A/N: Nach langer Zeit mal wieder eine Fanfiction, die im Rahmen des Adventskalenders 2020 unter dem Thema "Driving home for christmas" entstanden ist. Concrits Welcome
Driving home for christmas
Vor dem Fenster des kleinen Cottage rieselten große Schneeflocken zu Boden, die sich nach und nach zu einer ebenen, silbrig glitzernden Decke vereinigten, die den Rasen des kleinen Gartens unter sich bedeckte. Der Winter hatte Einzug in Godrics Hollow gehalten und hüllte das Dorf in ein gezuckertes Kleid. Es war kaum zu glauben, wie friedlich es hier wirkte, wo es doch alles andere als das war.
Die Zeiten waren äußerst dunkel geworden. Kaum ein Tag verging, ohne die Vermisstenmeldung eines liebenden Anverwandten, eine Traueranzeige eines Ordensmitglieds oder Schlagzeilen von Terrorangriffen auf Muggelhotspots. Unsicherheit und Angst lag in der Luft und keiner fühlte sich mehr sicher. Doch ihre Angst machte keinen Halt vor der eigenen Sicherheit. Schlimmer noch als alles andere war das Gefühl, keinem mehr trauen zu dürfen. Jeder konnte in dieser Zeit ein Spion für die eine oder die andere Seite sein (sie wie er es selbst mittlerweile für den Orden geworden war) oder schlimmer noch, unter dem Imperiusfluch stehen. Nur konnte man einem Mensch nicht ansehen, ob und aus welchem Grund er zum Opportunist geworden oder ob er verhext geworden. Vielleicht war aber auch gar nichts von beidem der Fall, sodass man nicht nur Gefahr lief, verraten zu werden, sondern auch mit dem eigenen Misstrauen Beziehungen und Freundschaften zu gefährden.
Obgleich es Remus in den letzten Monaten, die er im Rudel verbracht hatte, immer schwerer fiel, Dinge zu finden, die ihn bei Kräften hielten, schätzte er sich doch froh, dass es in seinem Leben noch jene Menschen gab, für die sich all das lohnen würde. Das letzte Mal, dass er sich glücklich gefühlt hatte, war allerdings schon eine kleine Ewigkeit her und langsam glaubte er, es nicht mehr wirklich fühlen zu können. Umso wichtiger war dieser Tag. Er musste hier endlich weg. Keinen einzigen Tag hielt es länger in diesem dunklen, kalten Wald aus. Keinen Tag länger wollte er sich weiterhin einer Prüfung nach der anderen unterziehen müssen, mit Hilfe derer ihn Greyback auffliegen lassen wollten. Einen einzigen Tag musste er hier weg und glücklicherweise bot Greyback ihn den richtigen Anreiz: eine Patrouille. Der Gedanke, dass es eine Falle hätte sein können, war auch ihm gekommen. Doch bisher hatte Remus nichts entdecken können – gefolgt war ihm offenbar keiner und eigentlich wunderte es ihn nicht einmal, denn die wenigsten Rudelmitglieder taugten zu mehr, als zum reißen ihrer Beute.
So schnell es eben ging, hatte Remus so viel Distanz wie möglich zwischen sich und denn Forest of Dean gebracht. Durch mehrmalige, zufällige Ortswechsel hatte er seine Spur verwischt, ehe er nach Godrics Hollow gekommen waren. Doch selbst hier hätte ihn vermutlich keiner erkannt, sah er dem jungen Zauberer mit den intelligenten Augen, der einst als Vertrauensschüler mit Bestnoten in Hogwarts abgeschlossen hatte schon länger nicht mehr ähnlich. Seine Augenringe war dunkler und tiefer geworden, sein Haar dunkler vom Schmutz, seine Haut fahler, bleicher und gezeichneter von den Narben und den Anstrengungen der Verwandlungen. Erst kürzlich war einer neue Narbe über seinem rechten Augen hinzu gekommen – die Retourcouche eines Betawolfes, der Remus nach wie vor nicht über den Weg traute.
Remus stellte den Kragen seines Mantels auf, ehe er das kleine Tor vor dem Haus der Potters aufschob und in den weiß geglänzten Vorgarten trat. Als er jedoch vor der kleinen Tür stand, hielt Remus inne. Es war ein merkwürdiges Gefühl, nach Hause zu kommen. Zweifel kochten in ihm auf: Wenn er nun doch aus Eigennutz Gefahr anschleppte? Einige Minuten später kam wieder Leben in seine von Panik erstarrten Knochen und statt zu Klopfen, schlich er um das Haus herum. Eine dumme Idee war das und dennoch warf er hier und da einen Blick durch die von Eisblumen verzierten Fenster.
Gleich sein erster Blick fiel in das Wohnzimmer des kleinen Cottages. Es wirkte so vertraut, waren sie doch früher oft hier gewesen – auch als Euphemia und Fleamont noch am Leben gewesen waren. Wie sie gemeinsam geflachst und gelacht hatten, um für ein paar Momente die Grausamkeiten des Krieges vergessen zu dürfen. Doch irgendwie fühlte es sich auch an, als warf er einen Blick in ein altes, ein anderes Leben. Just in diesem Moment vernahm er den gedämpften Schrei eines Säuglings und nur kurz darauf betrat Lily mit einem Spucktuch über der Schulter und Baby Harry auf dem Arm, das Zimmer. Etwas verzweifelt schien sie damit beschäftigt zu sein, ihren Sohn zu beruhigen und lief deshalb wippend durch das kleine Zimmer.
Ein warmes Lächeln schob sich bei diesem Anblick auf Remus Gesicht. Lily sah trotz allem gut aus – und gesund. Und Harry – sah er ihn nicht gerade zum ersten Mal? Den Sohn seines besten Freundes und der Frau, die er so viele Jahre lang versucht hatte, davon zu überzeugen, dass er doch kein so schlechter Typ war.
Da war es – ein kleiner Lichtblick; etwas Gutes in dunklen Zeiten.
Remus riss sich von dem Anblick los und lief weiter, um das Haus herum zum nächsten Fenster. Der Trubel drang bereits aus den inneren der Küche heraus, sodass vermutlich sogar die Nachbarn der Potters mitbekamen, dass deren Küche im Chaos versank. Offenbar stand im Kern des Trubels ausgerechnet ein armer, toter Vogel, der in einem mitleidserregend in seinem Bräter lag und von Sirius und James angestarrt wurde, als würde er allein dadurch gar werden. Remus Herz machte einen kleinen Hüpfer als er Sirius anhand seiner wilden Strubelfrisur erkannte, die er neuerdings offenbar unter zur Hilfenahme seines Zauberstabs bändigte.
Wie lange hat er ihn nicht mehr gesehen?
Remus vermochte es kaum mehr zu sagen.
„Sollten wir nicht… Lily holen?“, fragte eine unsichere, pipsige Stimme vom Küchentisch aus. Erst jetzt fiel Remus auf, dass Peter ja auch noch da war. Manchmal war es beängstigend wie wenig Peter doch auffiel – das hätte ihn von ihnen allen wohl noch zum besten Spion gemacht.
„Ah pff… wir haben hier ein Rezept. Das schaffen wir“, wunk Sirius ab, ohne sich Peter zu zuwenden. Remus schwante Böses bei der Aussage. Seines Wissens nach, war Kochen weder Sirius noch James Stärke.
Sirius fuhr fort, den Vogel anzustarren.
James auch.
„Müssen wir da noch was… reinstecken?“ fragte James etwa unsicher und legte den Kopf leicht schief.
„Wir haben immer Pflaumen reingemacht. Und Äpfel!“ fiebte Peter so leise, dass Sirius und James es auf Garantie überhören würden. Ein Babyschrei drang in den Küche, sodass sogar Remus es hören konnte.
„Hier steht was von… Äpfeln… und Backpflaumen. Was beim Merlin sind ‚Backpflaumen‘?“ fragte Sirius zweifelnd, der mittlerweile doch mal die Nase ins Buch gesteckt hatte. Remus schritt weiter zu einer kleinen Tür. Kurz klopfte er und…
… spürte in nächsten Moment, wie ihn etwas mit großer Wucht im Gesicht traf. Erst bekam er den brennenden Schmerz seiner Wange mit, dann schmerzenden Kälte und Wassertropfen, die seinen Hals hinab liefen. Kurzum riss Remus die Augen:
Ein Schneeball?
Überrascht stellte Remus fest, dass es dunkel war… und kalt. Noch ehe sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatte, hörte er den grauenvoll Vielklang eines dreckigen, wiehernden Lachens. Dann traf ihn ein zweiter Schneeball – heftiger noch als vorher. Mühevoll rappelte sich Remus auf und blinzelnde die beiden Todesser böse an, ehe er nicht nur den Schnee, sondern auch seinen Traum abschüttelte. Sauer stellte er den Kragen seines Mantels auf und desapparierte außer Sichtweite der beiden.
Daraufhin rückte er den Zauberstab und flüsterte „Incarcerus“. Aus dem Nichts erschienen einige Seile, die sich fest um Schultern, Arme, Rumpfe, Oberschenkel, Knie und Füße der beiden Schneeballschießer schlingen und sie somit zu Fall brachten.
„Silencio“, schob Remus nach und verhinderte somit alarmierender Schreie.
Daraufhin desapparierte Remus ein letztes Mal – diesmal nach Godrics Hollow.
Deans Hand fuhr energisch über seine Haare, um die bereits schmelzenden, verirrten Schneeflocken daraus zu entfernen, sobald er die Glastüren des Motels durchquert hatte.
„Gottverdammtes Wetter“, fluchte er und zog energisch an dem Kragen seiner Lederjacke, um auch dort die bereits geschmolzenen Flocken zu entfernen, aber sie hatten ihre molekulare Integrität bereits eingebüßt und flossen als kleine Tropfen über seine Schultern.
Cas, der hinter ihm das Motel betreten hatte, schien von dem Wetter – oder den Schneeflocken – nicht im mindesten berührt worden zu sein. Nein, Cas war sein ruhiges, leicht absonderlich wirkendes, geordnetes, unangeschneites Selbst.
Typisch.
„Ich denke nicht, das Chuck etwas mit dem Wetter zu tun hat, Dean.“
Der Jäger verdrehte mit einem tiefen Atemzug die Augen, presste die Lippen kurz gegeneinander und entschied, dass das kein Kampf für heute Abend war. „Ja, Cas. Was immer du sagst. – Lass uns ein Zimmer organisieren.“
Er hörte ein zustimmendes Brummen von Cas und warf ihm einen warnenden Blick über die Schulter zu den Cas – was ihn überraschte – tatsächlich verstand: Zumindest hob der Engel ergeben die Hände, um zu zeigen, dass er das Thema ruhen lassen würde.
Dean bemerkte das zufriedene Lächeln dennoch, schnaubte ein leises Lachen, das er mit einem Augenrollen kaschierte und wandte sich der Rezeption zu.
Das nicht von Chuck verdammte Wetter hatte sie überrascht. Als sie aus dem Keller der Kirche wieder herausgekommen waren – Ghuls beseitigt, Problem gelöst – hatte es bereits angefangen zu schneien.
Dean war der Ansicht gewesen, sie könnten zumindest noch die Hälfte der Strecke zurück nach Lebanon schaffen. Cas hatte mehrfach angemerkt, das Dean lieber nicht mehr fahren sollte; Nach der Anstrengung einer Jagd und angesichts der späten Stunde. Aber Dean war stur geblieben, was nicht hieß, das Cas nicht weiter gebohrt hatte, sie sollten Dean lieber ein Motel suchen, damit er sich ausruhen konnte.
Auf der Höhe von Garrison, North Dakota, war der Schneefall zu dicht und die Straßen zu glatt geworden – und Dean hatte zugeben müssen, dass der Engel Recht hatte. Heute würde sie nicht weiter kommen.
Also hatte Dean Baby auf den Parkplatz des nächsten Motels gelenkt. (Das selbstgefällige Grinsen dieses geflügelten Arsches war ihm dabei nicht entgangen.)
Die Augen des Jägers glitten einmal routiniert durch die Lobby und die jahrelange Erfahrung im Bereich Motels der Vereinigten Staaten von Amerika und was Sie zu erwarten haben verriet ihm, dass es sich hierbei zumindest nicht um eine der billigsten Absteigen handelte.
[size=small]Die Lobby war warm, freundlich und sauber. In einem Kamin, der von ein paar Sofas und kleinen Tischen eingekreist war, brannte ein Feuer. Alles war weihnachtlich geschmückt und es gab sogar einen kleinen Christbaum mit verpackten Deko-Geschenken in der Ecke. Über Lautsprecher in den Ecken spielten klassische Weihnachtslieder – wenigstens nicht WHAM! oder dieser Mariah Carey-Scheiß.
Dean verzog das Gesicht annähernd beeindruckt.
Wenn schon nicht mit dem Wetter, hatten sie wenigstens hier etwas Glück.
Es dauerte nur ein paar Augenblicke, bis er für Cas und sich ein Zwei-Bett-Zimmer geordert hatte.
„Sehr gerne, der Herr. Anlässlich der Feiertage erhalten unsere Gäste eine Kanne Eggnog oder alkoholfreien Weihnachtspunsch für Ihr Zimmer. Was darf…-„
„Eggnog.“
Dean erhielt ein wissendes Lächeln von dem Rezeptionisten und er erwiderte es freundlich. Kaum einen Augenblick später hatte er den Schlüssel mit dem großen, goldenen Plastikanhänger und der römischen Zahl XIII darauf entgegen genommen und hob ihn hoch, sodass Cas ihn sehen konnte.
„Okay, lass uns gehen. Ich brauch noch ein paar Schokoriegel vom Automaten und dann“ – Dean zog mit beiden Händen eine flache Linie – „Feierabend, Cas. Wir trinken Eggnog, essen Schokolade und ziehen uns einen Film rein.“
Dean wartete einen Moment auf eine Reaktion von dem Engel, aber Cas nickte nur, den Kopf zur Seite gelegt und immer noch leicht lächelnd. Offensichtlich hoch zufrieden, dass Dean doch Halt gemacht hatte.
Weirdo.
Der Jäger lächelte einen Moment warm bei dem Anblick, verdrehte dann aber schnell die Augen, um sich aus der Situation zu ziehen und schob den Riemen des Seesacks weiter auf die Schulter. Dean nickte dann hinter sich, zum Gang hinter der geöffneten Schiebetür.
„Komm, lass uns gehen.“
„… Hier!“ Dean nickte zu der Tür, vor der er gerade zum Stehen gekommen war und schob sich den letzten Bissen Schokoladenriegel in den Mund, während er mit der nun freien Hand in der Jackentasche nach dem Zimmerschlüssel wühlte.
Cas folgte ihm, den Blick bedächtig auf einen anderen Schokoriegel gerichtet, den er in der Hand hatte.
„Dean, ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich eine angemessene Mahlzeit ist. Betrachtet man deinen Kalorienbedarf des heutigen Tages, müsstest du mindestens fünf Stück essen, um auf ein ebenes Level zu kommen. Bei der Menge an Zucker, Geschmacksverstärkern und genveränderten Aromastoffen, denke ich aber nicht…“ Cas sah gerade auf, als Dean den Schlüssel aus der Tasche zog, und im Begriff war, einen Schritt nach vorne zu machen, um die Tür aufzusperren.
Dazu kam er allerdings nicht mehr. „Dean! Pass auf!“, kam es energisch von Castiel, als er auch schon Dean am Kragen der Lederjacke packte und ihn energisch nach hinten zog.
Dean fiel durch den Ruck mit einem strangulierten Laut nach hinten. Der Seesack fiel von seiner Schulter und landete mit einem dumpfen whumps auf dem Boden, während er selbst von Castiel’s Schulter gestützt zum Stehen kam.
In einer schnellen, routinierten Bewegung griff Dean nach seiner Pistole.
Seine Augen checkten routiniert die Umgebung, zumindest die, die er – immer noch an Cas‘ Schulter gelehnt – einsehen konnte. Aber er fand keine Gefahrenquelle.
Dean sah mit angespannt gerunzelter Stirn zu dem Engel, um einen Hinweis auf das Problem zu erhalten, und folgte letztendlich seinem Blick.
Der eisern auf den Türrahmen des Hotelzimmers gerichtet war.
War an der Weihnachtsdekoration – eine grüne Girlande mit ein paar rot glänzenden Kugeln und zentriert ein Mistelzweig mit roter Schleife – irgendwas gefährliches, das ihm entgangen war?
Seine Augenbraue zog sich nach oben, er blickte wieder zu Cas. Zurück zur Dekoration. Zu Cas. Zur Dekoration?!
Gerade, als er den Engel darauf ansprechen wollte, wurde ihm bewusst, dass Cas den Arm um ihn geschlungen hatte, und ihn festhielt, wohl in dem Impuls, um ihn zu stützen.
Sobald sich Dean dieser Nähe bewusst wurde, fiel es ihm schwer, an etwas anderes zu denken; Und sei es eine unmittelbare Gefahr in Form von übernatürlicher Weihnachtsdekoration.
Diesen einen Moment konnte er nur daran denken, wie Cas‘ Hand genau in der kleinen Kurve seiner Taille lag und wie gut sie dorthin passte, wie sein Gesicht so nah an seinem war, dass er seinen Atem beinah an seinem Kinn spüren könnte. Er könnte die Bartstoppeln zählen, wenn er wöllte. Er sah den feinen Schatten des angespannten Wangenmuskels und die dünnen Fältchen um Castiel’s nachdenklich zusammengekniffene Augen und die zu einem schmalen Strich zusammengepressten Lippen.
Dean brauchte ein paar Herzschläge, bis er bemerkte, wo seine Augen hängen geblieben waren und er zog sich fast ruckartig aus der halbseitigen Umarmung.
„Was zur Hölle, Cas?!“, zischte er und ordnete seine Jacke, primär um etwas anderes zu tun zu haben, etwas anderes, auf das er seine Augen legen konnte.
Er räusperte sich streng, sortiere sich und blickte den Engel dann forschend an. Immerhin hatte er noch keine Antwort bekommen.
Nach wie vor nicht.
Der Jäger zog beide Augenbrauen hoch und machte eine ausladende Geste.
„Cas?! Möchtest du mich teilhaben lassen?“
Castiel’s Augen lagen nach wie vor auf der Türdekoration und nur langsam drehte er sein Gesicht zu Dean, sein Blick folgte einen Moment später.
„Es hängt ein Mistelzweig über der Tür.“
Die Selbstverständlichkeit dieser Aussage half nicht wirklich, um Deans leicht peinlich berührte Verwirrung zu schlichten.
„…Ja?“, hakte er nach, nachdem ihm klar war, das die Erklärung für Cas aussagekräftig genug gewesen war.
„Sam hat mich davor gewarnt.“
Dean zog beide Augenbrauen hoch, während er einen Moment die Antwort verarbeitete: „Sam hat dich –? Was?“
Cas legte den Kopf leicht schief, während er Dean anblickte.
„Sam sagte, bevor wir losgefahren sind, ich solle aufpassen, dass wir nicht unter einen Mistelzweig geraten.“
Dean konnte spüren, wie seine Wangen heiß wurden. Sobald er wieder im Bunker war, würde er Sam eine rein hauen.
Er knetete die Lippen einmal gegeneinander, ehe er sich mit der Hand fest über das Gesicht fuhr.
Cas Kopf kippte noch etwas weiter zur Seite. „Ich wollte dich beschützen“, setzte er hinterher und kniff nachdenklich die Augen zusammen, wie so oft, wenn er Deans Reaktionen nicht ganz verstand.
„Cas“, Dean begann mit mühsamer Ruhe. Sam, dieser Arsch. Er würde ihn umbringen. „Mistelzweige sind nicht gefährlich.“
Er rieb sich leicht die Augen und wusste ohne hinzusehen, dass Cas für einen Widerspruch den Mund öffnete.
„Aber Sam sagte...“
„Das war ein Witz, okay?“
Cas runzelte die Stirn: „Was ist an gefährlichen Mistelzweigen lustig?“
Er würde Sam häuten.
Dean schnaubte und schüttelte leicht den Kopf. In seinen Wangen brannte immer noch eine peinliche Hitze. Er wollte diese Diskussion wirklich nicht ausgerechnet mit Cas führen (und verflucht nochmal; Sam wusste das!).
„Sie sind nicht gefährlich und das war ein Witz, weil–“, Dean brach ab, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und blickte lieber zu dem Mistelzweig, als zu Cas. „Das ist ein Brauch, eine Tradition, okay? Wenn man sich unter einem Mistelzweig trifft – na ja – dann küsst man sich. Er hat einen Witz gemacht. Vergiss es.“
Dean versuchte die Situation mit der Hand wegzuwischen, aber er sah bereits an Cas‘ Gesichtsausdruck, dass das nicht funktionieren würde.
„Oh…“ Cas‘ Kopf legte sich auf die andere Seite, während er den Mistelzweig sondierte. „Warum?“
Deans Lider fielen über seine Augen, um einigermaßen zu verbergen, dass er damit rollte.
„Keine Ahnung, Mann.“ Dean zuckte mit den Schultern und versuchte erneut mit einer ungeduldigen Geste die Situation weg zu wischen, während er sich bückte um den Seesack wieder aufzuheben. „Man macht es einfach. Ich meine, Küsse unter einem Mistelzweig sind Tradition – das ist toll.“ Wieso redete er eigentlich weiter?! „Aber!“, er hob fast warnend den Finger, während er sich wieder fragte, wieso er eigentlich immer noch redete?!, „natürlich nur mit Einverständnis. Mistelzweige sind keine Entschuldigung für Belästigungen, Cas, nicht vergessen.“
Ja, das hatte er gut gerettet. Die Spielregeln hatte er gut erklärt.
Dean nickte, grinste möglichst breit aber etwas gestellt, um der Absurdität wenigstens oberflächlich etwas Humor abzugewinnen, und schlug Cas dann kumpelhaft auf die Schulter.
Dean klopfte seine Jacke ab, um den Schlüssel zu finden, bis er bemerkte, dass jener bei Cas‘ abrupter Aktion auch heruntergefallen war, bückte sich und hob ihn auf.
„Möchtest du unter einem Mistelzweig geküsst werden?“
Dean hätte den Schlüssel beinah wieder fallen gelassen, konnte ihn aber gerade noch festhalten. Er würde Sam in die Kniescheiben schießen.
Als sich Dean zu Castiel umwandte, um die Frage zu beantworten, lächelte er bereits sortiert und breit.
„Klar, Cas. Das ist Tradition. Ich meine, wer will das nicht?“
Witzig, in dem Licht in Flur wirkten Cas‘ Wangen beinah pink, als er nachdenklich nickte, den meerblauen Blick immer noch auf dem Mistelzweig.
Dean nickte ebenfalls, primär um irgendwie zu reagieren und begann etwas auf seiner Unterlippe zu kauen: Vielen Dank für das angenehme Gespräch, Sam!
Er schüttelte leicht den Kopf, während seine Finger den Schlüssel in das Schloss schoben.
Gerade, als er die Tür aufsperren wollte, lag Castiel’s Hand auf seiner Schulter und er drehte sich wieder zu ihm um.
Dean wusste kaum richtig, wie ihm geschah.
Er spürte die warme Hand an seinem Gesicht, wie Castiel’s angenehm rauer Handballen sanft über seine Wange strich, ehe sich Castiel’s Lippen auf seine legten.
Sie waren weich und süß und Dean merkte nicht einmal, wie der Seesack erneut von seiner Schulter rutschte, als er mit sanftem Nachdruck gegen die Tür geschoben wurde.
Stattdessen fühlte er Cas‘ Arm, wie er sich unter seine Lederjacke schob und um seine Taille schlang, den festen Körper nah und unmittelbar an seinem eigenen und die Lippen, so warm und weich und süß, wie sie sich gegen seine bewegten.
Die erste Millisekunde der Ungläubigkeit wurde überrollt von einem hellen, heißen Glücksgefühl, das aus seiner Brust seinen Hals hinauf stieg, bis in seine Wangen und keinen Platz ließ für Überraschung oder Fragen oder Nervosität.
Stattdessen erwiderte er den vorsichtigen Kuss mit einem Seufzen, ließ seine Hände einen Platz in Castiel’s dunklen, samtigen Haaren und an seinem Nacken finden.
Er stieß unbewusst einen schnaubenden Atemzug aus, halb Aufforderung, halb Bitte. Castiel’s Zunge glitt über seine Lippen und Dean öffnete sie bereitwillig um sie willkommen zu heißen.
Die Hitze in seiner Brust brannte höher, brannte heißer und er zog Castiel soweit möglich noch näher, um den Kuss gierig zu erwidern, zu vertiefen, mehr von den Lippen zu spüren, die sich so perfekt gegen seine bewegten, mehr von der heißen, neugierigen Zunge zu kosten, die seine Mundhöhle erforschte, mehr überraschte und genießende Atemzüge an seinem Gesicht zu fühlen, die ihm die Luft raubten.
Als Cas sich aus dem Kuss zurückzog, hätte Dean am liebsten laut protestiert. Allerdings kam er nicht dazu, da sein Körper vorher den dünn gewordenen Sauerstoff in seinem Blut wieder aufzufüllen versuchte.
Er öffnete die Augen, die er geschlossen hatte, ohne es zu merken, und brauchte mehrere tiefe, schnaubende Atemzüge, halb lachend, halb ungläubig, um seine Sprachfähigkeit wieder zu erlangen.
Seine Finger fuhren immer noch durch die schwarzen, wilden Haare und er nahm den heftigen Pulsschlag an Cas‘ Hals wahr.
Seine Lippen hatten sich in ein wirkliches, breites Grinsen verzogen und so sehr er versuchte, die Kontrolle darüber wieder zu erlangen – es klappte nicht. Das Grinsen blieb breit und froh und glücklich auf seinen Lippen.
„Was zur Hölle, Cas?“ Dean klang immer noch atemloser als es nach einem Kuss für sein Ego schmeichelhaft gewesen wäre. Er schüttelte etwas ungläubig aber über sich selbst belustigt den Kopf.
Cas – Dean war sich nicht mehr sicher, ob der pinke Ton auf seinen Wangen wirklich vom Licht im Flur herrührte – lächelte leicht und verschmitzt, während er den Kopf etwas gesenkt hatte und durch seine langen, dunklen Wimpern zu Dean aufblickte.
„Es ist Tradition, Dean.“ Seine Stimme war noch tiefer als üblich, aber zufrieden, fast glücklich. „Und ich habe dich vorher gefragt.“
Sie waren sich immer noch so nah.
Dean schnaubte ein Lachen und schüttelte wieder leicht den Kopf, aber ohne den geteilten, tiefen Blick zu unterbrechen.
„Ja, hast du.“ Seine Hand glitt von Castiel’s Nacken über seinen Hals, über seinen Kehlkopf, zu seiner Krawatten und sein Herz machte einen Sprung, als er bemerkte, wie Cas dabei die Augen schloss und langsam ausatmete.
Er leckte sich die Lippen. Seine Finger schlossen sich um den blauen Stoff. „Und ich steh immer noch unter dem Mistelzweig.“
Cas lächelte schief, fast schüchtern, den Kopf zur Seite geneigt und Dean bemerkte, wie sein Blick sich von seinem löste, um auf seine Lippen zu sehen: „Ja, das stimmt.“
Dean schluckte, atemlos aus anderen und denselben Gründen, nickte und zog leicht an der Krawatte.
Cas folgte sofort und ihre Lippen fanden sich zu einem weiteren Kuss, tief und eifrig, voll wandernder Hände und tiefen, atemlosen Seufzern.
Erst das Räuspern eines Hotelangestellten, der mit dem angekündigten Eggnog vor ihnen stand, sorgte für ein abruptes Ende.
Während Dean, gefangen in einer Schockstarre und geradezu unerträglicher, peinlicher Hitze auf seinen Wangen, nicht wusste, was er tun sollte, beugte sich Castiel, dessen Arme immer noch um Dean geschlungen waren, leicht zu dem Angestellten.
„Es ist eine Tradition“, ließ er ihn fast verschwörerisch wissen, und blickte auffällig zu dem Mistelzweig, unter dem sie immer noch standen. „Aber man sollte vorher fragen.“
Hier kommt Türchen Nummer 5. Thema: Eingeschneit/Schneesturm. Begleiten wir Kakashi im Alter von 14 Jahren auf einer Mission mit seinem Team.
Flucht im Schneesturm
Kakashi war lange gerannt. Hinter ihm rannte Rin. Sie hatten sich vom Rest des Teams trennen müssen. Jemand machte Jagd auf Rin. Kakashi wusste das zu verhindern. Zumindest so lange, er noch stand. Er ärgerte sich, dass er eine Blutspur hinterließ, die die Feinde anlockte. Aber sie konnten nicht anhalten, um es abzubinden. Im Grunde es war auch egal, denn der Schnee war schon so dicht, dass frischer Schnee seine Spur halt verdeckte. „Lass es mich kurz abbinden!“, bat Rin. Kakashi schüttelte den Kopf. „Nein, wenn wir stehen bleiben, kriegen sie uns. Wir laufen weiter!“, befahl er. Rin sah ihn bekümmert an.
Plötzlich zerrte sie ihn in eine andere Richtung. Sie deute auf eine Höhle. Sie packte ihn am Arm. „Komm!“, sagte sie. „Rin, nein, das ist eine Falle!“, sagte er. Sie sah ihn zuversichtlich an. „Vertraue mir. Du bringst uns dort in Sicherheit!“, sagte sie. „Wie soll ich das machen? Das ist eine verdammte Höhle!“, fuhr er sie wütend an. Sie rannte aber schon zur Höhle. Kakashi drehte sich um, als er die Verfolger schon sah. Sie würden sehen, dass sie hier rein gingen. „Rin!“, sagte er wütend. In der Zeit hätte sie ihn auch verbinden können. Und nun starrte sie auch noch die Höhle an. Was war nur mit ihr los?
Sie zeigte auf den Eingang, der oben bedrohlich voller Schnee war. „Erinnerst du dich noch daran, wie wir uns kennen gelernt haben?“, fragte sie. Er sah zum Schnee und sah sie fragend an. „Dieses Jutsu!“, sagte sie. Er lächelte und sah sie begeistert an. Ja, sie hatte recht! Er konnte sie in Sicherheit bringen und Miroku konnte die beiden wieder befreien. „Na los!“, sagte er und schnappte ihre Hand. Er rannte mit ihr in die dunkle Höhle. Dort drehte er sich um, und sah ihre Verfolger gefährlich nahe der Höhle. „Pass auf, es könnten sich Steine von der Decke lösen!“, warnte Kakashi. Rin nickte und sah nach oben. Dort war alles schwarz.
Kakashi konnte seine Verfolger nun sehen. „Jutsu der Erdwelle!“, sagte er und legte seine Hand auf den Boden. Sofort begann der Boden Wellen zu schlagen. Die ganze Höhle wurde durchgeschüttelt. Steine fielen von der Decke. Kakashi zog Rin in seine Arme und schützte sie mit seinem Körper. Dazu zwang er sie etwas in die Hocke, um auch ihren Kopf zu schützen. „Kakashi!“, wehrte sich Rin. „Du bist der Arzt. Du bist für meine Gesundheit verantwortlich, also darf dir nichts passieren!“, stellte er klar. Sie schluckte. Sie hörte ihn stöhnen und spürte, wie er etwas zusammen sackte. Ein großer Stein musste seinen Rücken getroffen haben. Dann war alles duster. Der Schnee war vom Hang gerutscht und hatte den kompletten Eingang dicht gemacht.
Die Erde beruhigte sich und man könnte die Leute draußen schimpfen hören. Sie kamen scheinbar nicht durch den Schnee. Kakashi selbst ging in die Knie. „Kakashi!“, schimpfte Rin nun und stand auf. Sie brauchten Licht. Kakashi hob seine Hand. „Chidori!“, sagte er leise. Rin sah ihn an. Musste er immer den Namen seiner Attacke sagen? Das war so kindisch. Aber so hatten sie schemenhaft Licht. Besorgt sah sie ihn an. Es war richtig, sie hatte keinen Kratzer, aber er sah übel aus. „Halt das Chidori etwas aufrecht. Ich suche etwas, um Feuer zu machen!“, sagte sie. Sie stand auf und sah sich um. Hier waren höchstens ein paar Stöcke. Wie lange brannten die schon? Vielleicht war es auch nicht gut, hier Feuer zu machen.
„Hier gibt es nichts, was den Rauch abziehen lassen kann!“, stellte auch Kakashi fest, so dass sich Rin wieder vor ihm hockte. „Halt es weg!“, befahl sie. Er hielt das Chidori zur Seite. Vorsichtig legte sie ihre Hand über seine Wunde und fing an sie zu heilen. „Danke!“, sagte Kakashi brav. Sie sagte nichts. Sie hätte sich bedanken müssen, aber sie tat es nicht. Denn hier erfüllte nur jeder seine Pflicht. Er rettete ihr das Leben und sie ihm. Das schweißte zusammen. Doch Kakashi empfand einfach nichts für sie. Es war bitter, dabei war sie ihm so nahe. Und er roch so unverschämt gut. Ob er jemals so über sie dachte? Sie wünschte es sich so sehr. Wenn sie sich etwas zu Weihnachten wünschen dürfte, dann nur diese eine Sache. Ein Zeichen, dass er sie doch mochte und sie mehr war als nur ein Teammitglied.
„Rin, ich kann nicht mehr lange!“, stellte er fest. Sie nickte und stand auf. Dann halt nur provisorisch. Sie ging um ihn herum und erschrak. Sein Rücken war blutig. Sie legte ihre Hände über seinen Rücken und schloss die Augen. Erleichtert atmete sie auf. Es war nichts gebrochen. Sie fing also an ihn zu heilen. Schließlich ging das Licht aus und nur noch ein grüner Hauch ihrer Tecknik war zu sehen. „Das reicht!“, sagte Kakashi. „Es reicht, wenn ich es sage!“, sagte sie bestimmt. Kakashi schwieg also. Im Grunde langte das grüne Leuchten ihrer Technik. Was sie immer so gestört hatte, da es ihre Position verriet, erwies sich nun als nützlich.
Es war wieder stockfinster, als Kakashi ihre Hand auf seiner Schulter spürte. Vorsichtig ging sie um ihn rum. Sie heilte wieder seine Wunde auf der Brust. Sie sah immer noch übel aus und Rin war klar, dass sie das nicht so heilen konnte. „Schaffst du das Chidori noch mal für eine halbe Minute?“, fragte sie. Er nickte. Ihr Licht erlosch. „Ich sage dir, wann!“, sagte sie. Sie legte ihm reichlich Dinge in den Schoß. Kakashi wurde leicht rot. „Jetzt!“, sagte sie. Er machte sein Chidori diesmal ohne Ankündigung. Verwirrt sah sie ihn, als er ihr den Verband hin hielt und gerötet zur Seite sah.
Den Verband brauchte sie aber noch gar nicht. Erst brauchte sie die Salbe. Zu spät merkte sie, was sein Problem war. Erst als sie nach der Salbe gegriffen hatte, merkte sie selbst, wie ihr Handrücken seinen Schritt streifte. Zu allem Überfluss fiel das Verband, dass er gehalten hatte, auf ihre Hand, woraufhin sie erschrocken ihre Hand wegzog, aber die Salbe zum Glück in der Hand behielt. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie waren nun vierzehn Jahre alt. Auch wenn Kakashi immer so abweisend und kalt tat, war er auch nur ein Teenager. Das sah man nun deutlich, da er mit hochrotem Kopf zur Seite sah und sich die Hand vor dem Mund und die Nase hielt. Eine überflüssige Geste, da er eine Maske trug.
„Ähm….“, kam es von Rin. Kakashi reagierte nicht. Seine Hand mit den Chidori zitterte. „Ich beeile mich!“, sagte sie schnell, als sie das flackernde Licht sah. Hastig schmierte sie ihm die Salbe auf die Wunde, ehe sie anfing den Verband über die Wunde um seine Brust herum zu binden. Dabei hatte sie sein Hemd einfach hochgeschoben. Kaum war das passiert, war das Licht weg. Kakashi fiel nach hinten. Besorgt sah Rin ins Schwarze. So konnte sie ihn nicht weiter verbinden. Sie fuhr mit ihrer Hand über seine Hals, ehe sie an seine Wange kam. „Kakashi?“, fragte sie. Keine Antwort. Sie seufzte, ehe sie seine Hand auf ihrer spürte. „Entschuldige. Ich habe zu viel Chakra verbraucht!“, log er.
„Okay, richte dich bitte auf, damit ich dich weiter verbinden kann!“, sagte sie. Er nickte tapfer und setzte sich auf. Wieder spürte er ihre Hände auf seiner nackten Brust. Angestrengt atmete er aus. „Halt noch etwas durch!“, bat sie ihn. „Ja“, sagte er schwach. Unbemerkt wischte er sich das Blut von der Nase. Wenn Rin wusste, was sie hier mit ihm machte! Es war nicht das Problem, dass er kein Chakra mehr hatte. Er starb gleich an Blutverlust, da seine Nase nicht aufhörte zu bluten. Dass er so stark auf sie reagierte, überraschte ihn selbst.
Als Rin plötzlich weg war, sah er sich verwirrt um. Alles war schwarz. Vielleicht sollte er sein Sharigan nutzen? Doch dann spürte er ihre Hand auf seinem Kopf. Sie hatte ihn mehr oder weniger geschlagen, als sie ihn suchte. „Komm mit, es ist einfacher, wenn wir uns gegen die Wand lehnen!“, stellte sie fest. Er nickte und suchte mit seiner Hand ihre. Vorsichtig ließ er sich mit ziehen. Sie ging dann wieder in die Knie und setzte sich. Er setzte sich neben ihr, als er ihre Hand an seiner Schläfe spürte. Er gab den Druck nach. Mit hochrotem Kopf fand er eben diesen auf dem Schoss von Rin wieder. Er wusste ja, dass sie für ihn schwärmte, aber das machten doch nur Liebespaare?!
„Rin…?“, bekam er nur raus. „Sssht!“, sagte sie. Sie strich ihm über den Kopf. „Entspann dich und ruhe dich etwas aus. Ich halte Wache. Wenn du nachher nicht fit bist, kommen wir nicht hier raus und ehrlich gesagt, ist es hier ziemlich kalt!“, stellte sie fest. Sie nahm ihre Hand von seinem Kopf und rieb sie an ihre andere Hand, um anschließend warme Luft in die Hände zu pusten. Das machte sie eine ganze Weile, in der Kakashi versuchte nicht zu verbluten. Plötzlich spürte er ihre warme Hand auf seiner Wange. Erschrocken riss er sein Auge auf. Ein kalter Schauer lief ihm über die Haut. Nicht, weil ihre Hand kalt war, eher im Gegenteil. Sie war warm und das war toll. Aber sie musste Blut an ihren Fingern haben. Sie hatte ihm über die Nase gefasst.
Tatsächlich passierte lange nichts, ehe er wieder ihre warme Hand spürte. Er schloss entspannt die Augen. Was auch immer sie machte. Es beruhigte ihn und es war kein Heil-Jutsu. Es war ihre Wärme und Liebe, die er heute einfach mal annahm. Sein Atem wurde immer regelmäßiger, ehe er wirklich einschlief.
Ihm war nicht klar, wie lange er geschlafen hatte, aber Rin weckte ihn auf. Man konnte Kampfgeräusche von draußen hören. „Gai und Miroku-kun!“, sagte sie. Kakashi richtete sich immer noch verlegen auf. „Wir sollten ihnen helfen!“, stellte Kakashi fest. Rin schüttelte den Kopf. Da er das nicht sehen konnte, legte sie ihre Hand auf seiner. Er sah reflexartig zu seiner Hand, obwohl er nichts sehen konnte. Er merkte, wie sein Kopf wieder rot wurde. „Die beiden schaffen das schon!“, stellte sie fest. Er nickte nun auch.
Er löste sich von ihr und stand auf. Dann ging er wieder in die Hocke und stupste ihr gegen die Schulter. „Nimm meine Hand!“, sagte er. Sie griff danach, so dass er ihr aufhelfen konnte. Vorsichtig näherten sie sich dem Lärm. „Kakashi? Rin?“, hörten sie Gai rufen. „Wir sind hier drinnen!“, schrie Kakashi. Er sah Rin an und drückte ihre Hand. „Wir kommen hier raus. Miroku wird uns hier rausholen!“, beruhigte er sie. Rin nickte. „Bleib hinter mir!“, bat er sie. „Ja“, sagte sie und stellte sich hinter ihm und fasste auf seine beiden Schultern. „Wir sind bereit!“, schrie Kakashi laut. „Verstanden!“, hörte er nun wieder Miroku.
Es dauerte nicht lange, und es bildete sich erst ein matter Fleck, der immer besser sichtbar wurde. Als Kakashi weißen Schnee erkennen konnte, formte er Fingerzeichen und presste beide Hände auf den Boden. Dabei ging er in die Hocke. Rin tat es ihm gleich. Vor den beiden erschien eine Mauer aus fester Erde, die fest wie Stein war. Feuer zischte an der Mauer und den beiden vorbei. Ein Teil der Mauer brach ein. Rin wehten die Haare nach hinten vom Wind. Sie musste schlucken. Gleichzeitig war sie so beeindruckt von dem Jungen vor ihr. Er war so toll. Schließlich wurde es richtig hell und sie konnte Kakashi wieder erkennen. Da waren seine silbernen Haare, die struppig herum wirbelten. Er gab sich Mühe die Mauer aufrecht zu halten, bis der Feuerball erlöschen war.
„Ihr könnt froh sein, dass ich mit auf Mission war!“, meinte Miroku. Kakashi ließ die Wand, oder was davon übrig war, wieder zu Sand verfallen. Er stand auf. „Du bist im Team, weil du ein Uchiha bist. Als Uchiha ist diese Technik selbstverständlich. Du wärst absolut nutzlos, wenn du uns hier nicht rausgeholt hättest!“, sagte Kakashi abfällig. Gai lachte verlegen und legte seine Hand auf Mirokus Schulter. „Er meinte es nicht so!“, beschwichtigte Gai den Uchiha. Der sah aber Gai nur an. „Doch er meinte es so!“, meinte Miroku und drehte sich zu Kakashi, „Entschuldige dich!“. Kakashi ging an ihm vorbei. „Vergiss es!“, meinte Kakashi kaltherzig. Rin seufzte. Seit Obitos Tod war er so kalt geworden. Er wollte keine Freunde mehr finden. So taten sie sich immer schwer, ein viertes Teammitglied zu finden.
Kakashi ging einfach voran. Er musste seine Gedanken ordnen. Miroku störte dabei nur. In Kakashis Kopf tauchten Bilder auf, die er nie gesehen hatte. Eine verführerische Rin, die ihre Hand provokativ in seinen Schritt presste. Kakashi wurde rot. So war es nicht gewesen! So wurde es nie sein! Warum dachte er das? Er blieb stehen, traute sich aber nicht, sich umzusehen. Er konnte Rin nicht in die Augen schauen, ohne rot zu werden.
„Alles okay mit dir?“, fragte Gai Rin. Sie grinste als sie auf das Blut auf ihrer Hand sah. Sie hatte es ganz sicher abgewischt, als sie ihn fertig behandelt hatte. Das bedeutete, dass er Nasenbluten bekommen hatte. „Ja“, sagte sie begeistert. Gai zeigte auf ihre Hand. „Du blutest!“, stellte er fest. Kakashi drehte sich nun doch um und sah sie entsetzt an. „Oh keine Sorge, es ist Kakashis Blut!“, stellte sie fest, so dass Kakashi das Gefühl hatte im Erdboden versinken zu müssen. Er wirkte, als würde er gleich umkippen, so entsetzt war er.
„Ich muss es mir nach dem Behandeln nicht richtig abgewischt haben!“, stellte sie fest und wischte sich das Blut in ihren Rock. Gai sah nun auch seinen Rivalen an. „Alles okay mit dir? Soll ich dich tragen?“, fragte Gai Kakashi. „Ich trag mich selbst!“, fauchte Kakashi ihn an und schlug seine Hand weg. Verärgert stampfte er davon. „Was hat er denn?“, fragte Gai verwundert. Miroku sah ihn an. „Vielleicht will er nicht wie ein Mädchen auf dem Arm genommen werden!“, stellte Miroku fest. Gai zuckte mit den Schultern. Rin ging nun auch fröhlich pfeifend an den beiden Jungen vorbei. Kakashi konnte sagen, was er wollte und so abweisend sein, dass ihr Herz gefror. Sie wusste nun, dass er sie auch mochte. Mehr hatte sie sich nie gewünscht.
„Ist irgendwas tolles passiert?“, fragte Gai nach. Rin sah ihn an und lächelte. „Wir haben alle überlebt. Und es ist bald Weihnachten, dass wir alle zusammen feiern können!“, stellte sie. Gai grinste ebenfalls. „Du hast recht!“, stimmte er zu. Miroku sah beide an. Die waren alle irre. Nicht eine Mission wurde er mehr mit dem Team machen. Sie hatten zu Recht ihren Ruf verrückt zu sein. Er konnte es kaum erwarten, wieder in Konoha zu sein. Auf keinen Fall feierte er mit den dreien Weihnachten.
So weihnachtlich, wie es halt geht, wenn man mitten im Krieg lebt! xD
Mit großen Augen sah sie zu ihm hinunter. Da stand er, vor der Leiter, auf welcher sie stand und blickte abwartend zu ihr hinauf. Hatte sie sich da etwa verhört? „Was Du Dir zu Weihnachten wünscht“, wiederholte er seine Frage geduldig mit einem freundlichen Lächeln. Belle sah sich in dem großen Speisesaal um, in welchem sie soeben damit beschäftigt war, die Schränke abzustauben. Seit einer gefühlten Ewigkeit wohnte sie nun in diesem Schloss und tat Tag ein, Tag aus immer wieder dasselbe. Ohne, dass sich in ihrem Leben viel änderte. Und nun fragte er sie auf einmal, was sie sich zu Weihnachten wünschte? Woher kam dieser plötzliche Sinneswandel?
„Ich … Nun …“, setzte sie an, doch wollte ihr so spontan keine passende Antwort einfallen. Ihr Blick fiel auf die ihr entgegengestreckte Hand. Offensichtlich eine Aufforderung, zu ihm hinter zu kommen. So steckte sie den Staubwedel in ihre Schürze, kam ein paar Sprossen auf ihn zu und ihre Finger umschlossen die Seinen, bis sie schließlich direkt vor ihm auf dem Boden stand. Und ihn ansah. Mehrere Wimpernschläge lang verloren sich ihrer beider Augen ineinander, bis Belle schließlich wieder zu sich fand.
Seine Hand loslassend entfernte sie sich, was ihn dazu veranlasste, wieder ernster dreinzublicken und sofort wieder unnahbarerer zu wirken. Ganz so, wie sie ihn kannte. Wenn man hier überhaupt von ‚kennen‘ sprechen konnte. „Nun“, griff sie das Gespräch wieder auf, schritt durch den Saal und sah sich um. Ihr Blick fiel aus dem Fenster hinaus. Seit einer Weile war dies endlich möglich, hatte sie es doch geschafft, ihn dazu zu bewegen, die Vorhänge tagsüber offen zu lassen. Es gefiel ihm nicht. Aber er hatte sich dazu durchgerungen, sich von ihr überzeugen zu lassen.
Belle verlor sich in der weißen Winterwelt, die sich vor ihr erstreckte. In dicken Flocken rieselte der Schnee zum Boden hinab. Bedeckte das Schloss, die Ländereien und die Bäume, die in ihre weißen Kleider gehüllt so zauberhaft und wunderschön aussahen. Und Belle wusste, was sie sich zu Weihnachten wünschen wollte. „Ich wünsche mir einen Weihnachtsbaum“.
Als sie sich endlich wieder zu ihm umwandte, um seine Frage zu beantworten, stand er da, mit leicht schief gelegtem Kopf, ein paar Mal ungläubig mit den Wimpern zuckend. Er konnte ihr alles besorgen, was sie nur wollte und Belle wünschte sich einen Baum? „Aber er soll nicht sterben müssen, nur weil ich mich daran erfreuen will“, warf sie noch hinterher und langsam, ganz langsam nickte Rumpelstilzchen. „So sei es, Verehrteste“. Eine kurze Verbeugung folgte, dann schritt er zur Tür, warf seinen Mantel um und verließ das Schloss.
Zurück blieb eine irritiert dreinblickende Belle, immer noch den Staubwedel in der Hand haltend. Wie praktisch wäre es doch manchmel, die Fähigkeit zu besitzen, Rumpels Gedanken lesen zu können. Doch das konnte sie nicht. Und so zuckte sie mit den Schultern und nahm ihre Arbeit wieder auf. Zu Weihnachten sollte das Schloss blitzblank sein und von seiner schönsten Seite erstrahlen. Und um das zu schaffen, hatte sie noch genau diesen Tag Zeit.
Es war noch dunkel am frühen Morgen, als Rumpel ungeduldig, mit den Fingerkuppen gegeneinander trommelnd, am Waldrand vor dem Schloss wartete. Bis er hörte, wie sich jemand ihm näherte. „Na endlich“, kam es leise über seine Lippen. Im Schein seiner Fackel erkannte Rumpel den jungen Mann, den er noch am Tag zuvor mit einem ganz besonderen Auftrag losgeschickt hatte. Doch seine Laune hielt sich in Grenzen. Mit knorriger Hand wedelte er in Richtung des Baumes, welchen der Bursche hinter sich über den Boden schleifte. „Was ist das?“ Sein Gegenüber sah von Rumpelstilzchen zu dem Baum und wieder zurück. „Der Baum“.
Rumpel seufzte und antwortete in betont ruhigem Tonfall: „Ich sehe, dass das ein Baum ist“. Mit aneinandergelegten Fingerspitzen schritt er eine Runde um besagtes Objekt herum, bevor er wieder zum Stehen kam. „Das war nicht der Auftrag“. „Aber …“ Doch Rumpel schnitt dem jungen Mann das Wort ab. „Ich sagte, Du sollst einen Tannenbaum finden. Nicht, Du sollst einen fällen“. Das war nicht, was Belle sich wünschte. Sie hatte extra erwähnt, dass der Baum nicht sterben durfte, nur damit sie ihn bewundern konnte.
Aber der Schlossherr wäre nicht Rumpelstilzchen, wenn er mit solchen Situationen nicht umzugehen wüsste …
So führte Rumpel an Heiligabend Belle in den Schlossgarten, in dessen Mitte der wohl schönste Weihnachtsbaum aus dem Boden ragte, den sie je gesehen hatte. Geschmückt mit goldenen Girlanden und glänzenden Kugeln. Auf der Spitze leuchtete – wie sollte es auch anders sein – ein Weihnachtsstern und erhellte den gesamten Schlossgarten in einem warmen, romantischen Licht.
Stolz betrachtete er sein Werk und bemerkte, wie Belle sich neben ihm daran erfreute. „Oh Rumpel, er ist wunderschön“. Ein wenig überrascht war er aber doch, als sie ihm um den Hals fiel. „Vielen Dank“. Zögerlich legte er seine Arme um ihre Taille und betrachtete mit einem Lächeln diesen ganz besonderen Baum, der tief im Boden des Schlossgartens verwurzelt dastand und Belle auch nach Weihnachten noch lange erfreuen würde. Über ihre Schultern hinweg betrachtete er das üppige Nadelkleid und vor allem eine Stelle in der Mitte des Stammes, an der ein paar unnatürlich aussehende Verwachsungen ein knorriges Gesicht zeigten. Augen, die sehen konnten. Eine Nase, die riechen konnte. Ein Mund, der nicht sprechen konnte. Ein junger Holzfäller, dessen Tage zwar nicht gezählt aber fortan sehr schleppend und zäh erscheinen würden.
diese Übung ist sinnlos, weil ich schon lange weiß, dass es dich nicht gibt. Trotzdem muss ich diesen Brief schreiben, weil Rektor Cross uns diese Hausaufgabe über die Feiertage aufgegeben hat. Nichts gegen die Hausaufgabe, aber am Ende lesen doch sowieso nur Sie diesen Brief, Mister Cross. Wieso muss ich also eine Entität ansprechen, an die nur Kinder glauben?
Und ich bin kein kleines Kind mehr. Immerhin bin ich schon neun und damit ein großer Junge. Also kann ich auch meine eigenen Entscheidungen treffen. Zumindest meistens. Wenn ich das entscheiden könnte, wäre ich jetzt zuhause bei meinen Eltern. Aber wie Sie wissen, sind meine Eltern noch auf Forschungsreise und kommen erst im neuen Jahr wieder. Sie haben mir am Telefon hoch und heilig versprochen, dass wir Weihnachten nachholen. Glaube ich. Die Verbindung war sehr schlecht.
Ich weiß, das ist ein Risiko, weil Sie diesen Brief ja auch lesen, Rektor Cross, aber ich denke nicht, dass Sie den Dachboden ansonsten wirklich nutzen können. Deshalb habe ich mir dort ein Deckenlager aufgebaut, weil es dort gemütlich ist und ich meine Ruhe habe. Ich kann dort ungestört nachdenken. Ich mache auch nichts kaputt, versprochen. Nachdem Weihnachten für mich ja sowieso ausfällt, störe ich dort oben auch niemanden und habe die Bücher auch ordnungsgemäß aus der Bibliothek ausgeliehen.
Wissen Sie, normalerweise haben meine Eltern immer einen Baum besorgt. Wenn mein Dad Zeit hat, macht er selber Eggnogg. Meine Mom kauft Plätzchen und es gibt am Abend Gänsebraten. Ich weiß wie gesagt, dass der Weihnachtsmann nicht existiert. Trotzdem macht meinen Eltern das ganze Zeremoniell mit dem Glas Milch und dem Teller voll Plätzchen Freude, also spiele ich mit. Ich schlafe in der Weihnachtsnacht auch meistens schlecht, deshalb ist es vielleicht sogar besser, dass ich dieses Jahr hier bin. Hier kann ich sicher ungestört schlaf—
Lieber Mister Cross,
entschuldigen Sie, dass ich diesen Weihnachtsbrief so abrupt abgebrochen habe, aber ich hatte etwas gehört. Schritte auf dem Dach – natürlich war mein erster Gedanke, dass ich vielleicht den Weihnachtsmann wütend gemacht habe mit der Behauptung, dass es ihn nicht gibt. Aber dann hätte ich auch einen Schlitten und Glöckchen hören müssen und beides war nicht zu hören. Was es dann also war, was da auf dem Dach so herumgeturnt hat? Oder eher, wer? Nachdem es morgen sowieso in der Zeitung stehen wird, kann ich es Ihnen auch sagen.
Batman war hier! Batman und Robin! Im Gegensatz zum Weihnachtsmann sind Batman und Robin nämlich sehr real. Sie waren hier, ich hab sie gesehen. Sie haben einen Verbrecher über die Dächer verfolgt. Dann sind sie auf das Nachbardach gesprungen, Robin sogar mit einem Salto. Das war so super und ich hätte gerne meine Kamera dabei gehabt. Das ging hin und her und beinahe wäre der Verbrecher abgestürzt, aber Batman hat ihn aufgefangen. Dann haben sie den Verbrecher gefesselt und Robin hat mir sogar gewunken.
Wow! Bestes Weihnachten ever!
Bitte heben Sie für mich den Zeitungsartikel davon auf, als Weihnachtsgeschenk. Vielen Dank!
Dann kommt hier nun also mein Beitrag zum Adventskalender 2020.
Ich hoffe, Ihr habt Spaß beim Lesen.
Geheimmission um Mitternacht
Es war still im Haus. Und dunkel. Einzig der am sternenklaren Nachthimmel leuchtende Vollmond warf seine Strahlen in ein Zimmer. Darin standen zwei Betten. Eines auf der linken Seite des Fensters, das andere auf der Rechten. Das Bett auf der linken Seite war leer. Die Decke war zurückgeschlagen worden, das Laken zerknittert.
Im anderen Bett zeichneten sich die Silhouetten zweier Mädchen ab. Mit geöffneten Augen lagen sie da. Still und hochkonzentriert. Ganz offensichtlich warteten sie auf etwas. Ein braunes und ein grünes Augenpaar starrten jeweils gebannt zu der lediglich angelehnten Zimmertür, durch die das Ticken der großen Standuhr zu vernehmen war, welche unten im Wohnzimmer die Zeit verkündete. ‚Tick-Tack-Tick-Tack-Tick‘ „Wie lange denn noch?“, flüsterte die Kleinere der beiden. „Pst“, kam es lediglich als Antwort und eine beleidigte Schnute wurde gezogen.
Wie lange genau sie noch warten mussten, konnte im Nachhinein keine der Schwestern sagen. Doch irgendwann war es so weit. Das ständige Ticken der Uhr wurde abgelöst durch das dunkle Gongen, welches insgesamt 12x ertönte und den beiden somit verkündete, dass das Warten ein Ende hatte. Es war Mitternacht. Ganz sicher würde der Weihnachtsmann nun bald durch ihren Kamin rutschen und die beiden Strümpfe füllen, welche am Abend mit größter Sorgfalt an dessen Sims aufgehangen wurden. Und die unterschiedlichsten Fragen hatten die Schwestern diesbezüglich bereits beschäftigt. Darunter auch die Folgende: Hatte der Weihnachtsmann wirklich so einen dicken Bauch? Und wenn ja: Wie konnte er dann durch den Kamin passen? Würde er da nicht stecken bleiben? So breit war doch der Kamin in diesem Haus gar nicht. Oder? Doch auch, wenn die Mädchen bei dem Gedanken an einen in ihrem Kamin stecken gebliebenen Weihnachtsmannes kichern mussten, hatten sie doch im Endeffekt beschlossen, ihm zu helfen.
Und wer die Mission „Hilf dem Weihnachtsmann“ an Christmas Eve beim Zubettgehen im Kopf hatte, konnte es sich natürlich nicht leisten, die Augen zuzutun und einfach einzuschlafen. Nicht auszudenken, wenn der Arme sonst die ganze Nacht dort stecken würde und alle anderen Kinder deswegen am Christmas Day ihre leeren Strümpfe vorfinden würden. Nein. Da musste man wach bleiben. Und aufstehen. Selbst, wenn es mitten in der Nacht war.
Folglich standen rasch zwei nackte Fußpaare auf dem Teppich vor dem Bett, bevor sie sich in Bewegung setzten. Doch bevor es hinaus auf den Flur gehen würde, kramte die Jüngere noch in ihrer Spielzeugkiste. Daraus brachte sie nur wenige Augenblicke später einen schwarzen Plastikstab mit weißer Spitze zum Vorschein, dessen Anblick ihre Schwester dazu veranlasste, die Augen zu verdrehen. „Sei nicht albern, Lily“. Der Zauberstab gehörte zu einem Zauberkasten, den die Eltern ihrer jüngsten Tochter zum Geburtstag geschenkt hatten, seit sie so sehr von den Zaubertricks schwärmte, von denen ihr neuer Freund aus der Nachbarschaft ständig erzählte.
Und dann, endlich, verließen die beiden ihr Zimmer. Hand in Hand, sich vorsichtig mit nackten Füßen über den Boden tastend. Das Mondlicht musste ausreichen. Würden sie die Lampen anknipsen, würden sie ihre Eltern aufwecken und dann wären sie schneller wieder in ihren Betten, als ihnen lieb war. Also: „Schsch“, kam es von Petunia, als sie hörte, wie hinter ihr die Treppenstufe knarrte, welche Lily soeben betreten hatte. Warnend den Zeigefinger auf die Lippen gelegt, drehte sie sich zu ihrer Schwester herum, die sich gleichzeitig eine Hand vor den Mund hielt, als würde dies das Holz unter ihren Füßen daran hindern, verräterisch zu knarzen.
En prüfender Blick zur Schlafzimmertür der Eltern folgte und beide atmeten erleichtert aus. Nichts regte sich dort. Also konnten sie weiter gehen. Die Treppe hinunter und ab ins Wohnzimmer. Zum Glück hatte Petunia sich schon in der Vergangenheit sehr gut gemerkt, an welchen Stellen das Betreten der Treppenstufen vermieden werden sollte, denn sie schlich sich gerne in der Nacht heimlich in die Küche, um sich dort Schokolade aus dem Vorratsschrank zu stibitzen. Also konnte sie Lily sehr genau anweisen, wohin sie zu treten hatte.
Im Kamin war das Feuer bereits abgebrannt. Zum Glück. Aber wahrscheinlich kam der Weihnachtsmann auch deswegen immer erst später in der Nacht. Er war ja schließlich nicht dumm. „Ich hab Hunger“, gestand Lily nach einem Blick auf den Teller mit den selbst gebackenen Keksen, die sie eigentlich als Wegzehrung neben dem Glas Milch und der Schüssel mit Möhren auf dem Wohnzimmertisch bereitgestellt hatten. Und schon langte sie zu. Eine Hand voll Kekse – eine kleine Kinderhand wohlgemerkt – würde wohl nicht auffallen, wenn sie fehlen würde.
Der erste Keks wanderte auch sogleich in Lilys Mund. Mit einem genießerischen „Mmmmh“ wurde er weg geknuspert, während ein paar Krümel davon zu Boden fielen. „Lily. Sieh nur“. Petunia hatte sie angestupst und deutete sogleich mit dem Finger in Richtung des Wohnzimmerfensters, an dem sie gerade noch eine dunkle Gestalt vorbei huschen sah. Mit großen Augen starrten beide nach draußen, wo dicke, weiße Schneeflocken zu Boden rieselten. „Der Weihnachtsmann“, hauchte Lily und legte schnell die noch nicht angeknabberten Kekse wieder zurück auf den Teller. Klopfte sich beide Hände an ihrem Nachthemd ab und stolperte im nächsten Augenblick in Richtung des Weihnachtsbaumes. Petunia hatte sie dorthin gezogen. Sie mussten sich verstecken. Der Weihnachtsmann durfte doch nicht wissen, dass sie noch wach waren.
Die Nadeln des Tannenbaumes pieksten schmerzhaft an den nackten Beinen, während die Schwestern sich in die kleine Ecke dahinter drückten. Doch da mussten sie wohl durch und sie blieben tapfer lautlos sitzen, als sie hörten, dass sich die Haustür öffnete. Fragende Blicke wurden ausgetauscht, als auch schon schwere Schritte ins Wohnzimmer stampften. Lily hielt ihren Zauberstab fest umklammert und starrte mit großen Augen auf die schwarzen Stiefel, die sich dem Baum näherten, auf halbem Weg stehen blieben und gleich darauf wieder näher herantraten. „So, so“, sagte eine dunkle Stimme, die den Schwestern irgendwie bekannt vorkam. Ein paar herunter gefallene Kekskrümel knirschten unter den schweren Schritten. Immer weiter drängten sich Petunia und Lily in der kleinen Ecke zusammen, Hand in Hand und den Atem anhaltend. Zu spät bemerkte Petunia, dass ihr nackter Fuss noch hinter dem Baum hervor lugte und zog ihn schnell zurück.
„Petty? Lils? Raus da“.
Langsam, umständlich und hier und da mit einem „Autsch“ begleitet, krabbelten die Schwestern aus ihrem pieksigen Versteck heraus, richteten sich auf und sahen sich ihrem Vater gegenüber. Mit strengem Blick, die Hände hinter dem Rücken versteckt, bedachte er die beiden in Erwartung einer Erklärung. „Wir wollten doch nur auf den Weihnachtsmann warten, damit wir ihm helfen können, falls er in unserem Kamin stecken bleibt“, erklärte Lily bitterernst, während Petunia nickte. Beide Augen ihres Vaters wanderten bezüglich dieser Erklärung in die Höhe, sein linker Mundwinkel zuckte kaum merklich. „Ah ja. Und da dachtet Ihr, Ihr zaubert ihn dann frei“, schlussfolgerte er mit einem Blick auf den Zauberstab, den Lily immer noch in ihrer Hand hielt. Die Kleine nickte mit fest aufeinander gepressten Lippen. Stille entstand, während der Vater so tat, als müsse er überlegen. Nichts weiter als das Ticken der Standuhr war zu hören, bis er endlich wieder sprach. „Nun. Ich mache Euch einen Vorschlag. Ich bleibe hier und passe auf den Weihnachtsmann auf, während Ihr wieder schlafen geht. Ihr müsst doch morgen fit sein“. Das ließen sich Petty und Lils nicht zweimal sagen und schon huschten sie aus dem Wohnzimmer hinaus, die Treppe hinauf und ab in ihr Zimmer. „Hoffentlich stecken morgen früh nicht beide im Kamin fest“, sorgte sich Lily und nach einem kurzen Blickwechsel huschten sie kichernd in ihre Betten.
Es wäre doch ganz wundertollig, wenn wir jeden Tag im Advent eine kleine Story hätten, die uns den Tag versüßt. Deshalb gibt's unseren Adventskalender, den wir hoffentlich auch möglichst voll bekommen. Sucht euch ein noch verfügbares Stichwort aus und gebt Bescheid, für welchen Tag ihr posten wollt. Bitte verlinkt dann die gepostete Story auch hier.
Der Adventskalender findet gleichzeitig auf unserem Discord-Server und hier im Forum statt - dort können auch freie Arbeiten gepostet werden, hier im Forum lediglich Fanfiction. Alles wird aber auch gegenseitig vercrosslinkt.
Wir wünschen euch ganz viel Weihnachts- und Winter-Inspiration und jede Menge Spaß am Schreiben, Lesen und Kommentieren!
Justine faltete die Zeitung zusammen, aus der sie den Artikes gerade eben noch laut vorgelesen hatte und klemmte sie unter den Rand von Alex‘ Tablett mit Mittagessen. „Die armen Kids“, meinte sie und verzog das Gesicht zu einem Stirnrunzeln, „Conner ist schon wirklich herzig. Er ist vorbei gekommen, um nach dir zu sehen und er war so völlig aufgelöst. Aber er hat versucht, mich zu beruhigen.“
„Er ist ein echt anständiger Junge“, stimmte Alex zu. Waren sie eigentlich alle. Er drehte den Kopf so weit, wie die Halskrause es ihm erlaubte, und sah zu der Reihe von Karten und Vasen, die sich entlang der Fensterbank erstreckte. Schon witzig; man wusste nie, wie beliebt man eigentlich war, bis alle dachten, dass man im Sterben lag. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass er mit einem Promi zusammen ist“, lachte er in sich hinein, „Da hat‘s der Dorfjunge wohl zu was gebracht, schätze ich.“
„Er hat übrigens noch keine Karte geschickt“, meinte Justine. Lorelei zupfte an ihrem Hosenbein, so dass sie sich zu ihr hinunter beugte und sie auf das Bett hob, wo sie zwischen Alex‘ Füßen sitzen konnte. „Eine Karte von dieser Frau ist da – seiner Tante, hast du gesagt? Sie hat auch noch Marmelade oder sowas mitgeschickt. Irgendwas Eingemachtes.“
Alex schnitt eine Grimasse. „Warum hast du mir das nicht gesagt, bevor ich diesen widerlichen Hackbraten gegessen hab? Ich hätte dich drum gebeten, unten noch ein paar Brötchen zu holen oder so.“
„Hey!“
Alex sah die Länge des Betts hinunter zu dem Mädchen, das im Grunde seine Stieftochter war. Ihre Mutter hatte ihr die Haare heute zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der im Sonnenlicht kupferfarben glänzte. „Ja, Sweetie?“
„Darf ich dein Jello essen?“
Justine schnaubte amüsiert und zog den Rolltisch in Richtung ihrer Tochter. „Hau rein, Kleine“, antwortete sie ihr und drückte ihr einen Göffel in die Hand.
Loreleis Gesicht erhellte sich und sie hieb auch sofort begeistert auf die zitternde grüne Masse ein.
„Weißt du, woraus das gemacht ist?“, fragte Alex grinsend.
„Kuhfüße und Schweineknochen“, gab sie gelangweilt zurück, „Das hast du mir schon gesagt. Aber es schmeckt trotzdem gut.“
Alex lachte leise und verzog das Gesicht, als er dabei schmerzhaft seine Rippen spürte. „Ich finde deinen Pragmatismus höchst bewundernswert, junge Dame“, sagte er.
Lorelei schlürfte demonstrativ das Jello durch ihre Zähne ein.
Es klopfte an der Tür, bevor eine der Krankenschwestern ihren Kopf ins Zimmer streckte. Alex hoffte, es war kein schlechtes Zeichen, dass er ihren Namen nicht mehr wusste. „Sie haben nochmal was vorbei gebracht bekommen“, verkündete sie.
Justine atmete hörbar aus und sah sich um. „Ich glaube nicht, dass hier noch Platz ist für weitere Blumen. Denkst du, sie meinen, dass sie dafür Bonuspunkte oder so bekommen?“
„Es sind keine Blumen“, erwiderte die Krankenschwester. Sie trat ins Zimmer, eine kleine, flache, braune Schachtel in Händen. „Sondern ein kleines Päckchen.“
„Vielleicht noch mehr Kekse!“, rief Lorelei aufgeregt.
„Du hast doch schon Jello“, gab Justine geistesabwesend zurück, während sie die Schachtel entgegen nahm. Darauf stand ‚ZERBRECHLICH‘, weshalb sie sie lieber nicht schüttelte. „Soll ich sie aufmachen?“
Alex hob seine Hände an, die über seinen Verbrühungen immer noch locker einbandagiert waren. „Ich denke, das solltest lieber du machen, ja.“
„Nein, ich“, quietschte Lorelei und streckte schon die Hände nach dem Päckchen aus, doch ihre Mutter nahm es ihr lieber wieder weg.
„Honey, da steht ‚zerbrechlich‘. Das bedeutet, dass darin etwas ist, das kaputt gehen kann.” Sie fuhr mit dem Fingernagel unter das Paketband und hielt inne. Ihr Blick ruhte auf der Schachtel, ihr Lächeln sarkastisch. „Alex? Hast du etwa Briefe an Supermodels geschrieben?”
An… „Was?“, fragte er.
„Der Absender lautet ‚Kory Anders‘.“
Kory Anders? Was? Alex versuchte sich aufzusetzen, nur um sofort seine Freundin und die Krankenschwester um sich zu finden. Justine half ihm, das Bett etwas nach oben zu fahren und hielt ihm die Schachtel entgegen, als sie sie öffnete. Darin lag eine Karte mit einem gezeichneten Wissenschaftler darauf sowie ein kleines gerahmtes Foto von Anders im Bikini unter einem Wasserfall, mit Autogramm und einem Lippenstift-Abdruck. Alex musste grinsen, als er an die Kommentare dachte, die er von seinen Schülern bekommen würde, wenn er das auf seinem Schreibtisch stellte.
„Oh, wie geschmackvoll“, meinte Justine trocken, zog das Foto aus der Schachtel und schob es unter eine Decke, bevor Lorelei es sähe. Die Schachtel klapperte und Dalton sah, dass unter dem Bild zwei kleine Ampullen verstaut gewesen waren.
Justine hielt sie für ihn in die Höhe, so dass er sie untersuchen könnte. Eine enthielt eine dickflüssige, dunkle, leuchtend orange Flüssigkeit; in der anderen befand sich eine Locke rötlich braunes Haar.
„Oh mein Gott“, stieß Alex schwer atmend aus, „Das sind Proben.“
„Was?... Warte!“, schimpfte Justine, als er mit seinen schmerzenden, geschwollenen Fingern nach der Karte tastete, „Ich lese sie dir vor.“
Die Karte beinhaltete keine vorgedruckte Nachricht. Stattdessen standen ein paar Zeilen in graziler, geschwungener Schrift darin, die mit lila Tinte geschrieben worden waren.
„‚Lieber Alex‘“, las Justine vor, „‚ein Freund hat mir eine ganze Menge über dich erzählt und ich wollte dir einfach eine baldige Genesung wünschen. Mein Freund meinte, du hast schon genug Blumen, also hat er mich gebeten, etwas ein bisschen Persönlicheres mitzuschicken, mit Grüßen von ihm. Viel Glück, Kory Anders. P.S.: Ich würde mich über eine Kopie der Arbeit freuen, wenn du damit fertig bist. Du kannst sie Conner geben‘. Und dann hat sie das Papier geküsst. Man sollte meinen, das Foto hätte schon gereicht.“
Alex juckten die Finger unter den Verbänden. „Oh mein Gott“, sagte er erneut. Er wandte sich hastig an die Krankenschwester. „War das Päckchen lange am Empfang gelegen? Ich muss wissen, wie alt diese Blutprobe ist.“ Ihm wurde das Herz schwer. „Die Post ist doch sicher schon vor Stunden gekommen.“
„Ist nicht mit der Post gekommen“, gab die Schwester zurück und nahm die Karte, um einen Blick darüber zu werfen. „Dieser eine Junge hat es gerade eben erst zur Schwesternstation gebracht. Hab ihn kaum gesehen, so schnell ist er wieder verschwunden.“
„Könnten Sie mir etwas Eis besorgen? Trockeneis, meine ich. Und eine Isolierbox. Die gibt es hier sicher im Phlebotomie- oder Histologie-Labor—”
„Mister Dalton“, mahnte die Schwester ihn plötzlich, „Beruhigen Sie sich! Ihr Monitor spielt ja völlig verrückt.“
Alex atmete tief durch und zwang sich, sich wieder in seine Kissen zu legen. „Aber können Sie das Eis besorgen?“
„Ich hab da einen Freund im Labor“, meinte sie. Sie trat an sein Bett und rückte seine Infusion wieder gerade. „Ich geh und spreche mit ihm, aber Sie müssen ruhig bleiben, okay?“
„Okay“, stimmte Alex zu. Er versuchte angestrengt, ruhig zu atmen. „Ruhig. Okay. Liebling, kannst du Charles anrufen? Sag ihm, dass er Co-Autor sein kann, wenn ich sein Labor benutzen kann. Oh fuck! Ich kann ja nicht mal meine Hände benutzen.“
„Alex!“, fuhr Justine ihn an, als sie ihrer Tochter die Hände über die Ohren legte.
Er verstummte betreten.
Justine seufzte und schenkte ihm einen liebevoll entnervten Blick. „Sie werden dich hier nicht raus lassen, wenn du dir selber noch einen Herzinfarkt bescherst. Ich rufe Charles an. Aber beruhige dich erst mal, okay?“
„Ja, Liebling“, stimmte Alex zu, auch wenn seine Gedanken rasten.
Alien-DNA! Alex musste grinsen. Oh, das war so viel besser als noch eine Topfpflanze. Was für ein aufmerksamer Junge!
A/N: And that's all, folks! Ich hoffe, die Story hat euch ein bisschen gefesselt und gefallen. Lasst mir doch gern einen Kommentar da - egal ob zur Übersetzung oder zum gemeinsamen Fangirlen/Aufregen/whatever...
Kon lag in seinem Bett und starrte hinauf zu den Brandflecken an der Decke, die noch aus einer Zeit stammten, bevor er seinen Hitzeblick unter Kontrolle hatte. Unten konnte er bereits alle herumwuseln hören. Clark war draußen in der Scheune und machte die Farmarbeiten, die Kon an diesem Morgen glücklicherweise nicht machen müsste. Martha stand am Herd und kochte etwas, das einfach nur köstlich roch. Tim und Lois saßen mit Ausnahme des Klackerns auf Tastaturen still am Küchentisch. Immer wieder einmal trank einer von beiden einen Schluck Kaffee oder kommentierte kurz etwas. Tim hatte Lois schon zweimal zum Lachen gebracht, seit Kon aufgewacht war. Eigentlich war klar gewesen, dass die beiden sich verstehen würden.
Aber Kon hatte nicht genug Schlaf bekommen, um sich schon mit den Frotzeleien auseinanderzusetzen, die er sicher bekommen würde, wenn er nach unten ging. Er hatte die halbe Nacht damit verbracht, Tims Hand in der Notfallmedizin in Smallville zu halten, während Tim abgetastet und geröntgt und untersucht wurde. Tim – Tim Wayne – hatte Kon die ganze Zeit in seiner Nähe haben wollen, bis Martha schließlich Dr. Gomer überredet hatte, sie gehen zu lassen, egal ob Tim noch ein MRT, CT, PET und jede andere medizinische Abkürzung, die ihm anscheinend noch einfiel, wollte.
Als sie schließlich nach Hause kamen, hatte Lois bereits einen Artikel über die Ereignisse des Abends abgeschickt – was bedeutete, dass Kon zu spät war um sie aufzuhalten, selbst wenn sie ihm immer noch ein wenig Angst einjagte, wenn sie wütend war. Martha hatte es aufgegeben, aus ihm und Tim etwas herauszubekommen und die ganze Geschichte schließlich Clark aus der Nase gezogen – und prompt auch darauf bestanden, dass Tim auf der Couch schlafen würde, vielen Dank – selbst als Tim sie darauf hinwies, dass er doch besser über Nacht unter Beobachtung bleiben sollte. Martha hatte ihn ihrerseits daran erinnert, dass sie dafür zwei Leute mit Supersinnen im Haus hätten.
Kon hatte nicht gewusst, was er ihr sagen sollte, als sie ihn danach in die Enge getrieben und gefragt hatte, was denn zwischen ihm und Tim passiert war. Er konnte Ma nicht anlügen – hatte er noch nie gekonnt. Was aber auch bedeutete, dass er ihr nicht versichern konnte, dass da nichts lief. Er hatte es versucht – sogar schon den Mund geöffnet, um seine Unschuld zu beteuern – aber im selben Moment hatte er sich an das Gefühl von Tims schlankem, muskulösem Oberschenkel erinnert, der sich zwischen seine eigenen schob. Von Tims Zunge, die sein Ohr entlang fuhr. Und er hatte kein Wort herausgebracht.
Kon hatte es ihr nicht sagen können, weil er es auch nicht wusste. Tim war ein verflucht guter Schauspieler – er wurde wirklich zu seinen Undercover-Rollen – aber selbst das Wissen darum hatte Kon nicht darauf vorbereitet, wie es sich anfühlen würde, wenn er dabei in den Blickpunkt geriet. Tim hatte verdammt nochmal sehr so gewirkt wie jemand, der Kon an die Wäsche wollte – genug, dass sogar Kon ihm vorübergehend auf den Leim gegangen war.
Das war geschauspielert gewesen, da war Kon sich jetzt, bei Tageslicht, sicher. Es war seine eigene Reaktion darauf, die ihn verunsicherte.
Tim und Lois stritten sich inzwischen über irgendwas, weshalb Kon sie ausblendete und stattdessen Clark dabei zuhörte, wie er sich den Dreck von den Stiefeln stampfte. Im Gegensatz zu Kon verwendete er seine Kräfte nie für so etwas Triviales wie das Umgehen von Hühnerdreck. Clark kam ins Haus.
„Clark, Schatz“, hörte er Martha sagen, „Geh und sieh doch bitte nach, ob Conner schon wach ist.“
Was wahrscheinlich hieß, dass sie alle bereits wussten, dass er wach war. Kon seufzte und drehte sich um, damit er an seine Hosen kam. Er schwebte weit genug nach oben, um sie sich über seine Boxershorts zu ziehen, bevor er sich an die Bettkante setzte und mit den Händen durch seine Haare wuschelte.
Clark klopfte am Türrahmen an, als er die Tür bereits aufdrückte, was Kon wahrscheinlich genervt hätte, wenn das Anklopfen nicht sowieso ein absoluter Witz gewesen wäre. Immerhin konnten sie sich gegenseitig sowieso durch das Holz hindurch sehen. „Hey“, begrüßte er ihn und streckte den Kopf zur Tür herein, „Kommst du runter zum Frühstück?“
Einen Augenblick lang überlegte Kon, einfach nein zu sagen. Er könnte sich den ganzen Tag hier oben verstecken, vielleicht könnte er zum Fenster hinaus fliegen und entkommen. Vielleicht bräuchten sie ja einen Superhelden in Abu Dhabi oder so.
Clark schlüpfte ins Zimmer und schloss hinter sich die Tür. „Oder… wir könnten reden?“
Frühstück klang mit einem Mal wie eine fantastische Idee. Aber da war es schon zu spät – Clark kam bereits zu ihm herüber, um sich neben Kon auf die Bettkante zu setzen. Kon glättete die Decke und beförderte eine Unterhose so heimlich wie möglich mit seinem Fuß unters Bett.
„Ähm“, machte Clark, sein Blick auf die Wand gerichtet, „Ich will nicht, dass du denkst, dass ich irgendwas vor dir versteckt hab, weil das hab ich nicht. Es ist nur… Einige Dinge liegen in der Vergangenheit und es wird nicht oft drüber gesprochen. Es gab nie einen Grund, es anzusprechen.“
„Klar“, stimmte Kon zu, in der Hoffnung, das schnell hinter sich zu bringen.
„Und… Ich wollte dich nicht beleidigen. Oder Tim. Als ich gesagt hab…” Clark schluckte. „Als ich dir erzählt hab, dass ich dachte, es war seine Idee, dich in den Club einzuschleusen, sollte das genauso sehr ein Kommentar zu Bruces Methoden sein wie alles andere. Und auch zu Tims Fähigkeiten als Undercover-Agent. Es war nicht wertend gemeint. Es war…” Er seufzte. „Ich hab deine Ehrlichkeit immer bewundert“, versicherte er hastig, „Deine Offenheit, deine Aufrichtigkeit, wie wohl du dich mit dem fühlst, wer und was du bist.“
Kon sah überrascht zu ihm auf: „Echt?“
Endlich begegnete Clark auch seinem Blick. „Ja, Conner. Ich schätze… weißt du, ich hab mich immer fremd gefühlt, egal, auf welchem Planeten ich war. Auf der Erde gehöre ich nicht dazu wegen meiner Kräfte. Auf New Krypton gehörte ich nicht dazu, weil ich anders aufgewachsen bin.“ Clark zuckte die Schultern. „Natürlich ist es einfacher mit Leuten, die mich als Clark und als Superman kennen – mit meiner Familie, zu der du auch gehörst. Auch mit Tims Familie. Vor allem mit Tims Familie, weil… tja, Ma kennt mich sehr gut. Aber sie wird nie wissen, wie es sich anfühlt, Menschenleben in den Händen zu halten.”
Zumindest nicht, seit Clark zu groß geworden war, um getragen zu werden, ging es Kon durch den Kopf.
„Vom ersten Tag an, als ich dich getroffen hab, warst du immer so ehrlich“, fuhr Clark fort, „Du hast nie einen Grund gesehen, dich zu verstecken, bis ich dich in eine zivile Identität gezwungen hab, gegen die du dich mit Händen und Füßen gewehrt hast. Du warst einfach du selber – und du bist am meisten du selber, wenn du da draußen bist und das tust, was du am besten kannst. Wenn du mit deinen Freunden zusammen bist. Offen gesagt bin ich neidisch. Als Teenager war ich ganz alleine, Kon. Ich musste sie alle anlügen. Ich hab nicht mal Ma und Pa alles erzählt, was mit mir passiert ist, weil ich Angst hatte, dass sie eines Tages einfach beschließen würden, dass das alles zu viel für sie ist und dass sie ohne mich besser dran sind.“
Kon zog seine Beine an und drehte sich auf dem Bett so, dass er Clark zugewandt war, sein Rücken gegen das Kopfende gelehnt. „Sie haben dich geliebt. Lieben dich noch. Du bist ihr Sohn. Für immer. Egal, was ist.”
Clark lächelte, auch wenn sein Blick traurig war. „So etwas übersieht man recht leicht als Teenager. Man denkt leicht, Familie wäre etwas, das an Bedingungen geknüpft ist.“
Kon sah auf seine Hände hinunter.
„Wenn ich wütend war…“ Clark seufzte erneut. Kon hatte den Eindruck, dass das vielleicht eine Hinhaltetaktik war, während er nach den richtigen Worten suchte. „Ich glaube nicht, dass es Zufall ist, dass ausgerechnet Tim dir Rückendeckung gibt, als du das erste Mal in deinem Leben diejenigen Leute, denen du wichtig bist, wirklich angelogen hast. Nein“, redete er weiter, als Kon seine Hände zu Fäusten ballte, „lass mich bitte diesmal ausreden. Ich glaube, wir hatten schon genug Missverständnisse. Ich verurteile Tim hier nicht als Person. Ich weiß, dass die Dinge in Gotham anders laufen. Bruce und Tim und sogar Dick müssen lügen, um auch nur zu funktionieren, um das tun zu können, was sie tun. Die Leute müssen glauben, dass sie etwas Anderes sind als sie in Wirklichkeit sind – und zwar den ganzen Tag und die ganze Nacht, die ganze Zeit, weil sie ansonsten ziemlich sicher umgebracht würden. Ich kenne Bruce jetzt schon sehr lange, Kon, und ich weiß, wie anstrengend das ist, aber für sie alle ist das zu ihrer zweiten Natur geworden. Sie können eben nicht durch Wände sehen oder von der Stratosphäre aus lauschen und dann eine ganze Bande auf einen Schlag ausschalten – sie müssen sie unterwandern, sie abhören, Monate lang Handelsmanifeste und Verbrechensmuster verfolgen und dann schlagen sie zu. Und… sie bitten extrem selten um Hilfe.“
“Tim bittet mich um Hilfe”, protestierte Kon. Einen Moment später allerdings, als ihm auffiel, wie extrem ungleich das Verhältnis von Gefallen war, die sie einander schuldeten, fügte er noch hinzu: „Manchmal.“
„So oft wie du bereit wärst zu helfen?“
„Naja“, erwiderte Kon und sein Blick ging zur Wand, „Nein. Aber auch nur, weil ich ihm immer helfen würde, wenn er mich darum bitten würde. Das ist… Wir sind Freunde. Dafür sind Freunde da.” Als Kon wieder zu Clark sah, lächelte er. „Was?”
„Nichts“, gab Clark unbeschwert zurück, „Ich glaub, mir wird gerade erst so richtig bewusst, dass du echt ziemlich erwachsen geworden bist.“
Kon wandte schnell den Blick wieder ab. „Nicht so schnell“, gab er zurück, „Superboy, du erinnerst dich? Erwarte jetzt bloß nicht, dass ich mich total reif und erwachsen verhalte.“
„Oh“, antwortete Clark, „Ich werde versuchen, keine unverhältnismäßig hohen Erwartungen an dich zu haben.“ Er lachte leise. „Nicht dass ich dir unterstellen wollte, dass du verantwortungsbewusst oder sowas wärst.“
„Oh, Gott, nein“, grinste Kon, „Und bitte, bitte erwähn das nicht Ma gegenüber, ansonsten gibt sie mir noch extra Farmarbeit auf oder so.“
Clark lachte und das Geräusch wirkte irgendwie zu groß für das kleine Zimmer unterm Dach – dasselbe Zimmer, in dem er selbst geschlafen hatte, bevor Kon überhaupt auch nur ein Gedanke im Kopf eines verrückten Wissenschaftlers gewesen war. „Was denn noch? Du hälst doch schon die gesamte Farm am Laufen. Das ist ein Vollzeitjob, der da noch zur Schule und deiner Tätigkeit als Superboy dazu kommt, und du scheinst damit ganz gut klar zu kommen.“
„Weil ich aber auch schummle“, gab Kon zu. Er legte seine Hand auf die Decke und sie ordnete sich in sauberen Reihen an, wie der Mais draußen vor seinem Fenster.
„Du klingst gerade, als hätte Pa jemals wirklich noch den Pflug an den Traktor angehängt, nachdem ich 15 geworden bin.“
Kon lächelte und ließ seinen Kopf gegen das Kopfende des Betts ruhen. Das hier war gar nicht so übel. Normalerweise wenn er versuchte mit Clark zu reden, machte das Kon entweder sprachlos oder wütend. Bis jetzt hatte er zum größten Teil beides vermieden.
„Was ich aber sagen wollte“, meinte Clark, „wegen Tim. Es ist nicht, dass ich ihm nicht vertraue oder ihn nicht mag oder irgendwas in der Art. Ich bin nur… gewissermaßen schon da gewesen, wo du jetzt bist. Bruce hasst es noch mehr als Tim, um etwas zu bitten, aber das bedeutet nicht, dass er nicht Mittel und Wege hat, uns alle dazu zu bekommen, dass wir tun, was er will. Er kann manchmal ein ziemlich hinterhältiger, manipulativer Bastard sein. Er ist neben Lois mein bester Freund, aber manchmal treibt er mich echt in den Wahnsinn.“
„Tim ist nicht…“, setzte Kon an, ließ dann den Satz aber unbeendet. Er hätte ihn jedenfalls nicht als Bastard bezeichnet. Außer natürlich, wenn er gerade in einen von Tims besonders hinterhältigen und manipulativen Tricks hineingezogen worden war. Hmmm. „Batman ist auch so?“
„Oh ja“, stimmte Clark zu und sein Augenrollen dazu hatte wirklich epische Ausmaße, „Zum Beispiel bringt er seinen Presseagenten dazu, dass er Perry überredet, mich zu einer Veranstaltung zu schicken, bei der er ist.“
Kon zog die Stirn in Falten. „Wenn er meint, dass er vielleicht Unterstützung braucht?“
„Manchmal.“ Clark zuckte die Schultern. „Meistens macht er das, um jemanden zu haben, mit dem er sich unterhalten kann. Denn Gott bewahre, dass er mal zum Telefon greift und mich anruft. Oder mich einfach so ruft.“ Er neigte den Kopf und sah Kon durchdringend an. „Jedenfalls ist das alles mein Versuch dir zu sagen: Wenn du meinst, Tim könnte Hintergedanken bei seinem Trick gestern Abend gehabt haben, dann heißt das wahrscheinlich, dass dem auch so ist.“
Oh. Oh. Kon spürte die Hitze in sein Gesicht steigen und wandte den Blick ab. Oh. Clark dachte… Clark dachte…
Was wenn er Recht hatte?
„Ich lass dich mal in Ruhe anziehen“, sagte Clark und stand bereits auf. Er hielt auf die Tür zu, drehte sich aber im Türrahmen nochmal um. „Conner. Kon. Du weißt, dass du immer mit mir reden kannst? Ich meine, ich war nicht immer der beste…“ Er ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen.
„Ja“, antwortete Kon mit rauer Stimme, „Ja, weiß ich.“
Sobald Clark die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ Kon sich auf das Bett fallen und drückte sein Gesicht ins Kissen. Oh Gott. Hatte Clark Recht? Was wenn ja? Was würde das bedeuten? Er könnte Tim so auf gar keinen Fall gegenüber treten!
*
Schließlich war er frisch geduscht und hatte sich die Zähne geputzt – selbst wenn er eine eher peinlich lange Zeit mit seiner Frisur verbracht hatte, wenn man bedachte, dass er nur nach unten zum Frühstück ging. Also zog Kon sich ein frisches Paar Jeans und den blauen Pullover an, von dem Martha meinte, dass er seine Augen hübsch hervorhob, und ging nach unten.
„Na hallo, du Schlafmütze“, begrüßte Martha ihn, als er die Küche betrat, „Ich dachte schon, du würdest da oben den gesamten Tag verbummeln.“
„Hm“, machte Tim, ohne von seinem Laptop aufzusehen. Sein Veilchen sah heute Morgen noch schlimmer aus. „Ich hätte ihn einfach so mit nach San Francisco nehmen können, so fest wie er geschlafen hat.” Tim nahm einen Schluck von seinem Kaffee. „Ich hab ihn sogar umgezogen, ohne dass er aufgewacht ist.“
Martha lachte leise, aber Clark sah verunsichert zwischen Kon und Tim hin und her und auf Lois‘ Gesicht lag ein leises Schmunzeln. An jedem anderen Morgen ihres Lebens hätte Kon jetzt eine spitze Bemerkung auf Lager gehabt, aber etwas daran, wie Tim ihn nicht ansah, ließ Kon sich kommentarlos setzen.
Tim saß am Kopfende des kleinen rechteckigen Tischs, so weit von Clark und Lois weg, wie er nur konnte. Dieser Umstand ließ Kon seinen eigenen Stuhl etwas näher zu ihm rücken und er berührte absichtlich mit seinem Fuß den von Tim, auch wenn er dafür Krypto aus dem Weg scheuchen musste. „Hey“, sagte er unsicher.
Tim klappte seinen Laptop zu. „Ich hatte gehofft, dass wir nach dem Frühstück zum Tower aufbrechen.“
„Okay“, meinte Kon, weil das vielleicht nicht das war, worüber er eigentlich hatte reden wollen, aber er wollte dieses Gespräch, das sie anscheinend führen mussten, sowieso nicht vor seiner ganzen Familie führen.
Martha stellte einen vollen Teller und einen Becher Kaffee vor Kon ab und ging sich dann ihr eigenes Frühstück bereiten. Kon schnappte sich den Kaffee und hielt sich wie an einer warmen, duftenden Rettungsleine daran fest. Als er auf seinen Teller sah, fand er darauf einen Stapel Blaubeer-Pfannkuchen. Er sah zu Tim, auf dessen Teller eine Portion Essen fehlte, die wahrscheinlich das mathematisch exakt berechnete Minimum dessen darstellte, was er essen müsste ohne unhöflich zu wirken. Die anhimmelnden Blicke, die Tim von Krypto bekam, ergaben auf einmal deutlich mehr Sinn.
Tim stellte seine Kaffeetasse ab. „Lois hat einige interessante Informationen aus einem der Deputys des Sheriffs heraus bekommen, während wir den Leuten in der Notaufnahme Unbehagen bereitet haben“, erzählte er mit einem Nicken in ihre Richtung.
„Mmh“, schluckte Lois den Bissen Pfannkuchen in ihrem Mund hinunter. Dann meinte sie fröhlich: „Sie haben ein komplettes Geständnis bekommen. Euer fanatischer Spinner hat alle drei von euch vermuteten Verbrechen gestanden und noch ein paar weitere.“
Kons Gabel fiel klirrend auf seinen Teller. „Weitere?“
„Einige Morde, die vorher für Unfälle gehalten worden waren“, erklärte Tim, „und der ungeklärte Mord an einem Landstreicher letztes Jahr.“
Kon stützte seine Ellbogen auf den Tisch und vergrub sein Gesicht in den Händen.
„Ellbogen“, schimpfte Martha, ohne von ihrem Teller aufzusehen.
Kon ließ seine Hände in den Schoß fallen. „Also… sperren sie ihn wenigstens weg? Ich nehme an Iron Heights? Bart könnte ihn im Auge behalten.”
„Falls die Geständnisse anerkannt werden“, gab Tim zurück, „dann vielleicht.“
„Vielleicht?“
„Die Chancen sind recht hoch, dass er als schuldunfähig eingestuft wird.“
Kon fluchte.
„Conner Kent!“, herrschte Martha ihn an. Sie und Clark sahen beide gleich empört drein. „Keine Schimpfworte am Frühstückstisch!“
„Ich finde ja, das ist eine angemessene Stellungnahme“, meinte Lois trocken. Sie nahm noch einen Schluck Kaffee. „Es wird noch eine Weile dauern, bis sie mit den Tests und den Anhörungen fertig sind, aber momentan ist er erst mal zur Feststellung in Keystone.“
„Er wird so oder so weggesperrt“, versicherte Clark ihm, „Weg von allen, denen er sonst noch wehtun könnte. Und vielleicht bekommt er ja die Hilfe, die er braucht. Er ist noch jung.“
Tim schnaubte verächtlich. „Selbst wenn wir mal annehmen, dass diese Hochsicherheits-Einrichtung für die kriminell Geisteskranken auch nur irgendwie besser als Arkham ist…“ Er schüttelte den Kopf. „Meiner Erfahrung nach ist es sehr schwer, jemanden von Religion zu heilen.“
Martha sah ihn missbilligend an, aber es war Clark, der meinte: „Das ist schon furchtbar zynisch, Tim. Selbst für dich.“
„Hm“, machte Tim düster, „Hast du denn jemals Valley auch nur getroffen?“
„Wen?“, fragte Kon.
Tim richtete seinen Blick nach oben, bevor er Kon einen amüsierten Blick zuwarf. „Erzähle ich dir später. Die Sache ist die, dass wir in Gotham unseren fairen Anteil an religiösen Spinnern haben – wahrscheinlich sogar mehr als das. Und es geht nie gut aus.“ Er machte eine Pause und grinste. „Nachdem ich selbst ja nie im Zentrum einer Sekte gestanden habe…“
Martha räusperte sich, bevor Clark oder Kon auf diese so offensichtliche Provokation eingehen konnten. „Ich denke, das war jetzt genug Mord und Religion am Tisch für einen Morgen. Als nächstes wollt ihr noch über Politik streiten!“
„Hm“, machte Tim mit einem Funkeln in den Augen, „Lois – bezüglich dieses Exposés, das du über Senator Kaseys Missbrauch von Wahlkampfmitteln geschrieben hast…“
„Meinst du das über die Yacht oder das über die minderjährigen Prostituierten?“
Kons Fuß stieß im selben Moment gegen Tims Knöchel, in dem Clark etwas machte, das Lois zusammenzucken ließ. Martha seufzte nur, den Blick zur Decke gerichtet.
Als Kon ein wohlbekanntes Rumpeln von etwas weiter die Straße hinauf hörte, setzte er sich mit einem Ruck auf.
„Was?“, fragte Tim, augenblicklich wachsam.
Clark legte den Kopf leicht schief. „Ma“, fragte er, „erwartest du jemanden?“
„Oh“, antwortete sie beiläufig, „Hab ich das nicht gesagt? Jake hat angerufen. Hat gesagt, er würde vorbeischauen.“ Sie warf Kon einen Blick zu, der ihn sein Besteck gerade noch festhalten ließ. „Er hat sich solche Sorgen gemacht. Ich hab ihm gesagt, er sollte dich am besten selbst besuchen kommen.“
„Oh, wie nett“, meinte Tim tonlos. Er stand auf. „Ich geh mich mal umziehen.“
„Was?“, stieß Kon aus und stand ebenfalls auf, „Warum? Du siehst—“ wie Tim aus, begriff er, als er sein T-Shirt und die leicht ausgebeulten Jeans registrierte.
„Tja, Darling“, gab Tim in einem Ton zurück, der Martha leicht die Augen verengen ließ, „Niemand sollte mich sehen, wenn ich mich nicht von meiner besten Seite zeige.“ Lois lachte, als er aus dem Raum schlenderte, auch wenn Martha weiterhin mürrisch aussah.
Kon schnappte sich seinen und Tims Teller und ging zur Spüle hinüber. Krypto folgte ihm und sah bettelnd zu ihm auf, so dass Kon den Rest von Tims Frühstück in den Hundenapf kippte. Dann stellte er die beiden Teller in die Spüle und gab etwas Spülwasser darüber. Er wusch sich die Hände und trocknete sie ab. Als er hörte, wie Jake den Motor abstellte, ging er, um ihn zu begrüßen.
Als Kon hinaus auf die Veranda trat, stieg Jake gerade aus dem Truck aus. Er griff nochmal über den Sitz hinweg und nahm eine flache weiße Schachtel auf, bevor er schnell die Stufen herauf kam. Vor Kon blieb er stehen, die weiße Schachtel wie eine Opfergabe von sich gestreckt.
„Wie, äh. Wie geht‘s Tim?“, fragte er nervös.
„Oh“, meinte Kon, „Ihm geht‘s gut. Ich mein – also, er hat noch eine recht große Sache draus gemacht, aber Doc Gomer sagt, es geht ihm gut. Was ist, äh…“
„Kuchen“, gab Jake hastig zurück. Er schob ihm die Schachtel noch etwas weiter entgegen und Kon nahm sie. „Es ist ein, äh, Kirschkuchen. Nell hat ihn gebacken. Er ist wirklich lecker.“
Kon sah zu der Schachtel in seinen Händen. „Danke.“
Jake verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. „Jedenfalls“, meinte er, „wollte ich nur, äh. Nur sichergehen, dass es dir gut geht. Dass es euch beiden gut geht, meine ich. Tim auch.“
„Er hat ein verdammt heftiges Veilchen“, lachte Kon leise, „aber er heilt recht schnell.“
„Oh“, machte Jake und klang dabei, als hätte Kon etwas Überraschendes und gleichzeitig Wichtiges gesagt. Seine Augen verengten sich leicht, aber Kon war sich nicht sicher, was dieser Blick zu bedeuten hatte. Ein paar Sekunden später schüttelte er den Kopf und sein Blick senkte sich wieder zu seinen Füßen. „Ich, äh… hatte den Eindruck, dass er mich nicht besonders mag“, meinte er leise, „Du hast ihm nichts erzählt… ähm…“
Kon hustete. „Wir haben nicht—“ Er brach ab und änderte nach kurzem Überlegen seine Aussage: „Ich hab nicht viele Geheimnisse vor Tim. Wäre auch ziemlich zwecklos. Er findet‘s ja doch irgendwann raus.“ Er zuckte die Schultern. „Er ist einfach zu schlau für mich.“
„Sag sowas nicht“, erwiderte Jake und sah, plötzlich grimmig, erneut zu Kon auf, „Sagt er das etwa?“
„Was?“, fragte Kon verblüfft, „Nein! Nicht dass – Jake, ich werte mich hier nicht selber ab und ich denke auch nicht, dass ich ein Idiot bin. Tim ist einfach nur richtig schlau.“
Jake gab einen unverbindlichen Laut von sich. Er runzelte die Stirn und sah wieder zu seinen Füßen hinunter. Er streifte mit dem Schuh über den Stufenabsatz und klopfte damit einen Klumpen Erde zu Boden. „Ich muss ja zugeben“, sagte er leise, „er… ist nicht ganz das, was ich erwartet hatte.“
Ehrlich gesagt war er auch nicht ganz das gewesen, was Kon erwartet hatte, aber das konnte er Jake nicht sagen. Urgh, er hatte Recht gehabt. Alle seine Freunde würden sich fragen, warum zur Hölle er mit einem Arsch wie Tim Wayne zusammen war – und wenn nicht, würden sie sich Chases Vermutung anschließen, dass er nur für das Geld mit ihm zusammen war oder so. „Man muss ihn erst näher kennenlernen“, erklärte Kon, „Er ist anfangs etwas… kratzbürstig, schätz ich. Er hat mich früher in den Wahnsinn getrieben. Wir haben echt ständig gestritten. Aber wenn er einem mal vertraut… wenn er sich einem mal öffnet, ist er echt ein ganz anderer Mensch. Ein echt toller Mensch.“
Jake sah nicht überzeugt aus, aber er nickte. „Denkst du, er hat das ernst gemeint? Dass ich nach Gotham kommen soll?“
„Oh, um Himmels Willen!“, ertönte Tims Stimme von der Tür, was Kon und Jake beide zusammenzucken und sich ertappt zu ihm umdrehen ließ. Er hatte sich elegante und wahrscheinlich teure Kleidung angezogen und seine Frisur gerichtet und… war der Bluterguss etwa dunkler? „Conner, bitte deinen Freund herein.“ Er verdrehte theatralisch die Augen. „Im Ernst, bist du in einer Scheune aufgewachsen?“ Er hob seine Hand. „Sag jetzt nichts darauf.“
Kon funkelte ihn düster an.
„Es sei denn“, fügte Tim neckisch hinzu, „ihr beide wolltet lieber allein sein.“
Kon schüttelte den Kopf und rieb sich mit der Hand, die nicht den Kuchen hielt, den Nasenrücken. „Komm rein“, forderte er Jake auf. Tim hielt ihnen die Tür auf und Kon deutete, dass Jake zuerst gehen sollte, so dass er Tim gegen sein Schienbein treten könnte, ohne Verdacht zu wecken.
Natürlich wich Tim aus.
Sie gingen alle zusammen in die Küche, wo Jake wie versteinert innehielt, als er Clark und Lois ihre Pfannkuchen fertig essen sah. „Oh“, gab er leise von sich, „Guten Morgen.“
„Jacob!“, begrüßte Martha ihn freudig, „Komm und frühstücke mit uns!“
„Oh, ich – das kann ich aber wirklich nicht“, gab Jake unbeholfen zurück. „Ich wollte nur…“ Seine Augen fingen mit einem Mal an zu leuchten. „Sind das Blaubeeren?“
Martha schmunzelte und nahm einen weiteren Teller aus dem Schrank.
„Jake hat einen Kuchen mitgebracht“, erzählte Kon, als er ihn auf der Küchentheke abstellte und die Schachtel öffnete, um einen Blick hinein zu erhaschen. Er sah wirklich gut aus – dunkel wie echte Kirschen und nicht wie das künstliche Rot von Füllung aus der Dose. Er roch auch sehr gut. Kon nahm mit dem Finger einen großen Tropfen Füllung auf und leckte ihn sauber, bis er aufsah und bemerkte, dass alle ihn beobachteten. „Oh“, machte er, „Clark, Lois, das ist Jake. Er ist ein Schulfreund von mir.“
Clark lächelte breit. „Du bist Carl Jenkins‘ Junge, oder?“ Er stand auf und streckte ihm eine Hand entgegen. „Dachte ich mir doch, dass du mir gestern Abend schon bekannt vorgekommen bist.“
Jake ließ einfach nur… zu, dass seine Hand genommen und geschüttelt wurde, wobei er geschäftigt überall hin sah, nur nicht zu Clark. „Ja, Mister Kent“, murmelte er und seine Ohren färbten sich rot. Kon sah zwischen ihnen hin und her und merkte, wie seine Augen groß wurden.
Clark lachte. „Einfach Clark, bitte. Sonst fühle ich mich alt wegen dir. Als wäre das nicht sowieso schon der Fall. Meine Güte, ich habe dich nicht mehr gesehen, seit du—“ Er ließ Jakes Hand los, um etwa die Höhe seines Oberschenkels anzudeuten. „—etwa so groß warst?“
„Er ist ziemlich in die Höhe geschossen, nicht wahr?“, gab Martha warmherzig zurück. Sie tätschelte Jakes Schulter und drückte ihm einen Teller mit einem großen Stapel Pfannkuchen darauf in die Hand. „Iss nur.“
„Danke, Mrs. Kent.“
Martha winkte ab. „Oh, Junge, nenn mich Martha. Ma, wenn du magst. Wie alle anderen auch.“ Sie blickte zu Tim. „Oder die meisten zumindest.“
„Ja, Ma’am“, murmelte Jake mit einem Lächeln. Er zog sich einen Stuhl hervor und setzte sich. Krypto setzte sich auf seine Füße, um zu betteln – und wurde für seine Bemühungen am Kopf gestreichelt.
„Um deine Frage zu beantworten“, schaltete Tim sich wieder ein, „Ich hab es absolut ernst gemeint, als ich dich eingeladen hab, uns zu besuchen. Du bist Conners Freund, was bedeutet, dass wir uns besser kennenlernen sollten, und ich denke wirklich, dass Giles begeistert sein wird, dich kennenzulernen.“ Er schob sich eine Haarsträhne zurück. „Die Feier ist nur halbförmlich, du musst also nicht im Smoking erscheinen. Du kannst auch gerne ein Date mitbringen, was aber natürlich keine Notwendigkeit ist.“ Er sah zu Kon und brach ab. „Oh, komm schon her“, meinte er entnervt.
„Was?“, fragte Kon ertappt und schloss den Deckel der Kuchenschachtel hinter seinem Rücken wieder.
Tim deutete ihm nur näher zu kommen, weshalb Kon auch ein paar Schritte auf ihn zu ging, bis Tim sich ihm regelrecht entgegen warf und sein Kinn ergriff. Er fischte ein Taschentuch aus seiner Tasche und leckte es ab, bevor er Kons Mundwinkel abwischte, was ihn zusammenzucken ließ.
Lois verbarg ihr Kichern nur schlecht hinter ihrer Kaffeetasse.
„Soll ich einen Wagen für euch bestellen?“, fragte Tim, als er von ihm abließ und das – mit Monogramm versehene, bemerkte Kon – Taschentuch zu einem ordentlichen Quadrat faltete, bevor er es wieder einsteckte. „Ich hasse es, daran zu denken, dass du deine arme Tante den ganzen Abend ohne ein Fortbewegungsmittel zurücklässt. Ich würde ja selbst kommen und dich abholen, aber ich komme erst mittags aus Berlin zurück. Das sollte also genug Zeit lassen, den Jet wieder aufzutanken und euch beide in Wellington abzuholen.“
Kon blinzelte und musste schwer schlucken. „Beide?“, fragte er. Irgendwie war ihm nicht bewusst gewesen, dass er auch dorthin müsste. Und wenn Jake und er beide zu dieser Feier gingen…
Oh Gott! Kon begriff mit einem Schlag, was das bedeutete. Mehr Tim Wayne. Mehr Conner Kent, Tim Waynes fester Freund. Das Vorspielen war noch nicht zu Ende. Kon war sich, über ein ausgeprägtes Unbehagen in seiner Magengegend hinaus, noch nicht einmal so sicher, was er davon halten sollte. Er konnte auch nicht ablehnen, mit Jake hier neben ihm sitzend, oder es auch nur offen ansprechen – um herauszufinden, was Tim eigentlich dachte, was er wollte…
„Äh“, machte er und hoffte, dass Jake sich zu sehr auf seine Pfannkuchen konzentrierte, um Kons plötzliche Beklommenheit zu bemerkten. „Ähm. Um wie viel Uhr am Donnerstag?“
Am anderen Ende des Raums seufzte Clark und flüsterte, zu leise für menschliche Ohren: „Ich sag dir wirklich ungern, dass ich es dir ja gesagt habe.“
ENDE
(ohwohl: Noch nicht ganz, es gibt noch einen Epilog! )
Kon schluckte schwer und wandte sich bewusst ab, um sich nach etwas zu trinken umzusehen. Als er die Bowle gefunden hatte, hielt er geradewegs auf sie zu und schüttete sich zwei kleine Plastikbecher voll die Kehle hinunter, bevor er überhaupt etwas davon schmeckte. Nachdem er sich seinen Becher zum dritten Mal wiederaufgefüllt hatte, wurde ihm die Schöpfkelle aus der Hand genommen. Von großen Händen. Er sah auf.
„Alles okay bei dir?“, fragte Clark.
Kon kniff die Augen zu. Wenn sein Gesicht vorher noch nicht rot gewesen war, dann war es das auf jeden Fall jetzt. „Mir geht’s gut.“
„Conner—“
„Das ist alles nur Show“, flüsterte Kon leise genug, dass nur Clark es hören konnte, „Wir lenken von den anderen Kids ab. Um sie zu beschützen.“
Clark antwortete nicht, weshalb Kon noch einen Schluck von seiner Bowle nahm und dann einfach seinen Blick darauf gerichtet ließ. Er beobachtete, wie die Kohlensäurebläschen an den Seiten hingen, bevor sie langsam aufstiegen und an der Oberfläche platzten. Es schmeckte nach Ananas und möglicherweise Ginger-Ale und noch irgendwas, das er gerade nicht einordnen konnte. Alles, was in diesem Moment zählte, war, dass es kalt und feucht war. Er stürzte den Rest hinunter und zerdrückte den durchsichtigen Plastikbecker, bis er zerbrach und in seiner Hand zusammenfiel.
„Conner“, sagte Clark erneut, diesmal mit einer Hand auf Kons Schulter, die sich selbst durch das Jackett warm und nach Sonnenschein anfühlte.
Nur für einen Augenblick lehnte er sich einfach dieser Berührung entgegen, bevor er sich daraus befreite. Er wusste nicht, worüber Clark reden wollte, aber er war sich ziemlich sicher, dass er dieses Gespräch lieber vermeiden würde. Alles, worüber er mit Clark redete, ließ ihn sich immer unbeholfen und seltsam fühlen und er glaubte nicht, dass er dabei in diesem Moment auch noch Hilfe bräuchte.
„Ich wollte dich nur warnen, vorsichtig zu sein. Du weißt, ich mag Tim…“
Kon gab einen leisen abweisenden Laut von sich. „Ich bin doch nicht wirklich mit ihm zusammen“, flüsterte er zurück, „Das ist nur geschauspielert.“
„Conner, bitte, hör mir zu“, meinte Clark und packte ihn am Arm, seine Stimme leise aber ernst. Mit dem Gesicht, das Clark gerade zog, würde jeder Beobachter bestimmt davon ausgehen, dass er für ihre öffentlichen Liebesbekundungen Ärger bekam – was Kon als Freibrief nahm, finster dreinzublicken und wegzusehen. „Du weißt, dass ich Bruce schon sehr lange kenne.“
„Was hat das denn damit zu tun?“, zischte Kon, „Du vögelst nicht mit ihm auch noch rum, oder?“
Etwas in Clarks Augen flackerte und er wich zurück, ließ dabei aber Kons Arm nicht los. „Wovon redest du überhaupt?“
„Ich rede von Nightwing. Verdammt!“
„Tim hat dir davon erzählt“, meinte Clark und es war keine Frage, auch wenn Erstaunen in seiner Stimme lag. Er schluckte schwer. „Das war vor langer Zeit. Damals war er nicht Nightwing. Noch nicht.”
Kon merkte, wie seinen Augen ganz von selbst größer wurden. Er stolperte einen Schritt zurück, so weit wie er nur konnte, ohne zu sehr gegen Clark anzukämpfen. „Verdammt!“, wiederholte er, „Verdammte Hölle und Scheiße! Du – er war Robin? Du warst—” Ihm wurde schwummrig. Eigentlich sollte er damit ein für alle Mal fertig sein, mit dem Hinterfragen, damit, dass er sich ständig mit Clark verglich, aber mein Gott! Wenn Superman und – und Robin…
“Nein! Ich – das war dazwischen”, erklärte Clark nervös, „Vor Lois.“
Dazwischen? Was sollte das denn überhaupt heißen? Zwischen Robin und Nightwing? Hatte Dick sich zeitweise mal zur Ruhe gesetzt oder so? „Weiß sie‘s? Dass du auch auf Kerle stehst?“
Clark atmete durch die Nase aus. „Ja.“
„Und du hättest mir da nicht mal was davon sagen können? Vielleicht, als du mir einen Vortrag drüber gehalten hast, bei einer Schwulenrechtsgruppe mitzumachen?“
„Ich hab nicht— Du hast wirklich gedacht, dass ich deshalb verärgert war?“ Clark seufzte. „Conner, ich dachte, du täuschst das alles nur vor. Ich wusste, dass du es gut meinst, aber… Tut mir leid. Ich hab das alles missverstanden und war unglücklich über die Täuschung, die ich dachte, gesehen zu haben.“
„Mein Gott“, gab Kon beleidigt zurück, „Du verdammter Riesen-Heuchler!“ Er streckte die Hand aus und schnappte sich Clarks Brille. Clarks Hand schnellte in die Höhe und sie stritten sich ein paar Sekunden lang darum. Clarks Hände tasteten gegen Kons Aura, bis Kon nachgab und sie ihn wieder nehmen ließ, sobald er das Gefühl hatte, dass er seinen Standpunkt klargemacht hatte. Clark senkte den Kopf und schob sich die Brille wieder auf die Nase. Dann sah er sich besorgt um, als ob in dieser kurzen Zeit auch nur irgendjemand zu ihnen herüber gesehen und die Verbindung hergestellt hatte. „Du lügst doch genauso viel wie ich. Wahrscheinlich sogar mehr.“
„Das ist nicht dasselbe und das weißt du auch. Ich gebe nicht großartig vor, irgendwas zu sein, außer harmlos. Das ist etwas ganz anderes als sich als Mitglied einer Minderheitengruppe auszugeben—“
„Ich kann echt nicht glauben, dass du auch nur denken kannst, dass ich sowas tun würde“, zischte Kon, „Du glaubst echt, dass ich keinerlei Integrität hab, oder?“
„Das ist es nicht!“, beharrte Clark, „Ich weiß, dass du es gut meinst. Das hab ich nie bezweifelt.“
„Was dann?“
Clark sah zur anderen Seite des Raums, wo sich Tim gerade in der Nähe der Seitentür mit Jake und Russel unterhielt. „Ich dachte, Tim hätte dich dazu angestiftet“, gestand er. Mit einem Mal wirkte er verlegen.
„Du—“, setzte Kon an und merkte, dass er leiser sprechen sollte, „Du hast gedacht – was, dass ich es gut meine, aber blöd genug bin…“, knurrte er und riss seinen Arm aus Clarks Griff. „Ganz offensichtlich ist es also Tims schlechter Einfluss, wenn ich mich wie ein Arschloch verhalte? Hältst du wirklich so wenig von ihm? Oder von mir, dass du denkst, ich würde einfach tun, was auch immer er mir sagt, und mein eigener moralischer Kompass wäre mir völlig egal?“
„Nein!“, flüsterte Clark zurück, seine Augen groß und aufrichtig, „Conner, ich hab doch nur versucht—“
„Weißt du was?“, sprach Kon einfach über ihn hinweg, indem er seine Stimme wieder auf normale Lautstärke anhob. Er goss Bowle in einen frischen Becher. „Ich bring jetzt meinem Date etwas von der Bowle.“
„Conner—“
„Du kannst mich mal“, meinte er im Plauderton und ging davon. Zum Glück versuchte Clark nicht, ihn aufzuhalten oder, was noch schöner gewesen wäre, ihm zu folgen. Kon hätte die Bowle nur sehr ungern verschwendet, indem er sie ihm in sein dummes, verficktes Gesicht schüttete. Was fiel ihm eigentlich ein? Hierher zu kommen, Kon zu beleidigen, seinen besten Freund zu beleidigen. Und dann so zu tun, als erwartete er, dass Kon damit einverstanden wäre. Als würde er von Kon erwarten, dass er einfach daneben stand und es annahm, nur weil er fucking Superman war.
Kon grummelte wütend vor sich hin, während er den Saal durchquerte und sich nach seinen Freunden umsah. Gina und Lisa wurden angegafft, aber das schien ihnen nichts auszumachen. Chases Hand lag auf Hamiltons Hintern und Hamilton erhob keinerlei Einspruch dagegen. Alle schienen sich gut zu amüsieren. Außer dem Ärger an der Tür gab es bis jetzt keine Probleme. Kon hoffte, dass ihr Glück anhalten würde.
Pete Miller tanzte mit einer von Carolines Cheerleader-Freundinnen und starrte zornig über ihre Schulter zu Delilah und Carson hinüber. Die beiden standen gegen eine Wand gelehnt, tranken Bowle und lachten mit Clarence. Als Kon an ihm vorbei ging, streckte er seine Aura den Boden entlang aus und zog an seinen Füßen, was ihn ungeschickt schlingern und gegen seine Tanzpartnerin stolpern ließ. Miller landete mit dem Gesicht voran in ihrem Ausschnitt, was ihm ein Wegschubsen und eine Ohrfeige einbrachte. Das besserte Kons Laune gleich ein wenig. Er straffte die Schultern und legte ein Lächeln auf, bevor er Jake retten ging.
Tim hatte ihn anscheinend in die Enge getrieben und es sah aus, als hätte Russell es endlich geschafft zu entwischen, um ihnen Bowle zu holen. Jake stand also nicht weit von der Wand entfernt einfach nur da und sah ein wenig verschreckt aus, während Tim zu nahe bei ihm stand und beim Reden ausschweifend gestikulierte. Die Musik war laut genug, dass Kon nicht viel hören konnte, bis er etwas näher heran ging. Er war sich nicht sicher, was genau er zu hören erwartet hatte, aber es war definitiv nicht das, was er vorfand.
„—aber wenn du willst, könnte ich mit Giles sprechen. Er ist immer auf der Suche nach frischen Talenten – es ist ziemlich prestigeträchtig, derjenige zu sein, der einen neuen Künstler entdeckt, weißt du.“
„Ähm“, machte Jake einen halben Schritt zurück, als Tim sein Gewicht nach vorne verlagerte und ihn so weiter aus dem Gleichgewicht brachte.
„Oder ich könnte euch einfach einander vorstellen. Bruce gibt nächste Woche eine Feier – irgendso ein Wohltätigkeits-Ding, ich weiß nicht mal genau, was – und Giles lehnt nie eine Einladung ab. Ich bin sicher, dass er auch da sein wird. Du könntest also auch gleich mitkommen; ich schicke sowieso den Jet für Conner.“
„Du machst was?“, fragte Kon, als er an Tim heran trat. Auf gar keinen Fall hatte er sich wirklich an ihn angeschlichen, aber Tim fuhr herum und fasste sich an die Kehle, als wäre er eine melodramatische viktorianische Romanfigur.
„Conner!“, sagte er und klang dabei durch und durch überrascht, „Wenn man vom Teufel spricht.“ Er trat augenblicklich neben Kon und griff nach seinem Handgelenk, dann drehte er sich so, dass Kons Arm um seine Taille geschlungen lag. „Jake hat mir gerade erzählt, dass er alles in diesem Diner selbst gemalt hat! Wusstest du das?“
Kon begegnete Jakes Blick, dann sah er zur Decke hoch. „Ja, Tim.“
„Und wir sind ins Reden gekommen und, oh, ich muss ihn einfach ein paar Leuten vorstellen, also hab ich ihn zu Bruces kleinem Empfang eingeladen.“
„Welchem kleinen Empfang?“
Tims düsterer Blick in diesem Augenblick hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem, den er Bösewichten zuwarf. Normalerweise schmollte er um vieles weniger dabei. „Du hast es doch nicht etwa vergessen?“
„Äh.“ Kon blickte hilfesuchend zu Jake, erhielt von ihm aber keinerlei Anhaltspunkte. „Hilf mir auf die Sprünge?“
„Es ist – ach, verdammt, ich hab keine Ahnung, wofür es ist. Donnerstag. Irgendsoein Wohltätigkeits-Ding. Erinnerst du dich?” Tim legte seine Hand zurück auf Kons Schulter. „Waisenkinder, verletzte Kätzchen, rettet die Babyrobben, sowas eben.“
„Tut mir leid“, gab Kon zurück und verzog das Gesicht, „muss ich wohl vergessen haben.“
Tim wedelte wegwerfend mit einer Hand vor seinem Gesicht herum. „Ach, macht nichts. Aber ich meinte gerade, Jake hier sollte unbedingt kommen, weil Bruce ja so gut befreundet ist mit diesem einen Typen – Giles Coltsworth, hast du ihn schon mal getroffen?“
Gott, seine Freunde würden alle denken, dass er jemand war, der mit so jemandem wie Tim Wayne zusammen sein konnte, ohne verrückt zu werden! Jake fixierte ihn bereits misstrauisch. „Nein”, antwortete Kon.
„Wahrscheinlich auch besser so. Du bist genau sein Typ; er würde dich wahrscheinlich fragen, ob du für ihn Modell stehst… Na jedenfalls leitet er die Top-Galerie der Stadt. Alle aufstrebenden jungen Künstler haben dort ihren Anfang. Ich würde die beiden nur zu gerne miteinander bekannt machen, Jake hier helfen, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Er erscheint mir so ein—“ Er musterte Jake einen Augenblick. „—aufrichtiger junger Mann.“
Kon blinzelte. Daran hatte er nicht einmal gedacht, aber Tim könnte Jake wahrscheinlich wirklich unterstützen. In Gotham gab es ganz bestimmt die verschiedensten Leute, die einem Wayne gerne einen Gefallen tun wollten. Und hatte Tim ihm nicht sogar einmal erzählt, dass Bruce ständig irgendwelche Stipendien vergab? Er hatte es liebevoll, wenn auch distanziert erzählt, wie eine Mutter, die von der Angewohnheit ihres Sohns erzählte, in seinen Taschen Frösche mit nach Hause zu bringen. „Das ist eine Spitzenidee!“
„Oh“, machte Jake, „Ich kann doch nicht – ich meine, ich bin nicht – ich hab es noch nicht mal studiert—“
„Studiert“, höhnte Tim, „Ich hab am Montag ein Handelstreffen mit dem deutschen Vizekanzler und hab nicht mal wirklich die High School abgeschlossen.“
„Du—“ Kon brach ab. Er wusste, dass Tim einen GED-Test abgelegt hatte, anstatt zurück zur Schule zu gehen, nachdem er nach Gotham zurückgekehrt war. Den Rest erfand Tim aber sicher für ihr Publikum. „Was?“
„Na, wir haben großes Interesse an der Region. Bruce hat über die letzten zehn Jahre etwa ein halbes Dutzend Technologie- und Optikfirmen aufgekauft, aber Guido ist so gegen Gewerkschaften. Und das ist eben was, an dem Bruce sehr viel liegt, aber er hat leider eine ganz schreckliche Grippe. Alfred hat ihm strenge Bettruhe verordnet und Dick ist einfach fürchterlich bei Verhandlungen.“ Tim seufzte schwer. „Ich hasse deutsches Essen. Ich hasse es wirklich.“ Er verzog das Gesicht: „Wurst und Kohlköpfe.“
„Du magst doch Wurst“, erinnerte Kon ihn.
Tim gab ein amüsiertes Brummen von sich und drehte sein Gesicht so, dass es gegen Kons Kiefer ruhte. Er spürte die Vibrationen seines Lachens und sein Atem kitzelte Kon – und beides jagte ihm leichte Schauer über den Körper. „Mmmh“, machte er, „Stimmt.“ Er drückte seine Lippen gegen die Haut direkt unter seinem Kiefer, über seinen Puls, und zog mit seinen Lippen eine Spur Kons Kiefer entlang zu seinem Ohr hinauf. „Lass uns eine Runde spazieren gehen“, hauchte er, wobei seine Lippen über Kons Ohrmuschel strichen.
„Aber—“, protestierte Kon. Er war selbst überrascht, wie kratzig seine Stimme klang.
„Bevor wir wegen mir noch rausgeworfen werden“, beharrte Tim und oh, das war seine Zunge. Kon kniff seine Augen fest zusammen und wand sich in seinen Schuhen. Zähne. Oh Gott! Okay, wenn Tim so sehr darauf bestand, dass sie gingen, wollte er vielleicht ungestört über etwas reden, über den Fall oder… oder sowas. Kon verkniff sich ein leises Fiepen und ließ sich von Tim führen. Er sah entschuldigend zurück zu Jake, als Tim ihn auch bereits zur Seitentür hinaus in die Nacht zog.
Um die Türen herum standen überall Leute und so gingen sie weiter die Straße hinunter, vorbei an schmusenden und knutschenden Pärchen sowie etwas abseits stehenden Rauchern. Die Stille und die kühle Abendluft war eine Wohltat nach der Hitze und der Geräuschkulisse drinnen. Kon erwartete, dass Tim ihm endlich erklären würde, wohin sie gingen und warum sie die vielen Leute drinnen verließen – aber er blieb stumm. Kon bemerkte nicht einmal, dass sie immer noch Händchen hielten, bis Tim ihn mit sich vom Weg weg und um eine Ecke zog, in eine schmale Gasse, die zwischen dem Gebäude und einem hohen Holzzaun entlang führte. Es war ein ausgesprochen unromantischer Ort, die Wand voller Rohrleitungen und Versorgungsanschlüsse, das Gras spärlich und fleckig, so dass sich hier glücklicherweise keine Pärchen vor der Aufsicht versteckten.
Die Stelle war so gut wie jede andere. Tim war vermutlich innerlich komplett im Detektiv-Modus gewesen und hatte die Leute beobachtet, ob sich irgendjemand auffällig verhielt. Vielleicht hatte er sogar einen Verdächtigen, den sie mal belästigen gehen könnten. Kon kickte einen Plastikbecher unter dem Zaun hindurch und drehte sich zu ihm um. „Also, was wolltest du mir sagen?“, fragte er.
Tim trat nahe an ihn heran und hob beide Hände zu Kons Oberkörper. Kon sah verwirrt zu ihm hinunter, als er plötzlich entschlossen nach hinten gedrückt wurde und zurück stolperte, bis seine Schultern gegen die Ziegelwand prallten.
„Was—“, setzte Kon an, doch der Rest verlor sich in Tims Mund. Kon gab einen überraschten Laut von sich und hielt Tims Schultern, konnte sich aber nicht wirklich dazu überwinden, die Kraft aufzuwenden, die nötig gewesen wäre, um sich zu befreien. Tims Lippen bewegten sich gegen Kons, schlossen sich um seine Unterlippe und zogen sanft. Ohne nachzudenken entspannte Kon sich und gewährte Tims Zunge bereits beim ersten prüfenden Lecken Einlass. Der Kuss war ganz und gar nicht wie der auf der Tanzfläche und doch war das Zittern und das Zusammenziehen in Kons Brustkorb genau dasselbe.
Tim stöhnte weit hinten in seiner Kehle und drängte sich gegen ihn, bis ihre Körper sich lückenlos aneinander schmiegten. Er vertiefte den Kuss und seine Hände wanderten hinunter zu Kons Bauch und wieder nach oben zu Kons Brust, sein Hemd mit sich nach oben und halb aus seiner Hose schiebend.
Kon keuchte in den Kuss hinein und hielt seine Hände fest. „Was machst du da?“, rang er nach Luft.
„Weißt du das denn nicht?“, murmelte Tim. Er beugte sich ihm entgegen zu einem weiteren Kuss, aber Kon drehte den Kopf weg. Scheinbar unbeirrt leckte er eine feuchte Spur von Kons Schlüsselbein hinauf zu seinem Ohr und saugte sein Ohrläppchen zwischen seine Zähne ein.
„Tim“, keuchte Kon. Tims Knie schob sich zwischen Kons Oberschenkel. Kon stöhnte, seine Stimme erschreckend laut in der abendlichen Stille.
„Conner“, raunte Tim und ließ seine Zunge an der Rückseite von Kons Ohr entlang fahren.
„Gott“, keuchte Kon. Was ging hier überhaupt vor sich? Meinte Tim – meinte Tim das wirklich ernst? Bestimmt nicht. Es musste Teil dieses ganzen Schauspiels sein, oder vielleicht ärgerte er Kon auch einfach, weil er vorhin seine Erektion mitbekommen hatte. Tim könnte doch nicht wirklich – auf keinen Fall konnte Tim—
„Du machst mich so wahnsinnig“, keuchte Tim ihm ins Ohr, sein Atem heiß und feucht, „Gott, Conner, du hast ja keine Ahnung…“ Er zog seinen Mund über Kons Wange, um erneut Besitz von seinen Lippen zu ergreifen. „So so…“, murmelte er in Kons Mund hinein, bevor seine Stimme verhallte.
„Aber—“ Kon brachte kein weiteres Wort heraus. Tims Zunge strich gegen seine eigene und Kon erwiderte den Kuss, konnte sich dessen nicht erwehren. Oh Gott, er schmeckte gut! Kon hatte schon seit sehr langer Zeit nicht mehr daran gedacht Tim zu küssen, schon seit bevor sie Freunde geworden waren. Er hatte gedacht, dass er seiner verdammten hormongesteuerten Phase entwachsen wäre, dass er erwachsen genug geworden wäre, um ihre Freundschaft auch ehrlich zu schätzen, anstatt Tim die ganze Zeit herausfordern zu wollen.
Tim war schon seit langem der wichtigste Mensch in seinem Leben; diejenige Person, zu der er mit seinen Problemen kam; diejenige Person, auf deren Unterstützung er sich verlassen konnte, egal was wäre. Aber das hier – Kon hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Er klammerte sich in Tims Rücken, seine Finger gruben sich in massive Muskeln, er spürte Tims Stöhnen um seine Zunge herum nachhallen. Als Tim sich wieder löste, um seine Zähne in sein Kinn zu vergraben, unvermittelt und tückisch, keuchte Kon auf und warf seinen Kopf in den Nacken. „Stopp“, keuchte er. Wenn das hier nicht echt war, würde er sterben. „Tim, nein. Hör auf!“
“Warum?”, fragte Tim. Er drückte seine Zähne gegen Kons Hals, leckte breit und feucht darüber. „Du willst es doch.“ Er zog sein Bein nach oben, bis sein Oberschenkel gegen Kons Leiste gepresst war, drückte es genau mit der richtigen Anspannung gegen seine Hoden.
Kons Keuchen klang in seinen eigenen Ohren eher wie ein Schluchzen. „Tim…“
Tim zog sein Bein minimal nach oben und griff zwischen sie, um Kons Hemd aus seiner Hose zu ziehen. „Und ich will es auch.“
„Fuck.“
„Ich will dich. Hab ich immer schon—“ Er drückte seine Lippen erneut gegen Kons Ohr und mit einem Mal wurde seine Stimme tonlos und ernst, als er dagegen hauchte: „Geh zu Boden!“
„Wa—“, schnappte Kon nach Luft, aber Tim verschwand bereits mit einem entsetzlichen Knacken und einer plötzlichen Bewegung, wurde wie eine Puppe beiseite geschleudert. Er prallte an der Wand ab und schlug auf dem Boden auf, dann lag er bewegungslos da.
Baumhauer stand vor Kon, das pickelige Gesicht zu einer zähnefletschenden Grimasse verzogen. Baumhauer, das dürre kleine Arschloch aus Kons Biologiekurs. Er griff nach Kons Kehle – und Kons Hände hoben sich ganz von selbst, um ihn am Handgelenk zu packen, aber er erinnerte sich an Tims Worte und riss dem Typen nicht den Arm aus. Wenn Tim einen Plan hatte… Aber Tims Pläne beinhalteten normalerweise, dass er bei Bewusstsein war.
„Du beschissene, verfickte Schwuchtel“, zischte Baumhauer, „unnatürlicher, gottloser Dreck!“ Eine Vene oder ein Muskel zuckte an seiner Wange und in seinen Augen schimmerte Wahnsinn. Kon konnte überall um seine blassgrauen Iriden herum Weiß sehen und seine Pupillen waren trotz der Dunkelheit zu winzigen Punkten verengt.
„Du“, gab Kon zurück und kam sich wie ein Idiot vor. Gott, es erschien ihm jetzt so offensichtlich! Er hatte es nicht wegen des Clubs auf Dalton abgesehen… „Du krankes Schwein!“
Baumhauers Griff an Kons Hals wurde fester und er riss ihn ein Stück zu sich. „Du nennst mich krank. Du.” Er lachte.
Kon sah zu Tim hinunter, der ein paar Meter entfernt in sich zusammengesunken auf dem Boden lag, sein Gesicht im Dreck. Sein Herz schug, aber er bewegte sich nicht. „Wenn du ihm weh tust—“
„Dann was?“, spottete Baumhauer, „Du kannst mir nichts anhaben. Ich bin das Schwert Gottes.“
„Du bist verrückt“, korrigierte Kon. Er wurde für seinen Einwurf durchgeschüttelt und beinahe bis auf die Zehenspitzen angehoben, bis er auf Baumhauers leicht fettige Haare hinunter sah.
„Wie kannst du es wagen“, zischte er, „Du, der du Leute für die homosexuelle Agenda anwirbst und gute Kirchengänger zu euren bösen Werken verführst. Weißt du eigentlich, wie lange ich drauf gewartet hab, dich allein anzutreffen? Deine arme Tante ist eine gute, gottesfürchtige Frau. Ich konnte dich doch nicht in ihrem Heim ausmerzen. Aber jetzt – tja“, lachte er leise und streckte sein Bein aus, um mit seinem Schuh gegen Tims Bein zu stupsen. „Zwei auf einen Streich.“
Wo zur Hölle blieb Clark? War er gegangen, nachdem Kon ihn so verflucht hatte? War er ihm so beleidigt? Er könnte dieses Psycho-Ekel leicht abschütteln, aber das würde Fragen aufwerfen. Tim hatte gewollt, dass er sich nicht wehrte, weshalb auch immer – aber das ergab nur Sinn, wenn Clark auftauchen würde. „Du bist doch krank im Kopf“, meinte Kon und versuchte sich an Baumhauers Vornamen zu erinnern. „Thomas“, fügte er hinzu, in der Hoffnung, dass er sich richtig erinnerte, „Du brauchst echt Hilfe.“
„Von deinesgleichen oder denen deines feinen Schwuchtel-Freunds brauche ich gar nichts. Gott hat mir die Stärke gegeben, um die Welt von Leuten wie dir zu befreien!“
Sollte er um Hilfe rufen? Würde ihn jemand hören? Auf keinen Wall fürde ihn jemand drinnen hören und bei den Türen war es wahrscheinlich auch laut genug, um ihn zu übertönen. Es würde Hilfe für Tim bedeuten, aber auch mehr Leute, die in einem Kampf verletzt werden könnten. Und mehr Leute, die dabei wären, wenn Kon doch noch gezwungen wäre, seine Kräfte zu benutzen. Da war es besser, den Wichser weiter anzustacheln: „Ich fühl mich ja geschmeichelt, dass du mich mit Dalton in einen Topf wirfst. Er ist ein außergewöhnlicher Mensch.“
„Er war im Auftrag des Verderbers unterwegs!“, knurrte Baumhauer wütend, „Genauso wie du und die Anderen. Unruhestifter, die Menschen verführen und vom Pfad der Tugend abbringen—“
„Ach, jetzt verführe ich also?“
Baumhauer schlug ihn mit genug Wucht gegen die Wand, dass Kon wahrscheinlich das Bewusstsein verloren hätte, wäre er ein normaler Mensch gewesen. „Schämst du dich denn überhaupt nicht für deine Sünden?“
„Ja klar“, gab Kon zurück, „Wenn ich was Falsches getan hab. Wie jemandem wehzutun.“ Baumhauer schlug ihn erneut gegen die Wand, aber Kon redete weiter: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass in der Bibel ziemlich strenge Sachen zum Töten von Menschen stehen. Schämst du dich denn?“
„Ich führe Gottes Willen aus“, zischte Baumhauer, „Ich zerschlage die Gottlosen in Seinem Namen. Aber du solltest wissen, dass Er alle Seine Kinder liebt. Selbst jetzt bist du Ihm lieb und teuer, wenn du nur deinen Sünden abschwörst und auf Seine Seite gehst. Tue Buße!“, stieß er aus und zog seine Faust zurück, „Denn das Himmelreich naht!“ Seine Faust flog auf Kons Gesicht zu. Die Muskeln in seiner Schulter spannten sich an, als er sein ganzes Gewicht in diesen Schlag legte. Kon ließ zu, dass er traf. Er hörte Knochen splittern, als Baumhauers Faust etwas Härteres als Stahl traf. Baumhauer ließ ihn los und stolperte rückwärts, zusammengekrümmt und sich die gebrochene Hand haltend. Er wandte sich heulen ab und schloss vor Schmerz die Augen.
Kon nutzte den Moment und trat vor, um einen Schlag auszuteilen, der Baumhauer von den Füßen riss und durch den Holzzaun befürderte, als bestünde er aus nichts weiter als Streichhölzer. Er kam allerdings nie am Boden auf, denn Superman fing ihn an seinem Hemd auf und hielt ihn so schlaff und bewusstlos fest. Blut tropfte aus seiner Nase und seinem Mund.
Kon verlor keine Zeit, um neben seinem Freund auf die Knie zu gehen. „Tim“, sagte er sanft und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er hatte Angst, ihn zu bewegen. Man sollte ja Leute nicht bewegen, wenn man nicht wusste, wo sie verletzt waren, oder? „Tim, Mann, komm schon…“
Tim drehte ihm sein Gesicht zu und öffnete die Augen. Seine Lippe war aufgeplatzt und seine Wange war rot vom Anflug einer Prellung, die noch zu einem eindrucksvollen blauen Auge werden würde. „Du solltest doch zu Boden gehen“, meinte er etwas zu kratzig und schwach, als dass Kon ihm hätte beleidigt sein können, „Es hat einen Grund, warum ich Superman eingeladen hab.“
„Wo zur Hölle warst du überhaupt so lange?!“, verlangte Kon zu wissen, „Tim hätte ernsthaft verletzt werden können.“
Clark landete leichtfüßig neben ihm. „Ich hab versucht, euch beiden etwas Privatsphäre zu geben“, antwortete er, wobei eine leichte Röte in seine Wangen stieg, „Nach dem ersten Bisschen, das ich mitgehört hab, hab ich nicht angenommen, dass ihr von mir abgehört werden wollt, also hab ich mich bemüht, meine Aufmerksamkeit auf was anderes zu richten. Dann hab ich ihn—“ Er schüttelte leicht Baumhauers leblose Gestalt. „—aufschreien hören, also…“ Er trat abrupt einen Schritt zurück. „Wenn es euch gut geht, werde ich diesen jungen Mann hier bei den entsprechenden Behörden abliefern?“
„Geht‘s dir denn gut?“, fragte Kon. Er half Tim dabei, sich aufzusetzen. Scheinbar hatte er ein wenig Mühe, sich aufrecht zu halten. „Shit, dieses Geräusch, als er dich geschlagen hat. Geht‘s dir wirklich gut? Ich sollte dich zu einem Arzt bringen—“
„Du willst doch nur, dass sie meinen Kopf durchchecken“, gab Tim mit einem leisen Schmunzeln zurück, „Wir sollten einen Krankenwagen rufen, aber mir geht es gut. Sehr gut sogar. Gerade böse zugerichtet genug.“
Kon blinzelte verwirrt. „Genug? Genug wofür?“
Tim griff sich Kons Krawatte, die Baumhauer halb gelöst hatte. „Um Anklage zu erheben“, murmelte er, „Komm her, okay?“
„Du—“, setzte Kon an, aber dann zog Tim ihn bereits für einen Kuss zu sich. Er erwiderte ihn bereitwillig und seine Hände legten sich um Tims Gesicht. Tim ging es gut. Es ging ihm gut und sein bescheuerter Plan hatte funktioniert, auch wenn Kon improvisiert hatte. Sie hatten den Bösewicht geschnappt und den Tag gerettet, ohne mehr als ein blaues Auge davonzutragen. Kon konnte eine leichte Spur Blut in Tims Mund schmecken, wo seine Lippe gegen seine Zähne geprallt war, aber irgendwie machte es das auch besser – erfüllt von dem Wissen, dass Tim am Leben war und es ihm gut ging.
Es gab einen Lichtblitz und Kon ließ blinzelnd von ihm ab. „Was—“, murmelte er und sah sich um. Lois stand an der Hausecke mit einer Kamera in der Hand. „Hey!“
„Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass sich jemand an dich herangeschlichen hat, während du mich küsst“, betonte Tim wenig hilfreich, „Daran solltest du besser arbeiten.“ Er wandte sich Lois zu: „Hast du schon die Polizei gerufen?“
„Nicht bevor du mir kein Exklusivinterview versprichst“, gab Lois zurück und steckte ihre Kamera ein, „Hübsches Veilchen übrigens. Sehr fotogen.“
„Moment mal“, mischte Kon sich ein, „Exklusivinterview?“ Er sah zu Tim und erwartete bereits, dass er unumwundern ablehnen würde. Schließlich war er derjenige, der sich damals eine komplett neue Identität erfunden hatte, als Young Justice im Fernsehen sein sollten.
„Schätzchen“, meinte Tim Wayne und streckte Kon eine Hand entgegen, so dass er ihm auf die Beine half, „Ich zähle drauf, dass du mich auf die Titelseite bringst.“