„Hey, Cowboy“, rief Clarence vom Gehsteig herüber, „komm und lass uns deinen Freund kennenlernen.“
Kon nahm das als Ausrede dafür, sich von Tim zu lösen und einen Schritt zurück zu machen. „Äh“, machte er.
„Cowboy“, sagte Tim und es klang nicht wirklich wie eine Frage.
„Wegen der Farm und – ach, es ist doof.“ Er drehte sich zu Clarence, der ihn neugierig und erwartungsvoll ansah. Hinter ihm hielt Jake immer noch Carolines Handtasche, sein Mund immer noch offen stehend. „Ähm. Das ist mein – ich meine, das hier ist—“ Er spürte, wie Tims Hand über seinen Rücken strich und dann federleicht Kons Arm berührte, als er ebenfalls auf den Gehsteig trat. „Tim“, beendete er den Satz.
Tims Art zu gehen war vollkommen anders – irgendwie lockerer, besonders um die Hüften – und einen Moment lang konnte Kon nichts anderes tun als zu starren. Er beobachtete, wie Tim sich umsah, zur dunklen Straße, zu den Ladenfronten, zu der Ansammlung Teenager. Als wäre er ein Tourist in einem fremdartigen Land. Obwohl er nichts sagte, schrie seine ganze Haltung das Wort ‚drollig‘, als ob Smallville irgendein Drittwelt-Dorf mit interessantem örtlichem Brauchtum wäre.
Die anderen Clubmitglieder starrten auch direkt zurück, als ob er vielleicht der Außerirdische in ihrer Mitte war. Kon räusperte sich und deutete jeweils auf sie. „Das ist Clarence“, stellte er vor, „Lilah, äh, Carson? Richtig? Hi. Und Katie und Mel. Caroline. Und das hier ist—“
Tim trat ein paar Schritte auf Jake zu und kam ihm dabei deutlich näher als er müsste, was diesen einen halben Schritt zurückweichen ließ. „Du musst Jake sein“, meinte er und schüttelte seine Hand mit genug Kraft, dass Jake leicht zusammenzuckte, „Conner hat mir schon so viel von dir erzählt.“
Jake seinerseits wirkte ein wenig wie ein Reh, das in die Scheinwerfer eines heran nahenden Schwertransporters blickte. Kon meinte, dass er ihm das ziemlich gut nachfühlen konnte. Er stand dumm da und sah hilflos zu, wie Tim Jake unverholen von oben bis unten musterte, ohne seine Hand loszulassen. Sein Blick blieb an Carolines Handtasche hängen und ein süffisantes Grinsen legte sich auf seine Lippen: „Was für eine bezaubernde Handtasche“, sagte er freundlich, bevor er sich abrupt zurück zu Kon drehte und Jakes Hand losließ, ohne auch nur einen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden. „Tut mir so leid, dass ich spät dran bin“, entschuldigte er sich, sein Tonfall sanft, „Ist noch genug Zeit, dass ich mich kurz frischmache, bevor wir aufbrechen? Mit dem Flug und dann der Fahrt…“ Er streifte sich ein verirrtes Haar aus dem Gesicht. „…sehe ich sicher grässlich zerzaust aus.“
Himmel, seine Stimme! Sie war tief und träge, kehlig und mit einem viel deutlicheren gehobenen Gotham-Akzent als sonst – und er klang, als könnte er sich nicht zwischen kokettierend und beleidigend entscheiden. „Äh, nein, du siehst—“ Kon schluckte. „gut aus. Aber, ähm, wir haben trotzdem noch ein bisschen Zeit.”
„Ich nehme an, dieses…“ Tim sah hinauf zum Schild über der Tür, „…edle Etablissement hat Toiletten, die ich nutzen könnte?“
„Was? Oh. Äh, klar. Hier, gleich nach—“ Er hielt Tim die Tür auf, bevor er bemerkte, was er da gerade tat und überlegte, sich selbst eine zu verpassen – das würde seinem Hirn sicher weniger weh tun –, aber Tim ging einfach hinein, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, wobei er im Vorbeigehen Kon leicht am Handgelenk packte und ihn subtil mit sich zog.
„Wenn du nicht gerade ‚liebestoll ohne Hoffnung auf Erlösung‘ erscheinen willst“, murmelte Tim leise vor sich hin, „solltest du lieber an deinem schockierten Gesichtsausdruck arbeiten. Ich meine, ich weiß, dass ich heute Abend absolut hinreißend aussehe—“
„Ach hör doch auf“, zischte Kon zurück, „Warum zur Hölle bist du als du selber hier?“
„Bin ich nicht“, klärte Tim ihn mit einem kurzen, harten kleinen Lächeln auf, so dass er für den Bruchteil eines Augenblicks auch wie er selbst wirkte, bevor sie die Tür zu den Toiletten erreichten. Das Lächeln ging in das träge, schiefe kleine Lächeln über, das anscheinend Tim Wayne, Partylöwe, bedeutete und seine Augen gingen in stiller Anweisung zur Tür. Kon seufzte und drückte sie für ihn auf. Schließlich ließ er sie wieder los und drehte sich zu seinen Freunden um, die ihnen nach drinnen gefolgt waren.
Kaum dass die Tür sich wieder geschlossen hatte, packte Chase Kon am Arm und zog ihn in eine Tischnische. „Wie verdammt nochmal kann es sein, dass du mit Tim Wayne zusammen bist?“, verlangte er halblaut, als er sich ihm gegenüber setzte. Clarence und Lilah scharten sich ebenfalls um sie, während Jake lieber ein paar Meter weiter am Tresen verharrte. Er stapelte Teller und Tassen, um seiner Schwester zu helfen, die immer noch in der Küche war. Caroline erzählte einem Kreis von Leuten beim Eingang eifrig, wer da gerade ins Diner gekommen war.
So nahe an der Wahrheit wie möglich, richtig? „Ich, äh. Hab gefragt.“
„Du—“ Chases Mund blieb offen stehen und er starrte Kon einfach nur an. „Verflucht! Du hast echt Eier in der Hose.“
Delilah schubste Chase so lange, bis er neben sich genug Platz für sie gemacht hatte. „Wo hast du ihn überhaupt kennengelernt?“
„Äh. Gotham.“ Tim kam wieder heraus, seine Haare nun ordentlich nach hinten gekämmt und mit Gel fixiert. Alle waren so auf Kon fokussiert, dass sie ihn gar nicht bemerkten.
„Okay“, gab Delilah zurück, „aber wie?“
Tim trat vor und legte seine Hände auf die Lehne der Tischnische, zu beiden Seiten von Delilahs Schultern. Als sie seine Anwesenheit immer noch nicht bemerkte, beugte er sich ein wenig nach vorne. „Naja“, meinte er und sie zuckte leicht zusammen, „Sein Cousin ist ein Freund der Familie. Ich habe eines Tages Clarks Hilfe gebraucht und stattdessen kam schließlich Conner.“
Was absolut der Wahrheit entsprach, obwohl Superbösewichte beteiligt gewesen waren. Kon biss sich von innen auf die Lippe, um nicht loszulachen.
„Und er hat so einen bleibenden Eindruck hinterlassen, dass ich ihn einfach ausfindig machen musste.“
So einen bleibenden Eindruck im Gehsteig. Ivy hatte ihn in ihre Klauen bekommen und Tim hatte sie mit einem Brocken Kryptonit bis nach Hawaii verfolgt. Aber in Ordnung, wenn Tim dieses Spiel spielen wollte… „Du mochtest es nur nicht, dass ich mit dieser heißen Rothaarigen abgehauen bin.“
Chase drehte sich auf seinem Platz vor und zurück, als würde er gerade ein besonders fesselndes Tennismatch verfolgen. Delilah versuchte sich möglichst nicht anmerken zu lassen, wie ehrlich genervt sie davon war, dass Tim sich so über sie beugte.
Tims Augen verengten sich leicht. „Ich hab lediglich auf dich aufgepasst. Sie hatte da einen gewissen… Ruf.“
„Also“, gab Kon zurück und glaubte, so langsam den Dreh heraus zu haben, „bist du uns zurück zu mir gefolgt und hast mir ins Gesicht geschlagen…“
Tims Augen verengten sich noch weiter und mit einem Mal erkannte Kon den Gesichtsausdruck als ein winzig kleines Robin-Lächeln, das sich unter dem versnobten Grinsen versteckte. „Ich behaupte immer noch, dass das absolut gerechtfertigt war“, antwortete Tim, wobei er so sehr wie er selbst klang wie die ganze Zeit seit er hier angekommen war nicht. Kon musste grinsen. Tim war immer noch da, unter dem ganzen hochmütigen und seltsam kokettierenden Gehabe. Solange er Tim unter der Verkleidung erkennen konnte, konnte er sich auch in Erinnerung rufen, dass es eine Verkleidung war. Und hoffentlich die nächsten paar Stunden überstehen, ohne dass ihm eine Ader platzte.
Chase drehte sich seitlich auf der Bank und rutschte etwas zurück, so dass er sie beide im Blick hatte. „Ich hab jegliches Vertrauen in den International Querier verloren“, verkündete er mit leichter Bewunderung in der Stimme, „Wie zur Hölle habt ihr sowas aus der Klatschpresse raus gehalten?“
„Damals war er noch kein Wayne“, meinte Kon, „Stimmt doch, oder? Sweetheart?“
„Nicht dem Namen nach, nein“, stimmte Tim zu. Er neigte den Kopf und warf Kon einen überraschend heißen Blick aus halb geschlossenen Augen zu. „Darling.“
Er und Tim fixierten sich einen langen Moment mit Blicken, bis Jake sich leise vom Tresen aus einschaltete: „Also… Tut mir leid, wenn das jetzt unhöflich klingt, aber... Du bist wirklich Bruce Waynes Sohn?“
„Adoptiert“, antwortete Tim und wandte Jake, der sich immer noch die Hände an seinen Hosen abwischte, sein gefährlich träges Lächeln zu.
Jakes Blick wanderte hastig mehrmals von Tim zu Kon und zurück, als dachte er, dass er irgendwas verpasst hatte. Vielleicht sowas wie eine Pointe.
„Ich hab ja immer gedacht, Wayne ist schwul“, sagte Chase, „Ich mein, bist du nicht schon der dritte oder vierte Typ, der bei ihm eingezogen ist?“
Tim verzog das Gesicht. „Ich würde es vorziehen, nicht über sein Liebesleben nachzudenken, danke.“
„Aber es gibt ziemlich viele Gerüchte“, fuhr Chase fort, „Hat er denn nie—“
„Igitt“, unterbrach Kon ihn laut, „Chase, im Ernst, hör auf damit. Er ist—“ Er sah zu Tim. „Er ist—“ Batman. „Sowas wie Tims Dad, okay?“
„Weiß er‘s?“, fragte Clarence, „Das mit euch, mein ich?“
Tim lachte, bevor Kon etwas erwidern konnte: „Oh, definitiv. Wir sind schon öfter als ich zählen kann wegen Conner aneinander geraten.“
Clarence runzelte die Stirn: „Er mag‘s nicht, dass du mit einem Kerl zusammen bist?“
Jetzt war es Kon, der lachte. Die Antwort darauf kannte er nur zu gut. „Er mag einfach nur mich nicht.“
„Ach, komm schon“, meinte Tim lächelnd, „Er hat sich mit dem Gedanken angefreundet. Und nach den ganzen Reisen, die ich letzten Herbst gemacht hab, hat er mir sogar gesagt, wie froh er ist, dass du für mich da warst, als ich dich gebraucht hab.“
Kon lehnte sich verwirrt blinzelnd zurück. Das konnte man gar nicht anders als wie ein Kompliment auffassen. Ein Kompliment von Batman!
„Jedenfalls reden wir nicht viel miteinander über unsere Gefühle, aber er leiht mir den Jet, wenn ich Conner besuchen will. Das muss doch was heißen, meinst du nicht?“
„Jet?“, quiekte Jake.
Tim rollte seine Schultern zurück und seufzte: „Ich hab keine Ahnung, wie jemand ohne einen Jet eine Long-Distance-Beziehung führen kann. Und bevor ich selber meinen Pilotenschein hatte, hat mein Bruder mich hierher geflogen—“
„Dein… Bruder?“, fragte Chase interessiert, “Du hast also Brüder.”
„Drei“, stimmte Tim zu.
„Einer von ihnen single?“
Das Lachen, das explosionsartig aus Kon heraus brach, überraschte sogar ihn selbst. Er zog die Aufmerksamkeit des gesamten Diners auf sich, aber er konnte einfach nicht aufhören. Er hielt sich die Hände vor den Mund, um das Lachen zumindest zu dämpfen, und beugte sich tiefer über den Tisch. Als er sich schließlich wieder unter Kontrolle hatte, hatte er Tränen in den Augen. „Du – ha!“ Er wischte sich übers Gesicht. „Oh Gott. Tut mir leid, Chase, aber schlechte Nachrichten. Einer ist grad mal elf, einer ist ein Psycho und der einzige, der‘s überhaupt wert wäre, mit ihm zu reden, ist nur sowas wie der passionierteste Hetero-Kerl, den ich je getroffen hab.“
Tims Schmunzeln wurde schärfer, bis er schließlich wie er selbst aussah. „Warum glaubst du, dass Dick hetero ist?“
„Ähm“, machte Kon verdutzt, „Kory?“
„Du solltest mal mehr mit deinem Cousin reden“, gab Tim zurück und richtete sich von seiner lehnenden Position auf. „Sollten wir nicht langsam losfahren? Ich meine, ich verstehe, dass es schick ist, zu spät zu sein, aber man kann auch zu weit gehen…“
„Warte“, meinte Kon betroffen, aber alle stimmten Tim bereits zu und schnappten sich ihre Taschen und Jacken, als sie aufstanden. „Nein, warte, Mann – Tim!“
Tim drehte sich zu ihm um.
„Clark?“
Tim zuckte die Schultern.
„Ja klar.“
Jake war der Einzige, der ihnen noch zuhörte und er starrte Tim mit großen Augen und offenem Mund an. Er hatte gesagt, dass er Clark kannte, erinnerte sich Kon. Natürlich war er also total verblüfft. Weil Tim das sowas von erfunden hatte! Das musste er einfach haben.
„Ja klar“, wiederholte Kon, „Ha ha, sehr lustig.“
„Ich hab Fotos“, meinte Tim beiläufig, als Russell kam und Jake von ihnen weg und Richtung Tür führte. „Und jetzt komm schon, bevor sie uns zurücklassen. Ich hab schließlich keine Ahnung, wo wir hin müssen.“
„Fotos?“ Fotos? Tim hatte – was? Welche Art Fotos? Kon saß in der Bewegung erstarrt, halb aufgestanden.
„Wenn du dich nicht beeilst, zeig ich sie dir noch“, drohte Tim.
Kon beeilte sich lieber.
*
Die Anderen stiegen alle in Autos und Minivans. Nachdem Katie kurzzeitig noch versucht hatte, ihn zum Tauschen zu überreden, saß Kon inzwischen ungelenk hinter Tim auf dessen Ducati und versuchte herauszufinden, was zur Hölle er mit seinen Händen machen sollte. Er war noch nie wirklich auf einem Motorrad mitgefahren – zumindest keinem richtigen. Er glaubte nicht, dass das Supercycle zählte. Das hatte eine Art Fahrgastraum im hinteren Teil gehabt – und überhaupt hatte es ein eigenes Bewusstsein gehabt. Und war mit mehreren hundert Meilen pro Stunde geflogen.
Kon musste sich nicht wirklich festhalten, aber es würde seltsam aussehen, wenn er es nicht tat. Aber das brachte alle möglichen neuen Probleme mit sich. Sollte er sich an Tim festhalten oder am Sitz oder wo? Es gab keine Rückenlehne und selbst wenn doch, dann waren Tim und er schließlich angeblich ein Paar, oder?
„Halt dich an mir fest“, flüsterte Tim leise.
Kon legte seine Hände auf Tims Hüften.
„Fest“, beharrte Tim, bevor er kurz für einen Kickstart des Motors aufstand. Kon war nicht wirklich darauf vorbereitet gewesen, wie sich das Brummen des Motorrads zwischen seinen Beinen anfühlen würde. Schließlich schlang er seine Arme um Tims Brust, als das Motorrad sich in Bewegung setzte. Die Frage, wo er seine Hände hin tun sollte, war also kein so großes Problem wie er befürchtet hatte.
Wäre Kon auf einem Motorrad hinter jemandem mitgefahren, mit dem er wirklich zusammen war, war er sich ziemlich sicher, dass er es als sexuelle Erfahrung gesehen hätte. Er konnte Tims Herzschlag gegen seine Brust und unter seinen Händen fühlen, genauso wie das Zucken seiner Muskeln, wenn sie sich in die Kurven legten, ihre Körper eng gegeneinander gepresst. Nachdem das hier allerdings Tim war, versuchte Kon sehr, nicht daran zu denken, wie eng er gegen Tims Hintern gedrückt war und wie der Sitz unter ihm vibrierte. Er versuchte nicht einmal zu ertasten, wo genau seine Hände lagen.
Sie würden miteinander tanzen müssen, ging es Kon mit einem Mal auf. Tanzte Tim überhaupt? Kon fand es schon schwer, sich vorzustellen, wie er auch nur den typischen Schüler-Stehblues tanzte, aber Tim Wayne… Kon konnte nur hoffen, dass er nicht in irgendein schickes Gesellschaftstanz-Ding hineingezogen würde, von dem er keine Ahnung hatte. Das wäre schon ein großartiger Weg, ihn wie einen Idioten aussehen zu lassen.
Das Gemeindezentrum lag nur ein paar Blocks entfernt. Als sie dort ankamen, war es hell erleuchtet und darum herum standen jede Menge Autos und Gruppen von Teenagern in Anzügen und Kleidern. Das Heulen der Ducati ließ die meisten davon zu ihnen sehen – und sie anstarren. Auch wenn Kon nicht so recht wusste, ob sie beide oder das Motorrad mehr Aufmerksamkeit auf sich zogen – zumindest bis sie abstiegen und ihnen alle Blicke folgten.
Der Rest des Clubs stieg aus den Vans aus wie Clowns aus einem Zirkuswagen, obwohl sie erst dann Aufmerksamkeit auf sich zogen, als sie anfingen sich in Paaren zusammenzufinden. Tim legte einen Arm um Kons Hüfte, wobei seine Hand besitzergreifend in Kons Rücken lag. Er ging auf die Zehenspitzen und drückte seine Lippen gegen Kons Ohr: „Showtime, Loverboy!“
Oh, das war so unfair! Kon war – Kon hatte sehr empfindliche Ohren! Und ein Supergehör, Tim hätte also gar nicht so nah kommen müssen! Er erschauderte und schloss sich dann den anderen an, die sich in einer lockeren Zweierreihe aufgestellt hatten, mit Clarence wie ein Tambourmajor allein an der Spitze. Von den anderen Schülern um sie herum waren ein paar Buhrufe und Auspfeifen zu hören, und Kon konnte einige Leute hören, die ungehalten vor sich hin murmelten, und noch einige mehr, die lachten. Aber niemand näherte sich ihnen direkt, als sie durch die Doppeltür hinein in die Lobby gingen. Kon konnte das nur als ein gutes Zeichen werten.
Allerdings wurden sie an den Türen zum Ballsaal von einem älteren Mann aufgehalten, den Kon nicht kannte und der anscheinend ein Problem mit Daniels Date hatte. „Wenn du kein Schüler bist, kann ich dich nicht rein lassen.“
„Aber ich hab ihm ein Date-Ticket besorgt“, protestierte Daniel.
Kon und Tim gingen zum vorderen Ende der Schlange, vorbei an den restlichen umherlaufenden Schülern.
„Date-Tickets sind für Dates, junger Mann, nicht für deine Freunde von anderen Schulen.“
„Er ist mein Date“, gab Daniel zurück.
Der Mann blinzelte verwirrt und trat einen Schritt zurück. „Nein, das – das ist unvertretbar.“
„Warum?“, fragte Kon, „Sie haben auch Lilahs Freund rein gelassen und er ist nicht mal mehr auf der High School.“
„Pssst“, zischte Russell hinter ihm.
„Wir könnten uns ein bisschen umsortieren, wenn das hilft“, schlug Katie vor. Sie hakte sich bei Kon unter. „Dein Freund kann mit Mel rein gehen. Caroline und Daniel können tauschen—“
„Nein“, meinte Kon, „Er wird uns gefälligst rein lassen. Wir haben Date-Tickets gekauft, wir haben Dates dabei. Basta.“
Der Blick des Mannes ging über die Menge an gleichgeschlechtlichen Paaren, die inzwischen die halbe Lobby füllten. „Ist das irgendein Trick? Oder ein Streich?“
Tim schob verärgert Katie von Kons Arm und ergriff ihn selbst. „Ist dieses Dorf wirklich so rückständig?“
„Das hier ist ein Schulball!“, beharrte Kon, „Alle stehen sowieso nur rum, reden und trinken Bowle. Was glauben Sie denn, was wir machen werden?“
„Ganz offensichtlich ist er sich bewusst, dass du deine Finger nicht von mir lassen kannst“, meinte Tim in gelangweiltem Ton, „Natürlich fangen wir mit der homosexuellen Orgie an, sobald er nicht hinsieht.“
Kon war zu sehr damit beschäftigt, sich möglichst nicht an seinem Lachen zu verschlucken – das mit dem entsetzten Gesichtsausdruck des Türstehers nur noch schlimmer wurde –, um zu bemerken, wer aus dem Ballsaal heraus zu ihnen trat, bevor es zu spät war. Er sah, wie eine riesige Hand klatschend auf der Schulter des Kerls landete, bevor er in Clarks leicht belustigtes Gesicht blickte.
Kon war sich sehr sicher, dass er sterben würde.
„Stimmt was nicht, Earl?“, fragte Clark den Türsteher mit der vollen, sanftmütigen Ernsthaftigkeit eines Clark Kent. „Oh, hi, Conner! Ich hatte mich schon gefragt, wo ihr bleibt.“
„Was machst du denn hier?“, platzte es unwillkürlich aus Kon heraus. Oh Gott! Er konnte Clark nichtmal ins Gesicht sehen, weil er immer noch an Tim Fotos denken musste.
„Tja, die Schule hat mich auf der Suche nach Aufsichtspersonen angeschrieben und ich dachte mir, es wäre schön, Ma übers Wochenende zu besuchen. Lois ist hier auch irgendwo – sie versteckt sich aber. Eine der Englischlehrerinnen hat versucht, sie zu einem Gastvortrag zu überreden und mit einem Mal hat sie eine Blasenschwäche entwickelt. Oh, aber wir halten hier alle auf. Kommt schon rein und blockiert nicht weiter die Tür.“
„Aber“, protestierte Earl.
„Tim“, meinte Clark und hielt ihm seine Hand zum Schütteln entgegen, „Schön, dich zu sehen. Wie läuft das Übernahmeangebot?”
„Wenn du davon hättest wissen sollen“, gab Tim zurück, „hätte Bruce dir davon erzählt.“
„Ha! Okay, na gut.“ Er gab die Tür frei und deutete Kon und den Anderen, dasselbe zu tun. „Ich musste es zumindest versuchen. Irgendwie muss man ja seinen Lebensunterhalt verdienen. Trotzdem schön, dich zu sehen. Übernachtest du auf der Farm?“
„Tja“, machte Tim, mit einem Mal verschlagen. Er schlang einen Arm um Kons Taille, obwohl Kon versuchte ihn möglichst unbemerkt wegzudrücken. „Das kommt drauf an.“
„Worauf?“
„Darauf, ob du und Lois das Gästezimmer nehmen. Du weißt, dass ich nichts dagegen hab, bei Conner zu schlafen…“
Kon hielt es nicht länger aus. Er packte Tim am Arm und marschierte mit ihm weg in Richtung Tanzfläche, wo die anderen Clubmitglieder bereits herumstanden. „Was zur Hölle?“, verlangte er.
„Sweetie“, antwortete Tim in seinem bescheuerten, schrecklichen Tim-Wayne-Ton, „Du weißt doch, dass ich nur Spaß mach.“ Er griff nach Kons Hand und verschränkte ihre Finger ineinander, bevor er seine freie Hand auf Kons Schulter legte. „Tanzt du mit mir?“ Sein Blick ging zur Seite und Kon drehte sich um, wo er Jake sah, der sie über Russells Schulter hinweg beobachtete.
„Du—“, zischte Kon. Bevor er aber noch ein weiteres Wort herausbrachte, hatte Tim ihn bereits zu sich gezogen, so dass ihre Oberkörper sich berührten, und legte einen Arm um Kons Schultern. Kon tat es ihm gleich, ohne auch nur darüber nachzudenken, so dass seine Hand zwischen Tims Schulterblättern zu liegen kam.
„Oh, sei nicht sauer, Babe. Clark weiß, dass es nur Spaß war.“
„Bist du sicher?“, fragte Kon mit Nachdruck, wenn auch leise, jetzt wo sie so eng beisammen standen. Er merkte, dass sehr viele Leute zu ihnen sahen. „Warum ist er überhaupt hier?“
Tim fing an, sich im Takt der Musik zu wiegen und drängte Kon so mit sich, einen langsamen Bogen beschreibend. „Dir ist schon klar“, meinte er halblaut und klang dabei glücklicherweise wie er selbst, trotz des Tim-Wayne-Lächelns, „dass die Chancen recht hoch sind, dass der Mörder heute Abend hier ist? Und deine Freunde—“ Dabei nickte er zu Katie und Mel, die nicht weit von ihnen entfernt tanzten, Mels Wange in Katies Ausschnitt gepresst, „—verhalten sich absichtlich provozierend?“
„Provozierend“, höhnte Kon, „Sie tanzen doch einfach nur.“
„Sie beziehen Stellung“, verbesserte Tim, „sozial und politisch. Sie weigern sich, sich einschüchtern zu lassen. Das ist bewundernswert, aber es eröffnet die Möglichkeit, dass es die Aufmerksamkeit deines Killers erregt.“
Kon stolperte leicht, als Tim sie herum drehte. Es war seltsam, sich mit ihm zu unterhalten, während ihre Gesichter so nah aneinander waren, aber hey, wenigstens hatte Tim sich kürzlich erst die Zähne geputzt. „Glaubst du wirklich, dass der Killer hier was versuchen würde, so gerammelt voll wie‘s hier ist?“
„Wenn er aufgebracht genug ist? Vielleicht.“ Tim verlagerte seine Hand an Kons Rücken und zog ihn noch etwas enger an sich. Er roch anders als sonst – schwach nach Aftershave und etwas, das sein Haargel sein könnte, anstatt nach sauberem Schweiß und Waschmittel. „Und es ist wahrscheinlich am besten, wenn Superboy möglichst nicht in Erscheinung tritt.“
Kon hielt in der Bewegung inne.
„Als jemand, der wirklich schon mal vor den Augen seiner Klassenkameraden kämpfen musste – naja, dachte ich mir, du würdest dir die Erfahrung wahrscheinlich lieber ersparen.“
„Du hast ihn drum gebeten zu kommen!“
Tim zog an ihm, bis Kon wieder in Tanzhaltung zurückfiel und sie einen groben Kreis beschrieben. „Ehrlich gesagt“, flüsterte er viel zu nah an Kons Ohr, „versuchen Schulen immer, ihre weltberühmten Ehemaligen mit Pulitzerpreis dazu zu bringen, bei Schulfesten dabei zu sein. Und er musste nicht besonders überredet werden.“
Kon kochte innerlich. „Warum führst du überhaupt?“
„Weil du dich nicht bewegt hast?“ Tim verlagerte seine Hand erneut. „Hier, wenn du willst, kannst du führen. Du bist sowieso größer.“ Er trat etwas zurück und dann wieder näher, während sie ihre Arme und Beine neu ordneten – und zu seiner Überraschung vermisste Kon in diesem kurzen Moment, in dem Tim nicht mehr da war, seine Wärme und Berührung. „Ich hab ihn nicht eingeladen, um dich zu blamieren“, fuhr Tim fort, „Er ist unsere Verstärkung.“
„Seit wann—“ Kon merkte, dass seine Stimme viel zu laut war und senkte sie zu einem harten, raschen Flüstern: „Seit wann brauchen wir beide Verstärkung, um mit einem einzigen niedrigstufen Meta fertig zu werden?“
Tim warf ihm einen verschlagenen Blick zu, irgendwo zwischen Red Robin und Tim Wayne. Es war gelinde gesagt befremdlich. Er drückte sich enger an Kon und legte den Kopf auf Kons Schulter, sein Atem warm gegen Kons Hals. „Seit wir die verlockendsten Ziele im Raum geworden sind.“
„Seit—“, wiederholte Kon, bevor er abbrach. „Was?“
Kon hätte es für unmöglich gehalten, aber Tim schmiegte sich definitiv noch enger an, bis seine Lippen beim Sprechen federleicht Kons Haut berührten. „Sieh dich um, Loverboy. Alle Blicke ruhen auf uns.“
Kon sah auf. Jake und Russell tanzten immer noch nicht allzu weit von ihnen entfernt, aber mit erheblich mehr Abstand zwischen ihnen als Tim und Kon. Jake sah definitiv zu ihnen – er sah hastig weg, als er bemerkte, dass Kon seinen Blick hob. Überall um sie herum aber sahen die Leute mindestens immer wieder einmal in ihre Richtung. Er erweiterte für einen Augenblick seine Wahrnehmung, insbesondere sein Supergehör, und ja, unter der lauten Musik und dem allgemeinen Gebrummel von Gesprächen hörte er viele Leute über Tim Wayne und Conner Kent reden.
„Du finsteres Genie“, flüsterte Kon voller Bewunderung. Er war so daran gewöhnt, Tim als Experten darin zu sehen, unbemerkt zu bleiben. Aber heute Abend hatte er diesen Umstand komplett auf den Kopf gestellt. Es war auf sonderbare Weise wirklich wie damals bei Mister Sacastic. „Deshalb bist du so? Deshalb hast du dich nicht verkleidet? Deshalb bist du so…“ Unausstehlich? Kokettierend?
„Teilweise. Liest du die Klatschpresse?“, fragte Tim, „Siehst die Promisendungen an?“
„Äh, nein.“
Tim drückte mit einem leisen Lachen sein Gesicht gegen Kons Schulter. „Hm. Kein Wunder, dass du dann so geplättet warst, wenn du noch nie Brucie in Aktion gesehen hast.“
Kon verzog den Mund. „Brucie?“, fragte er. Er konnte nicht Batman meinen, denn nie im Leben würde jemand Batman so einen bescheuerten Spitznamen geben.
Tim löste sich etwas von ihm, griff um und… schien wie ausgewechselt; seine ganze Haltung war anders. „Ha ha ha, Tiger!“ Er riss Kon in einer unangenehmen Drehung herum und zog ihn in fassungslosen, stolpernden Schritten mit sich. „Du bist einfach ein umwerfender Tänzer, weißt du das?“ Er trat Kon auf den Fuß – fest genug, dass Kon dankbar für seine Unverwundbarkeit war. „Ups. Sorry, Schätzchen, das kommt von dem ganzen Champagner! Weißt du, du solltest mal mit mir und den Jungs zum Skifahren kommen. Es gibt da dieses entzückende kleine Chalet in der Schweiz – oder war‘s Schweden? Welches davon hat das Skifahren? Ich bring die beiden immer durcheinander. Eins davon hat Skipisten und das andere hat Fleischklopse.“
„Gott, hör auf!“, zischte Kon. Er riss Tim wieder zu sich und drückte mit einer Hand seinen Kopf zurück an seine Schulter, in dem Versuch, ihn zurück in die andere Rolle zu zwingen. Am anderen Ende des Raums konnte er Clark lachen hören, als wäre es das Lustigste der Welt. „Du bist manchmal echt unheimlich!“
Tim zuckte die Schultern, bevor er sich wieder an Kon schmiegte. „Das ist mein Job.“
„So unheimlich“, wiederholte Kon voller Zuneigung. Tims Haare kitzelten beim Sprechen an seinen Lippen. „Wie bist du eigentlich so gut drin geworden, andere Leute zu sein?“
Tims Hand glitt Kons Rücken nach unten, bis sie in seinem Kreuz zu liegen kam. „Hm. Ich bin mir nicht sicher? Ein Teil ist gelernt. Bruce und Alfred sind beide vollendete Schauspieler. Aber… naja, ich war schon immer gut drin… mich zu verstecken, schätze ich.”
„Dich verstecken?“, fragte Kon. Er drehte den Kopf leicht, um seinen Mund aus Tims Haaren zu bekommen, und legte stattdessen seine Wange dagegen. Seine Gedanken wanderten zur alten Robin-Maske – der grünen, die Tim getragen hatte, als sie sich das erste Mal getroffen hatten, und die die Augen hinter weißen Linsen versteckte. Er hatte so lange nicht gesehen, was sich hinter dieser Maske versteckte. Sie waren Freunde und Teamkameraden gewesen, hatten gemeinsam gekämpft und gestritten, hatten Leben gerettet, hatten sich gegenseitig das Leben gerettet und er hatte nicht gewusst, welche Augenfarbe Tim hatte. Hatte seinen Namen nicht gekannt. Hatte nicht einmal gewusst, dass er eine Familie hatte, bis lange nachdem seine halbe Familie schon tot war. Nicht einmal Tims eigene Eltern hatten ihn gekannt – nicht wirklich. Vielleicht bis zum Schluss nicht. „Ja“, machte er und ihm wurde ein wenig eng ums Herz, warum auch immer.
„Es geht immer nur darum, die Geheimnisse zu schützen“, fuhr Tim gegen Kons Schulter fort, scheinbar Kons plötzlichen Stimmungsumschwung nicht wahrnehmend. „Das, was wir tun – wir armen verrückten Normalos in Masken und Strumpfhosen, meine ich – naja, es ist eben auf Furcht angewiesen. Und auf Heimlichkeit. Es würde ohne das ganze Schauspielern nicht funktionieren. Also ist Red Robin nicht ich. Aber ich bin auch nicht immer Tim. Oder Tim ist nicht immer ich.“ Er hielt inne und schüttelte den Kopf, als er sich ein Stück löste und Kon ansah. „Das ergibt wahrscheinlich gerade keinerlei Sinn.“
„Bei mir kannst du aber du selbst sein“, meinte Kon ernst, „Das weißt du, oder? Wir – du und ich – es gibt nichts, das du je vor mir verstecken müsstest.“
Tims Gesichtsausdruck veränderte sich nicht – nicht wirklich –, doch sein Blick wurde für einen Moment seltsam sanft. Seine Augen waren wirklich blau, so aus nächster Nähe – wirklich verblüffend. Tims Pupillen waren groß im schwachen Licht, mit nur einem dünnen farbigen Ring darum. Dann blinzelte Tim zweimal und wandte das Gesicht ein winziges Stück ab. Er schluckte. „Im Moment sind wir aber nicht allein.“
Kon sah sich um. Ein paar Leute sahen auf jeden Fall immer noch zu ihnen herüber, aber es war nicht annähernd so schlimm wie vorher. „Ja, aber ich glaub, so langsam wird allen langweilig.“
Tim gab einen kleinen misbilligenden Laut von sich. „Das können wir so aber nicht belassen.“
Kon lachte leise. „Also, Mister Experte, was schlägst du vor, dass wir dagegen tun?“
Einen Augenblick schwieg Tim, bevor er den Kopf einen Bruchteil eines Zentimeters neigte und in sein Tim-Wayne-Lächeln zurückfiel. „Dipp mich!“
„Was?“
„Dipp mich!“, verlangte Tim.
Kon verdrehte die Augen, aber als die Musik an eine Stelle kam, wo es nicht allzu unpassend wirkte, bugsierte er Tim in einer übertrieben überschwänglichen Drehung an seinen Arm und dippte ihn tief, bis nur noch seine Telekinese und Tims verrückter Gleichgewichtssinn ihn auf den Füßen hielten. Tim lachte laut – nicht sein echtes Lachen, sondern etwas Grelles, Künstliches – und warf mit funkelnden Augen den Kopf in den Nacken.
Er sah wirklich aus, als amüsierte er sich gerade wunderbar. Kon fragte sich einen langen Moment, ob er mit Spoiler so gewesen war, damals, bevor sie ihm das Herz gebrochen hatte. Er glaubte nicht, dass er Tim jemals verliebt miterlebt hatte, was ihm mit einem Mal schrecklich schade vorkam. Tim war inzwischen die ganze Zeit so verschlossen. Kon hätte ihn nur zu gerne ehrlich so offen und fröhlich erlebt, und nicht nur als Teil einer Rolle.
Er zog Tim wieder nach oben und in eine weitere Drehung, bevor er ihn wieder auffing und mit genug Schwung an sich zog, dass Tim sich mit den Händen an Kons Oberkörper abstützen musste. Er spürte sie über sein Hemd nach oben gleiten und dachte, Tim würde seine Hände auf seine Schultern legen – bis Tims Finger direkt weiter seinen Hals hinauf strichen, sich um seinen Kiefer legten und ihn zu ihm zogen. Er erkannte gerade rechtzeitig, was hier passierte, um nicht direkt zusammenzuzucken, als Tims Lippen sich auf seine legten, solide und fordernd gegen Kons, sein Atem warm und schwach minzig.
Kon erstarrte vor Schreck, sämtliche Muskeln in seinem Körper unbeweglich und angespannt. Um sie herum konnte er die Reaktionen der anderen Tänzer wie durch einen Nebel hören – Schock und Empörung und, im Falle ein paar seiner Freunde, Entzücken. Am anderen Ende des Ballsaals konnte er Clark sich an seiner Bowle verschlucken hören, bevor Lois lachte – und irgendwie war das genau der Anstoß, den er brauchte, um seine Arme eng um Tims Taille zu schlingen und den Kuss zu erwidern.
Wenn sowieso alle sie schon anstarrten, dann konnten sie ihnen genauso gut auch eine Show bieten. Kon beugte Tim über seinen Arm nach hinten, der Kuss innig und feucht und so obszön, wie er ihn nur machen konnten. Er leckte über Tims Lippen, dominant und schmuddelig wie etwas aus einem Porno, leckte über seine Zähne und seine Zunge. Er drückte ihre Körper eng aneinander und ging einfach ran. Er küsste Tim, als würden sie gleich hier und jetzt auf der Tanzfläche vögeln, schwer atmend und mit offenem Mund – und Tim teilte ebenso heftig aus wie er einsteckte, biss Kon auf die Lippe, saugte an seiner Zunge, tief und fest. Tim stöhnte, eine Hand an Kons Hinterkopf, die andere weiter nach unten wandernd, um sich an seinem Hintern festzuhalten und ihre Hüften gegeneinander zu pressen.
Was Kon zu schaffen machte, war das Stöhnen, wie es in Tims Brust nachhallte, dann grollend seinen Weg hinauf in Tims Kehle fand und schließlich in Kons Mund überlief. Kon schluckte es gierig, denn auch wenn er wusste, dass das alles nur geschauspielert war, nur ein weiterer perfekter Charaktermoment von Tim Wayne, dem schwulen Partylöwen, so fühlte es sich trotzdem real an. Es fühlte sich gut an. In seiner Brust stieg wieder einmal dieses übersprudelnde Gefühl auf, dasselbe Gefühl, das er hatte, wenn er es schaffte, Tim wirklich zum Lachen zu bringen und—oh. Shit. Fuck. Kon steigerte sich gerade ein wenig zu sehr hinein, denn – er spürte ein Zittern durch seinen ganzen Körper gehen, als Tims Zähne seine Zunge entlang schabten – denn er wurde langsam steif. Er versuchte sich ein wenig zurückzunehmen, lockerzulassen, aber Tim wollte davon nichts wissen. Er wollte ihn nicht loslassen – wollte ihn sich nicht zurückziehen lassen.
Tim würde es sicher spüren, so eng wie ihre Hüften gegeneinander gedrückt lagen. Jede Sekunde wäre es soweit. Kon zog, fester diesmal. Er konnte fühlen, wie sich Tims Griff etwas lockerte, aber er ließ immer noch nicht los. Kon hatte keine Ahnung, wie er aus dieser Situation wieder heraus kommen sollte – er konnte schließlich nicht einfach Tim wegstoßen. Sie gaben vor, ein Paar zu sein – und Tim würde so oder so wahrscheinlich erraten, warum Kon sich mit einem Mal sträubte, dieses Spiel weiter aufrecht zu erhalten. Gott, er würde Kon auf ewig damit aufziehen!
„Gentlemen!“
Kon löste sich keuchend aus dem Kuss und stolperte einen Schritt rückwärts, als Tims Griff sich so plötzlich lockerte. Ein paar lange Sekunden stand er einfach nur da, schwer atmend, und starrte Tim an, der die Augen geschlossen hatte. Sein Mund stand immer noch leicht offen und er atmete schwer und unregelmäßig. Kon konnte ihn nur dumm anstarren, als Rektor Cross eine Hand auf Kons Schulter legte.
„Mister Kent, Ihr Verhalten erstaunt mich“, meinte Cross leise und kaum hörbar über das Rauschen in Kons Ohren, „Das hier ist ein Schulfest. Und bevor Sie jetzt etwas sagen: Solches Verhalten wäre Ihnen so oder so nicht gestattet, egal wer Ihr Date ist.“
„Ich…“, setzte Kon an. Er schüttelte den Kopf und blinzelte ein paarmal heftig. „Entschuldigung, Sir. Ich wollte nicht – ähm…“ Als er den Satz so unvollendet ließ, öffnete Tim langsam die Augen etwas, gerade genug, dass Kon erkannte, wie dunkel sie unter seinen flatternden Wimpern waren. Er hatte keine Ahnung mehr, was er eigentlich hatte sagen wollen.
„Gehen Sie sich etwas Bowle holen“, wies Cross ihn an und tätschelte ihm die Schulter, „Schnappen Sie etwas frische Luft. Kühlen Sie sich ein wenig ab.“
„Ja“, machte Kon, ohne richtig mitzubekommen, was er denn da zugestimmt hatte. Er beobachtete, wie Tims Zungenspitze über seine Lippe huschte und wieder verschwand, und Kon leckte sich aus Sympathie ebenfalls die Lippen. Gott, das war… Kon glaubte nicht, dass er jemals zuvor jemanden so geküsst hatte, und er war sich nicht einmal sicher, was daran diesen Kuss denn nun so anders machte. Es hatte sich angefühlt wie… Ein angenehmes Schaudern erfasste seinen ganzen Körper, und er schüttelte erneut den Kopf. Tim beobachtete ihn aus halb geschlossenen Augen, sein Blick huschte abwärts und dann zurück zu Kons Gesicht.
Fuck! Kon widerstand dem Bedürfnis, selbst an sich hinab zu sehen. Das hatte ihn definitiv mehr erregt als es sollte. Es war wahrscheinlich nicht für alle offensichtlich, aber Tim konnte ziemlich sicher sehen, welche Wirkung dieser Kuss auf ihn gehabt hatte. Ein einzelner Kuss. Kon hatte schon seit Jahren keinen Steifen mehr von einem einfachen Kuss bekommen. Er fühlte sich wieder einmal, als käme er ganz frisch aus dem Labor, ohne jegliche Kontrolle über seine Hormone. Er fühlte sich…
Martha zuppelte und schimpfte an seiner Frisur herum und machte ein paar Dutzend Fotos und ließ ihn die Schuhe polieren, bis sie glänzten. Während er in der Schule gewesen war, hatte sie den Truck ausgespritzt und sauber gemacht, um den ganzen Matsch und Dreck von den Sitzen und Fußmatten zu bekommen. Und nachdem sie sichergestellt hatte, dass er auch genug Taschengeld hätte, drückte sie ihm die Schlüssel in die Hand und schob ihn zur Tür hinaus.
Kon wäre ja geflogen, aber er wusste nicht so recht, wie sie dann alle vom Diner zum Ball kämen. Außerdem konnte er nicht schnell genug fliegen, um nicht bemerkt zu werden, ohne dass er dabei seinen neuen Anzug kaputt machte. Auf dem Weg in den Ort versuchte er es nochmal bei Tim, der allerdings nicht ans Handy ging, weshalb Kon eine Nachricht mit der Adresse des Diners auf seiner Mailbox hinterließ. Er vertraute darauf, dass Tim einen guten Grund hatte, warum er nicht erreichbar war. Mit dem Bat-Jet bräuchte er nur etwa eine Stunde für den Flug von Gotham hierher, schätzungsweise hatte Kon also etwa eine halbe Stunde, bevor Tim ankam.
Er war sich nicht wirklich sicher, was er erwarten sollte. Tim erfand gerne mal seine kleinen Charaktere – und sie neigten alle dazu, um vieles… kontaktfreudiger… als Tim selbst zu sein, so als würde Tim sich mit Verkleidung freier fühlen als ohne. Alles, was Kon ihm schließlich vorgegeben hatte, war ‚Tim aus Gotham‘. Das konnte so ziemlich alles sein, von einem stillen Nerd aus der Vorstadt bis hin zu Mister Freaking Sarcastic – auch wenn Kon wirklich hoffte, dass es Letzterer nicht werden würde.
Oh Gott! Deshalb hatte er also so schnell eingewilligt – und warum er am Telefon so gute Laune gehabt hatte. Er würde Kon verdammt blamieren, oder? Die Leute würden noch wochenlang von seinem Spinner von festem Freund reden. Kon parkte vom Diner ein Stück die Straße hinunter und kramte nochmal sein Handy hervor. Tim ging immer noch nicht ran, also wischte Kon sich seine schwitzigen Handflächen am Sitz ab und kletterte aus dem Truck.
„Hey“, rief ihm jemand zu. Er sah auf und erkannte Clarence, der ihm auf dem Gehweg entgegen kam. „Cowboy! Verdammt, du siehst echt gut aus.“
„Ähm, danke“, antwortete Kon. Clarence trug einen dunklen Anzug mit ordentlichen Bügelfalten und dazu ein Anstecksträußchen mit einer rosa Nelke am Jackett. „Du siehst auch gut aus.“
„Komm schon mit rein, Mann“, scheuchte er Kon weiter in Richtung des Diners, vor dem Beth und ein ihm unbekanntes Mädchen in langen Satinkleidern standen und in der Spiegelung des Schaufensters ihre Haare und ihr Makeup richteten. Beths Ansteckblumen waren an der Schulter ihres Kleids befestigt, die des anderen Mädchens dagegen an ihrem Handgelenk. Die beiden lächelten und sagten hallo, als sie an ihnen vorbei zur Tür gingen.
Im Diner herrschte ein einziges buntes Chaos. Die Mädchen trugen alle farbenfrohe Kleider – außer Delilah, die hauptsächlich Schwarz trug – und auch recht viele Jungs trugen bunte Hemden und Krawatten, einige davon unter Jacketts. Sie alle hatten rosa Nelken angesteckt bekommen und Clarence führte Kon an all den Leuten vorbei und zu einem Tisch am hinteren Ende des Raums, so dass er auch eine bekäme. Katie steckte sie ihm an. „Du siehst so schick aus“, komplimentierte sie ihn, bevor sie seufzte: „Mel hat mich keinen Hosenanzug tragen lassen.“ Ihre Hand ging zu dem auf ihrem Kopf drapierten, goldenen Lockengewirr und Mel kniete sich auf den Sitz in der Tischnische, um ihr auf die Hand zu klatschen.
„Du machst es noch kaputt!“
„Ich kann nicht anders. Das fühlt sich total seltsam an, wenn ich den Kopf bewege—”
Kon lachte leise über sie und wandte sich um, so dass er sich im Restaurant umsehen konnte. Nicht alle hier waren Teil des Clubs – ein paar Hetero-Pärchen standen auch noch herum und wirkten ein wenig verloren, trugen aber ebenfalls Anstecksträußchen. Ein paar Leute waren auch nur zum Essen hier, unter anderem dieselbe Gruppe Farmer, die auch schon das Wochenende zuvor hier gewesen war, als er Jake hier gesucht hatte, um mit ihm zu reden. Sie starrten auf – Kon musste laut lachen. Auf Chase, der betont beiläufig auf Hamiltons Schoß saß, weil an ihrem Tisch keine Stühle mehr frei waren. Kon ging zu ihnen hinüber. „Du schockierst die alten Leute.”
„Die können‘s vertragen, mal ein bisschen schockiert zu werden“, gab Chase zurück, ohne von seinem Getränk aufzusehen. Nach einem weiteren Augenblick sah er dann aber doch auf. Und sprang auf. „Das ist doch nicht etwa ein Giselle Giordano!“
„Was?“, fragte Kon und wich einen Schritt zurück.
„Oh mein Gott, dreh dich mal um!“ Er packte Kon am Arm und ließ ihn einmal im Kreis trippeln. „Das muss einfach eine Kopie sein. Das muss es einfach!“
„Was?“, wiederholte Kon.
„Wer hat deinen Anzug geschneidert?“
Kon sah an sich hinunter. „Ähm“, machte er, „Keine Ahnung?“
„Keine—“ Chase seufzte frustriert, „Oh mein Gott! Hat deine Mutter ihn für dich gekauft?“
„Seine Tante“, korrigierte Hamilton.
„Nein“, gab Kon zurück, „Mein – mein Date.“ Er konnte sich nicht dazu durchringen, ‚fester Freund‘ zu sagen, auch wenn er wusste, dass er sich daran gewöhnen musste.
„Tja“, meinte Chase mit einem verschmitzten Lächeln, „dass er einen sehr guten Geschmack hat, wussten wir ja eh schon.“ Er drehte Kon wieder von sich weg und strich ihm mit den Händen über die Schultern und den Rücken nach unten. Mit einem ‚uff‘ war die Berührung plötzlich weg und als Kon sich umdrehte, sah er Chase strampelnd wieder auf Hamiltons Schoß.
„Hände!“, sagte Hamilton in einem Tonfall, als würde er ein kleines Kind an seine Manieren erinnern.
„Wo bleibt dein Freund eigentlich?“, fragte Chase, „Ich muss diesen Jungen mit dem perfekten Kleidungsgeschmack unbedingt kennenlernen.“
„Er ist, äh, auf dem Weg“, antwortete Kon. Er legte eine Hand in den Nacken.
„Von woher?“
Kon musste husten: „Von Gotham. Er ist aufgehalten worden—“
„Gotham?“, fragte Chase, „Gotham Gotham?“
„Das ist ein ganz schön weiter Weg nur für einen Schulball“, warf Hamilton ein.
„Wow! Was hast du ihm versprechen müssen?“, grinste Chase anzüglich, „Ich kann echt nicht glauben, dass du einen Sugardaddy hast.“
„Hab ich nicht!“
„Wenn er dir den Anzug gekauft hat? Hast du wohl, mein Freund. Hast du sowas von. Und jetzt erzähl schon! Ich will wissen, welche Art sexuelle Gefallen einen Designer-Anzug und ein Flugticket von Gotham wert sind.“
Kon spürte die Hitze in seinem Gesicht aufsteigen. „Ich hab nicht – ich mein – ich hab ihn einfach gefragt. Ich hab ihm gesagt, dass ich ihn gern dabei hätte, also ist er dabei.“
Chase warf ihm einen verträumten Blick zu. „Du must echt umwerfend sein.“
„Ich – ich werd mal – äh—“ Er sah sich um. Wo zur Hölle war Jake, wenn er ihn brauchte? „Ich muss—“ Er trat die Flucht an. Einer Eingebung folgend, hielt er auf den kleinen Gang zwischen den Toiletten und der Küche zu, wo Jakes Gemälde hingen. Als er näher kam, entdeckte er ihn tatsächlich mit einem Kon unbekannten Typen zusammen dort stehen.
„Conner!“, rief Jake, als er ihn sah, und machte einen Schritt auf ihn zu, um seine Hand zu nehmen, als ob sie sich nicht erst an diesem Tag beim Mittagessen gesehen hatten. „Hey, Mann. Wow. Du siehst—“ Sein Blick wanderte ein paarmal an Kon auf und ab. „Wow! Wir haben gerade – oh, das ist übrigens Russell. Russell, das ist Conner“, wandte Jake sich um und deutete mit einer Hand zwischen ihnen beiden hin und her. Russell – Jakes Blind Date. Kon musterte ihn kurz. Er war ziemlich gutaussehend, auf eine eher schlacksige Art, mit einem struppigen kleinen Kinnbart und sonnengebräunter Haut.
„Hi“, begrüßte Kon ihn und schüttelte ihm die Hand.
Russell hatte einen relativ festen Griff. „Hey“, meinte er, „Freut mich, dich kennenzulernen. Du bist auch ein Freund von Lilah?“
Kon nickte.
„Wir haben uns gerade über Pigmente unterhalten“, fuhr Jake fort und klang dabei so glücklich, dass Kon gar nicht anders konnte, als ihn anzugrinsen. „Die bestehen ja großteils aus Mineralien, richtig? Wie Titan für Weiß und Cadmium für Rot- und Gelbtöne, Kobalt für Blau, Kupfer für Grün…“
„Also“, grinste Kon immer noch, „Steine?“
Jake schlug seinen Arm mit einem Handrücken. „Wo ist Tim?“
„Spät“, gab Kon zurück. Er zog sein Handy hervor und tippte eine kurze Nachricht. „Er ist spät dran, das ist er. Ist aber auch eine weite Reise.”
Die Tür zur Damentoilette ging auf und Caroline kam mit einer Gruppe Mädchen heraus. Sie hielt inne und schlug sich die Hand vor den Mund. „Ist das ein Giselle Giordano?“
Kon ließ den Kopf in den Nacken fallen und verdrehte die Augen zur Decke hin.
„Ein wer?“, fragte Jake.
„Keine Ahnung“, meinte Russell.
Kons Handy gab ein Ping von sich und er warf einen Blick darauf. „Verlasse gerade den Flughafen?“, las er verwirrt vor.
„Er ist aber nicht in Wichita, oder?“, fragte Jake, „Das dauert um die 45 Minuten und wir fahren in etwa zwanzig los.“
„Es gibt doch eine Landebahn in Wellington“, warf Russell ein, „Hat er ein Taxi genommen?“
Kon sah stirnrunzelnd auf sein Handy. Flughafen? Was zur Hölle? Auf keinen Fall hatte Tim den Bat-Jet auf einem Flughafen gelandet! Schrieb er etwa in Code? Vielleicht meinte er auch nur, dass er gelandet war und war eben vorsichtig, für den Fall, dass jemand Kon über die Schulter sah oder so. „Keine Ahnung“, antwortete er.
„Aber in Wellington sind nur Postflugzeuge und so, oder?“, fragte Jake, „Also kleine Flieger.”
„Ich hab echt keine Ahnung“, gab Kon zurück. Er stieß ein leises Seufzen aus und schob das Handy zurück in seine Tasche. „Wo ist eigentlich deine Schwester, Mann? Ich bin am Verhungern.“
„Sie macht grad Sandwiches, glaub ich.“ Jake steckte den Kopf zur Küchentür hinein: „Brauchst du Hilfe?“
„Jacob Lucas Jenkins“, rief Nell von drinnen, „Wenn ich dich auch nur einmal noch hier raus scheuchen muss…“ Sie drückte die Tür auf, eine große Platte mit Sandwiches in jeder Hand. „Du ruinierst dir noch deinen Anzug.“
„Ich bin doch vorsichtig“, beteuerte Jake, „Jedenfalls könnte ich doch Brot schneiden oder so.“
„Du hast gerade ein Date“, erinnerte sie ihn. Als er den Mund öffnete, um zu widersprechen, stopfte sie ihm kurzerhand ein Mini-Sandwich hinein. „Hallo, Conner. Du siehst bezaubernd aus.“ Sie sah ihn an, dann zu Jake. „Jake hat mir erzählt, du hast einen Freund“, meinte sie. Kon hoffte, er bildete sich die Kühle in ihrer Stimme nur ein.
„Ähm“, machte Kon, „Kann ich, äh, ein Sandwich haben?“
Sie ließ ihn gleich mehrere nehmen, bevor er hastig die Flucht ergriff, um sie in sich hinein zu stopfen. Ein paar der Mädchen rutschten etwas auseinander, so dass er sich hinsetzen könnte – und er ging zu ihnen, froh, dass er zumindest für eine Weile nicht angebaggert werden würde. Daniel kam mit dem Jungen aus dem Park herein und die beiden quetschten sich noch neben Beth und ihr Date. Kon war sich ziemlich sicher, dass er das letzte Clubmitglied war, das noch gefehlt hatte; es würde also bald Zeit aufzubrechen. Er wischte sich die Hände ordentlich an einer Serviette ab, so dass er sich nicht mit Senf vollkleckerte, und stand auf, um nach draußen zu gehen.
Chase und Delilah standen neben der Tür zusammen beim Rauchen und zogen einander fröhlich auf. Auf der Stoßstange eines nahen Autos saß ein junger Schwarzer, dessen Haare zu kurzen Knoten verdreht waren, und Kon stellte fest, dass er ihn von Rebeccas Weihnachtsfotos wiedererkannte. Das war dann also Carson, Clarences Cousin und Delilahs fester Freund. Kon schätzte, Delilah würde sie vorstellen, sobald sie damit fertig war, Chase zu sagen, was für eine Primadonna er denn war, also lehnte er sich mit dem Rücken gegen die geziegelte Ladenfront und schloss die Augen.
Oh. Jetzt, wo er nicht mehr mitten unter Leuten war, konnte er Tims Motorrad hören. Er war gar nicht mehr so weit weg und er kam schnell näher. Kon lächelte in sich hinein und ging zurück nach drinnen, um ein weiteres Anstecksträußchen zu holen. Die Mädchen am Tisch gurrten leise, als er es aufnahm. Anscheinend erregte das Geräusch Jakes und Clarences Aufmerksamkeit, denn er fand sich schnell mit einem Arm um die Schulter und einer Hand an seinem Arm wieder. „Also“, meinte Clarence, „Er ist da?“
„Auf dem Weg“, entgegnete Kon schnell.
Jake sagte gar nichts – er folgte ihnen lediglich zur Tür hinaus. Kon fühlte sich ein wenig idiotisch, wie er da so auf dem Gehweg stand und ein winziges Blumensträußchen hielt, wobei ihn eine kleine Menschenmenge anstarrte. Er wusste, ihm stieg unvermittelt die Röte ins Gesicht. Tim war inzwischen nur noch ein paar Blocks entfernt. Warum war er denn auf einmal so verdammt nervös? Das war nur Tim. Er sah Tim mindestens jedes Wochenende, meistens sogar öfter. Er redete praktisch täglich mit ihm.
Hinter ihm öffnete sich die Tür und ein paar Mädchen fielen beinahe lachend nach draußen. Kon ergriff Katies Arm und verhinderte so, dass sie in ihren hohen Absätzen noch stolperte. Neben ihm hob Jake Carolines Handtasche vom Boden auf. „Seid ihr etwa betrunken?“, fragte Kon Katie, während er sie stützte.
„Das sind diese gottverdammten, bescheuerten Drecks-Schuhe!“, zischte sie und trat nach der Tür. „Ich würde ja nur zu gern sehen, wie ihr versucht, damit zu laufen.“
„Willst du tauschen?“, fragte Chase mit einem verschmitzten Grinsen, „Wir würden damit ein verdammt krasses Statement setzen.“
„Nein“, warf Mel ein und zog an Katies Arm, „Keine Chance! Du hast es versprochen.“
Katie grollte. „Ich kann dir nur sagen, der Sex mit dir sollte besser gut werden. Au!“, rief sie, als Mels Handtasche sie traf, was sie aber beide zum Lachen brachte.
Tim bog auf ihre Straße ein. Kon wusste ganz genau, in welchem Moment alle anderen das Motorrad auch hörten, denn einige Köpfe drehten sich und blickten die dunkle Allee hinunter. Nur ein paar Sekunden später fuhr das Motorrad zu ihnen heran, bis auf den Gehsteig, und hielt direkt neben ihnen an, bevor Tim den Motorradständer ausklappte.
„Ich verlass dich für das Motorrad“, erklärte Katie feierlich.
Tim trug eine Lederjacke über einem dunklen Anzug, mit einem weißen Hemd und einer schmalen schwarzen Krawatte. Seine Hände gingen zu seinem kirschroten Helm, den er sich vom Kopf zog und unter den Arm klemmte, während er sich die Haare ausschüttelte.
Kon erstarrte.
Tim hatte seine Haare nicht gefärbt. Er trug keinen Bart oder Koteletten oder Augenbrauenpiercings oder eine falsche Nase oder Selbstbräuner oder… oder irgendwas anderes. Er hatte nicht einmal seine Frisur geändert. Er war einfach… Tim.
„Hey“, sagte Tim und lächelte ihn an wie – Kon schluckte. Er trat vom Bordstein herunter auf ihn zu.
„Oh mein Gott!“, flüsterte Chase hinter ihm, „Oh mein Gott oh mein Gott oh mein Gott das ist Tim Wayne.“
„Was?“, fragte Clarence, „Nie im Leben.“
„Wer?“
„Ich glaub, das ist er.“
„Was machst du denn?“, zischte Kon, als er nahe genug war, um nicht dabei belauscht zu werden, „Du – ich dachte, du würdest eine Rolle spielen oder sowas. Du—“
„Richte mir die Haare“, hauchte Tim durch sein Lächeln.
„Was?“
„Meine Haare“, wiederholte Tim. Er schüttelte leicht den Kopf. „Helmfrisur. Sei ein guter Freund.“
„Oh mein Gott“, hauchte Kon zurück, „Ich werd dich umbringen!“
Als Tim ihn zur Antwort nur liebenswürdig anlächelte, gab Kon nach und richtete mit den Fingern Tims Haare ein wenig, wo sie verstrubbelt waren. „So“, zischte er, „bist du jetzt zufri—“ Er brach ab, als Tim seine Hand packte und ihn zu sich zog, um ihm ins Ohr zu flüstern.
„Du hast mich gebeten, dein Date für den Schulball zu sein. Wenn du nicht Tim Wayne gewollt hättest, hättest du das sagen müssen.“ Er küsste Kon federleicht, direkt vor seinem Ohr, die Berührung sanft und nachklingend. „Also“, flüsterte er gegen seine Haut, „sind die Blumen für mich?“
A/N: Und noch eins für den Tropetober zu meinem persönlichen Hass-Tropus: Soulmates AU. Trotzdem hat es ehrlicherweise auch mal Spaß gemacht, so etwas zu schreiben, besonders weil ich so nah wie möglich am Canon bleiben wollte dabei. Herausgekommen ist ziemlicher Fluff.
Schwarzweiß
Als Lily zum ersten Mal in Farbe sah, war sie gerade von einer tobenden Gruppe Jungs umgerempelt worden. Severus, der neben ihr gegangen war, half ihr dabei, ihre Bücher wieder aufzusammeln. Dass sein Schal grün war fiel ihr nach so langer Freundschaft mit ihm zum ersten Mal auf. Ihr eigener war dunkelrot, was ihre Haare leuchten ließ.
Sie entdeckte, dass Professor McGonagalls Roben meistens eher gedeckte Farben hatten; dagegen die von Professor Dumbledores eher leuchtende. Sie entdeckte, dass sie das Grün frischer Blätter liebte und sie hatte die Vermutung, dass das Schicksal Spinnen vergessen hatte, denn die waren immer noch dunkelgrau.
Dass sie nicht wusste, wer in ihrer Nähe denn nun ihr Seelenverwandter war, war ihr mit elf Jahren herzlich egal.
Als ausgerechnet der Arroganzling Potter sie auf den Kupferschein ihrer Haare in der Herbstsonne ansprach, verdrehte Lily nur die Augen und ging weiter, bis sie mit ihren Freundinnen im Schatten saß. Trotzdem fragte sie sich natürlich, wer bei ihm wohl ausgelöst hatte, dass er Farben sah. Vermutlich Isabella Marks, mit der Filch ihn wohl schon mehrmals knutschend erwischt haben musste. Gut für ihn; Isabella war sehr nett.
Severus schien nach wie vor schwarzweiß zu sehen. Auf die leuchtenden Farben des Herbstlaubs im Verbotenen Wald oder die lustige Farbe seines Zaubertranks angesprochen, zuckte er nur die Schultern. Lily merkte, wie er immer öfter verbittert reagierte, also versuchte sie ihm gegenüber das Thema Farben so gut sie nur konnte zu vermeiden.
Es ärgerte sie, dass sie mit 13 immer noch nicht herausgefunden hatte, wer denn nun ihr Seelenverwandter war und warum er sie denn noch nicht darauf angesprochen hatte. Aber vielleicht wusste er es selber noch nicht?
Als ausgerechnet Severus Lily vorwarf, dass sie ihm ihre Farbsicht ja vielleicht nur vorlog um bei ihren Freundinnen besser dazustehen und angeben zu können, wurde ihrer beider Freundschaft noch angespannter als sie sowieso schon war. Es brauchte nicht mehr viel – und als er sie Schlammblut nannte, war es mehr als zu viel. Lily ließ Severus wissen, dass er doch noch nicht einmal eine Ahnung hatte, welche Farbe Schlamm hatte.
Nachts lag sie wach, ihre Gedanken hier und dort hin schweifend. Sie setzte sich ans Fenster und sah hinaus ins dunkle Blau der Nacht und hinauf zum klaren Himmel, an dem die Sterne rot, blau und gelb funkelten. Ein Rascheln lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück zur Erde. Ein junger Hirsch hatte sich sehr weit aus dem Wald gewagt und sah zu ihrem Fenster hinauf. Trotz der Dunkelheit konnte sie seine rotbräunliche Fellzeichnung sehen – es war das schönste Exemplar, das sie je gesehen hatte.
Sie sah „ihren“ Hirsch noch öfter auf dem Schlossgelände. Und jedes Mal spürte sie, dass er sie genauso sah wie sie ihn. Vielleicht könnte sie ja einfach dieses wunderschöne Tier lieben und auf ihm in den Sonnenuntergang reiten.
Als sie zu Weihnachten ein Gedicht bekam, das ihre strahlend grünen Augen erwähnte, staunte sie nicht schlecht. Nicht wegen der Augen; für die konnte sie nichts, auch wenn sie inzwischen wusste, wie selten diese Augenfarbe war. Sondern weil das Gedicht Dinge an ihr hervorhob, die ihr selbst noch nicht aufgefallen waren: Wie ihr Lächeln ganz unbewusst breiter wurde, wenn es Armen Ritter zu essen gab. Wie ihre Augen strahlten, wenn sie jüngeren Mitschülern helfen konnte. Wie geschickt sie sich mit ihrem Zauberstab kurzerhand die Haare hochsteckte, wann immer ein Zaubertrank kompliziert genug war, dass er ihre ganze Aufmerksamkeit verlangte. Wie leidenschaftlich sie in Muggelkunde erzählte und argumentierte.
Aber am allermeisten staunte sie darüber, als das Gedicht sagte, dass der Verfasser damals im ersten Schuljahr in sie hinein gelaufen war. Und dass er seitdem Zeuge werden durfte, wie unterschiedlich Lily doch erröten konnte – wenn sie verlegen war oder wütend oder ertappt oder stolz.
Mit 17 erfuhr sie also, dass James Potter nicht nur sich selbst sah. Und dass sie es war, wegen der er schon seit so langer Zeit Farben sah. Genauso wie sie wegen ihm.
Geschrieben von: Reynis - 03.10.2020, 23:15 - Forum: The Others
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A/N: Dieses Drabble (400 Zeichen) entstand anlässlich des Tropetobers 2020 zur Trope (04) Soulmates AU.
Das Drabble setzt in der zweiten Staffel der Serie an. Gold hatte nach vielen Jahren und einem Fluch, der ihn und viele andere Märchenfiguren ihr wahres Selbst vergessen ließ und sie ihrer Heimat entriss, seine wahre Liebe wiedergefunden, um nur sie nur kurz danach dank seiner Nemesis Captain Hook wieder zu verlieren. In einer Auseinandersetzung fiel Belle über die Stadtgrenze und verlor alle Erinnerung an ihr wahres Dasein, sodass sie ihre Storybrooke-Identität Lacey annimmt. Noch bevor sie dies tut, versucht Gold den Fluch mit Hilfe eines Kusses (wahrer Liebe) wieder von ihr zu nehmen. Da sie sich nicht an ihn und ihre Liebe erinnert, funktioniert es jedoch nicht.
What does a memory matter?
Wie sie ihn angesehen hatte.
Vor seinem inneren Auge sah er sie noch ganz genau vor sich wie sie im Krankenbett saß: Das wundervolle, brünette Haar und ihre hellen, so ehrlichen und aufrichtigen Augen, die ihn geschockt und abweisend anstarrten. Wie hatte er glauben können, dass sein Kuss funktionieren würde?
Er erinnerte sich an den Ausdruck ihrer Augen, die ihn noch gestern mit so viel Liebe begegnet waren, das ihm das Herz zu bersten drohte. Er hatte es damals schon nicht verstanden, wie Belle sich ausgerechnet in ihn hatte verlieben können. Wie sich ein reines Herz – das seiner Dienerin, die er vor nicht allzu langer Zeit als Preis für seine Hilfe im Ogerkrieg als Dienerin zu sich genommen hatte – für ihn hatte öffnen können.
Unverständlich.
Unmöglich.
Im Märchenwald hatte er es nicht glauben können. Keiner machte gerne einen Handel mit dem Dunklen, obgleich es vermutlich so gut wie jeder schon einmal getan hatte.
Noch wenige wagten es jedoch jemand, einen Dunklen zu lieben.
Wieso hatte sie es getan?
Und wieso war er in der Lage, es zu erwidern?
Unmöglich…
Und sein Unvermögen, daran glauben zu können, hatte ihn über viele Jahre hinweg noch viel dunkler werden lassen… verzweifelter, glaubte er doch schuld an ihrem Tod zu sein.
Wenn er sie nicht hätte gehen lassen; wenn er es hätte glauben können, wäre sie der Königin vermutlich nie ins Netz gelaufen.
Und dennoch hatte er sie wieder getroffen. So viele Jahre waren vergangen und schließlich war sie zu ihm gekommen. Schließlich war der Fluch gebrochen worden, der ihnen ihr wahres Selbst in der nichtmagischen Welt fernab des Märchenwaldes vorenthalten hatte. Zum ersten Mal hatte er an so etwas wie Schicksal glauben wollen – an wahre Liebe. Dieses einzigartige Konstrukt, das doch meist nur den Helden vorbehalten war.
Sollte es ihm auch möglich sein?
Konnte es sein, dass nicht Milah, sondern Belle seine wahre Liebe war?
Mittlerweile hegte Gold seine Zweifel.
Sie kannte ihn nicht – erkannte ihn nicht.
Belle kannte noch nicht einmal sich selbst, ihre Geschichte, ihre Vergangenheit.
Natürlich, wie sollte sie da auch ihn erkennen können, nachdem sie dank dieses unleidlichen Piraten über die Grenze Storybrookes gefallen war?
Offenbar war „wahre Liebe“ doch nicht die Lösung für alles, dachte Gold bei sich, während er das Hospital verließ. Jedenfalls nicht für ihn.
Andererseits wen hatte sie hier schon?
Grimmig blieb Gold auf der Höhe des Blumenladens stehen.
Nein, irgendetwas musste er tun können.
A/N:Die folgende Vignette entstand im Rahmen des Tropetobers 2020 zum Prompt (11) Feststecken im Aufzug. Ich fürchte fast, dass das Ende etwas gerusht wirkt, doch die Story entwickelte sich schnell aus dem Rahmen heraus, den ich ihr eigentlich geben wollte. Sicherlich schreit es nach einer Überarbeitung
Falls "Mozart in the Jungle" nicht bekannt sein sollte, anbei eine warme Empfehlung für Serie: Eine tolle Serie für alle, die Spaß an (klassischer) Musik haben! Die Story setzt im Anschluss an die vierte, abschließende Staffel an: Die Oboistin Hailey hatte sich als Dirigentin auf die Spuren Rodrigos begeben. Beide führten innerhalb der Serie noch eine Beziehung, trennten sich jedoch zum Ende, obgleich sie sich künstlerisch jederzeit unterstützten - zuletzt übergab Rodrigo Hailey die Leitung der der New Yorker Symphoniker für eine namenhafte Uraufführung, während er sich selbst der Aufgabe gegenüber sah, endlich etwas zu tun - Musik um der Musik willen zu machen und nicht wegen des Ruhmes.
I'll Maestro? La Maestra!
Mit einem Seufzen betrat sie den Aufzug. Das Meeting war vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Aber wie hätte sie sich auch darauf vorbereiten können, ihm ausgerechnet hier und ausgerechnet heute wieder über den Weg zu laufen? Gar nicht, denn es hatte wohl keiner für nötig befunden sie vorzuwarnen.
Hatte sie sich in den letzten Jahren nicht auch einen Namen als Dirigentin gemacht? War sie nicht mittlerweile weit mehr als die kleine Assistentin des großen Rodrigo de Souza?
Und wo war er eigentlich gewesen?
Abgetaucht!
Beinahe zwei Jahre hatte man nichts von ihm gehört. Wo sie auch hingekommen war, war sein Name in aller Munde gewesen, obgleich immer ein schwellender Unterton immenser Enttäuschung mitgeschwebt war.
Und nun saß er einfach da…
Sah sie an, als sie nie etwas geschehen; als sei er nie fort gewesen; als sei er nie einfach untergetaucht; von der Bildfläche verschwunden?
Wutentbrannt stürmte Hailey mit ihrem Oboenkoffer in Aufzug, dreht sich ruckartig auf dem Absatz um und suchte noch in voller Aufregung mit fahrigen Fingern nach dem Knopf, der sie zum Erdgeschoss befördern würde. Ungeduldig drückte sie Knopf nicht einmal, sondern nochmals – immer wieder, in der Hoffnung, dass sich die Türen schneller schließen würden, als Rodrigo ihr folgen konnten.
„CHAILEI! CHAILEIII“, rief er ihr auf seine eigene, charakteristische mit mexikanischem Akzent geprägt Art und Weise zu. Der kleine Mann stürmte ihr noch, doch die Tür schlossen sich bereit. Schnell genug waren sie jedoch nicht und ehe sich Hailey versah, nahm sie eine Hand zwischen den Türen war, die den Sensor aktivierten.
Die Türen öffneten und Rodrigo gesellte sich zu ihr in den Aufzug. Nervös und etwas verhalten stellte er sich neben sie; kreiste mit den Schultern, wippte ein wenig nach vorn und nach hinten. Hailey richtete ihren Blick stur nach vorn und nahm sich fest vor, Rodrigo keine Angriffsfläche zu bieten. Dennoch registrierte sie seine Blicke, die erst ihr galten und dann den Fahrstuhlknöpfen. Noch immer leuchte der E-Knopf in einem hellen, grellen Licht und verriet ihr Ansinnen, die Flucht zu ergreifen und das Weite zu suchen – am besten soweit weg wie möglich.
Wieder ein Räuspern. Der ehemalige Star-Dirigent beugte sich vor und drückte seinerseits auf die E-Taste- einmal, zwei mal.. mehrmals. Die Tür schloss sich.
Sie waren allein.
Mit einem Ruck setzte sich der Aufzug in Bewegung und fuhr sie hinab – dem befreienden Ausgang entgegen. Wie lange konnte das schon dauern? Eine Minute? Maximal zwei Minuten, wenn überhaupt.
„Chailei“, setzte Rodrigo beschwörend an, ehe er sich ihr vollends zuwandte.
Er war über einem Kopf kleiner als sie.
Das hatte sie beinahe vergessen, versuchte sie sich einzureden. Dabei fühlte es sich an, als hätte sie sich gestern zum letzten Mal gesehen. Unsicher wagte sie es, einen Blick zu Seite zu werfen, ehe sie ihn doch wieder stur der Tür vor ihr zuwandte und ihre Haltung korrigierte.
„Chai…“
Der Aufzug ruckelte mehrmals heftig, sodass einerseits Rodrigo unterbrochen wurden (was Hailey nur recht war) und andererseits sie selbst aus dem Gleichgewicht brachte (was ihr ganz und gar nicht recht war). Verunsichert blickte sich die Oboistin um, sah hinauf zu decke und registrierte dann erst, was fehlte…
…. Bewegung.
„Stecken wir fest?“ rutschte es ihr heraus, während sie sich mit aufgerissenen Augen umsah.
Sie steckte fest?
Im Aufzug?
Ausgerechnet mit ihm?
„Ja, Chailei… Wir“, und Rodrigo blickte sich ebenfalls, einmal um die eigene Achse drehend, um.
„Wir stecken fest… in diesem, diesem Aufzug… Ai… Chailei… das ist nicht gut. Das ist ganz und gar nicht gut“, plapperte er und drehte sich immer noch ein wenig weiter.
„Ich weiß, Rodrigo!“ erwiderte sie schon deutlich aufgeregter, während sie sich dem Notrufknopf zuwandte.
Es dauerte einige Minuten, ehe sich jemand durch das Mikrofonrauschen hindurch meldete. Ein unmotiviertes Nuscheln war zu vernehmen.
„Hey! Können Sie uns hier herausholen? Bitte? Wir“, Hailey blickte zur Etagenanzeige, „stecken zwischen Stockwerk sechs und sieben. Bitte!“
„Eine Stunde“, kam nur zurück und ließ Hailey verdattert zurück.
„Eine Stunde“, wiederholte sie und drehte sich wieder zu Rodrigo um. Sachte ließ sie sich auf den Boden gleiten und wirkte müder als je zuvor.
„Chailei…“, setzte Rodrigo nach einer Pause an, in der er vermutlich selbst hatte einordnen müssen, was das bedeutete. Schnell erhob Hailey ihre Hand und ließ ihn verstummen.
„Kein Wort! Ich will nichts hören!“ erwiderte sie missmutig und freundete sich schon mit dem Gedanken an, dass sie Ihr Vorspielen am anderen Ende der Stadt vermutlich nicht mehr schaffen würde. Zwei vergeigte Termine an einem Tag und eine Stunde im Aufzug mit einem egoistischen, verrückten, unzuverlässigen, ehemaligen Star-Dirigenten mit Höhenflügen… Exfreund. Dabei war es lange her… lange genug.
„Was wolltest du da eigentlich? Du warst zwei Jahre lang verschwunden!“
„Ich war nicht… verschwunden. Ich habe komponiert… bin gereist“.
„Und plötzlich willst du meinen Job?“
„Nein Chailei. Oh, Chailei…“, er schüttelte den Kopf.
„Ich wollte dich… als Dirigentin für das Konzert“.
A/N: 500 Wörter punktgenau sind's diesmal. Und zwar zum Prompt (11) Feststecken im Aufzug der Tropetober 2020 Challenge. Mein erstes Mal, dass ich a) Tims POV poste und b) Jason mit dabei hab. Diese Vignette ist Timeline-mäßig irgendwo im Limbo nach den Red-Robin-Comics aber pre-new52 angesiedelt.
Metall auf Metall
Plötzliche Dunkelheit. Stille. Dann: Ein leises Quietschen von draußen. Metall auf Metall, so wie es klang. Dann verstummte auch das. Im nächsten Augenblick sprang bereits die schummrige Notbeleuchtung an.
Tims Blick landete abwägend auf Jason, der doch die Frechheit besaß, ihn nonchalant anzugrinsen. Als wäre es das Normalste der Welt, mit dem jüngeren Ziehbruder, den man bereits mehrmals versucht hatte umzubringen, in einem Aufzug festzustecken. Noch dazu im Wayne Tower. Dass er sich überhaupt hier blicken ließ!...
Vielleicht grinste Jason aber auch so, weil er in seinem Wahnsinn wirklich und wahrhaftig meinte, es käme nur einer von ihnen lebend hier wieder heraus?
Dann hatte er allerdings die Rechnung ohne Tim gemacht! Sein Kiefer spannte sich leicht an und im Kopf ging er bereits sämtliche Möglichkeiten durch. Er kannte Jason Todd, er wusste, wie sein Gegenüber arbeitete. Blutig, meistens. Paranoid, immer. Aber leider dabei trotzdem extrem strukturiert. Auf so engem Raum würde Tim sein Kampfstab und seine ganze Schnelligkeit allerdings nichts nutzen – sollte es zum Kampf kommen, wäre Jason mit seiner bulligen Statur und reinen Muskelmasse vermutlich im Vorteil (ganz zu schweigen von möglichen Feuerwaffen). Tim zweifelte kaum wirklich daran, dass es dazu käme. Bisher hatten Begegnungen zwischen ihnen beiden immer noch damit geendet, dass einer von ihnen Prellungen, Platzwunden oder noch Schlimmeres davontrug.
Tim musste also hier raus. Musste handeln, bevor Jason überhaupt zum Zug kam. Oder ihn überwältigen, wofür er allerdings jetzt schon zu lange gezögert hatte. Verdammt!
„So angespannt, Ersatz?“, lehnte Jason sich locker zurück, wobei sein Blick jedoch keinen Bruchteil einer Sekunde von Tim wich.
Tim wusste, seine Stimme klang ruhig, beherrscht, neutral: „Was willst du hier?“
Jasons Grinsen wurde noch eine Spur breiter. „Keine Sorge, dich hier und jetzt umzubringen wäre erstens keine Herausforderung, zweitens sollte B dabei sein und drittens würden die falschen Leute zu viele Fragen stellen. Du bist also sicher, Little Wing.“
„Als hätte ich Angst vor dir“, knurrte Tim geradezu als Antwort.
Jason stieß ein belustigtes Schnauben aus.
Bevor Tim aber noch etwas hinzufügen konnte, setzte sich der Aufzug mit einem ohrenbetäubenden Ächzen wieder in Bewegung. Die Beleuchtung sprang zurück um auf kaltes Neonlicht. Und nur Sekunden später kündigte der Aufzug an, dass sie auf Tims Stockwerk angekommen waren.
Mit einem Kopfnicken deutete Jason an, dass er Tim den Vortritt ließ.
Natürlich traute Tim ihm nicht, auch wenn er wusste, Jason fühlte sich ihnen allen immer noch überlegen genug, so dass er sie wenn dann von vorne töten würde. Sein Motiv war Rache. Trotzdem war sich Tim jeder noch so kleinen Bewegung des Anderen bewusst, als er ihm aus dem Aufzug heraus folgte.
„Ich will übrigens zu dir, Mister CEO“, klärte Jason ihn auf.
Als Tims Smartwatch sich meldete. „Meld dich bei meiner Assistentin an“, gab er kurz angebunden zurück und verschwand in seinem Büro.
Nur um direkt durch den geheimen Bat-Aufzug innerhalb von Sekunden wieder tief unter das Gebäude zu fahren. Red Robin würde gebraucht. Und Jason durfte erst einmal warten.
Ein grimmiges kleines Lächeln der Genugtuung trat auf Tims Lippen.
A/N: Geschrieben für Tropetober 2020 zum Prompt Coffee Shop AU (und ein No-Powers-AU ist es dazu auch noch). Ja, es ist ein Klischee, aber ich liebe sie einfach, die guten alten Coffee Shot AUs! Fluffy ist eben einfach manchmal genau das, was ich brauche. Außerdem finde ich ja gerade auch irgendwelche Cafés als Schreibatmosphäre ganz wundertollig - unter den aktuellen Umständen nicht wirklich möglich, aber allein bei dem Gedanken an Kaffeeduft... Japp, da werden wohl noch mehr folgen. Übrigens: No beta - we die like Robins.
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Alvin
(600 Wörter = Vignette)
„Ein Venti Quadruple-Shot Mocha mit Pumpkin Spice und extra Guarana für Alvin”, rief Kon.
Inzwischen kannte er die Order auswendig. Jeden Tag am frühen Morgen, kaum dass Kon das Café aufgesperrt hatte, trottete dieser gutaussehende Kerl herein. Oder er wäre zumindest gutaussehend (oder noch gutaussehender?), wenn da nicht die dunklen Ringe unter seinen Augen wären. An manchen Tagen, hatte Kon bemerkt, versuchte er sie mit Abdeckcreme zu verstecken – was eher mäßig gelang. An anderen Tagen wirkte das tiefe Lila fast, als hätte er ein Veilchen. Als hätte er sich geprügelt. Trotzdem ging für Kon die Sonne ein zweites Mal auf, wenn Alvin mit einem ehrlich dankbaren Lächeln seinen Kaffee von ihm entgegen nahm.
So auch heute. Kon spürte sein Herz erwartungsvoll gegen seinen Brustkorb hämmern, während er den frisch gebrühten Kaffee auf der Ausgabetheke absetzte – was aber nichts war im Vergleich zu den ganzen Bataillons an Schmetterlingsflügeln, die dagegen flatterten und am liebsten heraus wollten, sobald Alvin ihm gegenüberstand und ihn anlächelte. Heute trug er die etwas längeren Haare offen und ungegelt, trug ein Sex-Pistols-Tourshirt, das seine trainierten Oberarme betonte, und dunkle Baggyjeans, die locker auf seinen schmalen Hüften saßen. Und seine Augenringe waren schwächer – Gott, sah er heute gut aus!
Alvin. Kon hatte anfangs immer an ein Streifenhörnchen denken müssen – anfangs. Inzwischen hatten das Lächeln und die seeblauen Augen jede andere Assoziation verdrängt. Auch wenn er sich oft genug fragte, welche Eltern ihren Sohn Alvin nannten.
„Heißt du echt Alvin?“, waren die Worte auch vor ein paar Wochen draußen gewesen, ohne dass er sie bewusst gedacht hatte.
Und er hatte seine große Klappe augenblicklich bereut, als das sonnige Lächeln einem gewittrig düsteren Stirnrunzeln gewichen war. „Klar. Was dagegen?“
Kon hatte den knallroten Kopf geschüttelt. „Nee, ähm, alles gut. Ist eben ein interessanter Name.“
Der Blick seines Gegenübers war zu Kons Namenschild gegangen, dann wieder zu seinem Gesicht, bevor er sich mit einem zuckersüß-falschen Lächeln und einem Kopfschütteln einfach umgedreht hatte und gegangen war.
Seit dieser Blamage hatte Kon lieber keinen Smalltalk-Versuch mehr gestartet. Was nicht hieß, dass er ihn nicht trotzdem angeschmachtet hatte, wann immer er sich sicher war, dass Alvin nicht zu ihm sah. Seine Kollegin Cassie zog ihn bereits damit auf – zu Kons Glück immer erst, wenn Alvin das Café wieder verlassen hatte...
„Hey, ähm... Conner?“ Kon zuckte ertappt zusammen, als er merkte, dass er angesprochen wurde. Von Alvin. Natürlich! Der seinen Namen kannte!!! Er versuchte seine Gesichtszüge so zu ordnen, dass sie möglichst neutral und professionell wirkten. Dem kleinen Schmunzeln nach zu urteilen, das Alvins Lippen umgab, scheiterte er gerade spektakulär. „Ich fürchte, da ist irgendwas schief gegangen.“ Er schob Kon den vollen Pappbecher wieder entgegen.
Als Kon sah, was darauf stand, wusste er nicht so recht, ob er lachen oder heulen sollte. Sein Blick ging zu Cassie, die gerade gutgelaunt die Order einer anderen Kundin entgegen nahm und viel zu unschuldig dabei wirkte. Sie hatte doch allen Ernstes 'Sexy Pistol Alvin' darauf geschrieben, mit einem Herzchen anstatt eines i-Punkts. Kon würde sie umbringen – qualvoll und langsam!
Sein Gegenüber räusperte sich und Kons Aufmerksamkeit schnellte zu ihm zurück. Gerade wollte er erwidern, dass... ja, was? Seine Kollegin einen schrägen Sinn für Humor hatte? Das ein Missverständnis war? Er ihn wirklich sexy fand? Doch kam Alvin ihm zuvor: „Ich heiße übrigens Tim.“
Alvin—nein, Tim zwinkerte ihm verschwörerisch zu, machte dann aber auf dem Absatz kehrt und ließ Kon einfach so stehen.
Als er die Tür öffnete, meinte Kon noch zu erkennen, dass seine Ohren hochrot angelaufen waren.
Tim…
Okay. Vielleicht würde Kon doch noch damit warten, Cassie umzubringen. Zumindest so lange, bis er Tim eingeholt hatte…
An diesem Morgen schien die Schule in hektischer Aufregung zu sein, wie immer vor einem Schulball. Die Hälfte der Mädchen schien zu fehlen, was allerdings die anwesenden Mädchen wieder ausglich, indem sie doppelt so laut und lebhaft waren wie sonst. Die Jungen versuchten natürlich noch viel mehr, cool zu wirken, aber viele tobten wild durch die Gänge. Cross eilte immer wieder aus seinem Büro heraus und wieder hinein, manchmal sogar mit einem oder zwei Schülern im Schlepptau.
Der Biologie-Unterricht war ein Witz, aber Kon wusste nicht, ob es die Schuld der Vertretung war oder einfach nur die allgemeine Stimmung vor dem Ball. Das, was in der Stunde am ehesten an Arbeit herankam, waren einige Diagramme des Organsystems, die sie farbig markieren sollten, während sie ein Video über die Nieren ansahen. Normalerweise war Kon ein absoluter Befürworter einfacher Klassenarbeit, aber angesichts von Daltons Abwesenheit fühlte es sich eher wie ein Schlag ins Gesicht an. Sie hatten den menschlichen Körper letztes Halbjahr bereits durchgenommen. Kon war ein ziemlich lausiger Schüler, aber selbst er wusste schon, was das Nierenbecken war. Bis zu dem Zeitpunkt, als der Gong ertönte, wägte Kon ab, wie sicher – und wie abstreitbar – es wäre, wenn er den gemeinschaftlichen Stifteeimer in Brand setzte.
Kunst war besser, weil Jake dabei war. Sie gaben die Wochenaufgaben ab, bevor Jake eine Seite aus seinem Malblock riss, um daraus einen Papier-Football zu falten. Er konnte bei seinen Field Goals erstaunlich gut zielen und traf Kon dreimal auf die Nase, bevor Kon anfing zu schummeln.
Delilah hatte Jake anscheinend noch vor seiner Klassenstunde in eine Ecke gedrängt, um ihm zu sagen, dass sie ein Date für ihn gefunden hatte. „Alles, was ich weiß“, erzählte Jake, während er seine Finger als Torpfosten in die Höhe hielt, „ist, dass sein Name Russell ist und er Geologie studiert.“ Er wich Kons perfekt geschnipptem Ball aus. „Geologie. Ich werde also den Abend mit einem Typen verbringen, der Steine sammelt. Verdammt nochmal worüber sollen wir uns bitte unterhalten?“
Kon zuckte die Schultern: „Steine?“ Er wurde erneut auf die Nase getroffen.
In Trigonometrie bekamen sie Arbeitsblätter, aber sie bekamen auch das ganze Wochenende Zeit dafür. Schließlich setzte er sich neben Beth und schrieb den Großteil der ersten beiden Arbeitsblätter von ihr ab. Bis sie es bemerkte und ihn mit einem Lineal traf. Danach half sie ihm aber doch, die dummen Textaufgaben grafisch zu lösen, was sowieso der schwerste Teil war. Vielleicht könnte er Bart oder Jake überzeugen, dass sie ihm mit dem Rest halfen.
In der Mittagspause hatten sie eine Besprechung in der Bibliothek, aber Kon machte auf dem Weg noch einen Abstecher, als er bemerkte, dass Chase und Hamilton von drei Typen aus dem Football-Team regelrecht eingekreist wurden. Er kam gerade rechtzeitig dort an, um zu sehen, wie Hamilton seinen Rucksack fallen ließ und seine Ärmel hochkrempelte – und dann innehielt, als der vorderste der Drei beide Hände erhob und meinte: „Hey! Wir wollen nur mit dir reden, Ham.“
Hamilton wirkte unentschlossen. Er warf einen kurzen Blick zu Chase, der demonstrativ zuerst Kon über den Gang hinweg zunickte, dann Katie, die von irgendwoher ebenfalls erschienen war. Hamilton wich einen Schritt zurück und ließ seine Arme sinken. Jetzt, wo er nicht mehr in der Unterzahl war, wirkte er auch wieder ein wenig sicherer. „Okay“, gab er zurück, „Dann redet.“
„Du hast das Training geschwänzt“, fing der Erste, der auch der Wortführer zu sein schien, an.
„Nein, hab ich nicht. Ich hab aufgehört.“
„Du kannst nicht einfach aufhören“, sagte einer der anderen Jungen – ein Blondschopf, „Wer ist denn dann Kicker?“
„Cooper—“
„Cooper ist scheiße“, gab der Erste unverholen zurück.
Der dritte Junge – anscheinend Cooper – lachte: „Oh, danke auch.“
„Bist du doch!“
Chase, der bis jetzt halb hinter Hamilton gestanden und seine Bücher umklammert hatte, machte einen kleinen Schritt nach vorne, um ihm ins Ohr zu zischen: „Du hast hingeschmissen?“
„Was zur Hölle sollte ich denn machen?“, schnauzte Hamilton zurück, inzwischen rot vor Wut. „Alle starren mich in der Umkleide an, niemand redet mit mir – es ist nicht fucking ansteckend.“
Kon hatte vorher nicht so wirklich darüber nachgedacht, wie es sein musste. Hamilton wusste nicht, dass ein Superheld auf ihn aufpasste. Er musste glauben, dass er sich mit jedem Tag, den er länger blieb, zur Zielscheibe machte. Selbst wenn der Mörder ihn sich nicht schnappte, musste er eine Heidenangst haben, dass seine Teamkollegen es würden.
„Was geht hier vor sich?“, fragte eine Frauenstimme. Als Kon sich umdrehte, stand Miss Marcus mitten auf dem Gang, Mel einen Schritt hinter ihr. Sie war Kons Englischlehrerin gewesen, bevor er gestorben war, und sie war ziemlich furchteinflößend, wenn sie wütend war.
„Wir unterhalten uns nur“, murrte Cooper und scharrte mit seinem Schuh über die Fliesen.
„Aha“, gab sie skeptisch zurück.
„Ja“, stimmte Hamilton zögernd zu, „Teamangelegenheit.“
Einen langen Moment musterte sie die Jungen, sah zu Mel, eine Augenbraue nach oben gezogen, und ging dann den Gang hinunter zum Wasserspender. Sie entfernte sich aber nicht weiter. Offensichtlich traute sie dem Schein nicht.
Aber immerhin war sie weit genug weg, dass die Jungen weiter redeten. „Wie auch immer“, sagte der Erste, „du bist immer noch Teammitglied. Coach zählt jeden Tag, den du nicht erscheinst, als Fehltag.“
Hamilton seufzte genervt: „Ich hab meine Ausrüstung abgegeben—“
„Dann hol sie dir wieder“, gab Cooper zurück, „Ist ja nicht so, als hätte Baumhauer sie weggeworfen.“
„Wahrscheinlich hat er sie sterilisiert“, meinte Hamilton und verdrehte die Augen, „Um die ganzen Homo-Bazillen abzutöten.“
Der Blonde kicherte: „Homo-Bazillen“, wiederholte er. Cooper boxte seinen Arm. „Au!“
„Wenn Tom dich nervt, gib mir Bescheid“, sagte der Erste, „Er ist nur der Zeugwart. Er muss das tun, was Coach sagt und Coach will, dass du zurückkommst. Ferris macht bald Abschluss—“
„Wenn er denn diesmal Algebra schafft“, fügte Cooper grinsend hinzu, „Komm schon, Mann, lass nicht mich die ganze Arbeit machen!“
„Ja“, stimmte der Blonde zu, „er ist scheiße. Au! Hör auf!“
Hamilton nahm seinen Rucksack wieder auf und nach einem Augenblick Zögern krempelte er seine Ärmel auch wieder herunter. „Ich denk drüber nach.“ Er erhielt ein unbeholfenes Schulterklopfen von den ersten beiden Jungen und ein gutmütiges Schubsen von Cooper, der immer noch grinste. Er antwortete mit einem kleinen Lächeln, als sie gingen.
„Oh mein Gott“, seufzte Chase, sobald sie weg waren. Er ließ sich gegen die nächste Wand sinken. „Jesus fucking Christ! Ich glaub, ich muss Hose wechseln.“
*
Die Besprechung war recht kurz – nur noch einmal Bestätigung dessen, was ein Großteil von ihnen am Vortag beim Mittagessen beschlossen hatte. Sie würden sich bei Whoa Nellie’s zum Essen treffen und dann alle gemeinsam zum Gemeindezentrum fahren, zu ihrer Sicherheit und für den größtmöglichen Effekt. Alle hatten Dates, außer Clarence, der darauf Wert legte allein hinzugehen. Und sie würden alle dieselben Ansteckblumen tragen, die netterweise vom Blumenladen von Katies Mutter zur Verfügung gestellt wurden.
Miss Marcus war auch dort; anscheinend hatte Mel sich darum gekümmert, dass sie ihre neue Betreuerin wäre, zumindest bis sie mehr über Daltons Zustand wussten. Kon fügte sie seiner geistigen Liste von Leuten, auf die er aufpassen musste bis der Mörder gefasst war, hinzu.
Danach machten sie erst einmal Mittagspause und die Mädchen machten sich auf den Weg zu Carolines Haus, um sich dort umzuziehen. Kon musste also ausnahmsweise allein zu Englisch gehen. Er wünschte sich wirklich, Delilah wäre nicht schon gegangen – der Unterricht war noch mehr ein Witz als alles am Morgen und jetzt hing er auch noch mit Miller hier fest, der hinter ihm dumme Sprüche riss. Schließlich reichte es Kon und ohne hinzusehen kippte er Millers Pult und Sitz zur Seite, so dass er zu Boden fiel – zur großen Belustigung der ganzen Klasse.
Kon flog kurz beim Krankenhaus vorbei, wo alles unverändert war, und machte eine Runde über den gesamten Ort. Die Mädchen schienen Spaß zu haben, mit der Ausnahme von Katie, die in einer Tour fluchte, während Caroline und Delilah ihre Haare bearbeiteten. Relativ zuversichtlich, dass sie in guten Händen waren, flog Kon nach Hause.
Er hatte fast erwartet, dass Tim dort bereits auf ihn wartete, als aber Krypto der Einzige war, der ihn begrüßte, machte er sich einen kurzen Snack und wählte Tims Nummer.
„Spät dran“, meldete sich Tim, sein Atem etwas schneller als normal, „Ich bin hier fast fertig.“
Jemand rief nahe an Tims Kommunikator etwas und schrie vor Schmerz auf. „Brauchst du Hilfe?“, bot Kon an. Vielleicht musste ja die Welt gerettet werden und sie müssten den Ball sausen lassen.
„Ich werde da sein.“
„Solltest du besser auch.“ Kon trank seine Milch aus und stellte das Glas in die Spüle. „Ich glaub, ich würde die Zurückweisung nicht verkraften, wenn du mich versetzt.“
„Ich glaube“, fing Tim an, aber beendete seinen Satz erst mehrere Schüsse und einen Schrei später: „dass dein Freund dich sicher gern tröstet.“
„Was machst du überhaupt grad? Es ist doch taghell draußen.“
„Geiselnahme“, antwortete Tim knapp, „Konnte nicht warten. Ist unter Kontrolle. Ich bin unterwegs.“
Der Anruf war beendet. Kon verdrehte die Augen und steckte sein Handy wieder ein. Einzig und allein Tim nahm einen Anruf an, während auf ihn geschossen wurde. Aber wenn er jetzt auf dem Weg war, sollte Kon sich besser auch fertig machen. Er ging nach oben.
Der Anzug, der auf seinem Bett lag, sah teuer aus. Kon musterte ihn eine oder zwei lange Minuten, bevor er es aufgab, herauszufinden wie teuer. Es war auf jeden Fall etwas vollkommen anderes als Clarks alte, abgelegte Sachen.
Kon ging sich duschen. Er kämmte sich die Haare und putzte sich die Zähne, brannte den Bartschatten von seinem Kiefer, dann wusch er sich das Gesicht noch einmal, um die Asche loszuwerden. Es war kein echtes Date oder so, aber Kon mochte es, sich herauszuputzen. Und wenn Tim schon für den Anzug bezahlt hatte, dann schätzte Kon, dass von ihm auch erwartet wurde, gut auszusehen. Er wünschte sich nur wirklich, er könnte für den Abend diese dumme Brille weglassen, aber er ging wahrscheinlich schon genug Risiko ein, indem er zur Abwechslung mal ordentliche Kleidung trug.
Der Anzug saß perfekt. Was Kon nicht wirklich überraschte, auch wenn Tim nie seine Maße genommen hatte oder ähnliches – oder ihn auch nur nach seiner Jeansgröße gefragt hatte. Es war der erste Anzug, den Kon je getragen hatte, der ihm auch um die Schultern passte. Er begutachtete sich im Spiegel und rückte die einfarbig graue Krawatte zurecht. Er sah echt gut aus. Vielleicht zu gut. Er zwang sich dazu, etwas in sich zusammenzusacken und seine Schultern einzuziehen. Das zerstörte allerdings den ganzen Sitz des Anzugs und er stand schnell wieder mit geradem Rücken da, sobald er nicht mehr daran dachte.
Der Anzug selbst war in einem dunklen, leicht glänzenden Blaugrau gehalten, mit einer taubengrauen Seidenkrawatte. Das Hemd war minimal zu dunkel, um es Weiß nennen zu können, aber nicht glänzend genug, um silberfarben zu sein, und es fühlte sich glatt und kühl auf seiner Haut an. Statt Knöpfen hatte es Löcher für Manschettenknöpfe – die Tim aufmerksamerweise mitgeliefert hatte. Es waren schlichte Stahlkreise mit seinen eingravierten Initialen – CK, nicht KE – aber sie passten gut zu dem hellen Hemd. Kon war allerdings froh um seine Telekinese, weil er noch nie zuvor richtige Manschettenknöpfe getragen hatte. Sein erster Versuch sie anzulegen, hatte beinahe damit geendet, dass er sie unter dem Bett hätte suchen dürfen.
Tim hatte sogar Schuhe mitgeliefert, in demselben dunklen Grauton wie der Anzug und mit glatten Ledersohlen, bei denen Kon am liebsten geschwebt wäre, um sie nicht abzuwetzen. Sie banden sich gerade von selbst an seinen Füßen, als Martha am Türrahmen klopfte und ins Zimmer trat, ihre Kamera in der Hand und ein Lächeln auf dem Gesicht.
„Na du bist aber richtig schick“, meinte sie, während sie einmal um Kon herum ging, bevor sie die Hand ausstreckte, um sein Gesicht von einer Seite auf die andere zu drehen.
Beschreibung: Willkommen zu Tropetober 2020, einem ganzen Monat voller Tropen. Nein, nicht die am Äquator, obwohl ihr eure Storys natürlich auch gerne dort ansiedeln könnt. Aber diesen Oktober ist die Challenge, die typischsten und beliebtesten Storylines, -elemente und alternativen Universen in (Fan)Fiction aufzugreifen und zu verarbeiten. Lasst euch inspirieren, habt Spaß damit und wir freuen uns auf eure Geschichten!
Regeln:
1. Wählt einen der unten stehenden Prompts aus (keine Reservierungen, jeder Prompt kann auch mehrfach genommen werden).
2. Lasst euch davon inspirieren und schreibt ein Drabble, eine Vignette oder einen Oneshot dazu.
3. Postet das fertige Drabble/die fertige Vignette/den fertigen One-Shot im passenden Forum und meldet euch als Antwort auf diesen Thread mit einer Verlinkung dorthin.
4. Wenn ihr super motiviert seid, könnt ihr natürlich so viele Drabbles/Oneshots schreiben, wie ihr wollt.
5. Ganz wichtig: Habt Spaß dabei!
6. Und wenn ihr den Spaß teilen wollt, gebt euren Mitschreiber*innen Feedback auf deren Werke - immerhin freut sich jede*r darüber, wenn das Geschriebene auch gelesen wird.
Prompts: (01) High School/College AU (02) Coffee Shop AU (03) Piraten AU (04) Soulmates AU (05) Spy AU (06) Royalty AU (07) What Happens In Vegas, Stays In Vegas AU (08) Fake-Dating / Fake-Beziehung (09) Regel 63: Genderflip (10) Freaky Friday: Körpertausch (11) Feststecken im Aufzug (12) Crossdressing for Justice (13) Crossover (14) Modern AU / Fantasy AU (15) Groundhog Day (16) Apocalypse: Kurz vor dem Weltuntergang
In dieser Nacht ging Kon gar nicht nach Hause. Zwanzig Minuten bevor Martha normalerweise aufwachte, flitzte er durchs Haus und setzte einen Pott Kaffee auf. Bei seiner nächsten Runde melkte er die Kuh und brachte die Eier ins Haus. Als der Kaffee fertig war, war Martha noch nicht aufgestanden und konnte sich so auch nicht darüber aufregen, dass er ihn direkt aus der Kanne trank. Er setzte einen neuen Pott auf, fütterte den Toaster mit Brot und flog wieder weiter.
Als er erneut an der Farm vorbei kam, war der Toast gebuttert und wartete bereits auf einem Teller auf ihn. Martha starrte darauf, während sie in ihrem dünnen Nachthemd, darüber einem flauschigen Morgenmantel, am Küchentisch saß und ihren Kaffee trank. Kon landete auf der Veranda und ging durch die Tür. Ein wenig erschrocken stellte er fest, dass er das zuvor nicht getan hatte. Seine Füße hatten nicht mehr den Boden berührt, seit Jake am Tag zuvor gegangen war.
„Kommst du etwa grad erst heim?“, fragte Martha, als er sich hinsetzte.
„Superhelden-Zeug“, antwortete Kon und leerte den Becher, den sie ihm fürsorglich eingeschenkt hatte.
Auf Marthas Gesicht zeigte sich deutlich Besorgnis: „Die ganze Nacht? Ich hatte ja gehofft, du hast einfach nur im Ort übernachtet.“
Kon verschluckte sich an seinem Toast. Shit! Er musste husten und sie klopfte ihm auf den Rücken, so dass das Brot im richtigen Hals landete. Meinte sie etwa, bei Jake? Nee, oder?! Hatte sie sie etwa durch das Fenster gesehen? Oder es erraten? Oder—
„Tim hat angerufen.“
Kon schluckte. „Was, hier? Mein Handy war an.”
„Oh, er wollte nur, dass ich eine Nachricht weitergebe. Er sagt, du brauchst dir keine Gedanken machen, was du anziehen sollst zu eurem Date.“ Sie machte eine Pause – Kon war sich ziemlich sicher, das tat sie einzig und allein, um ihn leiden zu lassen. Dann fügte sie hinzu: „Er hat gesagt, er lässt was für dich schicken.“
Oh Gott! Kon schlang den Rest von seinem Toast so schnell er konnte hinunter, so dass er fliehen könnte, bevor er noch vor Peinlichkeit starb. Das einzige, was das hier noch schlimmer machen könnte, wäre wenn Martha anfinge mit—
„Cassie war schon eine ganze Weile nicht mehr hier“, stellte Martha im Plauderton fest. Sie nahm einen Schluck Kaffee. „Und hat auch nicht angerufen, soweit ich weiß?“
„Ich glaub, sie ist sauer auf mich“, gab Kon zu.
Martha blickte ihn ruhig an: „Ich kann mir gar nicht vorstellen, weshalb.“
„Ich ruf sie an“, versicherte Kon, „Ehrlich, ich ruf sie an. Es ist nur – diese Woche ist so viel passiert, Ma. Ich war echt beschäftigt.“
„Du solltest dich eine Weile ausruhen“, meinte sie, als sie sich aus ihrem Stuhl erhob, „Ich richte dir ein anständiges Frühstück her.“
Kon sprang von seinem Stuhl auf und umarmte sie. „Ich hab‘s eilig“, antwortete er, während er sie wieder absetzte, „Nur kurz duschen, dann muss ich schon wieder weiter.“
„Conner Kent!“, rief sie, als er bereits die Treppen nach oben flog. Er hörte sie wütend vor sich hin murmeln, während er sich auszog und das Wasser anstellte. Dann rief sie die Treppen hinauf: „Ich wünschte, Clark hätte dir einen zweiten Vornamen gegeben!“
*
Er begleitete seine Freunde sicher zur Schule, ungesehen von oberhalb der praktischerweise tief hängenden Wolkendecke aus. Sobald alle sicher in ihren Klassen waren, flog er zum Lowell-County-General-Krankenhaus und landete auf dem Dach, neben der Tür zum Treppenhaus.
Justine schlief auf einem Feldbett, eine dünne Decke um sich geschlungen. Kon sah eine Weile lang Dalton an, bevor er auf einen Block mit Krankenhauslogo eine Notiz kritzelte und sie zusammengefaltet in Justines Hand steckte. Wenn sich irgendetwas änderte, wollte er es wissen. Und wenn er heute zur Schule musste, könnte er hier nicht Wache halten.
Als er damit fertig war, schlich er sich wieder nach draußen und flog zurück nach Smallville. Die Geschäfte öffneten langsam, weshalb er hinter Murphys Bar landete, versteckt von einer Ansammlung von Bäumen. Der Fußweg war etwas länger, aber dafür viel unauffälliger. Er wünschte sich manchmal wirklich, dass seine Schule auch eine Tür zum Dach hätte, besonders wenn er versuchte, sich nach Unterrichtsbeginn hinein zu schleichen.
Cross stand direkt innerhalb der Eingangstüren und redete mit einer Polizistin, als Kon eintrat. Als er ihn bemerkte, erhellte sich sein Blick. „Mister Kent!“, sprach er ihn voller Erleichterung an.
Kon erstarrte. Normalerweise wurde er ganz anders begrüßt, wenn er zu dieser Uhrzeit hier aufschlug. „Äh… Guten Morgen?“
„Entschuldigen Sie uns“, meinte Cross zu der Polizistin und trat mit einem Nicken von ihr zurück. „Mister Kent, mein Büro, bitte!“
Kon folgte so still er nur konnte. Er würde bestimmt nicht den Mund aufmachen und sich selbst anschuldigen. Kon war schon oft genug im Rektorat gewesen, um diese Lektion gelernt zu haben. Er setzte sich, als Cross es ihm anbot, und beobachtete misstrauisch, wie Cross hinter seinem Schreibtisch Platz nahm und die Hände faltete.
„Sie und Mister Dalton standen sich nahe“, begann er einen Augenblick später.
Kon blinzelte verwirrt. „Wenn Sie auch nur andeuten wollen—“
Cross lachte plötzlich auf, ein kurzes, scharfes Bellen voller Humor. „Du meine Güte, nein, Conner. Dafür kannte ich Alex schon zu lange.“
Kon schluckte. „Kenne.“
„Wie bitte?“
„Kenne“, wiederholte Kon, „Sie verwenden ständig die Vergangenheitsform.“
„Ich—“ Cross hielt inne. „Tu ich das? Das tut mir leid. Ich habe es nicht einmal bemerkt.“ Er schüttelte den Kopf und beugte sich nach vorne: „Conner, ich wollte nur, dass Sie wissen, Sie werden nicht bestraft dafür, dass Sie gestern einfach so die Schule verlassen haben.“
Kon setzte sich etwas gerader auf. „Ich kriege also keinen Ärger?“
„Nein“, antwortete Cross freundlich, „natürlich nicht. Nehmen Sie das aber nicht als Freifahrtschein. Ich möchte nicht, dass Sie jetzt in das alte Muster zurückfallen und wieder ständig fehlen …“
Kon versuchte sich an einem kleinen Lächeln.
„Und – also, ich verstehe Ihre Gründe für die Verspätung heute Morgen. Wenn es noch früher im Schuljahr wäre, würde ich anbieten, dass Sie Kurse tauschen können, aber wir sind schon viel zu nahe am Schulabschluss dran. Nichtsdestoweniger können wir aber auch etwas anderes einrichten. Ich würde mich freuen, wenn Sie morgen der Vertretung eine Chance geben. Sollte das zu schwierig für Sie sein, können wir auch über ein unabhängiges Lernprogramm sprechen.“
Kon rutschte auf seinem Stuhl etwas hin und her. „Sie, äh. Sie haben das wirklich durchgedacht.“
„Das ist meine Aufgabe.“ Cross lächelte. „Ich weiß, ich werde gerne für den Feind gehalten, aber das wäre ich viel lieber nicht. Als ich Ihren Club blockieren wollte, ist das wirklich aus Sorge um die Schüler hier geschehen.“ Einen Moment lang wirkte er traurig. „Ich bin in Birmingham marschiert, Conner. Ich hätte nie gedacht, dass ich irgendwann ‚Die da oben‘ sein würde.“
„Aw“, machte Kon zögerlich, „Sie sind echt in Ordnung.“
Cross lachte leise. Er beugte sich über seinen Schreibtisch und reichte Kon eine Karte. „Uns wurden vom County übrigens vier Seelsorger zugeteilt. Ich würde Ihnen wirklich raten, dass Sie mit einem sprechen. Genau genommen—“ Er zog aus seiner Tasche einen ganzen Stapel Karten heraus und reichte sie Kon. „Ihre Freunde nehmen die hier vielleicht von Ihnen an, wenn sie sie schon nicht von mir nehmen.“
Kon senkte den Blick darauf. Jede der Karten hatte eine Liste mit Telefonnummern von Seelsorgern zum persönlichen Gespräch und zwei Nummern von Telefonseelsorgen. Er steckte sie in seine Tasche, um sie später an Mel weiterzugeben.
„Ihre Freunde haben sich gestern große Sorgen um Sie gemacht. Ich im Übrigen auch. Ich habe Ihre Tante wahrscheinlich ein Dutzend Mal angerufen.“
Oh, das hatte Martha sicher sehr gefallen. Der Gong ertönte zum Ende der ersten Stunde und Kon erhob sich. „Ich, äh, werd das nächste Mal Bescheid sagen, wenn ich mal für den Tag verschwinden will“, gab er verlegen zurück.
Cross schenkte ihm ein schiefes Lächeln. „Tun Sie das.“
*
Jake saß in ihrer Ecke des Kunstraums, als Kon dort ankam. Er war so konzentriert auf das, was auch immer er gerade zeichnete, dass er nicht einmal aufsah und Kon erst etwa zehn Minuten nach dem Gong bemerkte. „Oh“, machte er überrascht, „Hey. Ich hab dich heute Morgen gar nicht gesehen.“
„Ich war zu spät. Hey, du hast aber keinen Ärger bekommen, oder? Dafür, dass du gestern einfach gegangen bist?“
„Nee“, legte Jake das Stück Zeichenkohle beiseite und wischte sich die Hände an einem Papierhandtuch ab, „Die Sekretärin hat gesagt, dass sie es einfach als Krankheitstag zählen.“
Kon nickte. „Cross wollte persönlich mit mir reden, aber er hat gemeint, ich kriege auch keinen Ärger.“ Er beugte sich über den Tisch und spähte auf das Blatt, das Jake an sein Zeichenbrett geklebt hatte. Oh, das war ja er! Sein Gesicht in Kohle und weißer Kreide, auf honigfarbenem Papier. „Das sieht super aus!“, kommentierte er, „Ich dachte, du hast was gemalt?“
Jake räusperte sich und machte sich wieder an die Arbeit. „Musste ich wegwerfen“, meinte er, „Es war… Ich hab‘s versaut.“
„Oh“, machte Kon, und weil er Jakes Gesichtsausdruck gerade nicht wirklich mochte, fragte er: „Wie ist, äh. Es. Denn gelaufen?“
Jake sah auf und lächelte. „Eigentlich echt gut. Ich hatte recht, dass Nell es schon geahnt hat, und sie hat mich total unterstützt, und – naja, Dad ist ein bisschen ausgeflippt, aber ich glaub, es ist großteils in Ordnung? Ist ja doch eine recht große Umgewöhnung, oder? Aber er war überraschend gefasst. Er, ähm—“ Jake senkte den Blick. „Er hat nach dir gefragt.“
Kon wandte sich wieder seiner Zeichnung zu, die mit Jakes Hilfe immerhin überwiegend menschlich aussah, auch wenn sie nicht besonders viel Ähnlichkeit mit Jake hatte. Er würde nicht fragen. Nein, würde er nicht.
„Ich, äh, hab ihm gesagt, dass wir befreundet sind“, klärte Jake ihn leise auf. Als Kon aufsah, waren seine Ohren leicht rot.
„Ja“, stimmte Kon zu und hoffte, dass er nicht so erleichtert klang wie er sich fühlte. Jake war toll, aber Kon hatte Cassie. Und überhaupt glaubte er nicht, dass er mit jemandem ausgehen könnte, der nicht Teil seiner Welt war – der ihn nicht wirklich kannte. Solche Dinge überließ er lieber Leuten wie Tim, die ihre Leben getrennt halten konnten, mit unterschiedlichen Teilen für unterschiedliche Leute.
„Ich weiß aber nicht, ob Nell so überzeugt ist“, fügte Jake noch hinzu, „aber sie scheint dich zu mögen.“ Er sah wieder zu Kon auf und grinste. „Genug, dass sie mir eine Schachtel Kondome gegeben hat.“
*
Kon legte auf dem Weg zum Mittagessen einen kurzen Boxenstopp ein, um den ganzen Kaffee loszuwerden. Als er gerade seine Hände abtrocknete, klingelte sein Handy. Er ging möglichst schnell ran, hoffentlich bevor der einzige andere Junge auf der Toilette bemerkte, was sein Klingelton war. „Alter, du hast echt kein Vertrauen, dass ich mich selber anziehen kann?“
„Ich wollte mir keine Sorgen machen müssen, dass du im Karohemd erscheinst. Oder in Strapsen.“
„Klappe!“, gab Kon zurück, „Die Strapse haben gerockt!“ Der andere Junge hielt auf seinem Weg zur Tür inne und sah Kon bei dieser Äußerung an. Kon winkte lächelnd und der Typ verließ eilig den Raum.
Vom anderen Ende der Leitung kam ein Schnauben von Tim: „Na wenn du das sagst.“
Kon beschloss, ihn großmütig zu ignorieren. „Hast du was für mich?“
Einen Moment lang war Tim still, mit Ausnahme seines Atems. Als er schließlich sprach, klang seine Stimme gedämpfter: „Oracle und ich haben alle Notfalleinrichtungen in einem Radius von 100 Meilen durchkämmt. Wir haben drei Vorfälle von schwerwiegenden Verbrühungen gefunden, aber sie haben sich alle als unschuldig herausgestellt.“
Kon fluchte. Konnten sie nicht einmal Glück haben?
„Tut mir leid.“
Er drehte sich um, beugte sich über das Waschbecken und schloss die Augen. „Danke für eure Mühe.“
„Hm“, machte Tim unglücklich, „Ich konnte auch nicht viel Nutzen aus den Fotos ziehen. Du hattest recht mit der Tür und der Größe der Hände unseres Angreifers. Das deckt sich mit dem, was wir über Stephens‘ Killer wissen – das und die Ähnlichkeit der Verletzungen reicht aus, dass ich mir zu 70 Prozent sicher bin, wir haben es hier mit einem einzelnen Meta zu tun. Und…“ Er machte eine kurze Pause. „Er ist stark. Stark genug, um einen normalen Menschen leicht zu überwältigen und um erheblichen Schaden anzurichten. Aber er ist nicht so stark.“
Kon erblickte sich selbst im Spiegel. Seine Augen waren leicht gerötet. Und er hatte heute Morgen eine Stelle an seinem Kiefer übersehen. Er neigte den Kopf. „Was meinst du damit?“, fragte er, bevor er ganz still hielt und ein Auge zukniff. Der Geruch nach verbrannten Haaren erfüllte den Raum und Kon wischte sich ein wenig Asche von seinem Hemd.
„Wenn du auf eine Tür einschlägst und wütend genug bist, die Person auf der anderen Seite der Tür zu verstümmeln, dann wäre nicht mehr viel von der Tür übrig.“
„Das ist wohl wahr“, stimmte Kon zu. Er drehte sich um und setzte sich an den Rand des Waschbeckens.
„Er hat das Holz zerstört anstatt dem Schloss selbst – und anstatt die Tür einfach auszureißen, was die leiseste Option gewesen wäre.“
„Ha, stimmt“, nickte Kon, „Und – naja, wenn man mal bedenkt, wie verrückt die Angriffe waren, gibt‘s nicht viel Kollateralschaden.“
„Genau“, meinte Tim und fügte noch hinzu: „Ich wette, seine Teamkollegen müssen sich nie für Schaden an amerikanischen Militäreinrichtungen entschuldigen.“
„Ich hab doch gesagt, es tut mir leid“, grummelte Kon, „Und überhaupt hat Jaime geholfen.“
„Oh, ich weiß. Aber Cassie hat seine Mutter angerufen, so dass weitere Sticheleien schon im Bereich außergewöhnlich grausamer Bestrafung lägen.“
Kon kannte Jaimes Mutter nicht, aber das klang wirklich ein wenig hart. Ein anderer Junge kam zur Toilettentür herein und warf Kon die Art von Blick zu, an die Conner Kent sich anscheinend würde gewöhnen müssen. „Hör zu“, meinte er zu Tim, „Ich muss los. Noch was, das ich wissen sollte?“
Eine kurze Pause entstand, bevor Tim mit ausdrucksloser Stimme meinte: „Erst mal nur ein Ratschlag: Wenn es dich so sehr beunruhigt, jemandem etwas vorzumachen, dass du es sogar für nötig hältst, ein Ersatzdate für deinen Schulball sicherzustellen, solltest du es wahrscheinlich besser unterlassen, mit ihm herumzumachen.“ Es gab ein Klicken, als der Anruf beendet wurde. Es war wahrscheinlich gut, dass Tim aufgelegt hatte. Conner Kent würde wirklich seltsame Blicke bekommen, wenn er darauf laut geantwortet hätte.
*
Als er in die Cafeteria kam, versammelte sich eine kleine Menschentraube um ihn. Alle schienen sie froh zu sein, ihn zu sehen, besonders Clarence und Delilah, die ihn regelrecht zu ihrem Tisch zogen. „Wie geht‘s ihm?“, wollte Clarence wissen, „Hast du ihn gesehen? Er lebt noch, oder? Wird er wieder?”
Kon setzte sich neben ihn und legte den Kopf in seine Hände. „Alter… es sieht nicht gut aus.“
Alle verstummten. Just in diesem Moment tauchte Jake mit zwei Hamburgern auf seinem Tablett auf. Einen davon setzte er auf eine Serviette und schob ihn über den Tisch hinüber zu Kon, der ihm einen dankbaren Blick schenkte und auch gleich hineinbiss.
„Er ist immer noch bewusstlos“, erzählte er, nachdem er den ersten Bissen hinuntergeschluckt hatte, „Seine Freundin hat mir gesagt, dass sie nicht wirklich damit rechnen, dass er wieder aufwacht.“
„Moment“, hakte Chase ein, „Er ist nicht schwul?“ Delilah boxte ihn in die Schulter. „Au!“
„Der Arme“, meinte Mel leise. Katie rückte ihren Stuhl näher zu ihr und legte ihr einen Arm um die Schultern. „Ich hab ihn echt gemocht.“
„Er ist noch nicht tot“, gab Kon knapp zurück, „Ich geb ihn nicht auf.“
„Aber du hast ihn gesehen?“, fragte Hamilton nach.
„Ja“, antwortete Kon, „Er ist… Er sieht echt nicht gut aus. Aber ich hab schon schlimmer zugerichtete Leute gesehen, die‘s geschafft haben. Solange sein Zustand nicht schlimmer wird, geh ich davon aus, dass er wieder gesund wird.“
Auf der anderen Seite des Tischs hatte Jake seinen eigenen Burger kaum angerührt. Er beobachtete Kon beim Essen. Während einer Pause im Gespräch legte er seine Pommes auf eine weitere Serviette und schob diese ebenfalls über den Tisch. „Fährst du heute Nachmittag nochmal hin? Ich würde gern mitkommen.“
Himmel, Kon konnte doch keine halbe Stunde damit verschwenden, dorthin und zurück zu fahren! Ganz zu schweigen von der Zeit, die er dabei festsaß, während alle anderen verstreut und ungeschützt wären, zuhause und in ihren Autos und ihren Jobs. „Sie lassen niemanden rein“, sagte er also, was nicht mal ganz gelogen war. Er erwähnte nur einfach nicht, dass es Justine wahrscheinlich nichts ausgemacht hätte, wenn ein weiterer Schüler zu Besuch käme, erst recht wenn Kon für ihn bürgte. „Ich musste beim ersten Mal echt kämpfen, dass sie mich da rein lassen. Die Polizei will nicht mal, dass Leute wissen, in welchem Krankenhaus er ist.“
„Die Polizei“, wiederholte Chase bitter, „Verfickte intolerante Faschisten.“ Mel gab einen unglücklichen Laut von sich, aber Chase schnaubte nur: „Im Ernst. Ihr glaubt doch nicht, dass sie den Psycho inzwischen nicht schon längst geschnappt hätten, wenn‘s keiner von uns gewesen wäre, den es erwischt hat? Ich weiß nicht, vielleicht sehen sie jetzt, wo‘s einen Lehrer getroffen hat, genauer hin. Aber wahrscheinlich denken die sogar, dass er bekommen hat, was er verdient, dafür, dass er mit einem Haufen Homo-Kids rumhängt.“
Kon runzelte die Stirn. „Ich bin sicher, die geben ihr Bestes“, gab er zurück. Er wünschte, er könnte die Polizeiberichte erwähnen und wie viele Leute aus dem Büro des Sheriffs und von der State Police an dem Fall arbeiteten. „Sieh dir doch nur mal an, wie viele Cops sie hier auf dem Schulgelände haben.“
„Ich glaub, die haben Angst, dass wir anfangen zurückzuschlagen“, meinte Clarence, „Den Cops ist es egal, oder Matts Dad wäre schon längst im Gefängnis.“
Der ganze Tisch verstummte. Insbesondere Mel sah leicht grün im Gesicht aus. „Sein Dad?“
Clarence nickte. „Gewalttätiger Wichser. Wenn ich wüsste, wo er ist, würde ich ihn persönlich zur Rechenschaft ziehen. Matts Mom hat ihn vor ein paar Jahren rausgeworfen. Er hat Matt krankenhausreif geschlagen, als er rausgefunden hat, dass er mit diesem Typen zusammen war…“
„Ach, Curtis“, meinte Chase, „Ich erinnere mich. Himmel, das war ein Dreck.“
Kon wischte sich die Hände ab und warf die Servietten auf den Tisch. „Curtis?“, fragte er, wobei er versuchte, beiläufig interessiert zu klingen.
„Dieses Arschloch“, murmelte Delilah. Sie wandte sich Kon zu. „Er war schon älter. Ist recht schnell abgehauen.“
„Ich hab Matt damals nicht wirklich gekannt“, erklärte Clarence. Er klang traurig. „Lilah hat uns bekannt gemacht, kurz drauf. Er war immer noch mit Krücken unterwegs, hatte ein Pflaster auf der Nase und alles… Also nicht gerade Liebe auf den ersten Blick.“
„Ach, sei still“, lachte Delilah plötzlich auf, „Du hast ihn niedlich gefunden.“
Clarence lächelte leicht: „Ja, vielleicht.“
„Nein, nein, ich weiß sowas immer“, grinste Delilah und schälte ihre Orange. Sie sah zu dem Haufen Servietten vor Kon und legte etwa eine halbe Orange vor ihn. „Ihr beide, zum Beispiel“, meinte sie und sah Kon an, deutete mit dem Kopf aber auf die andere Seite des Tischs.
Kon spürte, wie er errötete. „Ah ha ha ha“, lachte er, aber es klang selbst in seinen eigenen Ohren gekünstelt. „Nein, ähm, wir sind nicht… Ich mein…“
„Conner hat einen festen Freund“, sagte Jake, ohne von seinem Pudding aufzusehen.
Alle Blicke wandten sich ihm zu. Und dann zu Kon, der nur noch tiefer errötete. „Ähm.“
„Ha“, machte Clarence, „Freut mich für dich, Cowboy!“
Chase streckte sich und stibitzte etwas von Katies Chips, während sie zu Kon sah. „Ich hab einfach angenommen, du und Jenkins würden es treiben.“
„Du nimmst einfach an, dass alle es treiben“, gab Delilah entnervt zurück. Dann wandte sie sich an Kon: „Wirklich? Aber nicht in Smallville, oder wir wüssten davon. Und er hätte Jake inzwischen umgebracht—“
„Hey!“, protestierte Jake. Seine Ohren nahmen langsam eine rosa Färbung an.
„Wo hast du ihn also versteckt? Geht er auf die St. Francis?“, schmunzelte sie, „Uh, Privatschul-Jungs.“
Kon hatte erschreckenderweise mit einem Mal ein Bild von Tim in der Schuluniform von St. Francis vor Augen, mit Blazer und allem. War Tim nicht in Gotham sogar auf eine Privatschule gegangen? „Er ist nicht, äh. Ich mein, er wohnt nicht in Smallville.“
„Ach komm, das macht doch keinen Spaß! Wenn wir ihn nicht kennen, wie sollen wir dich dann aufziehen? Oh, schaut mal, er wird ja ganz rot! Kommt er? Zum Ball?“
Kon schluckte schwer. „Ja.“
Delilahs Augen leuchteten.
„Was ist mit dir?“, fragte Clarence Jake in dem Versuch, Kon zu retten, „Hast du schon ein Date?“
Jake zuckte die Schultern und senkte den Blick wieder auf sein Essen. „Ich schätze, ich werd erst mal allein hingehen.“
Endlich wandte Delilah ihre Aufmerksamkein von Kon ab. „Oh nein, das geht so nicht. Hm… Wie stehst du so zu College-Jungs?“
Jake wirkte leicht panisch.
Clarence verdrehte die Augen und ließ eine Hand schwer auf ihren Kopf sinken. Er drehte sie damit so, dass sie ihn ansehen müsste. „Lilah, nein!“
„Aber Carson hat da einen Freund—“
„Nein.“
„Wer ist Carson?“, fragte Kon in der blinden Hoffnung auf einen Themenwechsel.
„Mein Freund“, antwortete Delilah beiläufig. Sie öffnete erneut den Mund, bis sie bemerkte, dass alle sie anstarrten. „Was?“
„Moment mal“, meinte Chase, „nochmal von vorn.“
Clarence ließ den Kopf auf seine verschränkten Arme fallen und fing zu lachen an.
„Du stehst auf Schwänze?“, fragte Chase, „Ernsthaft?“
Delilah warf ihre Haare in den Nacken. „Warum? Sag bloß, du wärst interessiert?”
„Bäh, nein. Aber du bist die härteste Lesbe an diesem Tisch. Nichts für ungut, Katie.“
Katie prustete, „Sie spielt doch nicht mal Softball.“
„Er ist an der State“, sagte Delilah, während sie ihr Handy hervorholte, „Aber er hat recht viele schwule Freunde. Ein paar sind auch echt schnuckelig. Wir kriegen dich sowas von verkuppelt, Jake.“ Sie fing an, eine Nachricht zu tippen.
„Ähm. Danke? Glaube ich.“
Clarence sah auf und bühnenflüsterte zu Jake über den Tisch hinweg: „Lauf weg, Mann. Solange du noch kannst.“
Mel sah nachdenklich aus. „Ich nehm an, es wäre gut, Dates von außerhalb mitzubringen. Potenziell könnten wir so doppelt so viele sein…“
„Oh nein!“, mischte Katie sich ein, “Ich will gefälligst mit dir tanzen.”
„Gott rette uns vor Lesben, die alles zusammen machen müssen“, murmelte Chase vor sich hin, als die beiden sich küssten.
„Tja, wir wissen ja, dass du gleich zehn ‚Freunde‘ hast“, winkte Clarence ab, „Hamilton, hast du ein Date?“
Hamilton begann zu husten.
„Ja“, antwortete Chase selbstgefällig.
Clarence lachte auf und hob die Hand zu einem Fistbump mit ihm. Hamilton verdrehte nur die Augen. Als Kon fragend zu Clarence sah, lachte er erneut und erklärte: „Es kann nie genug von euch Sportlertypen geben.“
„Amen“, stimmte Chase zu, wobei er für einen Moment den Blick zum Himmel hob. Er beugte sich über den Tisch und wandte sich Kon zu: „Dann erzähl uns doch von deinem mysteriösen Boytoy. Ist er auch so scharf und männlich?“
Kon zuckte die Schultern. „Er ist ziemlich gut in Form.“
Chase zog die Augenbrauen in die Höhe. „Wirklich?“
„Hast du ein Foto?“, fragte Katie.
„Jetzt hier dabei nicht.”
Chase grinste: „Ist er heiß?“
Kon… musste überlegen. Er hatte sich wirklich Jahre lang antrainiert, nicht daran zu denken, dass die meisten seiner Freunde echt gutaussehend waren – besonders Tim. Kon hatte… tja, für ihn geschwärmt wäre zu harmlos ausgedrückt. Kon war fasziniert gewesen von dem anderen Jungen und hatte lange gebraucht, bis er darüber hinweg gewesen war. Als sie schlussendlich auch Freunde geworden waren, hatte er diese Gedanken verdrängt. „Ja“, antwortete er nach einem Moment. In seinem Kopf sah er Tim so, wie er am Dienstag Abend in Gotham ausgesehen hatte – die Beine gestreckt, als er sich durch die Luft schwang, bevor er sie anzog und drehte, als er losließ, um sich fallen zu lassen und in der Hocke zu landen, ein Bein unter ihm und eines bereits ausgestreckt für den nächsten Schritt, die nächste Drehung, den nächsten Tritt und Schlag, die behandschuhten Finger einer Hand auf der schmutzigen Straße abgestützt. „Ja… ist er wirklich ziemlich.“
„Lächeln!“, wies Delilah fröhlich an. Kon drehte sich reflexartig, aber sie hatte ihn gar nicht im Fokus ihrer Handykamera.
Jake blinzelte sie unverständig über den Tisch an. „Was zur Hölle?“, fragte er.
„Na, wenn er dir ein Date finden soll, braucht er ein Foto von dir“, antwortete Delilah, als würde sie einem Kleinkind erklären, was sie vorhatte, „Du bist heiß! Das ist ein guter Anreiz!“
*
Kon und Delilah gingen nach dem Mittagessen gemeinsam zu Englisch, was erstaunlicherweise langsam zu einer Gewohnheit wurde. Als sie am Ende des Gangs ankamen, hielt sie ihn mit einer Hand an seinem Arm auf. „Erwähn Carson gegenüber Pete nicht, okay?“
Kon sah sie stirnrunzelnd an. Pete Miller stand nicht gerade weit oben auf seiner Liste von Leuten, denen er Dinge anvertraute. „Warum sollte ich?“
„Ich weiß nicht“, meinte Delilah frustriert. Sie schüttelte den Kopf, drehte sich um und sah den Schülern an ihren Schließfächern auf der anderen Gangseite zu. „Es ist nur mehr Stress als ich brauch, mehr nicht. Ich weiß nichtmal, warum mir das überhaupt was ausmacht. Ich war nicht mehr daheim, seit du mich von ihm runter gezogen hast – nicht mal für Klamotten und solchen Scheiß. Ich hab schon ein paar Sachen bei den Moores gehabt und auch ein paar bei Mrs. Rebecca, außerdem hat Miss Charlotte mich mit einkaufen genommen… Aber“, sie seufzte, „Ich hab meiner Familie gesagt, dass ich Carson nicht mehr treffe.“
„Deiner Familie?“, fragte Kon, „Sekunde—“
Delilah schenkte ihm ein trauriges Lächeln, das so gar keine Belustigung beinhaltete. „Du must echt an deinem Dorftratsch arbeiten, Cowboy.“
„Du bist verwandt? Mit Miller?“
„Nein“, gab sie hastig zurück, „Nein, er ist mein Stiefbruder. Also, eigentlich nicht, aber so gut wie. Hauptsächlich schlägt sein Dad gern auf meine Mom ein und ich bekomme sie nicht lange genug nüchtern, um ihn vor die Tür zu setzen.“ Sie seufzte bitter. „Stell dir Pete mit 50 vor, nur noch schlimmer.“
Kons mentales Bild sah Patrick Stephens verdammt ähnlich.
„Also mögen sie meine Schwuchtel-Freunde nicht, und auch nicht, dass ich mit Clarences Cousin zusammen bin…“ Sie verzog das Gesicht. „Drei Jahre älter als ich, aber das ist doch nicht das, was zählt, oder?“ Sie trat gegen ein Schließfach. „Verfickt nochmal, ich hasse dieses rückständige Hinterwäldler-Kaff!“ Sie trat nochmal dagegen, diesmal fester. „Lou – Petes Dad – hat gesagt, er bringt Carson um, wenn er ihm nochmal unter die Augen kommt und Pete hat direkt mitgemacht.“ Sie fluchte und drehte sich um, lehnte sich mit den Schultern gegen die Schließfächer hinter ihr. Als sie Kons Gesichtsausdruck bemerkte, lächelte sie. „Aber genug von diesen Arschlöchern. Erzähl mir von deinem Freund!“
Kons Hand wanderte in seinen Nacken. Sie hätten sich wirklich noch auf eine Geschichte einigen sollen. „Wir kommen zu spät“, beteuerte er.
Delilah gab einen liebevoll entnervten Laut von sich und packte ihn erneut am Arm, diesmal um sich mit ihm wieder in Bewegung zu setzen in Richtung ihres Klassenzimmers. „Du bist so ein verdammter Herzensbrecher“, neckte sie, „Der arme Jake hat dich praktisch angeschmachtet, du Idiot. Du solltest besser hoffen, dass Carson ihm jemand Guten findet.“
*
Nach dem Unterricht flog Kon nochmal zum Krankenhaus. Sie hatten ihn nicht angerufen, weshalb er vorsichtig optimistisch war, aber wahrscheinlich wäre er auch nicht Justines erster Gedanke, wenn etwas schief gegangen war. Als er ankam, lag Dalton immer noch immer genauso da, bewegungslos wie ein Stein mit Ausnahme des künstlichen Auf und Ab seiner Brust. Justine war wach, aber er beschloss, sie nicht zu behelligen. Sie hielt ihre Tochter auf dem Schoß und sie saßen zusammen am Bett und lasen laut aus einem Bilderbuch vor.
Stattdessen flitzte er zum nächsten Sundollars und kam mit ein paar To-go-Bechern für die Schwestern zurück. Er wartete noch, bis Lucille von ihrer Runde zurück zur Station kam, bevor er sie verteilte. Als sie als erste auswählen durfte – Latte oder normaler Kaffee – tätschelte sie liebevoll seinen Arm und setzte sich dann ein paar Minuten zu ihm, um ihn auf den neusten Stand zu bringen.
Es gab keine wirkliche Veränderung. Dalton hatte etwas später an diesem Morgen für eine Weile gegen das Beatmungsgerät angekämpft, aber jetzt atmete er, mit dessen Hilfe, wieder regelmäßig. Davon abgesehen und abgesehen davon, dass generell Zeit vergangen war, war die Prognose dieselbe. Justine schien sich den Umständen entsprechend gut zu halten, insbesondere jetzt, da sie ihre Tochter dabei hatte. Kon wiederholte noch einmal seine Bitte, auf dem Laufenden gehalten zu werden, bevor er erneut aufbrach.
Er flog bei der Farm vorbei. Der Pott Kaffee auf dem Herd war kalt, aber voll. Er trank ihn aus und machte sich aus dem Staub, bevor Martha nach unten kommen und ihn schimpfen könnte. Er wusste, sie meinte es nur gut – er wusste das ja – aber jede Minute, die er hier war, war eine Gelegenheit für den Mörder wieder zuzuschlagen. Das wäre es alles wert, wenn er den Bastard endlich schnappte. Es war jeden Moment wert, den diese Kids in Sicherheit wären.
Es war am einfachsten, während alle immer noch im Unterricht waren. Alle befanden sich auf dem Schulgelände – außer Daniel, der auf einer Wiese im Park lag, zu Füßen eines Jungen auf einer Bank, den Kon nicht kannte. Er war aber nah genug bei der Schule, dass Kon sich für eine Weile hinsetzten konnte – es sich auf dem Flachdach der Turnhalle gemütlich machte und ein wenig Sonne in sich aufsog, um wach zu bleiben.
Schließlich war der Unterricht zu Ende und alle verteilten sich. Hamilton blieb wieder nicht beim Team, sondern war mit Mel und Katie unterwegs. Clarence ging nach Hause, aber Delilah ging zum Haus von Rebecca Martin und klopfte nervös an die Tür. Jake ging zur Arbeit. Chase machte ein Nickerchen. Caroline ging mit drei anderen Cheerleadern zusammen einkaufen.
Ein Mann kam vorbei, um Justine frische Kleidung zu bringen. Er blieb eine Weile bei ihr, bevor er das kleine Mädchen mitnahm, als er wieder ging. Daniel ging mit Kopfhörern auf den Ohren vom Park nach Hause. Mel aß mit ihrer Familie zusammen zu Abend und diskutierte lautstark mit ihnen auf Koreanisch. Hamilton übernachtete bei Katie, anscheinend um ihr Kleid zu begutachten. Chase verschlief ein Familien-Abendessen und kletterte dann aufs Dach, um eine zu rauchen. Jake schenkte Gina und Lisa wahrhaft fantastischen Kaffee ein und als Nell ihn stubste, zog er auch seine Schürze aus und setzte sich zu ihnen.
Die Sonne ging unter und Kon begann daran zu denken, wie sehlich er sich wünschte, sich ebenfalls dazu zu setzen. Es war ihm sehr bewusst, dass er auf Kaffee und Sonnenlicht lief und jetzt wäre das Sonnenlicht auch weg. Er flog über die Farm hinweg und sah, wie Martha am Küchentisch saß und zwei Teller voller Essen anstarrte, die sie aufgedeckt hatte, zusammen mit zwei großen Gläsern Eistee. Der Anblick schnürte Kon die Kehle zu und ließ seinen Magen grummeln, aber was konnte er schon tun? Im Ort gab es über ein Dutzend Kids, die seinen Schutz brauchten, außerdem Dalton und Rebecca… Wenn er jetzt nach Hause ginge, wäre er nicht mal in der Lage etwas zu essen, geschweige denn zu schlafen.
Es war ziemlich verrückt, aber je länger er in der Dunkelheit Kreise zog, desto mehr Sinn begannen Tim und seine Familie zu machen. Gotham war ihre Stadt, so wie Smallville seine war, nur dass sie eben keinen Röntgenblick und kein Supergehör hatten. Sie konnten nicht fliegen oder innerhalb eines Augenblicks meilenweit rennen. Sie mussten überall sein und das die ganze Zeit. Wenn sie nicht fast ausschließlich nachts arbeiten würden, kämen sie nie zum Schlafen. Außer – naja, einmal hatte Tim ihm spät nachts – kurz nachdem sein Vater ermordet worden war, sie beide allein in der dunklen Küche des Titans Towers bei heißem Kakao – gesagt, dass Kon sich wirklich keine Sorgen machen sollte, wenn der davon aufgeweckt wurde, dass Tim im Schlaf schrie. Denn das hieß nur, dass sein Supergehör besser wurde.
Kein Wunder, dass sie alle verdammt nochmal verrückt wurden, wenn sie die ganze Zeit so leben mussten. Wenn jedes Verbrechen, das sie nicht hatten verhindern können, sich anfühlte wie zuzusehen, wie Daltons Brust sich hob und senkte… Es war ein Wunder, dass Tim die Stadt überhaupt noch verließ.
Kon flog einen weiten Kreis. Der größte Teil des Orts lag bereits im Bett. Beth war noch wach und an ihrem Laptop. Jake malte. Chase aß etwas vom übrig gebliebenen Essen, während seine Familie schlief. Matha hatte ihr Abendessen immer noch nicht angerührt. Sie lehnte gegen die Küchenzeile und telefonierte. Justine aß geliefertes Essen auf einem kürbisfarbenen Plastikstuhl und teilte ihren gebratenen Reis und ihre Wantans mit zwei der Schwestern. Carolines Freundinnen brachte sie nach Hause. Sie trug einen Kleidersack über ihrer Schulter.
Etwas näherte sich mit hoher Geschwindigkeit, kurz unter Schallgeschwindigkeit. Kon hielt inne, als er die Luft pfeifen hörte und wappnete sich bereits.
„Conner“, sprach Superman ihn direkt an, als er bei ihm ankam, „Geh nach Hause!“
Kon ballte die Hände zu Fäusten und biss sich auf die Zunge. Das konnte jetzt nicht sein Ernst sein!
„Du laugst dich nur selber aus. Ma macht sich Sorgen um dich und aus gutem Grund, wie ich sehe. Geh nach Hause!“
„Ich kann nicht!“, rief Kon, „Die da unten sind wehrlos! Ein Junge ist tot. Mein Lehrer liegt im Sterben. Irgendjemand macht Jagd auf sie wie auf Tiere, und ich soll einfach—“ Er brach ab, denn Clark anzuschreien war eine Sache, aber er würde verdammt nochmal bestimmt nicht vor ihm zu heulen anfangen. „Ich hab es versprochen“, brachte er heraus. Wenn er nur flüsterte, wäre es einfacher nicht in Tränen auszubrechen, auch wenn er gegen den Kloß in seinem Hals nicht ganz ankam. „Ich hab es meinem Lehrer versprochen – es wird niemand mehr verletzt.“
Clark seufzte schwer und flog näher zu ihm herüber, um ihm eine Hand auf den Arm zu legen. „Du verletzt dich selber , Conner. Du verletzt Ma.“
Kon entwand sich der Berührung. „Vielleicht“, gab er ungehalten zurück, „Aber wir werden‘s überleben, okay? Die ganzen Kids—“ Schließlich begegnete er auch Clarks Blick. Er hatte erwartet, Wut auf seinem Gesicht zu sehen, oder Clarks übliche, vage herablassende Freundlichkeit. Stattdessen sah er traurig aus und vielleicht auch ein kleines bisschen stolz.
„Geh nach Hause, Conner“, wiederholte er, diesmal sanfter, „Ich übernehme diese Schicht.“
*
Ma wärmte bereits ihre Teller wieder auf, als er zur Tür herein kam. Sie sagte nicht viel, aber sie schenkte ihm ein Lächeln. Als er sich setzte, tätschelte sie ihm den Nacken.