie hineingeboren. Natürlich gab es auch hierüber mehr als genug Gerüchte: Dass er schon als Kleinkind regelmäßig an Lügendetektoren angeschlossen worden war, um seine Körperfunktionen kontrollieren zu lernen. Dass sein Vater, Richard Gansey II, ihn bereits im zarten Alter von zehn Jahren auf mehrere seiner Missionen in aller Welt mitgenommen hatte. Dass er mindestens acht Sprachen akzentfrei und auf Muttersprachler-Niveau sprach, sowie noch eine ganze Menge anderer Sprachen auf Konversations-Niveau.
Und dass er seit einem gemeinsamen Afghanistan-Einsatz vor etwa eineinhalb Jahren mit einem weiteren der Top-Männer der F.O.X. Blutsbruderschaft geschworen hatte: Ronan Lynch, Codename Greywaren – der, wenn man den Gerüchten Glauben schenken wollte, der Sohn des Teufels persönlich war. Die beiden jungen Männer waren bereits zuvor ein gutes Team gewesen, doch seitdem waren sie angeblich unzertrennlich.
Einzig der Dritte im Bunde hatte dieses Tag-Team wohl ein wenig aufgebrochen: Adam Parrish, Codename Magician. Im Gegensatz zu den anderen beiden hatte seine Familie zuvor nichts mit Geheimdienst-Arbeit zu tun gehabt; im Gegenteil. Es war ein offenes Geheimnis, dass ausgerechnet Ronan Lynch den illegalen Machenschaften Parrish Seniors ein Ende bereitet hatte. Adam Parrish selbst war es schließlich allerdings gewesen, der ihn dingfest gemacht hatte; er war in dieser Hinsicht ein self-made Spy. Wie es dabei und auch danach in ihm ausgesehen haben musste, konnte Blue nur mutmaßen… Jedenfalls war er seitdem Teil eines scheinbar unbezwingbaren Trios geworden.
Also drei Kerle mit James-Bond-Komplex, ging es Blue durch den Kopf, als sie den Dreien nun so im Besprechungssaal 6.21 gegenüber saß. Wenn sie ehrlich war, hätte sie sich King größer vorgestellt, war er doch der kleinste der drei Männer – selbst wenn er mit Präsenz die fehlende Größe auf erdrückende Weise wettmachte. Seine ganze Erscheinung samt des Dreitagebarts hatte etwas bewusst Glattes, strotzte nur so vor Selbstverständlichkeit. Und das, obwohl er hier im Gebäude wahrscheinlich der einzige Agent war, der ganz spießig in Hemd und lachsfarbener Krawatte herumlief. Greywaren und Magician trugen beide dunkle Lederjacken – ersterer mit der tödlichen Eleganz eines Mobsters, zweiterer mit der Lässigkeit eines Motorrad-Bastlers.
Drei Augenpaare ruhten prüfend auf Blue, eines braun, eines eisblau und eines himmelblau – sie blickte abwechselnd in alle davon, herausfordernd; nicht gewillt, zuerst wegzusehen.
„Gentlemen, das hier ist Codename Mirror. Sie ist die wirksamste Unterstützung, die ich Ihnen für diese Mission zur Seite stellen kann, und extrem talentiert im Einsatz von Klingenwaffen“, stellte die Direktorin sie dem Trio vor. „Wir haben verlässliche Intel, dass eine Liste mit Code- und zugehörigen Realnamen ihren Weg aus unseren Räumlichkeiten hinaus gefunden hat. Scheinbar haben wir also einen Maulwurf. Ich möchte Sie jedoch bitten, diese Information als Top Secret zu behandeln, da wir uns ansonsten gezwungen sehen, Sie ebenfalls zu eliminieren.“ Sie lächelte zuckersüß in die Runde und Blue hatte keinerlei Zweifel daran, dass sie diese Drohung auch in die Tat umsetzen würde. Das Lächeln wurde für einen Augenblick schneidend, bevor sie unbeirrt sachlich fortfuhr: „Ihre Mission ist es nun, diesen Maulwurf zu finden und die Liste zu zerstören, bevor sie in falsche Hände gerät. Noch Fragen?“
Gansey hob die Hand, als wäre er hier in der Schule, fragte in höflichem Ton: „Verzeihung, ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber wäre es bei einer Maulwurfjagd nicht geschickter, möglichst wenige Agenten zu involvieren? Braucht es für diese Mission wirklich vier Leute?“
Blue hörte den bestimmten und harten Unterton sehr deutlich aus seinen Worten. Meinte er da gerade wirklich, sie außenvor lassen zu wollen? Ein fragender Blick zu ihm bestätigte ihr diese Vermutung, wich er ihr doch ganz offensichtlich aus.
Natürlich; wieso eine Neue dabei haben, egal, was die Direktorin gerade gesagt hatte?! Dieses arrogante Arschloch war wahrscheinlich einer von der Sorte, die Frauen im Außendienst als Risiko und Last ansahen. Blue fixierte ihn mit einem düsteren Starren, dem er nach wie vor auswich.
Die Direktorin derweil hob lediglich eine Augenbraue, als ihr Blick schwer auf dem Fragenden landete. „Für diese Mission sehen wir in der Tat zwei Teams à zwei Leute vor. Zur Sicherheit aller Parteien. Außerdem bekommen Sie Czerny zur Seite gestellt; er wird Ihre digitalen Augen und Ohren bei dieser Mission sein. Laut unseren Informationen soll die Liste am kommenden Donnerstag bei einem Treffen in Las Vegas an den Meistbietenden übergehen. Ich denke, uns allen wäre es lieb, wenn es dazu gar nicht erst kommt. Also ziehen Sie besser den verdammten Stock aus ihrem weißen, privilegierten Arsch und sehen zu, dass Sie nach Vegas kommen. Ihre Deckidentitäten sowie alle nötigen Unterlagen finden Sie in Ihren persönlichen Fächern. Damit ist diese Besprechung beendet.“
Während die Direktorin bereits aufstand und den Raum verließ, blieb Blue sitzen, wie die drei Männer ihr gegenüber auch. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und musste sich sehr zusammenreißen, ihre Arme nicht in einer Geste des stummen Protests vor der Brust zu verschränken. „Okay, King…“ – dabei spie sie seinen Codenamen regelrecht aus, als wäre er ungenießbar – „…Was zur Hölle war das gerade?!“
„Ich wollte doch nur… Ich hätte auf jeden Fall versucht, eine bessere…“ Der Angesprochene wirkte für einen Moment überrumpelt, unverständig, nervös. Bis er sich ihr zuwandte und einmal tief durchatmete. Augenblicklich schien er erneut ruhig, gefasst, die Situation und sich selbst zu hundert Prozent im Griff. Er lehnte sich ihr ein wenig entgegen, musterte sie von oben bis unten.
Was er wohl in diesem Moment sah? Blue fühlte sich mit einem Mal in ihren Cargohosen und mehreren Schichten zerschlissener T-Shirts unfair verurteilt, würde aber nicht dem Drang nachgeben, an sich hinunter zu sehen. Stattdessen fixierte sie ihn weiterhin anklagend.
Doch erschien im nächsten Moment ein Lächeln auf seinen Lippen, das für weniger aufmerksame Beobachter aufrichtig wirken mochte. „Wollen wir nicht lieber das Kriegsbeil begraben? Ich freue mich schon, mit Ihnen zusammen diese Mission zu meistern, Mirror.“
Welches verdammte Kriegsbeil? Und wurde sie jetzt als die Kleinliche hingestellt, weil sie seine Frage an die Direktorin nicht so auf sich hatte sitzen lassen wollen?! Sie blickte von Lynch zu Parrish. Am süffisanten Grinsen des ersteren könnte man sich schneiden; immerhin war der Gesichtsausdruck des zweiteren wenigstens aufrichtig entschuldigend. Ja, Parrish war definitiv jetzt schon derjenige, mit dem sie von den Dreien am liebsten zusammenarbeiten würde.
Dann glitt ihr Blick zurück zu Richard Campbell Gansey III; sie durfte also nicht als kleinlich dastehen… Aber sie würde das bestimmt nicht so auf sich sitzen lassen. Dieses Spiel konnten auch zwei spielen. Ein zuckersüßes Lächeln trat auf ihre Züge. „In Ordnung, begraben wir das Kriegsbeil. Von so einem erfahrenen Veteranen wie Ihnen kann ich sicher noch was lernen. Schließlich wurde ich nicht schon als Kleinkind zur gefühllosen Lügenmaschine ausgebildet. Das ist schließlich unser Business; da haben Sie mir so einiges voraus.“
Sie stand auf und verließ ebenfalls den Besprechungsraum, ohne noch einmal zurückzusehen.
~*~*~*
Natürlich war es gekommen, wie es hatte kommen müssen.
Das Schlimmste war, dass Blue wusste, Gansey war attraktiv. Er war athletisch und er war gutaussehend im klassischen Sinn, mit ebenmäßigen Zügen und gerader Nase. Hätte er keine so selbstgerechte Persönlichkeit, würde es ihr wahrscheinlich nicht einmal etwas ausmachen so zu tun, als wären sie verheiratet. So aber…
Blue presste die Lippen aufeinander, um sich möglichst wenig anmerken zu lassen, während sie die langen Gänge des Hauptquartiers zu den Aufzügen hinunter schritt. Das wäre ja noch schöner! Eigentlich war er es nicht einmal wert, dass sie sich über ihn aufregte. Er war ein guter Agent, das war es, was zählte. Und sie waren allesamt Profis; sie würden das verdammt nochmal alles gut über die Bühne bringen!
Als die Aufzugtüren sich für sie öffneten und sie hinein trat, hörte sie hinter sich jemanden rufen. Ganz automatisch drückte sie den Knopf, um die Türen noch offen zu halten. Zumindest bis sie sah, wer da zu ihr in den Aufzug trat. Er sah kurz zur Knopfreihe, drückte dann aber nichts weiter; sie schienen also dasselbe Ziel zu haben.
Parrish begrüßte sie mit einem scheuen kleinen Halb-Lächeln. „Tut mir leid wegen G… King. Er ist… da manchmal ziemlich unsensibel.“
„Das kann man wohl sagen. Kommt wohl mit dem familiären Hintergrund“, mutmaßte Blue und schenkte ihm ein ehrliches Lächeln. Wenigstens einer entschuldigte sich bei ihr; wenigstens einer schien sie nicht ausschließen zu wollen; wenigstens einer schien Manieren zu haben!
Parrish nickte nur, schien für einen Moment etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber doch anders. „Du kannst übrigens gerne Adam sagen“, bot er schließlich an.
Blue überlegte einen Moment, wie gefährlich es wohl wäre, ihren richtigen Vornamen zu nennen, immerhin gab es Codenamen ja nicht umsonst. „Adam, okay. Du kannst gerne einfach Blue sagen“, nickte sie. Parrish hatte ihr auch seinen echten Vornamen genannt – vermutlich ohne zu wissen, dass sie diesen sowieso schon kannte. Außerdem glaubte ihr sowieso kaum jemand, dass Blue kein Spitzname war.
Und auch Parrishs Stirn legte sich für einen Moment fragend in Falten – bevor einer von ihnen beiden jedoch noch mehr sagen konnte, öffneten sich die Aufzugtüren zu den Labors. Schweigend gingen sie den steril weißen Gang entlang, klopften an einer ebenso steril wirkenden Tür an und öffneten sie, noch bevor sie eine Antwort hörten. Adam hielt Blue die Tür offen und deutete ihr, vor ihm einzutreten.
Der Raum, den sie betraten, war relativ groß. An den Wänden hingen unzählige Zeichnungen, Kritzeleien und in einer Ecke sogar ein altes Blink182-Poster. Der Raum selbst war vollgeräumt mit den unterschiedlichsten Gerätschaften und technischen Apparaturen in den unterschiedlichsten Größen. Von etwas, das die Anmutung einer Drohne hatte , blickte Noah Czerny auf und ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Oh, hallo. Ich hab mich schon gefragt, wann ihr wohl soweit seid. Kommen die anderen beiden auch?“ Er kam ihnen entgegen.
„Sind auf dem Weg“, nickte Adam. Da wusste er gerade definitiv mehr zu seinen beiden Kollegen als Blue – sie machte sich eine mentale Notiz, dass sie am besten noch vor ihrem Abflug gleiche Bedingungen für alle schaffen sollten.
Blue hatte schon bei ein paar Missionen mit Noah zusammen gearbeitet. Er war bereits einige Jahre länger bei F.O.X. als sie selbst, allerdings nicht im Außendienst; er unterstützte stattdessen in Form von Technologie und Überwachungsarbeit. Blue wusste, für diese Mission würden sie seine Fähigkeiten extrem gut gebrauchen können.
Während die drei sich nun also begrüßten und ein wenig Smalltalk betrieben, trafen schließlich auch Gansey und Lynch ein. Blue bemerkte, dass King kaum ihrem Blick begegnete, selbst als er sie begrüßte. Er machte also direkt weiter, wo sie aufgehört hatten – ließ sie wissen, dass er diese Mission lieber ohne sie durchführen würde. Oh ja, sie müssten sowas von reden!
„Gut, wenn jetzt alle da sind, lasst mich euch die neusten Gadgets vorstellen“, grinste Noah stolz und klatschte vorfreudig in die Hände.
(tbc in Teil 2)