Mehrere Millionen Male hatte Doctor Strange in die Zukunft gesehen und dabei nur eine einzige Möglichkeit für sie gesehen, den Kampf zu gewinnen. Wie sie Thanos schlussendlich besiegen könnten, auch wenn es dem Kosmos Jahre des Schmerzes, des Leids und der Einsamkeit gebracht hätte. Doch was wäre, wenn es eine weitere Alternative gegeben hätte? Wenn es eine weitere Möglichkeit gegeben hätte, die der Magier als nichtig erklärt hatte? Ein kleines, unscheinbares "Was wäre, wenn"? Sekunden, nur wenige Sekunden hatten genügt, ein Totgeglaubter hatte richtig gehandelt und der Gott des Donners schnitt mit Sturmbrecher durch das Armgewebe des wahnsinnigen Titanen. Ein purpurner Arm und ein zum Schnipsen bereiter Infinity Handschuh lagen auf dem Boden. Vielleicht sollte man den Mai abschaffen. Nach den Ereignissen der letzten paar Tage, wäre es nicht einmal verwunderlich, wenn die gesamte Menschheit dem zustimmen würde. Merkwürdigerweise passieren viele grausame Dinge im Mai: eine Alieninvasion, Sokovia, ein weiterer, noch grausamerer Angriff von Aliens. Und immer an vorderster Front kämpfen die Avengers – getrennt durch die Sokkvia Accords – um das Wohlergehen des Planeten Erde... und des Universums. Die Erde ist ein kleiner, gar bedeutungsloser Planet in einem Kosmos voller unentdeckter Abenteuer und Welten. Und doch hing das Schicksal des Kosmos, und allem Leben darin, von dem kleinen blauen Planeten und dessen Helden ab. Sie haben gewonnen, auch wenn sie verschollen und nicht mehr eins sind. Selbst wenn Frieden nun gewährleistet sein sollte, so herrscht das pure Chaos weltweit. Vergessene Kulturen, vergessene Helden und Bösewichte tauchen wieder auf, während andere die Straßen New Yorks heimsuchen. Das Chaos, erst durch Thanos' Versagen entfesselt, bahnt sich seinen Weg zu dem kleinen, unscheinbaren blauen Planeten, der sich unwissentlich in den Mittelpunkt des gesamten Universums gedrängt hat.
# Wir setzten wenige Tage nach den Ereignissen von Infinity War an. # Thor hat mit Hilfe eines Totgeglaubten den Arm des Titanen durchtrennt, ehe dieser schnipsen konnte. # Thanos' Back-Up Plan, für den Fall, dass sein Unternehmen scheitern würde, hat mit einer weiteren Alieninvasion zum Tod von einem Drittel der Erdbevölkerung geführt. # Viele Länder sind ohne Regierung. # Wir beziehen das gesamte MCU und eine eigene Version der X-Men (und später der Inhumans) mit ein. Die Marvel Serien werden nicht beachtet. # L3S3V3 // ab 18 Jahren # Szenentrennung
Die Beerdigung war ziemlich furchtbar, so wie es Beerdigungen immer waren. Kon kam sich in Clarks altem Anzug ungelenk und unbequem vor. In der Kirche war es heiß und stickig, kam die uralte Klimaanlage doch nicht gegen die Körperwärme der Menge und den für Kansas so typisch sonnigen Morgen an. Die meisten Frauen hielten quadratische Papierfächer an Holzstäben in Händen und die, die keine hatten, fächerten sich träge mit ihren Programmheften Luft zu. Martha hatte einen handbemalten, zusammenfaltbaren Bambus-Fächer aus China in ihrer Handtasche – Clark hatte ihn ihr nach seiner ersten Reise dorthin mitgebracht und das Ding bekam immer jede Menge Bewunderung in ihrer Damen-Kirchengruppe.
Heute saßen diese Frauen alle in einer Reihe relativ weit vorne in der Kirche und Martha tätschelte ihm den Arm und ging, um sich zu ihnen zu setzen. Erst als sie sich auf die Kirchenbank setzte, bemerkte Kon, was genau an der Szene so befremdlich erschien. Die Frauengruppe war eigenartig dezimiert, viele der prominentesten Mitglieder waren auffällig abwesend. Die Frauen, die anwesend waren, überschnitten sich größtenteils mit Marthas Buchclub und waren diejenigen, die am öftesten zu Kaffee und Kuchen auf der Farm vorbei kamen.
Kon sah sich um und runzelte bei dem erkennbaren Muster die Stirn. Die Kirche war voll, ja – in einem Dorf konnte man keinen Teenager beerdigen, ohne dass die Kirche voll wurde – aber sie war nicht so voll, wie sie hätte sein können. Nicht so voll wie sie vor sechs Monaten gewesen war, als Lacey Pruitt sich das Gehirn weg getrunken und das Auto ihres Vaters um einen Baum gewickelt hatte.
Cross war da – wahrscheinlich kam er zu allen Beerdigungen von Schülern – und Dalton ebenfalls, relativ weit vorne, mit einem kleinen Mädchen mit roten Zöpfen auf seinem Schoß. Praktisch alle aus dem Club waren da, obwohl er Chase nirgends entdeckte. Und mit Ausnahme von Clarence und Delilah, die bei Rebecca und den Moores saßen, hatten sie sich alle verteilt. Jake und sein Dad saßen zusammen zwei Reihen hinter Martha, zusammen mit einer dunkelhaarigen jungen Frau, die wahrscheinlich Nell war. Hamilton saß in der drittletzten Reihe bei ein paar Jungs vom Football-Team und – Kon stutzte – Baumhauer, dem Arsch aus seinem Bio-Kurs.
Aus dem Augenwinkel sah Kon, wie Patrick Stephens leise zur großen Doppeltür herein schlich. Kon hastete um das Ende der letzten Reihe herum und setzte sich dorthin, weit weg von der Tür und außer Sichtweite.
*
Als der Gottesdienst vorbei war, wartete Kon, bis Stephens gegangen war, bevor er durch die Tür und hinaus in die Sonne schlüpfte. Er machte ein paar Schritte weg vom Weg, um niemanden zu behindern und lehnte sich mit dem Rücken gegen eine der großen Buchen, die den Weg säumten. Martha benötigte bei jedem sozialen Zusammentreffen mindestens 10-15 Minuten, um überhaupt aus der Tür zu kommen, und er schätzte, bei einer Beerdigung würde es sogar noch länger als sonst dauern. Aber es war ein sonniger Tag und die Sonnenstrahlen fühlten sich echt gut an. Allerdings wünschte er, er würde nicht in einem beschissenen Anzug festsitzen.
Es würde ein schöner Flug zum Tower werden. Er hatte auf der Wetterkarte nachgesehen und der einzige Regen auf seinem Weg war über Colorado. Er könnte ein wenig südlicher fliegen und dem ganz entgehen, und wäre immer noch vor der erwarteten Zeit in San Francisco. Es gab kein Grab – Matt hatte anscheinend eingeäschert werden wollen – so dass sie viel früher fertig waren als Kon erwartet hatte.
Die Menge lief noch ein wenig auf dem Rasen umher. Die meisten Leute trieb es schließlich zu den Autos beiderseits der engen Straße, aber ein paar kleinere Grüppchen standen noch herum und unterhielten sich oder genossen einfach den schönen Tag.
Die Sonne fühlte sich tatsächlich richtig gut an. Kon hatte sich die ganze Woche schon ziemlich ausgelaugt gefühlt. Er streckte sein Gesicht der Sonne entgegen und schloss die Augen, sonnte sich einfach und versuchte nicht den Gesprächen um ihn herum zu lauschen. Er wollte einfach nur das Sonnenlicht in sich aufsaugen, wie eine Pflanze.
Immer wieder einmal witzelte Martha, dass sie ihn eigentlich in die Erde stecken und gießen sollte. Manchmal fand Kon, dass das nach einer ziemlich guten Idee klang.
„Hey“, sprach ihn jemand an. Kon öffnete die Augen und fand Jake am Wegesrand stehen, seine Hände in den Taschen vergraben und sein Blick anscheinend von etwas über Kons linker Schulter abgelenkt.
„Hey“, erwiderte Kon.
„Hast du Hunger?“
Kon sah hinauf zur Sonne. Es war wahrscheinlich etwa halb elf und er hatte den anderen gesagt, dass er ungefähr mittags käme.
„Oder, ähm, willst du Kaffee oder so? Nell spricht grad noch mit deiner Tante wegen den Eiern, aber ich hab ihre Schlüssel und…“, brach er ab. Nach ein paar weiteren Sekunden zwang er sich ganz offensichtlich dazu, Kons Blick zu begegnen. „Ich würd gern mit dir reden.“
Kon lächelte. „Klar.“ Die Titans waren es inzwischen sowieso gewöhnt, dass er zu spät kam.
Sie gingen schweigend nebeneinander her, die Straße hinunter und bogen dann ab zu dem kleinen Diner, das irgendwann während Kons Abwesenheit aufgemacht hatte. Das Schild über dem Fenster verkündete in großen grünen Lettern: ‚Whoa Nellie’s All-Natural Eatery‘.
Jake winkte jemandem auf der Straße zu, als er die Tür aufschloss und weit öffnete. „Komm mit nach hinten in die Küche“, meinte er, „Wenn ich vorne die Lichter anmach, denken die Leute noch, dass wir geöffnet haben.“
Kon folgte ihm durch das dunkle Restaurant. Die Tischnischen und Hocker am Tresen waren alle in demselben fröhlichen Grün wie das Schild gehalten und über den meisten Tischen hingen Bilder, die ebenfalls viel Grün enthielten. Dabei handelte es sich hauptsächlich um schwungvolle, halbabstrakte Porträts von Gemüse. Auf dem Weg zur Küche kamen sie aber auch an einer Wand vorbei, an der Leinwände ohne Rahmen hingen, die sich wie ein Puzzle zusammenfügten, mit schmalen Abständen dazwischen für kleine Papieranhänger. „Hast du die alle gemalt?“, fragte Kon und hielt an, um sie sich anzusehen.
„Oh. Ja.“
„Wow.“
Jake drückte eine Schwingtür auf. „Mir ist oft langweilig“, meinte er nur, bevor er in die dunkle Küche verschwand.
Die Lichter – kalte Neonröhren – flackerten an und Kon folgte ihm. Er war schon in ein paar Restaurantküchen gewesen, meistens wenn er Bösewichte verfolgte oder riesige Kakerlaken-Monster bekämpfte. Diese Küche hier war ziemlich sauber und offensichtlich ziemlich neu. Die Edelstahl-Armaturen glänzten, als wären sie aus Chrom und es gab auch nicht viel Dreck in irgendwelchen Ritzen. „Ich frag mich echt, wie du das machst. Du arbeitest hier auch noch? Und im Laden?“
„Ich helf vor der Schule, alles herzurichten für den Andrang zum Frühstück. Und manchmal bedien ich auch fürs Trinkgeld, wenn im Laden nichts los ist.“ Er zuckte die Schultern. „Ich… hab im Grunde kein großartiges Sozialleben.“
Kon spürte eine Welle von Zugehörigkeitsgefühl. „Wie ich auch.“
„Genau.“ Jake sah einen Moment auf, der Blick aus seinen blauen Augen auf einmal intensiv. Dann wandte er sich ab, um die riesige, extravagante Kaffeemaschine zu bedienen. „Ich hatte noch nie jemanden, mit dem ich reden konnte. Ich – ich mein, Nell wär glaub ich cool damit, aber ich kann nicht von ihr verlangen, Dad anzulügen und ich hab keine Ahnung, wie er reagieren würde.“
Oh! Kons Augen weiteten sich. Oh! Aber Jake war gerade damit beschäftigt, Kaffee in die Maschine zu löffeln und konnte sein Gesicht nicht sehen. Kon nahm an, das war wahrscheinlich besser so.
„Er ist bei den komischsten Dingen ziemlich altmodisch…“, fuhr Jake fort und seufzte.
Kon scharrte leicht mit den Füßen. „Ich könnte… vielleicht Ma bitten, mal vorzufühlen bei ihm?“
Jake ließ von der Maschine ab und wandte sich zu Kon um, eine leichte Panik in seinem Blick.
„Oder auch nicht. Ähm.“ Scheinbar war das hier eins dieser Gespräche, in denen der Zuhörer nur mitfühlende Laute von sich geben sollte und keine Ratschläge.
Die Maschine hörte auf zu dampfen, Jake drehte sich wieder um und zog an einem Hebel. Kon konnte plötzlich den Kaffee riechen, stark und dunkel und gut – und vielleicht entrang sich auch ein kleiner, lustvoller Laut seiner Kehle. Es roch wie Alfreds Kaffee, der sowas wie der beste Kaffee aller Zeiten war und den er schon viel zu lange nicht mehr getrunken hatte, weil Tims Familie es verdammt nochmal nicht schaffte, sich zusammenzuraufen.
„Ich denk mir immer wieder“, fuhr Jake fort, „dass ich nächstes Jahr ja sowieso studieren will und dann ganz woanders bin und mich nicht mehr fühl, als ob mir die ganze Welt ständig über die Schulter schaut. Dad will, dass ich auf die State geh, aber ich hatte vielleicht gehofft – das ist dumm.“
Kon gab hoffentlich den richtigen mitfühlenden Laut von sich. Es schien immerhin zu helfen, denn Jake drehte sich wieder um, warf ihm aber über seine Schulter noch ein Lächeln zu, bevor er aus einem Regal zwei Becher hervorzog. Sie passten nicht zusammen und an einem davon war ein Stück herausgebrochen. Kon glaubte nicht, dass sie für Gäste gedacht waren.
„Meine Noten sind relativ gut. Wenn ich über ein Kunst-Stipendium noch etwas Geld bekomm, vielleicht in einer großen Stadt…“
„Ich wette, das bekommst du bestimmt.“
Jake schüttelte den Kopf. „Vielleicht hab ich das alles in meinem Kopf schon zu sehr hochstilisiert… ‚Dorf-Homo flieht in die große Stadt!‘ Aber ich bin noch nie wirklich aus Lowell County rausgekommen.“ Die Maschine hörte auf zu dampfen und er zog den Hebel zurück nach oben und füllte beide Becher mit dampfend heißem schwarzem Kaffee aus einem Edelstahlkrug. „Du hast in Metropolis gelebt, richtig? Bei deinem Cousin?“
Das war die Geschichte, die sie den Leuten erzählt hatten, also nickte Kon, als er den Becher von Jake entgegen nahm. Darauf war ein Bild von einer Zeichentrick-Katze.
„Gibt‘s da viele… Ich mein, denkst du, dass ich dort hinpassen würde? Also jedenfalls besser?“
Kon atmete tief das Aroma des Kaffees ein und schenkte der Frage die Beachtung, die sie verdiente. Sie unterschied sich nicht so sehr von derjenigen Frage, die er sich selbst gestellt hatte, bevor er zurück nach Smallville gekommen war. „In einer großen Stadt gibt es alle möglichen Arten von Leuten. Es ist einfacher, nicht aufzufallen und andere Leute zu finden, mit denen du was gemeinsam hast. Aber alle möglichen Arten von Leuten gibt‘s überall. Sieh dir nur mal an, wie viele Leute gestern in der Bibliothek waren.”
„Stimmt“, meinte Jake leicht bitter. „Aber es musste zuerst jemand zu Tode geprügelt werden, bevor auch nur irgendwer von uns mutig genug war, was zu sagen. Scheiße, ich hab immer noch niemandem was gesagt. Du bist der einzige, dem—“ Er hielt inne und nahm einen Schluck Kaffee, was für Kon das Stichwort war, dass er weit genug abgekühlt war, um ihn trinken zu können. Er nahm einen großen Schluck, atmete durch die Nase aus und ließ sich die Flüssigkeit auf der Zunge zergehen. „Oh“, machte Jake plötzlich, „Willst du eigentlich Milch oder—“
Kon schüttelte den Kopf und schluckte herunter. „Gott, mach ihn bloß nicht kaputt!“
Jake lachte. „Ja. Bei dem Zeug, das Dad kauft, brauch ich Milch rein. Das hier ist irgend so ein schicker handgerösteter Fair-Trade-Kaffee… Was weiß ich, was der noch alles ist. Da musst du Nell fragen. Er schmeckt aber echt gut.“ Er nahm noch einen kleinen Schluck von seinem Kaffee, sah aber nicht mehr zu Kon auf. Stattdessen ruhte sein Blick auf dem angeschlagenen Superman-Becher in seinen Händen, seine Stimme leise und zaghaft. „Sie weiß es vielleicht.“
Dass sie nicht mehr über Kaffee redeten, war für Kon innerhalb eines Augenblicks klar. „Naja. Wenn sie‘s weiß, dann hat sie wahrscheinlich nichts dagegen? Wenn sie noch nichts gesagt hat oder dich anders behandelt hat, mein ich.“
„Was, wenn sie es meinem Dad erzählt?“, fragte Jake und die Anspannung in seiner Stimme ließ Kon an die Familie Stephens denken. Sein Magen verkrampfte sich. „Oder – oder auch nur Andeutungen? Er ist nicht dumm und alle reden grade über Matt und Clarence. Es wäre recht naheliegend für ihn…“
„Hey“, schnitt Kon ihm das Wort ab, bevor Jake sich noch weiter hineinsteigern konnte. Früher hatte Tim das manchmal gemacht, damals, bevor er hart daran gearbeitet hatte, seinen Kopf zur Ruhe zu bringen. Manche Leute konnten sich zu Tode Was-wäre-wenn fragen und die einzige Möglichkeit, sie vor sich selbst zu retten, war, sie vorher abzufangen. „Weißt du… Wir haben ein Gästezimmer bei uns auf der Farm, solltest du das jemals brauchen.“
Jake sah endlich auf, erschrocken.
„Und Ma hat eine kleine Schwäche für verlorene Jungs.“
„Ich – ich glaub nicht, dass er mich rausschmeißen würde“, protestierte Jake, „Er wird nur so unglaublich enttäuscht sein. Er hätte am liebsten, dass ich den Laden übernehm, jemanden wie Gina Brown heirate und ihm eine Horde blauäugiger Enkelkinder beschere—“
Kon räusperte sich leise. Er kannte Gina nicht besonders gut, aber sie war wirklich sehr attraktiv. Er konnte verstehen, wie ein Mann so etwas für seinen Sohn wollen konnte. Aber… „Dann wäre er aber so oder so enttäuscht.“
Jake lachte nicht.
„Du hast sie nicht gesehen, oder?“, riet Kon.
„Was?“
„In der hintersten Reihe. Händchenhaltend mit Lisa Stillwell.“
Jakes Mund klappte auf und sein Becher schlug auf dem Tresen auf. Kaffee schwappte über seine Hand. „Nein!“
Kon grinste einfach nur.
Jake begann zu lachen und er hörte auch nicht damit auf, als er die Sauerei, die er verschüttet hatte, aufwischte. „Oh Mann! Da wird‘s so einige enttäuschte Kerle geben, wenn sie so zum Schulball gehen…“
Kon persönlich glaubte nicht, dass ‚enttäuscht‘ ganz das richtige Wort wäre, aber er würde nichts dazu sagen.
„Mann, das Lachen hab ich echt gebraucht. Ich fühl mich etwa zehn Pfund leichter.“ Jake spülte den Lappen aus, mit dem er den Kaffee aufgewischt hatte und wischte sich damit über das Gesicht. „Himmel, ich hab dich ja gar nicht zu Wort kommen lassen.“
„Nein, Mann“, winkte Kon ab, „Du hattest Redebedarf. Ich versteh das.“
„Hatte ich wirklich. Wirklich, wirklich – ich hatte vorher noch nie ein Gespräch mit jemandem, der weiß, dass ich—“ Jake verstummte und zog den Kopf ein. „Bis Matt und Clarence sich geoutet haben, hab ich immer irgendwie gedacht, dass ich der Einzige in der ganzen Schule bin. Ich weiß, das ist beknackt – ich hab auch die Statistiken gelesen und alles. Aber niemand sagt je was. Vor den beiden hab ich nie jemanden getroffen, der, du weißt schon, geoutet war. Und ich – ich kannte sie ja kaum. Sie waren ein Jahr unter mir und so, und ich hatte ziemliche Angst, dass es alle einfach – einfach wissen würden, wenn ich mit ihnen reden würde. Aber es hat echt geholfen, zu wissen, dass ich nicht der Einzige bin. Das Treffen heute hat auch geholfen. Ich hätte echt was sagen sollen, mich einbringen…“ Er seufzte. „Aber ist jetzt ja eh egal.“
„Cross ist ein Arsch“, stieß Kon aus.
„Ja“, stimmte Jake zu. Er drehte sich unversehens um und schlug um sich, was seinen leeren Becher ins Spülbecken segeln und dort zerbrechen ließ. Ein zackiger Riss zog sich durch das verblasste Superman-Symbol. „Es ist echt nicht fair!“
*
„Es ist echt nicht fair“, seufzte Kon und ließ sich auf die Couch fallen. Er hielt sich die Hände vors Gesicht und rieb sich mit seinen schwarz gefleckten Händen leicht die Augen. „Sie brauchen einfach wirklich jemanden, wisst ihr? Sie sind einsam und isoliert und die Sportskanonen und die Jesus-Freaks gehen auf sie los wie die Aasgeier.“
Es war ein langer Tag gewesen und sie hatten gegen Tintenfisch-Monster gekämpft, auch wenn sie jetzt zurück im Aufenthaltsraum des Titans Towers waren, relaxten und auf ihre Pizzas warteten. Sie hatten einen Großteil der Tinte abwaschen können, mit Ausnahme von ein paar Flecken – aber der Gestank war trotzdem noch irgendwie da, selbst nach dreimal Duschen. Immerhin stanken sie alle gleich, also war das auch okay.
Cassie setzte sich neben ihn und tätschelte seine Hand. „Süß von dir, dass du dir so viele Gedanken machst.“
Tim fummelte irgendwie an der Elektronik seiner Ausrüstung herum, während Bart ihm über seine Schulter zusah. „Seine Sorge ist berechtigt“, warf er ein, ohne aufzusehen, „Die Chancen stehen sehr gut, dass der Mord ein Hassverbrechen war.“
„Die haben ein totes Huhn ins Schließfach von einem Jungen gehängt“, erzählte Kon. Cassies Blick verdüsterte sich und Bart verzog das Gesicht. Tim sah nicht auf, aber er hatte auch die Fotos schon gesehen. „Ich weiß, ein Junge hat sich schon die ganze Woche auf den Toiletten versteckt, wenn er eigentlich im Sportunterricht sein sollte. Und die Lehrer tun nichts dagegen! Mein Bio-Lehrer ist der Einzige, der bis jetzt klar dagegen Stellung bezogen hat.“
„Okay“, murmelte Cassie, „das schreit ja geradezu nach einer Klage.“
„Sicher“, stimmte Bart zu. Er sauste herüber zur Couch und setzte sich auf Kons andere Seite. „Es gibt jede Menge Präzedenzfälle. Lehrer und Schulpersonal, die von Mobbing wissen, aber nichts dagegen unternehmen, können rechtlich haftbar gemacht werden.“
„Die ganze Schule ist so verflucht feindselig. Ich versteh das einfach nicht! Warum geht es überhaupt irgendjemanden was an, wen diese Kids daten? Die meisten von ihnen daten überhaupt gar nicht. Jake zum Beispiel hatte noch nie eine richtige Verabredung.“
„Armer Kerl“, warf Cassie mitfühlend ein.
„Sie versuchen alle nur einen Ort zu finden, wo sie sich wohlfühlen und dazugehören können, Leute, mit denen sie reden können, irgendwie in der Gruppe sicherer sind. Und Rektor Cross hat das einfach so wieder geschlossen.“
Bart fuhr plötzlich hoch, wie eine angespielte Saite vibrierend. „Das kann er nicht machen!“
„Ich weiß!“
„Nein“, korrigierte Bart, „Ich mein, das ist illegal.“ Alle, Tim eingeschlossen, wandten sich ihm zu und Kon spürte, wie die Couch ebenfalls zu vibrieren begann, als er weitersprach: „Laut dem Federal Equal Access Act von 1984, US Code Titel 20, Kapitel 52, Unterkapitel—“
„Wir haben‘s verstanden“, unterbrach Cassie.
„‚Es ist hiermit für jegliche öffentliche Sekundarschule, die staatliche Finanzmittel erhält und die ein beschränktes offenes Forum hat, gegen das Gesetz, jeglichen SchülerInnen, die innerhalb dieses beschränkt offenen Forums eine Versammlung abhalten wollen, auf Grundlage religiöser, politischer, philosophischer oder anderweitiger Inhalte dieser Versammlungen gleichgestellten Zugang oder faire Chancen zu verweigern oder zu diskriminieren‘“, zitierte Bart, „Was bedeutet, sobald es irgendwelche nicht-unterrichtsbezogenen Gruppierungen auf dem Schulgelände gibt – und das schließt auch Sportmannschaften ein – müssen eurer Gruppe dieselben Rechte und Vergünstigungen zugestanden werden.“
Kon blinzelte. „Da stand nichts über LGBT-Clubs drin.“ Allerdings wuchs da ein kleiner Funken Hoffnung in seinem Inneren heran.
„Naja, nein“, sagte Bart, „nein, weißt du, das Lustige ist ja, dass das Gesetz von Konservativen erlassen worden ist, um religiösen Gruppierungen zu ermöglichen, dass sie sich auf dem Schulgelände treffen. Aber die Gerichte haben entschieden, dass das auch für von Schülern initiierte LGBT-Organisationen wie Gay-Straight-Allianzen gilt. Es gibt ein paar Regeln: Leute, die nicht auf eure Schule gehen, dürfen nicht regelmäßig teilnehmen und die Schule muss euch kein Geld oder sowas geben, das sie nicht auch anderen Clubs wie zum Beispiel dem Joy Club gibt. Und ihr dürft niemanden verletzen oder euch dafür einsetzen, dass jemand verletzt wird, oder den Schulbetrieb stören. Aber“, lächelte er, „die einzige legale Möglichkeit, wie sie euren Club schließen können, ist, alle Clubs zu schließen. Das wurde auch schon mal gemacht, aber es hat nie lang gedauert, bis Schüler und Eltern verlangen, dass Matheclub und Band und alle Sportarten wieder stattfinden.“
Kon drehte sich zu Bart und packte ihn bei den Schultern, wobei er seine Superstärke und seine Aura zu Hilfe nahm, um das Vibrieren zu stoppen, bevor er noch die ganze Couch in Stücke rüttelte. Eine Sekunde lang schlugen seine Zähne noch aufeinander, dann beruhigte Bart sich.
„Ihr braucht einen Anwalt!“, rief er aus, „Dein Rektor weiß wahrscheinlich gar nicht, dass er das Gesetz bricht.“
Kons Hoffnung sank ein wenig. „Das sind doch nur ein Haufen Kinder. Woher sollen die denn einen Anwalt bekommen?“
Cassie legte ihm eine Hand auf den Arm, so dass er von Bart abließ, sich zu ihr drehte und auf sie hinunter sah. Er war ohne es zu merken einen knappen halben Meter in die Luft gestiegen, als er Bart nach unten gedrückt hatte. „Du hattest doch früher einen Agenten. Hattest du auch einen Anwalt?“
Kon blinzelte verwirrt. „Wer verklagt denn Superhelden?“
„Also, 1952 hat die Stadt—“
„Theoretisch!“ Kon ließ sich mit einem dumpfen Schlag zurück auf die Couch fallen und runzelte die Stirn. „Ich kenn doch nicht mal irgendeinen Anwalt.“
Bart gab einen frustrierten Laut von sich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nur weil sie mich das Juraexamen nicht haben machen lassen.“ Er hielt inne – lange genug, dass Kon es auch als Innehalten erkannte – und dann war er verschwunden.
„Hm“, machte Cassie, „Ich nehm an, ihm ist was—“
Bart war zurück. Er hatte sich gegenüber von Tim an den Tisch gesetzt, umgeben von Büchern und Papierstapeln, die hinter ihm her flatterten. Er war über einen gelben Schreibblock gebeugt und schrieb wie wild, wobei er in seiner freien Hand einen Haufen Ersatz-Bleistifte hielt. „Ich hab noch nie ein Mahnschreiben verfasst. Das macht irgendwie Spaß.“
Kon sah, wie Tim schnupperte und tat es ihm gleich. Er konnte Rauch riechen und sah sich besorgt um, bis er den Geruch zu Barts Spitzer und den wachsenden Haufen von Bleistiftspänen unter seinem Stuhl zurückverfolgte. Wenn er sich konzentrierte, konnte er immer wieder kurz das Aufheulen von Holzabrieb hören, während Bart umblätterte. „Du bist aber kein Anwalt“, protestierte er.
„Muss ich auch nicht, um einen Brief zu schreiben“, gab Bart zurück, ohne dabei aufzusehen, „Ich lass ihn nur wissen, wie haushoch er einen Prozess verlieren würde. Hier—“ Er schob einen Stapel Handzettel und Ausdrucke über den Tisch in Kons Richtung. „Die hier solltest du dir besser durchlesen, wenn du dafür eintreten willst.“
„Ich—“, blinzelte Kon verwirrt, „Was?“
„Die Gruppierung muss von Schülern initiiert sein. Und ihr werdet eine Betreuungslehrkraft brauchen. Und du musst echt überzeugend sein, weil ich nämlich nicht im Anzug kommen oder euch vor Gericht vertreten kann.“
Kon hörte ein Klicken und drehte sich zu Tim, der gerade seine Ausrüstung wieder an seinem Schultergurt befestigte, bevor er sich über den Tisch lehnte und einen Stapel Papier aufnahm. Er lächelte ein hartes kleines Lächeln und sah zu Kon auf. Kon konnte gar nicht anders als das Lächeln zu erwidern, denn er kannte es – und es bedeutete Vergeltung von ganz fucking oben. „Wir kennen da ein paar Anwälte. Wenn es so viele Präzedenzfälle gibt, wie du sagst, wird er zwar keinen brauchen“, klärte er Bart auf, sah dabei allerdings Kon an, „Sollte er das aber doch… Dann hat Oracle gerade freiwillig ihre und Manhunters Hilfe angeboten.“
Er wäre am nächsten Morgen beinahe zu spät gekommen, weil die gottverdammte Kuh den gottverdammten Eimer umgestoßen hatte. Und weil sie kaum noch Kaffee hatten. Er rannte bereits los, kaum, dass er hinter einer Reihe von Geschäften gelandet war, die erst in ein paar Stunden öffnen würden. Den restlichen Weg legte er in einer Geschwindigkeit zurück, die zumindest für Menschen möglich war, auch wenn er sich damit wahrscheinlich für die Olympischen Spiele qualifiziert hätte.
Das erste, was er sah, als er zur Schultür hinein stürzte, war Clarences pinkes T-Shirt. Es wäre nicht einmal so schräg, wenn man bedachte, was Kons Freunde regelmäßig trugen, aber Clarence stand vor einem ebenso knallpinken Poster mit Glitzer-Regenbogen.
‚DU BIST NICHT ALLEIN!‘, stand in fetten, schwarzen Großbuchstaben darauf – und darunter stand in kleinerer Schrift: ‚LGBTS-Schüler-Treff: Mittagspause in der Bibliothek‘.
„Oh mein Gott“, stieß jemand aus, der hinter Kon hereinkam.
Clarence funkelte alle Leute auf dem Gang trotzig an, auch wenn Kon auffiel, dass er dabei großartig darin war, mit niemandem direkten Blickkontakt aufzunehmen. Sein Herz raste und am Haaransatz hatten sich einige Schweißtröpfchen gebildet. Kon ging den Gang entlang und auf ihn zu, aber erstarrte, als Clarences Herzschlag nochmals sprunghaft anstieg.
Clarence hatte Angst vor ihm. Plötzlich ergab alles auf widerwärtige Art Sinn. Der Junge könnte Kon nicht von Granny Goodness unterscheiden – klar hatte er Angst. Irgendein größerer und älterer Junge verfolgte ihn in den Gängen und jetzt stand er hier und starrte ihn an, als wäre er Miller oder einer von den anderen Football-Pennern hier.
Kon sank ganz bewusst in sich zusammen, machte sich so klein er konnte, ohne dass es lächerlich wirkte, und sprach so sanft und gedämpft wie möglich: „Ich wollte nur sagen, dass mir das mit Matt leidtut.“
Clarences Augen weiteten sich und er fuhr herum, um Kons Blick zu begegnen; er suchte etwas darin und wartete ganz offensichtlich darauf, dass auch der andere verfickte Schuh fiel.
„Er hat einen echt netten Eindruck gemacht“, fuhr Kon fort, weiterhin gedämpft, „Ich dachte nur, du solltest wissen, dass nicht alle an dieser Schule Riesen-Arschlöcher sind. Und ich verstehe, warum du nicht mit irgendeinem dahergelaufenen Typen reden willst, aber – also, wenn irgendjemand was versuchen sollte, bin ich auf deiner Seite, okay?“
Clarence antwortete nicht – er sah immer noch misstrauisch aus, aber immerhin würde er nicht mehr gleich an Herzversagen sterben.
„Also…“, meinte Kon, als er sich verlegen in Richtung der Naturwissenschafts-Räume entfernte, „Wir sehen uns in der Mittagspause?“ Der Gong ertönte und Kon rannte dankbar zum Unterricht.
Mister Dalton war noch nicht da, aber es gab eigentlich niemanden, mit dem Kon sich gerne unterhalten hätte, weshalb er einfach sein Buch und seinen Ordner hervorzog und anfing, Graphitminen in seinen Bleistift zu laden. Er zerbrach wöchentlich so viele Holzbleistifte, dass Clark sich schließlich erbarmt hatte und ihm mit mitfühlendem Blick einen Druckbleistift aus Titan geschenkt hatte.
Baumhauer saß hinter ihm und unterhielt sich mit zwei anderen Jungs aus ihrer Laborgruppe. Alle drei machten umfassend Gebrauch von Wörtern wie ‚Schwuchtel‘ und ‚Schwanzlutscher‘. Kon saß da und versuchte sie zu ignorieren, bis er realisierte, dass das seltsame Schleifgeräusch, das er hörte, seine eigenen Zähne waren. Er drehte sich um und funkelte sie an: „Hey, wärt ihr so gut?“
Der größte der drei – Smith? Schmidt? – kniff ebenfalls die Augen zusammen. „Wären wir so gut und was?“
„Und seid zum Beispiel keine Vollpfosten“, brachte Kon mühsam hervor. „Habt ihr nichts Besseres zu tun, als über einen Jungen herzuziehen, der gerade jemanden verloren hat, der ihm sehr wichtig war?“
Auf Baumhauers Gesicht erschien ein höhnisches Lächeln und Smith-Schmidt beugte sich auf eine Art über sein Pult, die wahrscheinlich einschüchternd sein sollte, hätte Kon ihn nicht wie ein gottverdammtes Streichholz in der Mitte durchbrechen können. „Was zur Hölle kümmert dich das?“
„Es kümmert mich, weil ich ein anständiger Mensch bin“, gab Kon zurück und stand auf, um ihm in die Augen zu sehen. „Ein Sechzehnjähriger wurde vor vier Tagen nur ein paar hundert Meter von hier brutal zu Tode geprügelt. Das bedeutet dir gar nichts?“
„Doch“, schaltete Baumhauer sich ein und für seinen Gesichtsausdruck hätte Kon ihm am liebsten den dürren, pickeligen Hals umgedreht. „Es bedeutet, es gibt einen weniger von diesen unnatürlichen kleinen—“
Er wurde vom plötzlichen Auftauchen Mister Daltons unterbrochen, der Kon mit einer Hand auf der Schulter behutsam in seinen Stuhl zurück schob. „Es reicht, Thomas.“ Er sprach lauter, zur ganzen Klasse. „Setzt euch alle auf eure Plätze! Laborarbeit ist hiermit gestrichen.“
Die übliche Mischung aus Fröhlichkeit und Enttäuschung war zu hören, als Kons Mitschüler alle zu ihren Pulten trotteten. Dalton ging zurück zur Stirnseite des Klassenzimmers und stemmte die Hände in die Hüften.
„Packt eure Bücher weg“, wies er an, „Denn ganz offensichtlich fehlt da was.“ Kon tat wie ihm geheißen und wenn er sich so in der Klasse umsah, war er nicht der einzige, der verwirrt war. „Ihr werdet nicht abgefragt über diesen Stoff, aber Gott helfe euch, wenn ich den Eindruck habe, dass ihr nicht aufpasst. Also Ruhe bewahren und Ohren spitzen! Das ist vielleicht die wichtigste Stunde, die ich dieses Jahr gebe, weil ihr das ganz offensichtlich von niemandem sonst beigebracht bekommt.“
Kon klappte seinen Ordner zu und stützte interessiert das Kinn auf seine Faust. Er beobachtete, wie Mister Dalton langsam um sein Pult herum ging und seine übliche Vortragshaltung am Whiteboard einnahm, auch wenn er keinen Marker in die Hand nahm.
Nach einer langen Pause, die sie alle unruhig hin und her rutschen ließ, fing er schließlich an: „Ich bin Wissenschaftler. Ich habe mein Bestes getan, euch Kids beizubringen, was das bedeutet, aber lasst mich euch nochmal dran erinnern – es bedeutet: Wenn ich mit einer neuen Situation konfrontiert bin, sammle ich so viele Informationen wie nur möglich, bevor ich mir eine Meinung bilde. Auf das Wesentlichste reduziert, bedeutet das, dass ich alles, was ich euch im Unterricht erzähle, auch mit empirischen Beweisen belegen kann und werde. Glaubt mir also bitte, wenn ich euch jetzt sage, dass Homosexualität ein ganz normaler und natürlicher Teil menschlichen Verhaltens ist.“
Ein paar Schüler murrten unzufrieden.
„Nein. Nein, ihr werdet euch das jetzt anhören. Hört euch die Beweislage an. Keine einzige soziale Tierart zeigt nicht zumindest gelegentlich homosexuelles Verhalten. In sozialen Säugetieren mit Partnerbindung ist sogar ein relativ gleichbleibender Prozentsatz dieser Bindungen gleichgeschlechtlich. Es gibt Studien mit nicht zur Zucht verwendeten landwirtschaftlichen Tieren, mit Pinguinen, mit Menschenaffen… Wir wissen nicht, warum es passiert, aber es ist ein Fakt. Manche Tiere und auch manche Menschen fühlen sich sexuell ausschließlich zu Artgenossen ihres eigenen Geschlechts hingezogen. Im Gegensatz zu allen anderen Tierarten werden die zugehörigen Verhaltensmuster bei Menschen oft durch kulturelle Zwänge unterdrückt – wenn also etwas unnatürlich ist, dann das Unterdrücken. Nicht das Verhalten.“
„Und Sie denken, dass wir uns nicht von Tieren unterscheiden sollten, nicht darüber stehen sollten?“, fragte Baumhauer und in seiner Stimme schwang offene Verachtung mit.
„Wir sind Tiere, Thomas. Wir reflektieren das nur ein bisschen mehr als die meisten anderen Arten. Ich wünschte—“ Er brach ab und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Whiteboard, die Augen geschlossen. „Ich wünschte, ich könnte – ich wünschte, ich hätte genügend Zeit – die geeigneten Mittel und Berechtigungen, damit ihr versteht, wie wunderschön und toll und notwendig es ist, dass wir eben auch nur Tiere sind. Dieses Wissen hat uns aus dem finsteren Mittelalter heraus geführt. Dadurch ist Medizin überhaupt erst möglich geworden.“ Er öffnete die Augen wieder und sein Blick wanderte durch die Klasse. „Keine Hausaufgaben, aber ich gebe euch eine Leseliste mit. Nichts davon ist verpflichtend. Ich kann euch nicht mal Bonuspunkte dafür geben. Aber ich kann zumindest denjenigen unter euch, die es interessiert, die richtige Richtung zeigen.“ Er nahm einen Marker auf und zog die Verschlusskappe ab. „Außerdem will ich, dass ihr wisst, ich bin gerne da für alle von euch, die reden wollen, egal ob das über den Unterricht ist oder—“ Er machte eine kurze Pause, wobei er sich im Raum umsah. „—oder irgendetwas anderes.“
*
Nach dem Unterricht machte Kon einen Umweg über den Eingangsbereich, nur um zu sehen, ob Clarence nochmal dort war. Als er dort ankam, lag das Poster verknittert auf dem Boden, also strich er es wieder glatt und holte etwas Tesafilm aus seinem Rucksack, um es erneut aufzuhängen. Ein paar Leute starrten ihn dabei an und jemand kicherte auch, aber Kon ignorierte sie alle und setzte dann seinen Weg zum Kunstunterricht fort.
Jake saß in seiner üblichen Ecke am hinteren Ende des großen Klassenzimmers. Kon zögerte eine Minute am Materialtisch, bis Jake den Kopf hob und ihm zuwinkte, so dass er sich zu ihm setzte. „Hey“, begrüßte er ihn, als Kon auf einem Hocker auf der anderen Seite des Tischs Platz nahm, „Was geht?“
„Nicht viel“, meinte Kon, während er seinen Malblock und einen Bleistift hervorzog. „Ich hab glaub ich entschieden, dass ich Bio mag.“ Er erstarrte einen Augenblick, sein Blick auf das Deckblatt seines Blocks gerichtet, bevor er sich davon befreite. Er sollte doch eigentlich damit fertig sein, sich mit Luthor zu vergleichen, oder? Er war sich ziemlich sicher, Tim mochte Biologie. Oder zumindest wusste er viel darüber.
Jake lachte, während er seinen Pinsel abwusch und mit einem Papiertuch abtrocknete. „Ich nehm an, das ist gut? Agrarwissenschaft ist echt ätzend. Das meiste vom Stoff weiß ich ja eh schon aus dem Laden. Ist also echt langweilig, aber wir müssen trotzdem diese ganzen dummen Projekte machen.“
Apropos dumme Projekte: Kon blätterte seinen Block durch, bis er die Seite fand, die er brauchte. Sie sollten heute die Aufgabe für diese Woche fertigstellen, und zwar ihre eigenen Hände zu zeichnen. Kon nahm an, dass er fast fertig war, auch wenn seine Zeichnung ziemlich mies war. Außerdem waren die Bleistiftstriche verschmiert und das Blatt zerknittert. Er warf einen Blick hinüber zu Jakes Bild, ein quadratisches, etwa 50x50 cm großes Gemälde in leuchtenden Falschfarben. „Oh, hey“, stieß er aus und beugte sich über den Tisch, „Wow, du bist echt gut!“
Die Hände auf dem Bild waren groß und kantig und männlich, aus den ganzen Schwielen zu schließen klar Jakes Hände. Und sie waren – naja, nicht wirklich fotorealistisch, aber sie waren genau richtig proportioniert und alles, im Gegensatz zu Kons dummer Zeichnung mit ihren riesigen Daumen. Sie waren von bunten Farben durchzogen, fast als hätte er seine Hände in Farbe getaucht und sie einfach daran herunter rinnen lassen, was die Konturen und die Form der Finger noch hervorhob, erst recht gegen den dunklen Hintergrund, der die Farben richtig leuchten ließ. „Äh, danke“, antwortete Jake und senkte verlegen den Kopf.
„Nein, ehrlich!“ Kon stand auf und stellte sich hinter Jake, um ihm über die Schulter sehen zu können. „Wo hast du gelernt, so zu malen?“
„Indem ich… einfach rumprobiert hab. Ich hab außer dem Unterricht hier nie irgendwelche Stunden oder so gehabt. Es ist… naja, eigentlich bescheuert?“
„Was? Was ist bescheuert?“
„Na der ganze hochtrabende Bullshit über—“ Jake hob seine farbverschmierten Hände und deutete ironische kleine Anführungszeichen an. „—Stil und Flow und das Ganze. Ich mein—“ Er kratzte sich an der Wange und hinterließ eine blassblaue Spur. „Es macht Spaß? Wie – wir haben doch als Kinder alle mit Fingerfarben und so gespielt, oder? Und mit Kreiden auf dem Boden rum gemalt und unsere Eltern mussten uns beibringen, dass wir die Wände nicht anmalen sollen und so?“
Kon nickte, als hätte er auch nur den Hauch einer Ahnung davon.
„Ich fühl mich ein bisschen so, als ob die anderen Kinder dem entwachsen sind und lieber sowas wie Sport und so machen wollten. Und ich selber bin da irgendwie hängen geblieben. Nell fand das immer toll. Sie kauft mir auch Farben und alles, weil es doch recht teuer ist. Also hab ich ihr ein paar Sachen für ihr Diner gemalt. Manchmal hängt sie auch im hinteren Teil Sachen von mir auf, die ich vielleicht verkaufen kann.“
„Das ist so cool“, meinte Kon nachdrücklich. Bart konnte richtig, richtig gut zeichnen – und natürlich auch richtig schnell. Und Tim konnte auf die Schnelle diese mathematisch genauen Diagramme und Schaubilder aus dem Ärmel schütteln. Selbst Cassie zeichnete manchmal diese niedlichen kleinen Comics, wenn ihr bei einer Besprechung langweilig war. Alle seine Freunde konnten gut zeichnen und sie alle zeichneten gerne – und bevor er gesehen hatte, was seine Mitschüler so mitbrachten, hatte er sich auch da immer wieder mal gefragt, ob ein Teil seiner Programmierung fehlte, oder ob seine klobigen Hände nicht einfach nur zu riesig und zu ungeschickt waren, um irgendetwas zu erschaffen, was nicht Prellungen waren.
„Ist ja nicht so, dass ich denk, ich könnte damit wirklich Geld verdienen oder so“, fügte Jake hastig noch hinzu, „aber ich kann inzwischen den Großteil meiner Farben und Sachen selber kaufen, ohne dass dafür das Geld draufgeht, das ich im Laden verdien.“
„Nein, ganz ernsthaft, das ist super“, beharrte Kon. Er blickte finster zu seiner eigenen Skizze. „Ich bin da ein ziemlich hoffnungsloser Fall.“
Jake schüttelte den Kopf. „Jeder hat unterschiedliche Talente. Euer Garten sieht toll aus.“
„Das bin nicht ich, das ist Ma. Ich mach einfach nur, was sie sagt. Ich bin sozusagen der Mann fürs Grobe.“
Jake gab ein nachdenkliches kleines Brummen von sich, das Kon ein wenig an Tim erinnerte. „Okay, gut. Was machst du denn dann gerne so?“
Kon erlebte einen abrupten und absurden Moment der Panik. Jake hatte nur nach seinen Hobbys gefragt, verflucht nochmal. Er könnte sich irgendwas aus den Fingern saugen. Und wie er das konnte. „Ähm“, fing er an, „Ma hält mich ziemlich beschäftigt.“
„Ja, aber am Wochenende oder so. Was machst du so mit deinen Freunden?“
Oh Gott, es wurde immer schlimmer! „Ich… hab nicht viele Freunde.“ Was ihn wie einen absoluten Verlierer klingen ließ. „Also ich mein, hier. Ich – die meisten meiner Freunde wohnen nicht hier.“
„Oh“, machte Jake, „also, vielleicht können wir ja mal was zusammen machen?“ Er sah nicht von seinem Bild auf, aber Kon grinste ihn trotzdem an.
„Klar“, antwortete er, „Das wär cool.“
*
Kon kam absichtlich ein wenig später zu dem Treffen, so dass er sich nicht unter die Leute mischen musste. Mathe stellte da eine ziemlich gute Ausrede dar, weil er darin sowieso so verdammt langsam war, und dann hielt er auf dem Weg noch kurz an, um Mister Dalton nach einem guten Anatomiebuch zu fragen. Er erfand etwas über den Kunstunterricht und Dalton fragte nicht nach – er kritzelte lediglich einen Buchtitel auf ein Schmierblatt und klopfte Kon auf die Schulter, bevor er seinen Weg ins Lehrerzimmer fortsetzte.
Als er es nicht mehr länger aufschieben konnte, schlich er sich so leise er konnte in die Bibliothek und hielt auf die offene Fläche im hinteren Teil zu. Die Bibliothekarin sah mit hochgezogener Augenbraue zu ihm und Kon zog Kopf und Schultern ein, als er an ihrem Schreibtisch vorbei ging. Er konnte Clarence sprechen hören, also wandte er sich dorthin und schnappte sich ein Buch, als er ans Ende der Bücherstapel kam. Mit dem geöffneten Buch als Tarnung trat er ein wenig näher an das Ende der Regalreihe und spähte dahinter hervor.
Der Lesebereich war so umgestellt worden, dass alle Tische gegen eine Wand geräumt waren und alle Stühle in ordentlichen Reihen standen. Die Stuhlreihen waren vielleicht zur Hälfte gefüllt und Kon erkannte nur ein paar der Leute dort wieder. Delilah saß am ihm zugewandten Ende der vordersten Reihe. Sie sah auf, als er sich näherte und ihre Augen weiteten sich kurz, bevor sie ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem kleinen Lächeln bedachte. Clarence stand vor der Gruppe und hielt einen Moment inne, als er Kon sah, um ihm zur Begrüßung zuzunicken, bevor er fortfuhr.
„Seht euch doch einfach mal um“, sagte er und deutete auf das gute Dutzend Schüler, die sich hier versammelt hatten. „Sie wollen, dass wir glauben, wir sind allein, aber das sind wir nicht. Ich könnte wetten, jeder und jede hier kennt noch mindestens eine Person, die gern gekommen wäre, aber Angst hat, sich zu outen.“
Ein leises Murmeln setzte ein und ein paar Leute rutschten auf ihren Stühlen hin und her.
„Wenn die Lehrer und die anderen Schüler und die Eltern und die Polizei und alle anderen, wenn die wüssten, wie viele von uns es hier wirklich gibt, meint ihr nicht, dass sie uns dann ein wenig anders behandeln würden? Matt und ich wussten, dass es hart wird, als wir uns geoutet haben, aber wir haben wirklich auch gehofft, dass wir es für ein paar von euch einfacher machen würden, euch dem auch zu stellen.“
Ein schmaler, dunkelhaariger Junge weiter hinten verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja klar“, sagte er überzogen deutlich, „Weil ihr beide ja so gut aufgenommen worden seid, dass der Rest von uns das Coming-out kaum erwarten konnte.“
Clarence räusperte sich, aber die Antwort kam von Delilah, als sie sich mit den anderen in ihrer Reihe zusammen umdrehte, um dem Zwischenrufer zu begegnen. „Wenn du jemals geglaubt hast, dass dich jemand für hetero halten könnte, Chase, bist du echt dümmer als du aussiehst.“
„Oooh“, machte Chase, „sagt mir ausgerechnet die kleine Miss Butch.“
„Leute!“, schaltete Clarence sich dazwischen. Die anderen wandten sich wieder nach vorne und er seufzte. „Ich denke, ihr versteht das hier gerade falsch. Matt war immer der politisch Engagierte. Ich bin nicht gut mit sowas. Aber wir müssen irgendwas tun und ich glaub, im Moment ist alles, was wir tun können, aufeinander aufzupassen – und vielleicht unsere Sichtbarkeit etwas zu erhöhen, damit sie uns nicht mehr für einfache Opfer halten. Mel hatte da eine Idee dazu.“ Er sah hinüber zu einer kleinen, pausbäckigen Asiatin am anderen Ende der vordersten Reihe. „Willst du‘s erklären?“
Sie nickte und stand auf, um sich vor die Gruppe zu stellen. „Ich denke, wir müssen zu dem Ball gehen“, fing sie an, „Alle von uns und so viele Schüler von außerhalb, wie wir Date-Tickets bekommen können. Matt und Clarence sind zusammen zum Weihnachtsball gegangen und da hat alles angefangen. Idealerweise können wir noch dafür sorgen, dass jemand von der Zeitung oder vom Fernsehen drüber schreibt. Vielleicht können wir alle die gleichen Blumen tragen oder so – eben ein Zeichen setzen.“
„Hört sich gut an“, meinte Delilah mit einem schelmischen Grinsen, „Es ihnen etwas unter die Nase zu reiben.“
„Sie daran gewöhnen“, stimmte Clarence zu.
„Aber wir müssen trotzdem sicher sein“, fuhr Mel fort, „Wenn wir als Gruppe auftreten, ist es weniger wahrscheinlich, dass sie uns belästigen. Deshalb wäre es sinnvoll, ein Buddy-System einzurichten.“
„Willst du mein Buddy sein, Hamilton?“, fragte Chase halblaut den Jungen neben ihm. Hamilton zeigte ihm den Mittelfinger, ohne ihn auch nur anzusehen.
„Willst du, dass sie denken, wir haben Angst?“, fragte Delilah, „Jegliche Schwäche, die wir zeigen—“
„Ich denk ganz und gar nicht, dass es komisch aussehen wird“, unterbrach Mel sie, „Ich red nicht von Trillerpfeifen und Erkennungs-Armbändern, Lilah. Ich denk nur, wir sollten einfach alle aufpassen, dass sie uns nicht allein erwischen. Dass wir also zum Beispiel in Gruppen aufs Klo gehen. Oder uns vielleicht gegenseitig zum Unterricht begleiten, wenn jemand zu Werken oder Band oder in eins der anderen Nebengebäude muss. Wer hier macht Sport?“
Ein paar Leute hoben die Hände, unter ihnen Hamilton.
„Sucht euch jemanden von eurem Team, dem ihr vertraut und bleibt immer in Sichtweite mit ihnen. Katie und ich sind in der Marching Band und damit nach dem Unterricht ebenfalls noch auf dem Schulgelände. Und habt alle eure Handys immer griffbereit, für alle Fälle.“
Ein Junge in der vordersten Reihe hob zögerlich die Hand. „Glaubst du wirklich, dass wir in Gefahr sind?“
Die Frage war an Mel gerichtet, aber die Antwort kam von dem blonden Mädchen neben ihr: „Zumindest bis sie diesen Bastard gefasst haben. Es ist in der Schule passiert. Das bedeutet, wir sind hier nicht sicher.“ Sie sah zu Mel, die bestätigend nickte.
Clarence räusperte sich. „Und selbst wenn sie ihn fassen. Ich will ganz ehrlich sein mit euch… Ich bekomme seit Weihnachten immer wieder mal Drohungen, seit gestern allein waren‘s schon mehrere. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie viele Leute mich einfach nur schikanieren. Ich versteh vollkommen, wenn jemand aussteigen will, aber ich denke wirklich, dass wir als Gruppe sicherer sind. Ich mein, zwei Leute können sich gegenseitig den Rücken freihalten.“ Sein Blick wanderte über die kleine Ansammlung aus Schülern, während er redete, wobei sein Ton immer zuversichtlicher wurde. „Zehn Leute lassen diese Dreckskerle es sich zweimal überlegen. Zwanzig oder dreißig Leute und wir können alle umstimmen. Wir könnten uns organisieren – uns wehren—“ Sein Blick zuckte nach oben, über die letzte Reihe hinaus und er verstummte.
„Das hört sich ziemlich militant an, Mister Moore“, erklang die Stimme eines Erwachsenen und Kon sah zwischen den Bücherstapeln hindurch Rektor Cross bei den Neuzugängen stehen, die Arme vor dem Körper verschränkt. Er war noch nicht dort gestanden, als Kon hereingekommen war und Kon stellte betreten fest, dass er nicht bemerkt hatte, wann er sich genähert hatte.
Clarence biss die Zähne zusammen und Kon konnte sie gegeneinander knirschen hören. „Sir“, gab er nach einem Augenblick zurück.
Cross schüttelte den Kopf. „Ich verstehe ja, dass du wütend bist, Junge, aber ich kann nicht erlauben, dass diese… Gruppierung… sich weiterhin trifft.“
Clarence blieb stumm. Delilah allerdings sprang von ihrem Stuhl auf und fuhr Cross an: „Wir haben nichts getan!“
Cross schien unbeeindruckt. „Ich kann leider keine Organisationen auf dem Schulgelände erlauben, die den Schulbetrieb stören oder die Sicherheit der Schüler gefährden würden.“
„Wir sind nicht diejenigen, die hier irgendwen gefährden“, gab sie zurück, „Bestrafen Sie gefälligst nicht uns!“
„Das hier ist keine Bestrafung, Miss Roberts. Es tut mir leid. Ich kann Ihnen diese Treffen nicht erlauben.“ Er machte eine scheuchende Handbewegung zu den noch Sitzenden. „Gehen Sie alle in Ihre Klassen, der Unterricht fängt bald wieder an.“
„Wenn noch jemand verletzt wird“, sagte Clarence mit leiser, emotionsloser Stimme, „hoffe ich, dass Sie sich dafür niemals vergeben können. Ich werde es nämlich nicht tun. Selbst wenn ich nicht derjenige sein sollte, der angefallen wird.“
Cross sah aus, als hätte er einen Schlag abbekommen. Einen langen Augenblick starrten er und Clarence sich nur gegenseitig an, bevor Clarence ohne dabei wegzusehen meinte: „Ihr habt den Mann gehört. Das Treffen ist beendet.“
Leiser, grummelnder Protest war zu hören, aber niemand sagte wirklich etwas, während alle ihre Schultaschen schulterten. Clarence und Delilah waren stinksauer und Mel sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen, aber die meisten anderen schienen resigniert – als wäre das in etwa das, was sie erwartet hatten.
Während die anderen Schüler die Bibliothek verließen, hielt Cross auf Clarence und Delilah zu. „Ich kann Sie nicht davon abhalten, sich außerhalb des Schulgeländes zu treffen, aber ich würde sehr davon abraten. Sie spielen hier mit dem Feuer und am Ende wird noch jemand verletzt. Sie können hier nichts veranstalten. Keine Poster, Handzettel, Petitionen, Flugblätter oder was auch immer. Verstanden?“
Clarence drehte sich einfach um und ging. Delilah sagte etwas, das ihr Nachsitzen einbrachte und Cross‘ Gesicht puterrot werden ließ.
Kon seufzte tief und schob sein Buch zurück ins Regal. Einen Moment stand er einfach da, starrte auf die Buchrücken und hasste Smallville High noch mehr, als er durch eine Lücke zwischen den Büchern eine Bewegung wahrnahm. Er schob ein paar Bücher zur Seite – und seine Augenbrauen wanderten in die Höhe.
Auf der anderen Seite des Regals wanderten Jakes Augenbrauen ebenfalls nach oben und seine Augen weiteten sich.
*
Delilah war nicht zu Englisch erschienen, was Kon genug Sorgen bereitete, dass er Miss Harris ignorierte und sie mit seinem Supergehör zu orten versuchte. Er konnte sie nirgends auf dem Schulgelände ausmachen, sie musste also nach der Konfrontation mit Cross gegangen sein. Als er sie nicht fand, streckte er seine Sinne noch ein wenig weiter aus, um zu sehen, wen er stattdessen finden konnte. Clarence schien ebenfalls nirgends zu sein, aber Mel arbeitete an einer Gruppenarbeit für Dr. Marcus. Jake – und was für eine Überraschung das gewesen war – war im Werkraum, was Kon ein wenig beunruhigte, bis Hamilton ihn nach einem Schraubenschlüssel fragte.
Chase war in den Toiletten bei der Aula, die kaum benutzt wurden. Kon war sich nicht sicher, aber vermutlich rauchte er eine Zigarette. Dem Gespräch nach zu urteilen, das er an seinem Handy führte, sollte er eigentlich im Sportunterricht sein, aber hatte das Gebäude seit Dienstag nicht mehr betreten.
Kon vergaß völlig die Zeit, hörte einfach nur zu und streckte sein Supergehör so weit aus, wie er eben konnte. Rektor Cross blieb in seinem Büro, aber er bekam zwei Anrufe von Eltern, die sich um die Sicherheit ihrer Kinder sorgten, und einen offen feindseligen Anruf von jemandem, der ihn nach dem Mord fragte und den er an die Polizei weiter verwies. Den Club erwähnte er gegenüber niemandem.
Jake ließ etwas mit metallischem Klirren zu Boden fallen und fluchte leise. Chase verabredete sich für Samstag zu Drinks in Topeka mit einem Typen namens Rico. Mel zog am Reißverschluss ihres Rucksacks.
Der Gong ertönte und Kon schrie auf, als er sich die Arme über den Kopf riss. Als das Klingeln aufhörte und der Schmerz langsam nachließ, bemerkte er, dass ihn alle auslachten, als sie das Klassenzimmer verließen. Besonders Miller schien ihn zum Brüllen komisch zu finden.
„Verzeihung, Mister Kent“, merkte Miss Harris spitz an, während sie ihren Zeigestab rhythmisch gegen ihre Handfläche schlug, „habe ich Sie etwa gelangweilt?“
*
Tim hatte einmal versucht, ihm Yoga zu erklären, damals als er einfach nur Robin gewesen war und Kon ihn in einer ruhigen Ecke der Höhle in Happy Harbor wie eine Brezel verknotet vorgefunden hatte. Er hatte ihm was von Muskelgedächtnis und seinem Diaphragma erzählt – was ihn verdammt verwirrt hatte, bis Kon verstanden hatten, es ging nicht um Verhütung. Dann hatte er sich wieder auseinander gefaltet und einige Tai-Chi-Taolu vorgeführt. Er hatte sie beim ersten Durchlauf langsam gemacht, sich deutlich darauf konzentriert, jede einzelne Bewegung ganz exakt auszuführen, bedacht und sehr bewusst. Dann hatte er die Bewegungen so schnell wiederholt, dass er dabei die Luft mit einem Pfeifen durchschnitt, er hatte getreten, geschlagen, sich um die eigene Achse gedreht, sich geduckt und Kon ganz genau gezeigt, was diese langsamen Unterwasser-Bewegungen wirklich machten.
Tim hatte es ‚körperliche Meditation‘ genannt und erklärt, dass es manchmal die einzige Möglichkeit war, wie er seinen Kopf leer genug bekam, um denken zu können. Kon hatte nicht die leiseste Ahnung gehabt, wovon er redete, bis er auf die Farm gezogen war.
Den Boden zu lockern und die Komposterde und Asche einzuarbeiten, verlangte ihm jedes kleine Bisschen Konzentration ab, das Kon aufbringen konnte. Zum ersten Mal seit er nach Hause gekommen war und Martha am Tisch vorgefunden hatte, dachte er nicht an den Fall. Er dachte nicht an Matt und nicht an seinen Gesichtsausdruck, als er von hinten angegriffen worden war. Er dachte nicht an seine trauernde Mutter oder seinen schuldzerfressenen Vater. Er dachte nicht an Clarence mit Matts Kissen eng an sich gedrückt. Oder das verdammte Huhn oder den Club oder Cross oder Chase, der sich auf der verdammten Toilette versteckte, oder irgendwas anderes davon.
Stattdessen konzentrierte er sich darauf, den Schwefel in die Erde um die winzigen Salat- und Blumenkohl-Sprösslinge einzuarbeiten, ohne dabei ihre zerbrechlichen, dünnen Wurzeln zu beschädigen. Er grub die Erde Stück für Stück um, erspürte vorsichtig die Bewegungen der Regenwürmer und mischte sie dann mit der Komposterde, die er darauf verteilt hatte. Er lockerte den Boden des Felds, wo er die Steckrüben geerntet hatte und streute großzügig Fischmehl darüber, für den Mais. Schließlich richtete er sich auf, schüttelte sich den Schweiß aus dem Gesicht und wischte sich die dreckigen Hände an seinen ebenso dreckigen Shorts ab.
Während er gearbeitet hatte, hatte Martha die Setzlinge nach draußen gestellt, so dass er sie jetzt dorthin schweben ließ, wo sie die Erbsen abgeerntet hatten. Dann begann er vorsichtig, Tomaten, Gurken und gelbe Kürbisse aus ihren Pappbechern in kleine Vertiefungen in der Erde umzusetzen. Die kleinen Pflänzchen waren direkt auf der vorderen Fensterbank gestanden, bis sie auch hinaus in die Sonne und den Regen konnten. Martha hatte jede einzelne davon mit Liebe groß gezogen, bis sie groß genug war, um von allein stehen zu können. Und jetzt, wo sie in die Welt hier draußen entlassen wurden, würde Kon sich um sie kümmern. Er band jede Ranke mit einem Stück Garn am Rankgitter fest und als er schließlich fertig war, ließ er sich rücklings ins Gras fallen und begutachtete sein Werk – so erschöpft, als hätte er zehn Runden gegen Metallo gekämpft, wenn ihm auch vielleicht nicht alles ganz so wehtat.
Unter ihm konnte er die Regenwürmer durch den Boden donnern hören. Wenn er sich konzentrierte, konnte er spüren, wie kleine Härchen bei ihrem mühsamen Weg an der Erde entlang fuhren, wie sie die Erde umwühlten, ohne je anzuhalten.
Was machte er hier eigentlich? Kon war kein Detektiv. Er wusste, dass er nicht dumm war, aber verglichen mit Leuten wie Tim und Dick hätte er genauso gut ein sabbernder Schwachkopf sein können, wenn es um Detektivarbeit ging. Er war weder darin ausgebildet noch hatte er Erfahrung darin, geschweige denn die Ausrüstung, um einen solchen Fall zu lösen. Kon war der Mann fürs Grobe. War er schon immer gewesen. Tim knobelte aus, was getan werden musste, dann würde Cassie Kon zeigen, wo der Bösewicht war und er würde sein Bestes geben, um ihn zu Brei zu schlagen, während die Anderen das taten, was nötig war, um die Situation zu lösen.
Bart hatte früher auch diese Rolle eingenommen. Robin und Wonder Girl gaben Befehle – in kurzen, präzisen Sätzen – und Impulse stürzte sich ins Geschehen und band dem Bösewicht die Schuhbänder zusammen oder positionierte eine Sprengladung oder verwirrte ihre Gegner lange genug, so dass Kon draufhauen konnte. Aber Bart hatte sich verändert, schon lange vor Kons Tod, und jetzt war er auch schlau und besaß jede Menge Wissen, mit dem er seine spontanen Entscheidungen auch verargumentieren konnte. Kon hatte ziemlich lange gebraucht, um sich daran zu gewöhnen, dass Kid Flash nicht dieselbe Art von Superheld war wie Impulse. Kon hatte nicht das einzige Kind in einem Team aus Erwachsenen sein wollen.
Aber wer sagte, dass er zurückgelassen werden musste? Impulse war erwachsen geworden. Sie hatten gedacht, das wäre unmöglich, aber er hatte es getan. Er hatte den einfachen Weg verlassen und war auf die Überholspur gerannt – und inzwischen hatte er niemanden mehr nötig, der ihm sagte, was er zu tun hatte, oder wohin er zu laufen hatte oder überhaupt. Als er gestorben war, war er der Flash gewesen. Er hatte das gesamte Vermächtnis des Blitzes auf seinen Schultern getragen, als hätte er es sich verdammt nochmal auch verdient – und er hatte es sich auch wirklich verdient.
Kon hatte erwartet, dass Tim herein rauschte und seine Probleme für ihn löste, aber das würde nicht passieren. Tim hatte viel zu tun, war immer vielbeschäftigt und hatte überhaupt auch seine eigene verrückte Stadt, um die er sich kümmern musste. Smallville war Kons Heimat. Also war er auch dafür verantwortlich. Es war seine Aufgabe, es zu schützen, selbst wenn er sich allein darum kümmern musste. Wenn das hieß, dass er eine andere Art von Held werden musste, dann in Ordnung, dann würde er das tun. Superman wartete auf niemanden, der ihm sagte, worauf er einschlagen sollte. Warum sollte Kon also? Und wenn er irgendwelche hinderlichen Gene von Luthors Seite mitbekommen hatte, dann waren das verdammt nochmal bestimmt keine dummen Gene, oder?
Es war ja nicht mal so, dass er noch nie einen Meisterdetektiv in Aktion erlebt hätte. Er war schon so oft Tims Verstärkung gewesen, dass er gar nicht mehr zählte. Er hatte die schreienden Horden des Bösen zurückgehalten, während Tim tupfte und mit der Pinzette hantierte und sammelte und befragte. Vielleicht wusste Kon nicht, wie man aus Fingerabdrücken und Teppichfasern heraus jemanden identifizierte, aber er konnte die Beweise verflucht nochmal sammeln, oder?
Ha! Er könnte Tim als besseren Labortechniker nutzen. Das wäre doch eine nette Umkehrung.
„Okay“, meinte er und drehte sich so, dass er den wolkenlosen blauen Himmel sehen konnte. „Was weiß ich schon?“ Ein paar Krähenrufe waren von irgendwo hinter der Scheune zu hören, aber blieben die einzige Antwort. Kon schloss die Augen und dachte nach, wobei er darauf achtete, jegliche Vermutungen zu vermeiden, genau so wie Tim es ihm gesagt hatte.
Matt war nach der letzten Unterrichtsstunde in der Umkleide getötet worden. Er war schwul, was das Mordmotiv sein konnte oder auch nicht. Er hatte einen schweren Schlag auf den Kopf abbekommen, was ihn auf der Stelle getötet und zu Boden sinken lassen hatte. Aber wer auch immer ihn ermordet hatte, hatte weiter mit seinen – oder ihren, fügte Kon im Geiste hinzu – Händen und Füßen auf ihn eingeschlagen, bis er nur noch Brei gewesen war. Es war alles sehr schnell gegangen und niemand hatte etwas gehört – außer es gab Augenzeugen, die einfach nichts sagten, was sein konnte, wenn ein furchteinflößender, verrückter Meta sie bedroht hatte.
Es gab eine Vorgeschichte mit seinem Dad, aber der Dad war fein raus, weil er kein Meta war. Er hatte einen festen Freund gehabt, mit dem er sehr eng gewesen und dem er, zumindest laut der Mutter, treu gewesen war. Seine beste Freundin konnte ziemlich schnell hochgehen und war diejenige gewesen, die die Leiche gefunden hatte. Er war bereits geoutet gewesen. Er war, naja, ein etwas schmächtiger Junge gewesen, eher dünn und körperlich nicht sonderlich einschüchternd.
„Shit!“, murmelte Kon. Es hätte echt jeder gewesen sein können. Die Umkleiden waren während der Schulzeit allen zugänglich und selbst danach waren sie offen für das Kommen und Gehen beim Training der Sportmannschaften. Und das Training fing nie direkt nach dem Unterricht an, aber viele der Jungs zogen sich schon um oder liefen ein paar Runden oder stemmten Gewichte, während sie warteten.
In der Theorie erschien der Plan einfach. Matts Freunde gingen auf Kons Schule und Delilah war sogar mit ihm in Englisch. Eigentlich sollte es Conner Kent ein Leichtes sein, sich mit ihnen anzufreunden, ihr Vertrauen zu gewinnen und ihm sogar etwas über den Freund zu erzählen, den sie alle gerade erst verloren hatten. Aber es gab da ein kleines Problem mit dem Plan: Weshalb auch immer, aber Kon hatte vergessen, wie furchtbar schlecht Conner Kent darin war, Freundschaften zu schließen.
„Warte!“, rief Kon, als er Clarence Moore den Gang hinunter hinterher lief, als dieser sich seinen Weg durch das Gedränge zwischen Schulstunden bahnte. „Ich will doch nur—“ Kon hielt inne, um einer Reihe sich an den Händen haltender Mädchen auszuweichen und dann heimlich einem Jungen seine gefährlich windschief aufgetürmten Bücher zu stützen. „Ich will doch nur mit dir reden.“
Clarence erstarrte mitten auf dem Gang und drehte sich langsam um: „Tja, aber ich will nicht mit dir reden. Also zieh Leine, Cowboy!“
„Cowboy? Könntest du mir wenigstens kurz zuhören?“ Aber Clarence hatte sich schon wieder in Bewegung gesetzt, so schnell, dass Kon seine Schritte beschleunigen musste, um ihn einzuholen. Sie bogen um eine Ecke in den Gang mit Schließfächern und Clarence hielt erneut an. „Ich wollte nur sagen, dass es mir leidtut wegen Matt. Er machte einen echt netten—“ Kon verstummte. Das Schließfach, vor dem Clarence angehalten hatte, war mit geschmacklosen Strichmännchen mit enormen Penissen beschmiert. Jemand hatte über den größten Teil der Reihe Schließfächer darüber gesprayt: ‚Du bist der nächste, Niggerschwuchtel‘. Und jetzt, wo er darauf achtete, konnte Kon auch einen vertrauten Geruch wahrnehmen.
„Lass—“, begann Clarence leise, als seine Hand zum Zahlenschloss ging. „Lass mich einfach in Ruhe!“
Kon packte sein Handgelenk und bestimmte: „Mach das besser nicht auf.“
„Hau verdammt noch mal ab, Mann!“ Er zog unwirsch gegen Kons Griff, bis Kon ihn loslassen musste, bevor er sich selbst verletzte.
„Hol einen Lehrer oder sowas“, protestierte Kon. „Mach nicht einfach—“
Aber es war zu spät. Clarence riss die Schließfachtür auf, so dass sie lautstark gegen die nächste knallte, bevor er hastig zurück stolperte. Drinnen hing ein totes Huhn an einer winzigen Galgenschlinge, das Genick gebrochen. Alles im Schließfach war mit Blut beschmiert und vollkommen zerstört.
Die Schüler um sie herum hielten inne und starrten; alles war mit einem Schlag ruhig, bevor ein Flüstern einsetzte. Clarence gab einen elenden, gebrochenen Laut von sich und drängte sich durch die Schaulustigen, um zum nächsten Ausgang zu rennen.
Kon war hin und her gerissen, aber schlussendlich gab es nur eine einzige sinnvolle Entscheidung: Clarence würde sowieso nicht mit ihm reden, also ließ Kon ihn laufen und zog sein Handy hervor. Er musste unbedingt ein paar Fotos machen, bevor die Lehrer nachsehen kamen, was hier los war.
*
Englisch lief nicht ganz so katastrophal – zumindest floss kein Blut. Kon lungerte nahe der Tür herum, bis Delilah sich auf ihren Platz gesetzt hatte, bevor er sich auf den Platz neben sie setzte. „Hi“, sprach er sie an und sie sah verdutzt zu ihm. Sie war wirklich ziemlich heiß – kleiner als die Mädchen, die er normalerweise mochte, aber hübsch kurvig. Ihre dunklen Haare waren in einem kurzen, strengen Bob geschnitten und von einem dunklen Rot durchzogen, das sie auf den Weihnachtsbildern noch nicht gehabt hatte. Leider fiel Kon nichts ein, das er jetzt sagen konnte. „Äh“, machte er schließlich, „weißt du, wann wir die Hawthorne-Sache abgeben müssen?“
Sie blätterte für die Antwort ein paar Seiten in ihrem Notizbuch zurück. „Erst am zehnten.“ Sie sah danach allerdings nicht mehr zu ihm auf.
„Hast du schon angefangen?“, fragte er, in der Hoffnung ihre Aufmerksamkeit zu halten.
„Sind nur zwei Seiten“, winkte sie ab, ihr Blick auf ihr Notizbuch geheftet.
Kon spielte mit seinem Kugelschreiber und blickte düster auf seinen eigenen Ordner, aber ihm fiel nichts ein, was diesen Kontakt hätte verlängern können. Erfüllte Rao Bitten um plötzliche Gruppenarbeit? Er war ein bisschen eingerostet, was kryptonische Theologie anging.
„Hey“, sagte jemand und Kon sah gerade rechtzeitig auf, um mitzubekommen, wie Miller seine Hand auf Delilahs Pult legte und sich über sie beugte.
„Verschwinde, Pete“, zischte sie ohne aufzusehen.
Er stützte sich mit der anderen Hand an ihrer Stuhllehne ab, womit er sie effektiv mit seiner ganzen Größe gegen ihr Pult drängte. „Ich will nur reden.“
Kon sah, wie sich Delilahs Finger um ihren Stift schlossen, sah wie sich die Muskeln in ihrem Unterarm anspannten und hervortraten. Aber er hatte noch nicht entschieden, wie er damit umgehen sollte, als es bereits zu spät war, um in menschlicher Geschwindigkeit zu reagieren. Ihr Arm zuckte und eine Sekunde lang dachte er, sie hätte wirklich in Millers Hand gestochen – bis er realisierte, dass der große rote Fleck, der sich über ihrer beider Hände ausbreitete, von ihrem Stift kam, dessen Spitze beim Aufprall gegen das Pult zersprungen war.
„Shit“, zischte Miller und zuckte zurück. „Bitch, du bist ja psycho!“
„Ja, bin ich“, gab sie mit ruhiger, leiser Stimme zurück, wobei ihr kontrollierter Ton Kon verdammt an Tim erinnerte. „Und deshalb solltest du besser zuhören, wenn ich dir sage: Wenn du mir nochmal zu nahe kommst, bring ich dich um!“
„Versuch es doch, du kleine—“
„Wehe“, drohte Kon, als er aufstand, „du sprichst den Satz zu Ende!“
„Verpiss dich, Kent, das geht dich nichts—“
Delilahs plötzlicher Schrei voller Wut und Frustration ließ den ganzen Raum erstarren. Selbst die paar Leute, die diese Konfrontation noch nicht mit angesehen hatten, drehten sich jetzt in ihren Stühlen um, als sie ihre Sachen in ihren Rucksack warf, sich an Miller vorbei drängte und zur Tür hinaus eilte. Ein paar Sekunden später kam Miss Harris herein. Sie hielt ihren Kaffee gegen ihren Körper gepresst und sah sie alle betroffen an. „Ist mit Delilah alles in Ordnung?“
Kon senkte den Blick zu seinem Pult. „Sie ist sich saubermachen gegangen“, erklärte er und deutete auf die Sauerei. „Ihr Stift ist kaputtgegangen.“
*
Sobald er zu Hause war, rief er als erstes Cassie an. Er hatte schon seit Sonntag, als sie den Titans Tower verlassen hatten, nicht mehr mit ihr gesprochen. Nachdem sie also von dem Minotaurus fertig erzählt hatte, den sie heute Morgen in Portland zur Strecke gebracht hatte, setzte er sich mit einem Teller voll mit Marthas Keksen auf sein Bett und erzählte ihr alles, was seitdem passiert war. Er erzählte ihr von Matt und von dem Fall und wie absolut unfähig er war, bestimmte Dinge zu schaffen. Und es fühlte sich gut an. Cassie war eine gute Zuhörerin und im Gegensatz zu Tim gab sie genau die richtigen verständnisvollen kleinen Laute an genau den richtigen Stellen von sich und fragte nicht nach unnützen Details.
Wenn er Tim angerufen hätte, hätte er erklären müssen, warum er keine neuen Informationen hatte. Er hasste es, Tim zu sagen, wenn er Mist gebaut hatte – nicht weil Tim ihn damit aufzog, sondern weil er das in der Regel eben nicht tat, selbst wenn sie beide wussten, dass Tim es besser gekonnt hätte.
„Was sagt es Schreckliches über mich aus, dass ich es nicht schaffe, mit Leuten Freundschaft zu schließen, die nicht wissen, dass ich ein Superheld bin?“, fragte er.
Cassie war gerade dabei, sich die Nägel zu lackieren. Er konnte die leisen Pinselstriche in der Stille hören, während sie überlegte. „Ich denk nicht, dass es das tut“, meinte sie schließlich. „Es ist eben einfacher, zu jemandem eine Verbindung aufzubauen, mit dem man sowieso schon Gemeinsamkeiten hat, richtig? Also macht es Sinn, dass man mit den meisten anderen Superhelden klar kommt, denen man begegnet. Und wenn man als Superheld normalen Leuten begegnet, dann, naja, wollen sie meistens von sich aus mehr von einem. Man muss also gar nicht so viel tun, um ins Gespräch zu kommen. Ich glaub, das ist einfach normal – Freundschaften zu schließen geht langsamer, wenn man nicht mit Leuten in einem Team ist oder sie rettet.“ Kon hörte zu, wie sie die Verschlusskappe vorsichtig wieder auf das Fläschchen schraubte. „Himmel, bevor ich ihnen meine Identität verraten hab, waren die ganzen anderen Mädchen immer so gehässig. Danach auch noch, aber nur noch, wenn sie dachten, dass ich es nicht höre, weißt du?“
Um einen Bissen Snickerdoodle herum gab Kon ebenfalls einen verständnisvollen Laut von sich. „Manchmal hasse ich mein Supergehör.“
„Glaub ich dir. Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie… Ist ja schon schlimm genug, wenn jemand nicht weiß, dass du auf der Toilette bist.“
„Denkst du, das gleicht sich irgendwann aus?“
Cassie blies über ihre Nägel. „Wie, das gleicht sich aus?“
„Naja, schau uns doch an“, meinte Kon nachdenklich, als er sich so weit zurück lehnte, bis er die verblassten Brandspuren an der Decke anstarrte. „Du, ich, Bart, Tim… Wir rocken, klar, und wir sind alle gute Freunde, was ich nie im Leben für irgendwas eintauschen würde, aber ich glaub nicht, dass auch nur einer von uns jemals glücklich drüber war, ein normales Leben zu haben – außer vielleicht, wenn du mit Cissie und Traya zusammen warst, aber das war was anderes.“
„Ich denk nicht, dass eins das andere ausschließen muss“, hielt Cassie dagegen. „Manche Leute kommen mit beidem richtig gut zurecht. Superman zum Beispiel.“
Aber Kon war nicht Superman. Es gab einige ziemlich fundamentale Unterschiede zwischen ihm und Clark und die wenigsten davon hatten überhaupt etwas mit den Luthor-Genen zu tun. „Manchmal frag ich mich, ob sie damals bei Cadmus in ihrer Programmierung einfach was vergessen haben. Ich bin zu früh da raus, richtig? Ich war noch nicht fertig. Die haben keine Sicherung eingebaut. Vielleicht haben sie ja noch mehr vergessen. Oder vielleicht… Ach, ich weiß nicht. Vielleicht stand es auch nicht gerade auf ihrer Prioritätenliste, dass ich ein glücklicher, ausgeglichener Typ mit einem großen Freundeskreis werde, weißt du?“
Als sie antwortete, konnte er das Lächeln in Cassies Stimme hören. „Ich denk, du kommst ganz gut klar.“
„Aber – überleg doch mal, wie lange es gedauert hat, bis Tim und ich uns verstanden haben. Wir haben uns so ziemlich wöchentlich gegenseitig den Arsch gerettet und haben trotzdem ständig gestritten—“
„Ja, da mach ich jetzt mal Tim für das meiste davon verantwortlich“, gab Cassie trocken zurück. „So viel zum Thema soziale Probleme…“
„Worüber ich echt nicht reden will. Du weißt, wie seine Familie ist. Du weißt, wie Batman ist. Ist wirklich nicht ganz fair, über ihn zu lästern, wenn er nicht hier ist, um sich zu verteidigen.“
„Hört er nicht sowieso unsere Leitungen ab?“ Cassie gab ein freudloses kleines Lachen von sich. „Was ich meinte, ist, dass ihr zwei euch recht schnell zusammen gerauft habt, sobald er nicht mehr so verdammt geheimnistuerisch war. Es ist aber auch schwer, jemanden als besten Freund zu haben, wenn du nicht mal seinen Namen kennst.“
„Ja, vielleicht—“ Kon warf einen Blick zur Uhr hinüber. Es war bereits nach 15 Uhr. „Shit, Cassie, ich muss los. Hausarbeit und so.“
„Okay. Wir sehen uns Freitag?“
Er stand auf und wühlte sich durch seine Kommode auf der Suche nach anderen Klamotten. „Kann nicht“, meinte er. „Ich muss noch eine ganze Menge erledigen und ich hab mich gestern schon drum gedrückt, als Tim hier war. Außerdem müsste ich sowieso nochmal zurückfliegen, für die Beerdigung. Wir sehen uns Samstag Nachmittag?“
„Ja, okay“, lenkte sie ein. „Aber du bist mir ein Essen schuldig.“
„Abgemacht, Babe.“
Sie machte noch Kussgeräusche in Richtung des Hörers, aber legte auf, ohne auf seine Antwort zu warten. Kon warf das Handy beiseite, als er endlich seine abgetragene alte Arbeitskleidung fand und setzte sich, um sich die Stiefel auszuziehen.
*
„Du hättest mir sagen können, wie spät es ist“, rief Kon, als er auf den Rasen hinaus trat. Martha kniete zwischen den Zwiebeln und zog vorsichtig Frühlingszwiebeln aus der Erde, um sie in ihren Korb zu legen.
„Du hast jede Menge Zeit“, antwortete sie und klatschte ihre Handschuhe gegeneinander, um etwas von dem Dreck daran abzulösen.
„Ich muss aber auch noch deine Bestellung vom Futterlager abholen.“ Was so viel länger dauerte als es eigentlich müsste; in der Zeit, die es dauerte, mit dem Truck dorthin zu fahren, könnte Kon hin und mit einigen hundert Pfund Dünger und Komposterde zurück fliegen.
„Mister Jenkins hat dieses Jahr seinen Sohn dabei, der ihm bei der Auslieferung hilft“, erzählte Martha, während sie behutsam aufstand und sich ihren Weg zwischen den Reihen roter Beete und Paprika hindurch bahnte.
„Für wie viel?“, fragte Kon.
„Kostenlos für diese nette alte Witwe“, lächelte sie breit und klemmte sich den Korb unter den Arm. Ich glaube, Mister Jenkins ist ein kleines bisschen in mich verliebt. Skandalös, wirklich.“ Sie machte einen Schritt über den Broccoli hinweg, als Kon realisierte, wo sie hin wollte.
„Oh nein“, ging er bereits, um sie aufzuhalten. „Nein. Du willst Karotten. Ich hol dir Karotten.“
Martha sah ihn missbilligend an. „Wenn du mich weiter wie eine alte Frau behandelst, fange ich noch an, mich auch so zu fühlen.“
„Ich mach das alles nur aus aufgeklärtem Eigennutz heraus“, beharrte Kon und nahm ihr den Korb ab. „Je eher das Gemüse geerntet wird, desto eher essen wir. Du weißt ja, dass ich schließlich noch im Wachstum bin.“
„Tja“, meinte sie mit einem verschmitzten Lächeln, „wenn das so ist, kannst du die Steckrüben hier drüben ernten, so dass wir morgen dann den Mais säen können, zusammen mit dem Rest. Und wenn sie schon so weit sind, dann auch die ganze erste Reihe Karotten. Dann hab ich morgen was zu tun, während du in der Schule bist.“
Kon schüttelte amüsiert den Kopf und sauste in Supergeschwindigkeit nach drinnen, um den Korb auf der Küchentheke abzustellen. Das hatte er direkt herausgefordert, aber das war in Ordnung. Es war sowieso einfacher, alles auf einmal zu machen.
Martha war gerade dabei, sich Handschuhe und Hut auszuziehen, als er zurückkam. „Säcke für die Steckrüben sind in der Scheune.“
„Jawohl, Ma’am“, antwortete Kon und zog sich sein T-Shirt aus. Wenn er die Karotten und die Steckrüben erntete und das Sommerfeld vorbereitete, wäre es sowieso verloren. Er warf es zwischen den Kopfsalat und rieb sich die Hände. Der einzige menschliche Laut meilenweit war das Quietschen der Fliegengittertür, als Martha nach drinnen ging, also knackte er mit den Knöcheln und kniete sich ins Steckrüben-Beet, um seine Finger in den Boden zu rammen.
Die Erde war noch von der Sonne gewärmt und von einem feuchten Winter verdichtet. Kon bewegte die Finger leicht hin und her, um ein Gefühl dafür zu bekommen, bevor er sich konzentrierte und seine Aura ausstreckte, durch den Boden hindurch, und die Form all der Wurzeln um ihn herum erfühlte. Die Erde um seine Hände herum lockerte sich, bebte, als er sie bewegte, als er drückte und zog, bis die Spitzen von mehreren Dutzend Steckrüben aus der Erde schossen. Er ballte seine Hände langsam zu Fäusten, zog gegen das Gewicht der Erde, und die Steckrüben schoben sich nach oben und aus der Erde heraus, nur um dann in der Mitte der Parzelle einen Haufen zu bilden.
Kon stand auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Und fluchte, als er auf seine dreckigen Hände starrte. Naja, früher oder später wäre das sowieso passiert. Er wischte sich die Hände an seinen Jeans-Shorts ab, rollte seine Schultern und setzte sich in Richtung der Scheune in Bewegung, um die Futtersäcke zu holen.
Er war gerade fertig geworden, hatte die Steckrüben in die Säcke gefüllt, die älteste Reihe Karotten geerntet, frisches Unkraut weggebrannt (das so schnell wuchs, dass Kon einmal überlegt hatte, ob es etwas mit den Meteoriten zu tun hatte, bis Martha ihm versichert hatte, nein, Unkraut wuchs überall so) – und wollte gerade damit anfangen, die Erbsenranken zu guter, feiner Asche zu machen, als er am Rande seiner Wahrnehmung ein Geräusch hörte. Ein alter Dieseltruck näherte sich, vielleicht noch zwei Meilen die Straße hinauf.
Kon ließ sich zu Boden sinken und sah sich sorgfältig um. Er hatte wahrscheinlich die Säcke mit den Steckrüben zu voll gemacht, als dass ein normaler Mensch allein sie bewegen könnte – also sammelte er den ganzen Stapel auf und schaffte ihn in die Scheune. Drinnen holte er sich ein paar der rostigen, verstaubten alten Gartengeräte von hinter dem alten Traktor hervor, den Martha hauptsächlich zum Schein behielt, und nahm sie mit zurück nach draußen. Dort lehnte er sie gegen das Rankgitter. So. Das sah normal aus, oder?
Er lief hinüber zum offenen Küchenfenster und flog gerade so hoch, dass er seinen Kopf hinein stecken konnte. „Hey, Ma?“, rief er.
Martha sah auf und drehte sich zu ihm um. Ihre Hände waren mit Mehl bedeckt; Kon fand, das sah vielversprechend aus.
„Deine Lieferung ist – ups“, machte er und ließ sich zurück auf seine Füße fallen, als der Truck um ein Wäldchen herum und in Sichtweite kam. Er war noch weit genug weg, dass Kon sich ziemlich sicher war, nicht gesehen worden zu sein. Er ging aber trotzdem in menschlicher Geschwindigkeit zum Garten zurück, um sicherzugehen.
Der Wind drehte und Kon erschnupperte den Geruch nach Frittierfett, der einem im Dorf öfter begegnete und an den Kon sich so langsam auch gewöhnte. Eine Weile nach seinem Tod hatten die Pearsons angefangen, Trucks mit Biodiesel auszustatten und im großen Stil altes Pflanzenöl wiederaufzubereiten. Kons Geruchssinn war längst nicht so empfindlich wie Clarks, aber er war trotzdem dankbar. Er winkte dem Truck zu, ein Lächeln auf den Lippen, als dieser dröhnend zum Stehen kam. Im selben Moment kam auch schon Martha aus dem Haus, sich noch die sauberen Hände an ihrer Schürzte trocken wischend.
Kon kannte Mister Jenkins schon aus dem Laden. Er war ein eher stämmiger Mann mittleren Alters, vielleicht ein paar Jahre jünger als Martha, und trug einen blauen Overall. Als er Martha auf der Veranda entdeckte, erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht und er kletterte aus dem Truck, um sie zu begrüßen. Ein paar Sekunden später hörte Kon die Beifahrertür schlagen und ein Junge in seinem eigenen Alter kam um den Wagen herum.
„Oh, hey“, begrüßte Kon ihn, als er ihn sah. Er erkannte den Jungen aus dem Kunstunterricht wieder, wusste aber seinen Namen nicht. Er war kleiner als Kon, wie so ziemlich alle seine Mitschüler, aber für seine Größe war er relativ breitschultrig, was vermutlich Sinn ergab, wenn er den ganzen Tag lang Säcke voll Komposterde und ähnlichem auslieferte.
Der Junge sah hinüber zu Mister Jenkins und Martha und verdrehte die Augen. „Sperrt euer Weibsvolk weg“, meinte er gedehnt, ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht. „Mein Dad hat Auslauf.“
Kon lachte, als er sich umdrehte, um nachzusehen – und hielt abrupt inne, denn oh ja, da drüben flirtete definitiv jemand. Kon erkannte Flirten, wenn er welches sah, und er sah in diesem Moment welches, zwischen Ma und einem Kerl im Overall und… das war einfach falsch.
„Dein Gesichtsausdruck!“, stieß der Junge deutlich vergnügt aus. „Oh Gott, das war den Weg hier raus schon wert. Ich nehm an, deine Tante geht nicht viel mit Männern aus?“
„Versuch’s mal mit gar nicht“, gab Kon zurück, immer noch baff. „Sie – nein!“, machte er und zwang sich kopfschüttelnd dazu, sich wegzudrehen. „Okay, ich schau mir das nicht länger an. Hi, ich bin Conner.“ Er streckte dem Jungen die Hand entgegen.
Der Junge grinste: „Ja, ich weiß. Wir sind in derselben Klasse.“ Trotzdem schüttelte er Kons Hand. Sein Griff war fest und seine Hände schwielig – sogar schwieliger als Tims. „Ich bin Jake. Jenkins, was du dir aber sicher schon denken konntest.“
„Weißt du, was sie bestellt hat? Oder müssen wir warten, bis…“ Kon warf einen Blick über seine Schulter.
„Ich kann die Liste holen“, bot Jake an und stieg auf das Trittbrett, um ein Klemmbrett vom Vordersitz zu holen. „Lass mal sehen…“ Er schüttelte sich die hellbraunen Haare aus den Augen und überflog ein paar Seiten, bis er scheinbar fand, wonach er suchte. „Vor allem Komposterde und etwas Schwefel. Fischmehl. Mehrkorn-Hühnerfutter. Seid ihr komplett bio?“
„Ja, so ziemlich.“ Es lag inzwischen im Trend, alles biodynamisch anzubauen, obwohl Kon sich recht sicher war, dass die Kents etwa zu dem Zeitpunkt aufgehört hatten, Pestizide und Futter mit Antibiotika zu kaufen, als Clarks Supersinne sich das erste Mal gemeldet hatten.
Ein breites Lächeln trat auf das Gesicht des Jungen und die weißen Zähne standen in beinahe unerhörtem Gegensatz zu seiner gebräunten Haut. „Cool. Habt ihr Eier übrig, die ihr verkaufen könntet? Meine Schwester hat einen Laden im Dorf. Sie würde euch sicher einen guten Preis machen.“
„Nee“, winkte Kon, ebenfalls grinsend, ab. „Ich ess meistens alles, was die Hühner legen. Aber ich sag es Ma. Mit entsprechenden Abnehmern will sie vielleicht noch ein paar aufziehen.“
Jake ging zur Ladefläche des Trucks und Kon folgte ihm. Sie öffneten die Ladeklappe, Jake kletterte auf die Säcke und legte das Klemmbrett auf das Dach der Fahrerkabine. „Willst du sie irgendwie auf eine Schubkarre oder so? Sind ziemlich viele.“
Kon dachte angestrengt nach. Hatten sie sowas überhaupt? Sollten sie sowas haben? „Äh… nein, aber… wir können sie einfach hier stapeln. Vor nächster Woche soll’s ja nicht regnen und wenn ich bis dahin nicht fertig bin, kriege ich sowieso keinerlei Kuchen mehr von Ma.“
Jake runzelte die Stirn. „Sicher?“
„Ja“, bestätigte Kon und kletterte ebenfalls auf die Ladefläche. „Welche sind unsere?“
„Für den Anfang auf jeden Fall schon mal alle grünen. Hier, nimm du das Ende—“ Jake gab Kon Anweisungen, wofür er dankbar war. Es war leichter, normal zu tun, wenn jemand einen dabei anleitete. Gemeinsam brauchten sie etwa 20 Minuten, um alle Säcke von der Ladefläche zu bekommen, was wohl in einem annehmbaren Rahmen war, weil Jake sich einfach fallen ließ und die Beine von der Ladefläche baumelte, nachdem sie den letzten Sack abgeladen hatten. „Puh!“, machte er. „Du bist ja besser in Form als ich. Sieh dich an, du schwitzt kaum.“ Er piekste Kon mit einem sonnengebräunten Finger mitten in den nackten Oberkörper.
Kon verlagerte verlegen sein Gewicht und nestelte an einem Loch am Oberschenkel seiner Shorts herum.
„Machst du hier die ganze Arbeit? Das ist ein ziemlich großes Fleckchen Land für einen allein.“
„Ähm“, erwiderte Kon, „Ma ist zäher als sie aussieht. Und normalerweise kommt mein Cousin noch vorbei und hilft mit der Aussaat und der Ernte und so, aber in letzter Zeit ist er ziemlich beschäftigt.“
Jake bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick. „Dein Cousin. Du meinst Clark?“
„Ja“, nickte Kon und ließ sich auf einen Sack voll Schwefel sinken. „Kennst du ihn?“
„Hab ihn ein paarmal getroffen“, gab Jake zurück. „Als ich noch ein Kind war. Vor allem im Laden.“
Eine eigenartig unangenehme Stille breitete sich aus, von der Art, wie sie Kon vor allem anfangs bekommen hatte, als er von Hawaii hierher gezogen war – ganz dörflich und neugierig und ‚Ich wusste gar nicht, dass Jonathan einen Bruder hat‘. Natürlich fragte nie jemand direkt, aber alle tratschten hinter vorgehaltener Hand.
„Äh… Limonade?“ schlug Kon vor.
„Was?“
„Wir haben drinnen frisch gemachte Limonade und da ist es auch kühler.“ Kon stand auf und setzte sich in Richtung Hintereingang in Bewegung.
Jake sprang von der Ladefläche. „Ja, gerne, danke“, meinte er. „Aber ich bin ziemlich verschwitzt und verdreckt. Sicher, dass ihr mich in euer Haus lassen wollt?“
Kon zuckte die Schultern. Als sie die Stufen hinter dem Haus erreichten, schnappte er sich den Gartenschlauch und drehte das Wasser auf. Jake machte einen Satz nach hinten, um dem Wasser auszuweichen, das plötzlich hervor spritzte. Was Kon ein Lachen entlockte, während er seine Füße leicht abspritzte, um den Dreck abzuwaschen. Er schlüpfte aus seinen Schuhen, kickte sie die Stufen hinauf und spritzte sich ein paar Sekunden lang herrlich kaltes Wasser direkt ins Gesicht, bevor er sich den Dreck von Armen, Beinen und Oberkörper wusch. Er reichte den Schlauch weiter an Jake und schüttelte seine Haare aus, während der andere Junge sich die Hände sauber wusch. „Siehst du“, meinte er, „schon viel besser.“ Dann erklomm er die Stufen und ging nach drinnen, überließ es Jake, das Wasser abzudrehen und den Schlauch wieder zurück unter die Stufen zu schieben.
Als er in die Küche kam, hatte Ma schon dafür gesorgt, dass zwei Gläser Limonade auf der Küchentheke auf sie warteten. Sie und Mister Jenkins saßen am Tisch, ebenfalls jeder ein Glas Limonade vor sich. Kon ging zu ihnen hinüber, wobei er sich sanft zwischen sie schob. „Hi“, sagte er und leerte sein Glas in zwei Zügen.
„Seid ihr Jungs etwa schon fertig?“, fragte Jenkins. Kon sah, dass er sich große Mühe gab, nicht so enttäuscht zu klingen wie er war. Er blickte zu Jake, als dieser herein kam, und musterte dann Kon von oben bis unten. „Hat ja nicht lang gedauert. Willst du dir ein bisschen was dazu verdienen, Conner?“
Panisch sah Kon zu Martha, bevor er beschloss, sich erst einmal darauf zu konzentrieren, dass er sich noch einmal ein Glas einschenkte. „Äh, ich hab zurzeit eigentlich echt viel zu tun. Schule und so.“
„Schade“, gab Mister Jenkins zu. „Martha hat mir gerade erzählt, wie fleißig du arbeitest. Vielleicht im Sommer, wenn du etwas mehr Freizeit hast? Früher hat meine Eleanor im Laden ausgeholfen, aber sie hat ja inzwischen ein paar Häuser weiter ihr eigenes Restaurant aufgemacht, wir sind also eigentlich zu wenige. Ich bin sicher, Jake würde sich freuen, mal eine Weile aus dem Lager raus zu kommen, mit Leuten zu reden, mal mehr von der kaufmännischen Seite zu übernehmen.“
„Mir macht das nichts aus“, versicherte Jake. Statt sich mit an den Tisch zu setzen, lehnte er gegen den Tresen und presste sich das Glas für einen langen Moment gegen seine feuchte Stirn, bevor er einen großen Schluck trank. „Mmmmmh“, machte er und schloss die Augen. „Genau das hab ich gebraucht. Vielen Dank, Mrs. Kent. Die ist wirklich super.“
„Vielen Dank, Jacob“, lächelte Martha ihn an, bevor sie Mister Jenkins einen leicht verärgerten Blick zuwarf, der Kon das Herz höher schlagen ließ. „Ich denke, ihr Jungs solltet lieber zusehen, dass ihr zum Abendessen zu Hause seid? Die Sonne geht bald unter.“
„Nell erwartet uns“, stimmte Jake angesichts der Enttäuschung auf dem Gesicht seines Vaters zu, „und wir sollten uns vorher noch frisch machen.“ Er leerte sein Glas und stellte es ins Spülbecken. „Nochmal danke für die Limonade, Mrs. Kent. Wir sehen uns in der Schule, Conner?“
Kon nickte, ein Lächeln auf den Lippen. Immerhin ein Punkt für Conner Kent, der vielleicht doch kein vollkommener Loser war. Er sah ihnen noch nach, als sie davon fuhren, bevor er sich Martha zuwandte und ungläubig anstarrte. „Der Typ?“
„Ich bin mir sicher, ich hab keine Ahnung, was du meinst“, antwortete Martha, lächelte aber in ihre Limonade hinein.
„Du weißt, dass ich es nicht mag, wenn du den ganzen Tag allein hier im Haus bist, aber der Typ?“
„Oh, Conner, er ist harmlos“, gab sie zurück und machte eine abwehrende Geste. „Ich habe nicht vor, nochmal zu heiraten, nur dass du es weißt.“
Gut so, dachte Kon bei sich, aber zum Glück schien sein Kopf-zu-Mund-Filter ausnahmsweise zu funktionieren, da er es nicht laut aussprach. „Muss ich anfangen, fremde Männer zu verjagen?“, fragte er stattdessen. „Ich hätte immer gedacht, es wäre Kara—“
Martha lachte so herzhaft, dass sie etwas von ihrer Limonade auf dem Tisch verschüttete. „Ich hoffe ja, Kara wird auch ganz allein mit jeglichen fremden Männern fertig, die sie verjagen möchte. Und ich weiß auch sicher, dass ich das kann. Himmel, so sehr du Clark immer damit aufziehst, wie altmodisch er ist…“
Kon zog den Kopf ein, auf einmal verlegen. Er war ein Superheld, verdammt nochmal. Es war Instinkt. Aber vielleicht sollte er wirklich etwas öfter versuchen, sich selbst daran zu erinnern, dass ‚Jungfrau in Nöten‘ noch nie wirklich auf seine Familie zugetroffen hatte.[/align]
„Wir hätten noch die ganzen Blaubeeren im Gefrierschrank“, schlug Martha vor. Sie saß in ihrem Sessel und blätterte gedankenverloren durch ihre Rezepte.
Kon saß im Schneidersitz auf der Couch mit einem Topf links und einem rechts von ihm, während er vorsichtig Walnüsse knackte und aus den Schalen befreite. „Nö“, gab er zurück, „er hasst Blaubeeren.“
Martha sah überrascht zu ihm auf.
„Ich weiß“, lachte Kon.
„Ich kann einfach nicht glauben, dass einer von Bruces Jungs keine Blaubeeren mag. Alfred macht da diese Muffins—“
Kon unterbrach sie mit einem sehnsuchtsvollen kleinen Stöhnen. „Oh Gott, ja, die Muffins! Aber für Tim macht er immer noch ein paar mit Cranberrys.“
Martha blickte mit einem Stirnrunzeln auf die Rezeptkarten in ihrer Hand und begann sie zu mischen.
„Und ich glaub, Orange vielleicht? Vielleicht waren‘s auch Aprikosen. Irgend sowas. Tim lässt mich nie welche davon abhaben. Einmal haben Bart und ich welche geklaut, aber er hat gedroht, keine Cookies mehr mitzubringen, wenn—“
Tim war wach. Kon war sich nicht ganz sicher, woher er das wusste, weil er nicht hörte, dass sich oben jemand bewegte oder ähnliches. Tim lag bewegungslos in Kons Bett und sein Atem ging regelmäßig.
„Zeit, die Welt vor ihrem sicheren Untergang zu bewahren?“
Kon regelte sein Gehör wieder auf ein menschliches Level und schüttelte den Kopf. „Was?“
Martha beobachtete ihn mit einem liebevollen, nachsichtigen Lächeln. „Wenn Clark diesen Blick bekommt, ist da in der Regel ein Tsunami oder eine Alien-Invasion.“
„Oh“, machte Kon, „Nein, nur—“
„Wo ist mein Anzug?“ rief Tim vom oberen Treppenabsatz herunter und aus seinem Ton war deutlich Frustration zu hören.
„Okay“, gab Kon leise zu, während er die Nüsse beiseite stellte, „Vielleicht ein kleines bisschen Untergang.“ Er ging hinüber zu den Treppen, um sie nach oben zu spähen, wo Tim in Kons flauschigen Bademantel gehüllt winzig wirkte, selbst wenn er die Arme vor dem Körper verschränkt hatte und den Blick missbilligend erwiderte. „Gut geschlafen?“, fragte Kon fröhlich, was den düsteren Blick nur verstärkte.
„Wo sind meine Sachen?“, knurrte Tim.
„Du hast das Mittagessen verschlafen, aber wir haben dir einen Teller aufgehoben. Jede Menge Grünzeug“, fügte Kon hinzu. „Ma meint, dass du unter Blutarmut leidest.“
„Ich nehme Nahrungsergänzungsmittel. Wo sind meine Hosen, Kon?“
„Erst Essen, dann Hosen.”
Tim seufzte. „Ich habe keine Zeit für—”
„Essen“, beharrte Kon. „Magst du nicht runter kommen? Es gibt Hähnchenschenkel und Maisbrot und Cobbler von gestern—“
Tims düsterer Blick löste sich langsam auf. „Ich – Hähnchenschenkel?“, fragte er. „Wirklich?“
*
Matthew Stephens hatte mit seiner Mutter in einem kleinen, ordentlichen Ziegelsteinhaus gewohnt, nicht weit entfernt von der Gemeinschaftspraxis, in der sie arbeitete. Hinter dem Haus lag ein kleiner Garten mit einigen Blumen und ein paar abgesteckten Gemüsebeeten entlang des Zauns. Kein Unkraut war im Garten zu sehen, aber das Gras vor dem Haus müsste gemäht werden. Wahrscheinlich war das Matthews Aufgabe gewesen.
„Also“, begann Kon, als sie gelandet waren, „ist die Mom verdächtig?“
„Jeder ist verdächtig.“
Kon verdrehte die Augen und sah dabei zu, wie Tim den Vorgarten durchschritt, um sich den blauen Sedan anzusehen, der in der Auffahrt geparkt war. „Okay“, gab er zurück, „Klar. Ist sie wirklich verdächtig?”
Anstatt ihm zu antworten, winkte Tim ihn zu sich hinter das Auto. An der Stoßstange prangte ein farbenfroher PFLAG-Aufkleber, direkt unter einem dieser geschnörkelten Chrom-Fische.
„Ich denk: nein“, beantwortete Kon sich seine eigene Frage. „Ich denk auch, du solltest besser mich reden lassen.“
Tim setzte zu einer Antwort an, aber Kon kam ihm zuvor: „Wenn sie sich verdächtig verhält oder ich irgendwas Dummes vergesse, kannst du übernehmen. Aber bis dahin wird sie geschont. Du hast gesehen, wie fertig sein Dad war. Die Woche dieser Lady hier war schlimm genug, ohne—“
„Okay“, unterbrach Tim ihn und setzte sich in Richtung der Haustür in Bewegung.
„Okay?“
„Batman hat früher mich vorgeschickt, um mit den Familien der Opfer zu reden.“
Kon folgte kopfschüttelnd. „Also“, gab er zurück, „ich schätze, wenn ich zwischen dir und Batman wählen müsste…“
„Wir haben uns eben die Rollen aufgeteilt. Die Leute müssen sich vor Batman fürchten. Robin ist da deutlich zugänglicher.“
„Das muss echt ein verdammt krasser Rollentausch gewesen sein mit Dick und dem Teufelsbraten“, murmelte Kon.
An der Tür hing ein etwas staubiger Kranz aus Weinblättern, mit einer kleinen amerikanischen Flagge auf einer Seite und einer Schleife auf der anderen. Kon klopfte, hielt aber kurz inne, um den losen Draht wieder zu befestigen.
„Superman kann es sich leisten, zugänglich zu sein“, fuhr Tim fort und Kon warf ihm einen Blick zu. „Einer der Vorteile, wenn man praktisch unverwundbar ist.“
„Du wolltest, dass ich mit ihr rede“, ging es ihm auf. „Das hättest du mir auch einfach sagen können.“
Tim zuckte die Schultern. „Dein Fall“, lächelte er leicht. Kon beschloss, es als ein Zeichen zu nehmen, dass er Tims Meinung nach hier gute Arbeit leistete.
Die Tür öffnete sich und Kon setzte sein bestes Superhelden-Lächeln auf. Tim stand etwas hinter ihm, so dass Kon seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Er hoffte, er wäre der Situation angemessen.
Matts Mutter war eine zierliche Frau mit kurzen, aschblonden Haaren. Sie trug Jogginghosen und ein zerknittertes T-Shirt und wirkte blass und verwaschen, mit Ausnahme ihrer geröteten Augen. „Oh mein Gott“, keuchte sie, als sie sie sah und hielt sich überrascht eine Hand vor den Mund.
„Ma’am“, begrüßte Kon sie. Er gab ihr ein paar Sekunden Zeit, um zu verarbeiten, dass da Superhelden an ihrer Tür standen, bevor er hinzufügte: „Dürfen wir rein kommen?“
„Oh mein Gott“, meinte sie erneut. Ihr Blick ging zu Tim, dann zurück zu Kon, immer noch leicht benommen. „Du bist Superboy.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ja, äh, kommt rein.“ Sie trat zurück und zog die Tür weiter auf. „Das Haus ist ein Durcheinander“, entschuldigte sie sich und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. „Ich hab nicht – ich hab nicht aufgeräumt.“
Das Ausmaß des ‚Durcheinanders‘ schien eine Decke auf der Couch im Wohnzimmer zu sein, die halb auf einer Schachtel Taschentüchern und einem Stapel Zeitschriften lag.
„Ähm“, machte sie, als sie hinter ihnen die Tür schloss. „Wollt ihr etwas zu trinken? Oder zu essen, oder – oh, esst ihr überhaupt?“
„Jawohl, Ma’am“, antwortete Kon mit einem Lächeln.
Rebecca lächelte nervös, wobei sie erleichtert und verlegen gleichzeitig wirkte. „Ich – kommt doch mit in die Küche. Bitte.“ Sie führte sie durch einen offenen Durchgang, in dem Tim kurz stehen blieb, um Kon einen Blick zuzuwerfen, der wahrscheinlich mit korrekten Untersuchungsmethoden zu tun hatte. Kon tat so, als hätte er ihn nicht bemerkt.
Tim wirkte eindeutig fehl am Platz in der hellen, in freundlichen Farben gehaltenen Küche und Kon war sich ziemlich sicher, dass er sich dessen bewusst war. Nachdem es keine praktischen Schatten gab, in denen er sich hätte verstecken können, schien er unsicher, wo er herumschleichen sollte. Schließlich entschied er sich für einen Platz nahe der Tür und Kon schenkte ihm ein Augenrollen, als Rebecca sich zum Kühlschrank umdrehte, der vollgestopft war mit Auflaufformen, die mit Frischhaltefolie abgedeckt waren, und sogar zwei Napfkuchen. Kon kniff neugierig die Augen zusammen und entdeckte ganz unten eine Schüssel, die verdächtig nach Marthas Erdbeersalat aussah.
„Ich hab Eistee“, bot Rebecca an. „Oder ich kann Kaffee machen. Oder wir haben auch Soder. Ähm. Light.“
„Ich nehm gern Eistee. Red, du auch Eistee?“
Tim starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren.
„Haben Sie auch Zesti?“, fragte Kon, während er Rebecca dabei zusah, wie sie ein Glas mit Eiswürfeln füllte und dann Eistee eingoss.
„Oh“, meinte sie und wirkte bedrückt. „Nein, ich – ich trinke kaum Limo. Und Matt mochte eigentlich nur Soder. Hättet ihr gerne—“
„Nee“, antwortete Kon. Er deutete mit dem Daumen auf Tim. „Ich hab nur für meinen stillen Partner hier gefragt. Von der Ostküste. Ist bei den sonderbarsten Dingen heikel.“
„Ostküste?“, wandte Rebecca sich an Tim, wie von Kon gehofft nun ebenfalls Smalltalk betreibend.
„Gotham”, sprach Tim zum ersten Mal seit sie eingetreten waren.
Rebeccas Augen weiteten sich etwas. „Oh“, machte sie und es war, als könnte er in ihren Kopf sehen, als könnte er dabei zusehen, wie ihr aufging, wer noch aus Gotham kam. „Das – das ist aber ein weiter Weg hierher…“
Tim antwortete nicht, also trat Kon zwischen sie und nahm das Glas aus ihrer Hand an. „Red Robin hier ist ein wenig schüchtern, aber er ist ein verdammt guter Detektiv… Deshalb sind wir hier.“
Rebecca drehte sich um und stellte den Krug zurück in den Kühlschrank. „Ich weiß nicht, was ich euch noch erzählen könnte, das ich nicht der Polizei schon erzählt hab. Ich—“ Sie brach ab, als sie sich wieder ihnen zudrehte. „Es tut mir leid. Ich kann immer noch nicht glauben, dass gerade Superhelden in meiner Küche stehen.“
Ich hab ziemlich wahrscheinlich die Nüsse für den Erdbeersalat da drin geknackt, wollte Kon sagen, aber schwieg lieber. Stattdessen zog er zwei Stühle von unter dem hellen Eichenholztisch hervor und setzte sich auf denjenigen, der näher bei Tim war. Rebecca zögerte einen Augenblick, setzte sich aber dann ebenfalls. Tim blieb stehen, lehnte sich aber gegen den Counter, was ihn beinahe so klein wirken ließ, wie er wirklich war. Außerdem erschien er so wahrscheinlich deutlich weniger angsteinflößend, zumindest solange man ihn nicht schon mal in Aktion erlebt hatte. Es war ein Kompromiss, mit dem alle leben konnten, weshalb Kon nicht weiter beharrte. „Wir haben mit Matts Vater gesprochen—“, setzte er an, bis Rebecca abwinkte.
„Patrick war es nicht“, sagte sie leise. „Es tat ihm leid – dass er Matt wehgetan hat. Das wisst ihr wahrscheinlich schon, wenn ihr zuerst bei ihm wart. Aber es hat ihm so sehr leid getan, als er realisierte, was er getan hat.“
„Denken Sie nicht, dass er sich von dem inoffiziellen Unterhalt finanziell unter Druck gesetzt fühlte?“
Rebecca blickte Tim düster an, aber antwortete trotzdem: „Ich hab ihn nie darum gebeten, Geld zu schicken – das hat er von sich aus getan und er hätte jederzeit damit aufhören können. Patrick ist ein altmodischer Mann und er hatte zu vielem altmodische Ideen – die Verpflichtung eines Vaters, seine Familie zu unterstützen, eingeschlossen.“
Kon seinerseits machte mehr als Tim nur düster anzusehen. „Wir wissen, dass er es nicht war“, versicherte er. „Weshalb wir Sie bitten würden, uns alles über Ihren Sohn zu erzählen, was Sie nur können – jemand, mit dem er Streit hatte oder der wütend auf ihn war…“
„Nein. Nein, da gibt‘s niemanden. Matt – er war ein guter Junge. Alle mochten ihn.“
„Offensichtlich nicht alle“, stellte Tim fest und, oh, Kon war so nah dran, ein Loch in seine dämliche Maske zu brennen! Tim allerdings ignorierte seinen zornigen wie auch Rebecca schockierten Blick und fuhr fort: „Kinder – vor allem Teenager erzählen ihren Eltern nicht immer alles.“
„Matt schon.“
„Ich bin sicher, Sie dachten, dass er das tut. Die meisten Eltern denken das.“
Jetzt ist nicht die Zeit für deine verfickten Probleme, dachte Kon, aber Tim sah immer noch nicht zu ihm.
„Matt eben schon“, wiederholte Rebecca, fast herausfordernd. „Wir konnten über alles reden. Wir haben über Sex geredet. Er wusste, dass er mich anrufen kann, damit ich ihn von einer Party abhole, wenn er getrunken hat. Er hat mir sogar erzählt, wie er bei einer Freundin Marihuana probiert und sich in ihr Schwimmbad übergeben hat, verdammt nochmal. Wir standen uns sehr nah.“
„War er sexuell aktiv?“, fuhr Tim unbeeindruckt fort.
Rebecca seufzte und schien auf ihrem Stuhl in sich zusammen zu sinken. „Ja“, sagte sie. „Da war die Katze aus dem Sack, noch bevor Patrick… gegangen ist. Er… hat das anfangs ziemlich ausgelebt. Mich auf die Probe gestellt, denke ich. Aber das hat sich auch gegeben. Er war verantwortungsbewusst. Er war ein anständiger Junge.“
Kon lehnte sich zurück und kniff die Augen zusammen. Hätte sie ihnen all das erzählt, wenn Tim sie nicht vorher wütend gemacht hätte? Er war sich wirklich nicht sicher, beschloss aber, ihn nicht mehr mit Blicken zu durchbohren und einfach aufzupassen.
„Mrs. Stephens—“, setzte Tim an.
„Martin. Miss.”
„Miss Martin. Ihr Sohn war schwul. Er wurde in einer Schul-Umkleide getötet.“
„Ich weiß“, seufzte sie. „Ich weiß, wonach es aussieht. Ich kann euch wirklich nicht sagen—“ Mit ernstem Gesicht brach sie ab. „Ich hab damals eine Entscheidung getroffen, als ich mich von meinem Mann scheiden ließ: Dass wir uns nicht mit… dieser Art Leute umgeben. Wir sind fast nicht mehr zur Kirche gegangen, auch wenn ich Matt christlich erzogen hab. Ich hab aufgehört, mit Patricks Freunden zu sprechen. Matt genauso. Ich hab ihm beigebracht, sich nicht zu verstecken, sich aber auch nicht selbst unglücklich zu machen. Ich bin sicher, an dieser Schule gibt es Kinder, die diese Art von Hass beigebracht bekommen haben, aber ich kenne niemanden davon mit Namen.“
„Hat er je erwähnt, ob er an der Schule schikaniert oder gemobbt wurde?“ fragte Kon, wobei er daran dachte, was er am Vortag im Gang mitbekommen hatte.
„Nein. Schon seit der Mittelschule nicht mehr. Damals hab ich ihn sofort versetzen lassen.“
Also… hatte Matt seiner Mutter vielleicht doch nicht alles erzählt. Vielleicht hatte Tim Recht. Wieder mal. Kon hasste es, wenn das passierte.
„Es gibt eine Menge Fälle von Übergriffen aufgrund wahrgenommener homosexueller Avancen“, wagte Tim einen Vorstoß.
„Nein“, winkte Rebecca kopfschüttelnd ab. „Nein, Matt würde nie—“
„Nein”, wiederholte sie. „Matt hat seinen Freund sehr geliebt.“
Wahrscheinlich hätte Tims ausgestoßener Atem für niemanden wie ein Lachen geklungen, der ihn nicht bereits vor dem Stimmbruch gekannt hatte. „Er war 16 Jahre alt“, winkte er ab, bevor er endlich – endlich – Kons Gesichtsausdruck und angespannte Haltung bemerkte und verdammt nochmal die Klappe hielt.
Kon atmete erleichtert aus und wandte sich wieder an Matts Mutter. „Können Sie uns was über seinem Freund erzählen?“
Rebeccas Blick verdunkelte sich und sie sah misstrauisch zu Tim. „Ihr werdet ihn aber doch nicht behelligen, oder?“
„Wir müssen uns nur ein Bild von Matts Leben machen, Ma’am – wen er kannte, wo er sich so herumtrieb…“
Rebecca blieb zuerst still. Kon war sich ziemlich sicher, dass es nicht nur an seinem Supergehör lag, dass das Ticken der Uhr an der Wand plötzlich so laut erschien. Schließlich nahm sie aber doch einen Stapel Fotos auf und schob sie zu ihm hinüber.
Gleich das oberste Foto zeigte Matt und einen groß gewachsenen, dunkelhäutigen Jungen mit Brille, den Kon meinte, schon mal auf den Schulgängen gesehen zu haben. Sie standen in dunklen Anzügen mit passenden Anstecksträußchen zusammen, unter einem hölzernen Bogen bedeckt mit seidenen Weihnachtssternen. Kon war nicht beim Weihnachtsball gewesen, aber erkannte den Bogen von den Bildern wieder, die alle die Woche danach herumgezeigt hatten. „Sie waren in der Schule geoutet“, stellte er fest. Im Augenwinkel sah er, wie Tims Haltung sich veränderte.
„Ja“, stimmte Rebecca zu. „Das ist Clarence Moore. Er und Matt waren knappe zwei Jahre zusammen.“
„Haben sie sich je gestritten?“, hakte Tim ein.
„Jeder streitet sich mal. Aber nur über dumme Kleinigkeiten und es hat nie lange angehalten.“
Das nächste Bild zeigte Clarence, wie er Matt im Schwitzkasten hielt, aus dem dieser nicht wirklich zu entkommen versuchte, seine Brille schief auf der Nase. Es gab ein Bild, auf dem Clarence und Rebecca Wange an Wange vor einem Weihnachtsbaum tanzten und Matt im Hintergrund lachte. Ein anderes zeigte Matt mit einer Gruppe von Leuten, die wahrscheinlich der Rest der Familie Moore waren – ein Paar mittleren Alters und ein Mann in seinen 20ern, der genauso Clarences Bruder wie Cousin sein konnte. „Seine Familie kam gut mit Matt aus?“
„Sie haben ihn geliebt“, lächelte sie traurig. „Sie haben eine Weile gebraucht, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, aber sie haben uns beide wirklich aus vollem Herzen angenommen. Die Jungs taten einander gut.“
Es gab noch weitere Bilder der beiden Familien zusammen, scheinbar bei einer Weihnachtsfeier. Und dann ein Foto, das Kon zweimal hinsehen ließ: Matts Arm ruhte um das zierliche dunkelhaarige Mädchen aus seinem Englischkurs, das am Vortag noch Peter Miller einen Korb verpasst hatte. Langsam ergab sich ein Bild. Vielleicht war das Schikanieren doch nicht einfach nur wahlloses Footballer-Gehabe gewesen.
„Das ist Lilah“, erklärte Rebecca. „Eigentlich Delilah. Roberts. Sie war seit der sechsten Klasse Matts beste Freundin. Sie – sie hat ihn gefunden. Die Polizei hat sie gestern sehr lange verhört. Und nachdem sie hier fertig waren, sind sie gestern Abend direkt zu den Moores weitergefahren. Seine Freunde haben genug durchgemacht. Wir alle haben das.“
„Ma’am“, begann Kon, aber sie unterbrach ihn.
„Bitte“, meinte sie leise, ihre Stimme auf einmal rau. Sie senkte den Kopf und fuhr sich über die Augen. „Clarence ist – Charlotte wollte gestern zu ihm, um mit ihm zu reden, aber er war nicht in seinem Zimmer. Sie konnten ihn nirgends finden und wir haben uns alle solche Sorgen gemacht, dass ihm auch was passiert ist oder – oder er sich selbst was angetan hat oder—“, schnürten ihr die Worte die Luft ab.
Tims Blick wurde wieder düster und er beugte sich ihr aufmerksam entgegen. „Ist er gefunden worden?“
„Ja, ich – ich hab ihn heute Morgen in Matts Bett mit einem seiner Shirts zusammengerollt gefunden. Er hat sich durch das Fenster hereingeschlichen. Sagte, er wollte mich nicht stören, indem er klopft. Wir haben eine Weile geredet, bevor ich ihn nach Hause gefahren hab. Er ist einfach so wütend und ich kann es ihm absolut nicht übel nehmen. Die beiden hatten noch ihr ganzes Leben vor sich und jetzt ist das alles zerstört und—“ Ein einzelnes Schluchzen entrang sich ihrer Kehle und sie schnappte nach Luft, ihr Gesicht in ihren Händen. „Es tut mir leid. Es tut mir so leid.“
„Nein“, warf Kon im selben Moment ein, in dem Tim zu ihr trat und ihr ein – war das ein Taschentuch, das er ihr anbot? Hatte er immer welche in seinem Gürtel? Sowas wie Bat-Taschentücher? Sie wischte sich damit das Gesicht, knüllte es dann zusammen und starrte darauf, wie es in ihrer Faust ruhte.
„Miss Martin“, sprach Tim sie an, legte ihr eine Hand auf die Schulter und ging in die Hocke, so dass sie auf Augenhöhe waren. Sein Gesichtsausdruck war zu weich für seine Maske. „Wir verstehen, wie schmerzhaft das ist—“
„Wie könntet ihr das? Er war mein Sohn. Mein Sohn ist tot.“
„Und wir können nicht wissen, wie sich das anfühlen muss. Aber keinem von uns sind Trauer oder Verlust fremd. Deshalb sind wir hier. Wir werden herausfinden, wer das war. Wir werden den Mörder finden und zur Rechenschaft ziehen.“
Rebecca sah zu ihm auf, ihre Augen feucht.
„Versprochen“, sagte Tim.
*
Als sie zurück zur Farm kamen, war es Zeit fürs Abendessen und noch bevor sie landeten, wusste Kon bereits, dass Martha in ihrer Abwesenheit fleißig gewesen war. Er atmete tief ein und filterte den Geruch nach Heu und Erde heraus, zugunsten von den Gerüchen nach Gebratenem und Brot und etwas mit Zwiebeln und Tomaten.
„Bist du sicher, dass du seinen Freunden keinen Besuch abstatten willst?“ fragte Tim, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten.
„Delilah ist mit mir in Englisch“, gab Kon zurück. „Selbst wenn ich sie jetzt belästigen wollen würde, glaub ich nicht, dass es das Risiko wert ist, dass sie am Ende eins und eins zusammenzählen, weißt du?“
„Hm.“
Kon begann die Stufen zur Veranda zu nehmen, während er weitersprach: „Und wenn ich es schaffe, dass sie mit Conner Kent reden, dann müssen sie auch nicht von Superhelden verhört werden.“
„Okay“, lenkte Tim ein, „Halt mich auf dem Laufenden.“ Dann setzte er sich in die entgegengesetzte Richtung zum Haus in Bewegung.
„Warte mal“, rief Kon. „Was?“ In Supergeschwindigkeit war er bei Tim und schwebte vor ihm. „Wo willst du denn hin?“
„Ich habe Verpflichtungen in Gotham.“
„Stimmt, okay, aber Abendessen—“
Tim ging um ihn herum und in Richtung der Scheune. „Ich habe wirklich keine Zeit mehr. Wir haben heute Nachmittag zu lange gebraucht. Du hättest mich nicht schlafen lassen sollen.“
„Du warst erschöpft! Und du kannst doch jetzt nicht gehen! Ma ist wahrscheinlich am Kochen, seit wir los sind.“
Die Tore der Scheune waren offen und Tim verschwand im Inneren. „Du wirst mich bei ihr entschuldigen müssen“, rief er über seine Schulter und Kon eilte ihm hinterher.
„Du Arsch“, rief er, „Komm wenigstens—“ Er verstummte, als er sah, worauf Tim zuhielt. „Whoa. Ich dachte, du bist hierher geflogen.“
„Bin ich auch“, entgegnete Tim, während er ein Bein über das rotkehlchenrote Monster schwang, das er ein Motorrad nannte, und seinen Helm aufnahm. „Aber ich konnte ja nicht gerade in eurem Vorgarten landen.“
„Du schuldest mir immer noch eine Fahrt mit dem Ding…“
„Nicht heute Abend.“ Tim setzte sich den Helm auf und startete das Motorrad, wobei er den Motor aufheulen ließ und damit eine ganze Wolke Schwalben aus dem Gebälk aufscheuchte. „Wann anders“, rief er, „Und es tut mir wirklich leid wegen dem Abendessen.“
Mit einem Dröhnen verließ er die Scheune und wirbelte dabei eine Wolke aus Staub und Heu auf, von dem eine ganze Menge ihren Weg in Kons offenstehenden Mund fand.
Das Heroes Will Rise ist dein Rpg-Forum rund um Superhelden und -schurken mit dem Schwerpunkt Marvel/DC und den Hauptspielorten New York City und Gotham. Hast du Freude an Superkräften, Drama und Blödeleien, bist du super bei uns aufgehoben! Wir freuen uns über jeden, der uns um Comic-, Film- und Serien- sowie erfundene Charaktere bereichern möchte. Plot- und Charakterfokus gehen bei uns Hand in Hand: die Charaktere formen die Plots, und die Plots wiederum die Charaktere. Essenziell ist dafür Interaktivität, die mittels Inplay-News und Quest-System gefördert wird. Jeder darf sich rege an der Planung großer und kleiner Plots beteiligen, sich mit Vorschlägen und Ideen einbringen und damit Inplay und Forum mitgestalten. Regelmäßige Updates sorgen für stete Bewegung und es gibt einen aktiven Discord-Server, auf dem jeder herzlich willkommen ist!
Prolog. Vor einigen Monaten geschah das Unvorstellbare: Universen kollidierten und schufen ein neues. Eine Realität, in der Iron Man neben Batman existiert und Superman neben Thor – Menschen, Mutanten, Metawesen und Außerirdische, Helden und Bösewichte, die nichts von der Existenz der anderen hätten ahnen sollen. Die Welt dreht sich weiter – die neue Welt, die so anders sein sollte und doch allen ganz normal erscheint. Irgendwie hat man doch schonmal von diesen Helden gehört, Gotham muss mal in den Nachrichten gewesen sein, und wer weiß nicht, was 2012 in New York vor sich ging? Es ist dasselbe, irrsinnige, fantastische Universum, das es schon immer war... Nur vereinzelte Individuen spüren, dass etwas nicht stimmt, manches Unterbewusstsein sträubt sich gegen die vermeintliche Normalität. So oder so – die Helden müssen zueinanderfinden, denn nur gemeinsam können sie die Erde vor dem Titanen bewahren, der eine Schneise aus Tod und Verzweiflung im Universum hinterlässt. Zunehmend verschärft sich derweil der Konflikt zwischen Menschen und Wesen mit übernatürlichen Fähigkeiten, der Ton auf den Straßen wird rauer und selbst Gotham bleibt von dieser Stimmung nicht unberührt.
Was bisher geschah... Mit argen Bedenken unterzeichneten die wiedervereinten Avengers das Sokovia-Abkommen, um die aufgeheizte Stimmung in der Bevölkerung zu beruhigen, und bemühen sich um eine Zusammenarbeit mit anderen Helden. Darunter die zerstreuten X-Men, die versuchen, wieder zueinander zu finden, und die Justice League. Während die Helden noch lernen, miteinander zurechtzukommen, scheint Thanos' Reise zur Erde unausweichlich – zwei Infinity Steine befinden sich hier, ebenso wie sein Schlüssel zu einem dritten. Und die Helden sind nicht die einzigen, die mit neuer Unterstützung aufwarten.
Auf einer Farm zu leben, das hieß auch früh aufzustehen. Kon wusste das. Und er hatte sich damit abgefunden. Was nicht hieß, dass er es gern machte.
Er quälte sich bei Sonnenaufgang aus dem Bett und zog sich einen Bademantel über seine Boxershorts an. Dass er letzte Nacht noch lange wach gewesen war, machte die Sache leider nicht besser; er hatte das gesamte Haus auseinandergenommen auf der Suche nach weiteren Kameras, bevor er Tims Auftrag erledigt hatte. Und dann, als er wieder zurück gewesen war, hatte er nochmal das ganze Haus abgesucht – bis Martha heruntergekommen war und ihn erst einmal alles hatte aufräumen lassen. Die ganze Kamera-Sache schien sie nicht ansatzweise so zu stören wie ihn. Sie hatte ihn nicht einmal ihr Schlafzimmer durchsuchen lassen.
Halb stolpernd, halb schwebend, kam Kon die Treppen hinunter, stieß sich bei jedem zweiten Schritt die Zehen und tapste zur Eingangstür hinaus, hinüber zur Scheune. Die Kühe zu melken war seine Aufgabe, seit die verdammte Kuh beinahe Martha getreten hatte. Die Kuh hatte ziemlich schnell gelernt, dass Kon zurücktrat. Inzwischen machte sie ihm kaum noch Ärger und die frische Milch war köstlich. Kon wünschte sich nur, er müsste dafür nicht mitten in der Nacht aufstehen.
Nach dem Melken stellte er den Eimer für Martha auf die Veranda und nahm sich eine große telekinetische Handvoll Hühnerfutter aus dem Behälter neben den Stufen. Er ließ es den ganzen Weg zum Hühnerstall hinüber durch seine Finger gleiten.
Hühner waren verdammt dumm. Sie hatten immer noch nicht begriffen, dass es eine dumme Idee war, ihn anzupicken. Als er zum zweiten Nistkasten kam, versuchte eine große, weiße Leghorn-Henne, sein Handgelenk zu zerfleischen. „Ernsthaft?“, murmelte er. Er drehte sie mit dem Kopf nach unten und ließ sie einfach so tretend und zeternd schweben, während er die Eier befreite, auf denen sie gesessen hatte.
„Du“, deutete er grummelnd auf die Dumpy-Henne im eierlosen Eckkasten. „Fetter Faulpelz! Ich fütter dich, du fütterst mich, comprende?“
Das Huhn versuchte ihn in den Finger zu beißen.
„Ja klar, okay. Wir werden ja sehen, wer der Sonntagsbraten wird.“
Trotzdem waren neun Eier keine schlechte Ausbeute. Er hielt sich damit bei Laune, dass er sie auf dem Weg zurück ins Haus Ende-auf-Ende balancierte. Inzwischen sollte es auch Kaffee geben – den süßen, geheiligten Nektar der Götter. Die meisten Leute würden das für eine Übertreibung halten, aber Kon hatte schon Götter getroffen. Barda konnte eine große Kanne ganz allein wegtrinken.
Tim öffnete ihm die Tür.
„Guten Morgen“, begrüßte Martha ihn fröhlich, als er in die Küche kam. Sie legte das Nudelholz beiseite und nahm ihm die Eier ab, jeweils zwei auf einmal. Als er schließlich mit leeren Händen dastand, drückte sie ihm eine randvolle, noch dampfende Tasse Kaffee in ebenjene.
Kon seufzte glücklich und nahm einen so großen Schluck wie es eben nur ein unverwundbares Halb-Alien konnte. Dann schloss er die Augen und wartete, bis das Koffein in seinen Blutkreislauf überging.
Als er die Augen wieder öffnete, war Tim immer noch hier, aber Kon fühlte sich inzwischen etwas bereiter, ihm entgegenzutreten. „Wie lange bist du schon da?“ fragte er.
„Du hast gerade die Kuh gemolken. Mrs. Kent meinte, ich sollte einfach warten, bis du wieder rein kommst.“ Tim lächelte eines seiner Normalo-Lächeln, das zu perfekt zu seiner Normalo-Kleidung passte, um echt zu sein. „Ich habe trotzdem versucht, hallo zu sagen.“
Kon verzog das Gesicht und nahm einen weiteren großen Schluck Kaffee.
Martha war fertig damit, Brötchen zu schneiden und begann sie in einer Auflaufform aufzureihen. „Tim hat Wurst mitgebracht“, klärte sie Kon auf.
Kons Augenbrauen wanderten in die Höhe.
„Alfred stellt sie selbst her“, erklärte Tim. Er setzte sich an den Tisch und streichelte Krypto, der mit seinem eigenen Frühstück fertig war und nun schamlos bettelte. „Er lässt auch Grüße ausrichten, Mrs. Kent, und ein Dankeschön für die Marmelade.“
„Ich hab dir doch schon gesagt, du kannst mich Martha nennen. Ma, wenn du willst.“
Tim blickte ein wenig verlegen drein, was ihm stand. Kon mochte alles, was Tims Mimik menschlicher machte. „Tut mir leid“, entschuldigte er sich, „manchmal vergesse ich es.“
„Ja klar“, hakte Kon ein, „weil du ja so höflich bist. Wie viele Kameras hast du in ihrem Schlafzimmer?“
Martha stieß ein schnaubendes Lachen aus und begann, die Eier in eine Schüssel zu schlagen.
„Eine“, antwortete Tim, „die die Tür abdeckt. Und eine vor dem Fenster.“
„Gott, du bist so ein Freak!“
Martha warf ihm einen strengen Blick zu. „Das ist nicht besonders nett zu deinem Freund.“
„Er hat Kameras in deinem Schlafzimmer.“
„Sie wusste davon“, meldete sich Tim. „Superman ist nicht immer verfügbar und nachdem du auch tot warst – und besonders nach Mister Kents Herzinfarkt – gab es eben Bedenken um ihre Sicherheit. Die Kameras wurden so positioniert, dass möglichst alle Eingänge abgedeckt sind, aber gleichzeitig Privatsphäre gewährleistet ist.“
Kon öffnete den Mund. Martha warf ihm einen Blick zu. Also schloss er ihn wieder.
„Jetzt, wo du zurück bist, ist die Notwendigkeit alles zu überblicken nicht mehr so groß.”
„Hab ich alle erwischt?“, fragte Kon.
„Mit Ausnahme der Kamera in Marthas Schlafzimmer – die ich übrigens entfernt habe, während du die Hühner gefüttert hast – hast du erfolgreich alle Überwachungsgeräte im Haus lokalisiert. Du hast dafür kürzer gebraucht als ich dachte. Ich nehme an, du bist dir nun bewusster, wie schnell du ohne es zu merken beobachtet werden kannst?“
Kon verdrehte die Augen.
„Ich habe zwei der Außenkameras gelassen und eine neue an der rückseitigen Veranda angebracht.“ Als Kon ihn finster anblickte, fügte Tim noch hinzu: „Zur Sicherheit, Kon.“
Ein unbekümmertes Lächeln trat auf Marthas Züge, während sie ihre liebste gusseiserne Pfanne aus dem Schrank neben dem Kühlschrank zog. „Mir wurde versichert, dass Fledermäuse ihre Liebe in Form von unangemessen persönlicher Überwachung zeigen“, meinte sie. „Und jetzt raus mit euch beiden Jungs aus meiner Küche. Ich ruf euch, wenn es Essen gibt.“
„Jawohl, Ma’am“, gaben sie unisono zurück und Tims plötzliches Lächeln war so strahlend, dass Kon glatt vergaß, wütend auf ihn zu sein. Er folgte Tim ins Wohnzimmer und ließ sich in seinen Lieblingssessel fallen. Tims Laptop lag auf der Couch und war durch ein langes Kabel mit dem Fernseher verbunden. Als er sich setzte, nahm Tim den Laptop auf.
„Du hast gestern Nacht gesagt, du musst noch arbeiten?”, fragte Kon.
Tim öffnete den Laptop und begann zu tippen. „Musste ich.“
„Naja, du bist aber ziemlich früh hier, oder? Hast du überhaupt geschlafen?“
„Der Jet hat einen Autopiloten“, antwortete Tim, was eigentlich keine Antwort sein sollte, was aber wahrscheinlich hieß, dass er etwa zwei Stunden geschlafen hatte. Er schaltete den Fernseher ein und machte irgendwas, so dass statt des Frühstücksfernsehens die Vogelperspektive auf das Lowell-County-Autopsielabor erschien. Kon konnte nur annehmen, dass die Leiche auf dem Tisch Matts war, da sie unter einem Tuch verborgen war. Ein Mann in weißem Kittel und Plastikschürze lief ins Bild und zog sich ein Paar lange Latexhandschuhe an. „Oh, gut“, freute Tim sich, „Es geht gleich los.“
„Weißt du was?“ meinte Kon und flog bereits zur Treppe nach oben. „Ich sollte mich erst mal anziehen. Ich sollte mich duschen und dann was anziehen. Ich, äh… bin gleich wieder da.“
„Du solltest das hier als lehrreiche Erfahrung begreifen.“
„Weißt du, wir haben alle unsere Spezialitäten“, gab Kon zurück. „Du rufst mich, wenn‘s riesige Roboter gibt, die kaputt gehauen werden müssen. Ich ruf dich, wenn jemand seziert wird. Arbeitsteilung. Funktioniert super.”
Tims Mundwinkel machte diese grimmige kleine Bewegung, die er manchmal machte, aber sein Blick blieb auf den Fernseher geheftet, so dass Kon fliehen konnte.
*
Die Farm bezog ihr Wasser aus einem Brunnen, den Clark vor Jahren mal gegraben hatte, mit einer windbetriebenen Pumpe. Kon blieb so lange er eben konnte unter der Dusche. Es würde den ganzen Tag dauern, bis der Tank wieder voll war, es sei denn, er half nach und drehte an der Turbine. Er hatte keine Ahnung, wie lange eine Autopsie normalerweise dauerte, weshalb er beim Anziehen ebenfalls trödelte und versuchte, nicht allzu sehr daran zu denken, was für ein Feigling er war. Dabei war er eigentlich gar nicht so zimperlich… Er hatte eine Ewigkeit bei Cadmus gelebt, und er hatte aufgehört zu zählen, wie oft er Monstergedärme oder Schlimmeres abbekam. Aber es war eben anders, wenn man die Person auf dem Obduktionstisch kannte. Deshalb hatte Tim ihn wahrscheinlich auch nicht gezwungen zu bleiben.
Trotzdem konnte er sich nicht ewig Zeit lassen… Kon seufzte und ging zurück nach unten ins Wohnzimmer, wo Tim immer noch gebannt auf den Fernseher sah und sich zwischen Gabeln voll Rührei und Tomaten einhändig Notizen machte. Auf dem zweiten, vor Kons Sessel aufgestellten Fernsehtischchen war ein Teller voll mit Frühstück, das für ihn zubereitet worden war. Auf dem Weg zu seinem Sessel hielt Kon seinen Kopf gesenkt und sah nicht zum Bildschirm auf.
„Also…“ wagte Kon zu fragen. Vier Brötchen lagen auf seinem Teller, obwohl Martha ihn nie mehr als zwei auf einmal haben ließ.
Tim nahm einen Bissen von seiner Wurst, ohne die Augen vom Bildschirm zu nehmen. Kon wurde dabei leicht mulmig. „Die Stärke der Schläge legt nahe, dass ich Recht hatte und der Mörder ein Meta ist. Ich denke nicht, dass er eine Waffe benutzt hat, aber das ist schwer zu sagen, wenn man die Stärke des Angreifers berücksichtigt. Schädelbruch… es gab mindestens drei deutliche Schläge an den Kopf, einer ins Gesicht eingeschlossen. Multiple Frakturen des Brustkorbs, mit einer Perforation der Lungen und anderer Organe durch Knochensplitter. Gerissener Magen und Dünndarm.“
„Himmel!“, entfuhr es Kon und er schob seinen Teller von sich weg. Er stützte die Ellbogen auf seinem Fernsehtischchen ab und hielt sich die Hände vors Gesicht, nur zur Sicherheit, falls er aufsehen sollte.
„Beim Großteil der Schläge lag das Opfer auf dem Rücken, was darauf hinweist, dass er wahrscheinlich schon beim ersten Schlag zu Boden ging. Die Blutspritzer am Tatort deuten auf einen Schlag an den Kopf.“ Er wandte sich daraufhin zu Kon, aber Kon beobachtete ihn lediglich aus dem Augenwinkel. Er hatte Angst davor, den Kopf zu heben. „Er… war wahrscheinlich sofort tot, Kon.“
Kon ballte seine Hände zu Fäusten und schlug sie sich gegen die Stirn. „Das… sollte echt kein Trost sein. Himmel. Himmel! Du sagst also, wer auch immer es war, hat das alles noch nach seinem Tod gemacht?”
„Exzessive Gewalt weist in der Regel auf eine starke persönliche Bindung zum Opfer hin.“
Wenn er es wie Tim machte und das alles wie ein Puzzle sah, könnte er vielleicht aufhören, darüber nachzudenken, wie wohl Matts Gesicht ausgesehen haben musste, als er zu Boden gegangen war. „Eine persönliche Bindung. Wie vielleicht der Vater“, gab er leise zurück. „Oder… oder jemand Verrücktes. Also Joker-Verrücktes.“
„Das ist sicher auch eine Möglichkeit.“
„In Smallville!“ wiederholte Kon. „Himmel!“
„Der Angreifer hat scheinbar schwere Schuhe getragen, zwischen 25 und 27 Zentimeter Länge. Daraus und aus dem Spritzmuster des anfänglichen Schlags kann man ableiten, dass unser Mörder wahrscheinlich ein durchschnittlich oder leicht unterdurchschnittlich großer Mann oder eine relativ große Frau war.“
Kon schloss die Augen. „Wow, unglaublich. Du hast die Liste der Verdächtigen auf… etwa die Hälfte der Menschen auf diesem Planeten reduziert. Ja, man kann klar erkennen, dass du ausgebildet wurdest vom—“
„Patrick Stephens ist 1,78 m groß“, unterbrach Tim ihn.
Kon blinzelte mehrmals, bevor er anfing, Spiegelei in seine Brötchen zu stopfen. Auf keinen Fall konnte er sie jetzt essen, aber bis sie in Iowa ankämen, hätte er sicher wieder Hunger.
*
Während Tim sich umzog, spülte Kon das Geschirr ab und dann waren sie auch schon unterwegs. Nachdem sie gerade einmal 300 Meilen weit mussten, hielt Tim sich nicht damit auf, den Batjet zu holen von… wo auch immer er ihn geparkt hatte. Kon war sich ziemlich sicher, dass der einzige Grund, warum sie den Batjet nicht nahmen, der war, dass Tim ihm nicht sagen wollte, wo er ihn versteckt hatte.
„Air Superboy“, rief Kon, als sie die Wolkendecke durchbrachen. Er hielt Tim bei den Handgelenken, auch wenn seine Telekinese den größten Teil von Tims Gewicht trug. „Die einzige Art zu fliegen!“
„Es gibt aber keine Filme auf dem Flug”, beschwerte Tim sich gespielt.
Kon ließ ihn fallen.
Natürlich flog er hinterher und fing ihn nach etwa 200 Metern freiem Fall wieder auf. Tim hatte nicht mal den Anstand, sich etwas anmerken zu lassen. Stattdessen zog er seine Arme und Beine an und machte sich so aerodynamisch wie möglich, so dass Kon nochmal beschleunigen könnte.
Das Dorf, zu dem Tim ihn dirigierte, war klein – sogar kleiner als Smallville und umgeben von grünen Feldern. Tim wies ihn an, sich in flachem Winkel von Westen zu nähern und deutete auf ein weißes Häuschen am Dorfrand. Sie landeten dahinter, nur wenige Meter vom Hintereingang entfernt. Das Gras war uneben und etwas zu lang, und das Haus selbst hatte dringend neue Farbe nötig. Etwa die Hälfte der Fenster hatte keine Fliegengitter mehr davor.
„Etwas renovierungsbedürftig“, kommentierte Kon. Er zog ein in Servietten gewickeltes Brötchen aus seiner Tasche. Tim zog ihn am Arm hinter einen Busch, bevor er davon abbeißen konnte. Ein Teil des Brötchens krümelte ab und fiel zu Boden.
„Soweit ich das feststellen konnte, lebt er allein“, meinte Tim. Kon setzte sein Ja-ich-höre-zu-Gesicht auf und lehnte sich so weit zurück, dass er sich Essen in den Mund schieben konnte. Tim verdrehte nur die Augen und fuhr fort. „In der Arbeit hat er sich heute krank gemeldet. Seine Personalakte besagt, dass das öfter vorkommt. Ich denke, wir können davon ausgehen, dass es zumindest heute wegen Matt ist, egal ob er unser Mörder ist oder trauert.“
„Er hat den Jungen krankenhausreif geschlagen“, gab Kon zurück und verzog das Gesicht.
„Nehmen wir zumindest an. Möglicherweise gibt es noch eine andere Erklärung für die Verletzungen direkt vor der Scheidung.“
„Glaubst du das wirklich?“
Tims Blick verfinsterte sich und er wandte sich ab. „Nein“, antwortete er, „aber wir können das, was wir glauben oder vermuten, nicht unsere Untersuchungen behindern lassen.“
„Was sagt dir dein Bauchgefühl?“
„Mein Bauchgefühl“, lächelte Tim verhalten, „sagt mir, dass ich zum Frühstück zu viel von Mrs. Kents leckerer Hausmannskost gegessen habe.“ Diesmal war es Kon, der die Augen verdrehte. „Ehrlich, Kon, ich versuche einfach zu vermeiden, mir eine Theorie zurechtzulegen, bevor wir mehr Informationen haben.“
„Aber du hast immer eine Theorie für alles“, gab Kon zurück.
„Und manchmal – oder sogar recht häufig – ist meine anfängliche Theorie zu den gegebenen Umständen falsch. Momentan ist Patrick Stephens unser Hauptverdächtiger, aber das könnte sich ändern. Wir sind 300 Meilen vom Tatort entfernt, Kon, und ich konnte keinerlei Reiseaufzeichnungen finden, die auf etwas schließen lassen könnten.“
„Er könnte mit dem Auto gefahren sein. Dann gäb‘s keine Aufzeichnungen.“
„Stephens‘ Truck stand seit gestern um etwa 13 Uhr die ganze Zeit direkt da drüben.“
Kon reckte sich, so dass er um den Busch herum blicken konnte. Und ja, neben dem Haus war ein verbeulter roter Pickup-Truck geparkt. „Das hast du von der Überwachungskamera der Tankstelle auf der anderen Straßenseite?“, fragte er.
„Hm“, machte Tim anerkennend.
„Wenn er allerdings ein Meta ist…“
„Dann hätte er möglicherweise das Auto gar nicht gebraucht, um nach Smallville zu kommen. Genau. Du hast es langsam raus”, stimmte Tim zu und strich ein paar Krümel vom S. „Bereit, drohend aufzutauchen?“
„Immer“, grinste Kon.
„Wo ist er?“
Kon hielt inne und sah zum Haus. Er lernte immer noch, mit der Röntgenblick-Sache umzugehen, weshalb er einen Moment brauchte, bis er ihn richtig eingestellt hatte. Der Hintereingang führte in eine extrem unordentliche Küche. Überall lagen Lieferverpackungen und Pizzakartons und der Mülleimer quoll über und stank wahrscheinlich auch ziemlich. Kon blickte durch die nächste Wand und fand Stephens im nächsten Raum, dem Wohnzimmer, vor, wie er von einem rissigen Kunstledersessel aus fernsah. Er war blass und unrasiert und trotz der frühen Stunde hielt er eine Bierflasche in der Hand. Wenn er gewusst hätte, dass er gleich Besuch bekommen würde, hätte er wahrscheinlich Hosen angezogen. „Zweite Tür links“, informierte er Tim. „Er sieht fern.“
Tims Blick ruhte abwägend auf ihm. „Du wärst extrem hilfreich bei Überwachungseinsätzen.“
Kon breitete die Arme aus. „Du musst echt nur fragen, Mann.“
Tim nickte ihm kurz zu, bevor er sich umwandte und die Stufen zum Hintereingang vorausging. Er besprühte die Türangeln mit etwas und deutete dann Kon, das billige Schloss auszuhebeln, bevor er lautlos in die dreckige Küche schlüpfte. Kon sah Tim dabei zu, wie er sich seinen Weg über die gesprungenen und verdreckten Fliesen bahnte, bevor er zu ihm hinüber an die offene Wohnzimmertür schwebte.
Alles, was sie von Stephens ausmachen konnten, war die beginnende Glatze an seinem Hinterkopf. Die einzige Lichtquelle im Raum war eine kleine Leselampe auf einem Beistelltisch neben dem Sessel – und natürlich der Fernseher, der gerade ein großes, gelbes POLIZEI-Logo zeigte. Kon fand das recht passend.
Neben ihm zog Tim etwas aus seinem Gürtel, das wie ein winziger Zünder aussah, und drückte mit dem Daumen den Schalter. Augenblicklich versank der Raum in Dunkelheit und Stille, als Lampe und Fernseher erloschen. Gottverdammt, Kon wollte auch sowas! Tim hatte immer die besten Spielzeuge…
Stephens setzte sich fluchend auf, als der Strom ausfiel und betätigte ohne Erfolg den Schalter der Lampe ein paarmal. Während er noch unbeholfen über die Armlehne des Sessels gebeugt war, trat Tim in Aktion, indem er schnell aber lautlos direkt vor Stephens zum Stehen kam, sein Cape eng um seinen Körper geschlungen. Kon folgte und glitt um die andere Seite des Sessels herum, um von Nahem bedrohlich aufzutauchen.
„Scheiße“, fluchte Stephens, als er sie sah. „Scheiße, Scheiße—“ Er tastete ungeschickt nach einer Schublade im Beistelltisch, aber Tims Kampfstab knallte bereits gegen sein Handgelenk, bevor Kon überhaupt reagieren konnte.
„Ah ah ah, Patrick!“, schalt Tim und beugte sich ihm entgegen. „Du hast keinen Schein für die Pistole.“
„Oh Scheiße, oh Scheiße“, brabbelte der Mann, seine Hand an der Brust. Er presste sich so flach er konnte in die Rückenlehne des Sessels, in die er bereits eine Kuhle in Form seines Körpers gesessen hatte. Sein Blick ging wild zwischen ihnen beiden hin und her. „Wer seid ihr? Was wollt ihr—“
Die Spitze von Tims Kampfstab legte sich an die Lippen des Mannes, was ihn verstummen ließ. „Wir stellen hier die Fragen, Patrick, wenn du nichts dagegen hast.“ Er zog den Stab wieder zurück.
„Oh Gott“, flüsterte Stephens, bevor er komplett verstummte.
„Du hast die Fabrik gestern Mittag verlassen. Du warst kurz bei Charlie’s Bait’n’Beer und hast zwei Flaschen Old Bear Whiskey und ein Sixpack dieses edlen Getränks hier gekauft.“ Mit dem Ende seines Kampfstabs tippte er die Flasche in Stephens‘ Hand an. „Du bist hierher zurückgekommen und… was dann?“
Stephens schüttelte den Kopf von einer Seite zur anderen, ohne dabei den Blick von dem langen weißen Kampfstab in Tims behandschuhter Hand zu nehmen.
Kon konzentrierte sich und sah rot. Die Flasche in Stephens‘ Hand zersprang und er schrie auf, als sich unangenehm warmes Bier über seinen Schoß ergoss. „Er hat dir eine Frage gestellt, Patrick“, setzte Kon nach.
„Oh Gott, ich – ich war nirgends. Das hier – das hier ist wegen Matthew, oder? Die Polizei hat schon—“
„Wir sind nicht die Polizei, Patrick“, meinte Tim im Plauderton. Er legte die Spitze seines Kampfstabs vorsichtig auf eine der braunen Glasscherben auf Stephens‘ Oberschenkel.
„Au! Verdammt!“
„Erzähl mir von der Scheidung. Das Gericht sagt, es war in gegenseitigem Einvernehmen, aber da habe ich so meine Zweifel. Du schickst seit sehr langer Zeit einen nicht unwesentlichen Teil deines Gehalts nach Smallville.“
„Für – für Matthew“, stotterte Stephens. „Und für Becky. Es ist schwer, ein Kind allein großzuziehen. Wenn ich kein Geld schicken würde, müsste sie zusätzlich nachts arbeiten.“
„Hm“, machte Tim. Es war eins seiner bedrohlicheren Hms. „Und du landest nicht im Gefängnis.“
„F-Fuck you!“ keuchte Stephens. Er wand sich unter dem Druck auf seinen Oberschenkel, aber es ließ ihn nicht verstummen. „Ich liebe meine Frau. Ich habe meinen Sohn geliebt. Ich verstehe, warum sie ihn von mir ferngehalten hat, aber wenn sie nicht so weich mit ihm gewesen wäre, würde er jetzt wenigstens noch leben.” Stephens funkelte sie beide zornig an, trotzig, aber seine Lippen bebten. Einen Moment später sackte er wieder in sich zusammen und schluchzte: „Ich wollte ihn doch nur beschützen. Ich wollte nie—Ich wusste, was passieren würde. Ich wusste es. Darum wollte ich es aus ihm heraus prügeln, aber das hat nichts gebracht. Ich hätte ihn in eins dieser Camps stecken sollen—“
In Kons Innerem regte sich etwas Einengendes, Bitteres. „Camps“, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Er—er sah rot. Er musste sich beruhigen. Er musste sich konzentrieren.
„Für Homosexuelle“, flüsterte Stephens. „Um sie wieder zu richten. Ich war in der Armee. Ich weiß, was mit solchen Leuten passiert. Ich wollte meinen Sohn doch nur davor verschonen—”
„Indem du ihn fast zu Tode prügelst“, schaltete Tim sich ein, seine Stimme kälter alt Kon sie je zuvor gehört hatte.
„Es tut mir leid“, schluchzte Stephens. Er presste seine Hände gegen seine Augen. „Oh, Gott vergib mir. Ich habe meinen Sohn geliebt. Ich habe ihn geliebt. Ich wollte das nie.”
Tim sah über den in sich zusammengesunkenen Mann hinweg zu Kon. Selbst mit all seiner Übung darin, seinen Gesichtsausdruck durch die Maske hindurch zu lesen, hatte Kon keine Ahnung, was er gerade dachte. Nach ein paar Sekunden beugte Tim sich über Stephens und führte eine dünne Pipette an die Wunde in seinem Oberschenkel, die eine dünne Blutspur seine Wade entlang hinterließ. Er verstaute die Pipette in seinem Gürtel und verließ den Raum.
Was Kon mit dem weinenden Häufchen Elend im Sessel alleine zurück ließ. Er seufzte angewidert und trat gegen die leere Whiskeyflasche, die an der nächsten Fußleiste zu Staub zerbarst.
Stephens zuckte zusammen.
Kon verdrehte die Augen und wandte sich um, um Tim zu folgen, als ihn eine Hand an seinem Arm innehalten ließ.
„Weißt du“, begann Stephens zögerlich. Als Kon einen Schritt zurück machte, aus seiner Reichweite heraus, ließ er die Hand in seinen Schoß fallen und wischte ein paar Glasscherben beiseite. „Weißt du, wann die Beerdigung ist?“
Kon blinzelte. „Was?“
„Wenn ich Becky anrufe, mache ich sie nur wütend. Das will ich nicht. Aber er ist mein Sohn. Ich muss da einfach hin. Ich bleibe auch im Hintergrund. Sie muss das nie erfahren. Ich hab ihn nicht mehr gesehen—“ Er hielt inne. „Ich hab ihn nicht mehr gesehen, seit er vom Krankenwagen abgeholt wurde.“ Stephens sah zu ihm auf und etwas an seinem Gesicht – etwas in seinem Blick—
„Samstag Morgen“, antwortete Kon, „in der First Methodist.“
Stephens schloss die Augen und ließ sich in den Sessel zurück fallen. „Danke“, sagte er nur.
Als Kon durch die Hintertür zurück nach draußen ging, wartete Tim auf der Veranda auf ihn und hantierte mit ein paar winzigen Fläschchen herum.
„Er war‘s nicht“, sagte Kon.
„Nein“, stimmte Tim zu und drehte sich zu ihm um. Er hielt ein Fläschchen mit einer blass purpurnen Flüssigkeit darin in der Hand. „Er ist kein Meta.“
Kon beobachtete still, wie sein Freund sein kleines Experiment wieder ordentlich wegpackte und sich Kons Blick gar nicht bewusst schien. Tim war der klügste Mensch, den Kon kannte, aber hin und wieder begriff er das Wesentliche ganz und gar nicht. Manchmal brachte es Kon ins Grübeln, ob mit ihm etwas grundlegend nicht in Ordnung war. Damals bei Young Justice hatten sie schnell mal gewitzelt und ihn einen Freak oder einen Soziopathen genannt. Seitdem er wieder zurück war, war Kon allerdings vorsichtiger, wie er Tim nannte.
Außer… Tim konnte auf seine eigene Art unglaublich liebenswürdig und umsichtig sein und er war bei den Leuten, die ihm am Herzen lagen, sehr aufmerksam. Es war, als gab es einen Schalter in seinem Kopf, einen Tim/Red-Robin-Schalter. Im einen Moment gab er einem extra Brötchen und wischte Krümel vom Shirt, im nächsten – Bäm! – sofortiges Arschloch.
Tim wandte sich ihm zu, sobald er seine Ausrüstung weg gepackt hatte. Er schien etwas in Kons Mimik zu erkennen und legte den Kopf schief. „Wusstest du, dass Matthew Stephens ein Homosexueller war?“
„Was?“ fragte Kon, weil ernsthaft, wer zur Hölle redete noch so, mit Ausnahme des Wichsers im Haus hinter ihnen?! „Nein, ich wusste nicht, dass er schwul war. Ich hab ihn einmal getroffen.“
„Hm“, machte Tim und diesmal hatte Kon absolut keine Ahnung, was er damit meinte. „Wir müssen alle romantischen und sexuellen Partner ausfindig machen.“
Kons Hand ballte sich zur Faust. Scheinbar steckten sie noch im Arschloch-Modus fest. „Ernsthaft?“, fragte er. „Du findest raus, dass er schwul sein könnte und auf einmal war‘s sein Freund?“
Tims Gesichtszüge veränderten sich unter der Maske – nicht viel, aber genug, dass Kon seine Mimik lesen konnte, ohne unter die Maske zu sehen. Tim war angepisst. Seine Stimme allerdings war seltsam ausdruckslos, als er meinte: „Wir suchen jemanden mit einer starken emotionalen Verbindung zum Opfer. Nach dem engsten Familienkreis ist das am wahrscheinlichsten jemand, mit dem er ein Verhältnis hatte. Egal welchen Geschlechts.“
Kon machte einen Schritt zurück.
„Aber gut zu wissen, dass du so wenig von mir hältst. Ich bin es gewöhnt, für gefühllos und gleichgültig gehalten zu werden—“ Kon zuckte zusammen. „Aber bis jetzt hat mich noch niemand der Intoleranz bezichtigt.“
Tim drängte sich an ihm vorbei, oder versuchte es zumindest, als Kon ihn am Arm packte und ihn dazu zwang sich umzudrehen. „Dir ist vielleicht aufgefallen, dass ich überrascht war, okay? Ich hab dich einfach falsch verstanden.“ Tims Gesichtsausdruck blieb hart, weshalb Kon weiter redete: „Ich war total angespannt wegen der ganzen Sache mit dem Vater. Ich hab einfach Streit gesucht. Ich hätte dich nicht so angehen sollten.“
Für einen langen Moment sagte Tim nichts dazu, aber sein Gesicht entspannte sich. Er sah Kon prüfend an. „Du nimmst diesen Fall sehr persönlich.“
„Es ist an meiner High School passiert.“
„Hm“, machte Tim, als wäre Kon ein Puzzle – oder ein Tatort. Vielleicht hätte es ihn mehr stören sollen, dass Kon das gerade so beruhigend fand.
„Wollen wir nach Hause, mittagessen?“, bot Kon an. „Und danach können wir die Mutter besuchen.“
„Es ist gerade mal zehn Uhr“, gab Tim zurück, ohne auf seine Uhr zu sehen. Vielleicht hatte er ja ein Frühwarnsystem in seiner Maske.
„Tja, manche von uns haben Probleme damit, Wurst zu essen, während sie Autopsien zusehen.“
„Mmmmh…“, meinte Tim genüsslich, „Innereien.“
Kon merkte, wie sein Magen sich umdrehte und schluckte schwer. „Urgh, bäh“, machte er, als er sich sicher fühlte, seinen Mund wieder öffnen zu können. „Sag das nie wieder.“
Tim grinste nur schadenfreudig, weshalb Kon ihn packte und sie beide von der Veranda warf. Direkt bevor sie den Boden berührten, riss er sie nach oben zum Himmel. Das Klacken, das Tims Zähne machten, als sie aufeinander stießen, hatte etwas seltsam Befriedigendes.
Sie waren bereits fast über Lincoln, als Kon bemerkte, dass Tim sich nicht mehr wehrte, weil er eingeschlafen war.
*
Kon musste sich arg konzentrieren, um die Tür ohne Quietschen zu öffnen. Nicht dass die Aufgabe selbst schwierig wäre – er hob die Tür einfach einen winzigen Bruchteil eines Zentimeters an und federte den Raum zwischen den Angeln und den Zapfen ab. Er war inzwischen mehr oder weniger Experte in diesem Manöver, so oft wie er sich für einen Mitternachtssnack nach unten schlich. Was es schwieriger machte, war, dass er Tim extrem vorsichtig halten musste; aus Erfahrung wusste er, dass er ausschlug, wenn er unvorbereitet geweckt wurde.
Als Martha sie sah, schlug sie eine Hand vor den Mund: „Grundgütiger!“
Kon deutete ihr leise zu sein, während er Tims leblosen Körper durch die Tür manövrierte.
„Was ist denn passiert?“, fragte sie, deutlich leiser. „Ist alles in Ordnung mit ihm? Was—“
„Pssst“, zischte Kon. Er lenkte Tim mit einer Hand in Richtung der Treppe und hob die andere zu seinen Lippen, einen Finger ausgestreckt. „Er schläft, Ma.“
„Aber—“
„Pssst!“, wiederholte Kon. Tim auf der Treppe waagerecht zu halten, gestaltete sich als schwieriger als gedacht, also ignorierte er Martha, um sich darauf konzentrieren zu können, dass Tims Kopf nicht gegen das Geländer knallte.
Zum Glück stand seine Zimmertür offen. Er ließ Tim zum Bett hinüber schweben und betrachtete ihn von oben bis unten. Früher, als er noch Robin gewesen war, hatte Tim hin und wieder in seiner Uniform geschlafen, auch wenn das nie besonders bequem ausgesehen hatte. Diese Uniform sah noch unbequemer aus, aber Kon wusste auch sehr genau, dass die alte Uniform nur so mit versteckten Sprengladungen gespickt gewesen war. Er und Bart hatten sie den Bat-Keuschheitsgürtel genannt, wenn auch nur außerhalb von Tims Hörweite.
Das würde also ziemlich knifflig werden. Er selbst würde wahrscheinlich alles überleben, was der Anzug ihm entgegen bringen konnte, aber er war sich nicht so sicher, was es mit seinem Zimmer anrichten würde. Außerdem würde alles, was er auslöste, Tim ganz sicher wecken. Es gab also nur eine Lösung: Kon würde extrem vorsichtig sein müssen. Er setzte sich an die Bettkante, mehr oder weniger auf gleicher Höhe mit Tim, und kniff ein Auge zu.
Die Maske hatte einen Mechanismus, aber wenn er vorsichtig wäre… Er zog sanft mit seiner Aura daran, bis die Maske nicht mehr auf Tims Gesicht auflag, drückte die winzigen Schalter an seinen Schläfen nach unten und schob die Maske nach oben und über seinen Kopf, was das Cape ebenfalls entfernte. Eine dünne rote Linie verlief über Tims Stirn, wo eine Innennaht gegen die Haut gedrückt haben musste, und seine Haare waren furchtbar zerzaust. „Bewahrst du immer noch Notfall-Haargel in deinem Gürtel auf?“, murmelte Kon und lachte still in sich hinein.
Apropos Gürtel; die waren als nächstes dran und wahrscheinlich die am gefährlichsten zu bewältigenden Teile seiner Uniform. Nur gut, dass er sie gar nicht wirklich anfassen wollte. Tatsächlich waren sie relativ einfach zu entfernen, sobald er herausgefunden hatte, wie sie miteinander verbunden waren. Und es explodierte auch nichts, als er sie Tims Hüften nach unten schob, über seine Beine und schließlich zu Boden, wo sie sanft zu liegen kamen.
Tims Stiefel beinhalteten keine verborgenen Sprengsätze, aber es gestaltete sich als schwierig, sie von Tims Füßen zu bekommen, ohne seine Beine zu bewegen. Kon musste langsam Tims Fuß strecken, während er vorsichtig erst den einen, dann den anderen Stiefel abzog und zur Seite stellte. Dasselbe machte er mit Tims Kampfhandschuhen, indem er jeden einzelnen Finger so verschob, dass er nicht am Innenstoff hängen bleiben würde. Die Tunika war mit einem Taser ausgestattet, aber das hatte Kon bereits erwartet. Er brauchte ein paar Minuten, bis er den Auslöser fand, und noch eine Minute, bis er realisierte: ja, die Tunika wurde einfach nach oben und über Tims Kopf ausgezogen – allein das war bereits ein sehr kniffliges Manöver.
Kon hatte seit seiner Rückkehr Tim nicht oben ohne gesehen. Er war inzwischen um einiges muskulöser als früher, auch wenn er niemals so breitschultrig wie Kon oder selbst Dick werden würde. Die erwachsene Muskulatur wirkte… seltsam… an Tims vertrauter Gestalt. Er hatte kein Gramm zu viel – Kon konnte jede einzelne Vene, jeden Muskelstrang unter seiner Haut ausmachen. Die Kombination aus all dem und fehlender Wattierung ließ Kon unangenehm schlucken. Tims Körper hatte inzwischen etwas… Schonungsloses an sich… etwas Ungesundes, trotz der offensichtlich erhöhten Stärke und dem Wissen, wie hart er dafür gearbeitet haben musste. Kon entdeckte auch frische Prellungen und einige Nadelstiche über seinen Bizeps. Aus dem Winkel schloss Kon, dass Tim sie wohl selbst gesetzt hatte. Ging er denn gar nicht mehr nach Hause? Nicht einmal, um medizinische Hilfe zu bekommen?
Kon überlegte, Tim in seinen Hosen zu lassen, aber auch wenn sie sehr eng wirkten, waren sie fast genauso schwer bewaffnet wie die Tunika. Und Tim wäre ihm wahrscheinlich dankbar dafür, wenn er ihn nicht in seinem Cup schlafen ließ. Bei den Hosen gestaltete es sich als komplizierter, den Stoff von Tims Haut zu entfernen – immerhin hatte er weniger Platz – aber schlussendlich gelang es ihm, sie nach unten und schließlich ganz auszuziehen. Eine Knieschiene wurde sichtbar, die Tim mit keinem Wort erwähnt hatte. Kon konzentrierte sich auf die Schiene, dann die Haut und schließlich auf das, was darunter lag, konnte aber nicht sagen, was damit nicht in Ordnung war. Keine gebrochenen Knochen oder ähnliches… Vielleicht sollte er Mister Dalton mal nach ein paar guten Büchern über menschliche Anatomie fragen.
Als Kon aufblickte, sah er Martha gegen den Türrahmen lehnen und ihn beobachten. Er schenkte ihr ein reumütiges Lächeln und ließ Tim sanft auf die Matratze sinken. Tim regte sich, wachte aber nicht auf. Kon schüttelte seine Bettdecke aus und legte sie sanft über seinen schlafenden Freund. Dann scheuchte er Martha aus dem Zimmer und folgte ihr hinaus auf den Gang, wobei er vorsichtig die Tür hinter sich schloss.
„Der Junge passt nicht auf sich auf“, meinte Martha leise.
A/N: Diese Story ist zu Bild Nummer 19 (einem Retro-Radio auf dem Fensterbrett in einer Küche) der Summertime Snapshots Challenge entstanden.
Es ist das erste Mal, dass ich mich an James‘ Eltern Euphemia und Fleamont heran traue, aber sie haben ehrlich gesagt unglaublich Spaß gemacht zu schreiben. Insbesondere Euphemia, bei deren Charakterisierung ich mich etwas an dem orientiert habe, wie mein liebster Teil des Jily-Fandoms sie sieht. Außerdem finde ich die in einem Teil des Fandoms vorherrschende Charakterisierung der Potters als indischstämmig einfach unglaublich sympathisch und positiv, weshalb meine Potters das ebenfalls sind. Algernon ist wie immer ausgeliehen von der fantastischen cgner@ao3.
Ein ganz großes Dankeschön für die Beta dieser kleinen Story geht an Aerlinn! <3
ich weiß, du wirst ungern vor deinem ersten Kaffee gestört, deshalb hoffe ich inständig, dass du diesen bereits zu dir genommen hast. Sollte dem nicht so sein, möchte ich dich hiermit in aller Form bitten, diesen Brief noch einmal beiseite zu legen und zu warten, bis du das Gebräu der Könige (wie dein verehrter Sohn Sirius, der übrigens Grüße ausrichten lässt, es nennt) in ausreichender Menge zu dir genommen hast.
Ich hoffe, dieser Brief findet dich und Dad gesund und munter vor. Nein, ich habe nichts angestellt. Okay, vielleicht doch, aber ich bekomme dafür keinen Ärger und kann Schulsprecher bleiben. Peter ist wohlauf und Madam Pomfrey kümmert sich gut um ihn. Macht euch also bitte keine Sorgen.
Weshalb ich aber eigentlich schreibe an diesem stürmischen Herbsttag ist, dass ich deine Hilfe benötige. Bitte versprich mir, dass du diesen Brief im Kaminfeuer verbrennst, sobald du ihn gelesen hast, und dass weder du noch Dad jemals ein Wort darüber verlieren, insbesondere nicht gegenüber einer gewissen rothaarigen Halbgöttin. Oder Sirius. Oder Remus. Oder irgendjemand anderem. Und bitte seht unbedingt davon ab, persönlich zu kommen!
Mein Anliegen ist das folgende: In der kommenden Woche findet hier in Hogwarts ein Schulball statt. Nun ist es dir wahrscheinlich noch nicht zu Ohren gekommen, aber es gibt da eine Person, die ich gerne fragen würde, ob sie mit mir zusammen dorthin möchte. Die Lage ist jedoch kompliziert, denn diese Person hat mich bis vor kurzem noch keines Blicks gewürdigt und auch wenn wir inzwischen über das Schulische hinaus sogar miteinander reden, ist mir noch kein guter Weg eingefallen, das Thema ihr gegenüber anzusprechen.
Was soll ich also am besten tun, damit sie auch sicher ja sagt?
Was meinst du, würde es dir anstelle der Person gefallen, wenn du ein Ständchen vom Sprechenden Hut vor der gesamten Schule bekämest? Das wäre jetzt mein bester Plan.
Mit der verzweifelten Bitte um deinen weiblichen Rat erwarte ich sehnsüchtig deine Antwort.
Dein von dir über alles geliebter Sohn,
James Potter
P.S.: Diese Person ist nicht Lilly Evans!
P.P.S.: Auch Remus und Peter lassen beste Grüße ausrichten und dass sie sich schon auf Weihnachten freuen.
P.P.P.S.: Es ist wirklich nicht Lilly Evans!
Beinahe hätte Euphemia die große dunkelbraune Eule, die an ihr Fenster klopfte, nicht gehört. Zu ihrem Glück war sie beharrlich, so dass sie schließlich doch gegen die Geräuschkulisse um sie herum ankam. Es regnete nämlich draußen wie in Strömen und der Regen prasselte nur so gegen alle Flächen des großen Herrenhauses. Es war ein wunderbares Geräusch, wenn man dazu einschlafen wollte – aber Euphemia wollte gerade genau das Gegenteil: Aufwachen.
Sie und ihr Ehemann Fleamont saßen in diesem Moment beim Frühstück in der kleinen Küchennische, die sie immer nutzten, wenn es nur sie beide im Haus waren. Wenn die beiden Jungs in Hogwarts waren und sie auch keinerlei Gäste empfingen. Sie hatten gerade jeder eine große Tasse schwarzen Kaffee sowie einen Tellervoll warmer Idli und Chutneys dazu in die Mitte des Tischs gestellt bekommen.
Die Tasse noch in einer Hand, öffnete Euphemia rasch das Fenster und ließ den Vogel herein ins Warme und Trockene des Hauses. Sie strich der nassen Eule beschwichtigend am Kinn entlang und lächelte, als sie das inzwischen etwas fleckige Pergament entdeckte, das an einem Bein befestigt war.
„Monty, es ist Post von James“, verkündete sie und nahm einen großen Schluck Kaffee. Die Eule tropfte auf die Fensterbank; vielleicht sollte sie um ein Handtuch bitten. Aber das Tier sah sowieso schon ein wenig gerupft aus und sie hatte ein wenig Bedenken, mit einem Vogel genauso zu verfahren wie mit ihrem Kater, wenn er matschig und voller Laub im Fell herein kam.
Zusammenhanglos ging ihr durch den Kopf, dass sie James vielleicht doch noch eine eigene Eule schenken sollten, dann hätte sie dieses Problem jetzt sicherlich nicht. Allerdings war ihr Sohn inzwischen in seinem letzten Schuljahr; wozu bräuchte er jetzt für diese kurze Zeit noch eine Eule? Vielleicht hätte sie ihren beiden Jungs eröffnen sollen, dass sie von den Kommunikationsspiegeln wusste – und einen einfach behalten sollen, um ihren Sohn auch erreichen zu können.
Aber das würde das Problem auch nicht wirklich lösen. Also vielleicht eine Familien-Eule, die James in der Zeit in Hogwarts ausleihen könnte? Wahrscheinlich würde Algernon am Ende ja sowieso nur eingeschnappt reagieren, weil ER eben nicht fliegen konnte. Der Kater ihres Sohnes war James manchmal furchteinflößend ähnlich geworden…
Fleamont riss sie aus ihren Gedanken: „Was schreibt er denn? Sicher nichts Gutes, wenn er so kurz nach Schulbeginn schon eine Eule schickt.“ Er ließ kurz ab von den Knöpfen des Radiogeräts, an denen er gerade noch herumgedreht hatte, und sah sich zu der großen Hauselfe um, die bereits mit einem Handtuch in den Händen zu ihnen herüber kam.
Euphemia stellte die Kaffeetasse ab und befreite die Eule mit einem leisen Schnalzen ihrer Zunge von dem durchnässten Brief. Während sie las, entkam ihr mehrmals ein Seufzen über die Melodramatik, die ihr Sohn manchmal an den Tag legen konnte – von wem er das nur hatte? Vermutlich von ihr, auch wenn es ihr deutlich besser stand. Wenigstens hatte er dazu auch Fleamonts verwegene Gesichtszüge geerbt. Als sie las, dass James‘ beste Idee bis jetzt war, den Sprechenden Hut zu verzaubern, verdrehte sie die Augen und schnalzte erneut mit der Zunge, diesmal missbilligend.
„Dein Sohn ist seit Jahren in Lily Evans verliebt und schafft es nicht einmal, sie vernünftig um einen Tanz zu bitten“, fasste sie das Geschriebene für ihren Mann zusammen, „Also von mir kann er das nicht haben. Erst recht, weil er denkt, ich würde auf seinen Trick mit dem dritten L in Lilys Namen hereinfallen.“ So oft wie James schon von Lily geschwärmt hatte, fiel es auch schwer, etwas anderes zu glauben.
„Er ist eben noch jung, aber wir haben ihn glaube ich ganz gut hinbekommen. Immerhin hat er inzwischen genug Anstand, zuerst nachzudenken“, gab Fleamont mit einem Schmunzeln zurück, drückte Euphemia einen zärtlichen Kuss auf die Wange und griff sich ein paar der Idli, um sie mit scharfem Chutney zu bestreichen.
Euphemia nahm mit einem dankbaren Lächeln das Handtuch entgegen und wickelte die hogwarts’sche Schuleule kurzerhand darin ein. Dann wanderte ebenfalls etwas von dem Frühstück auf ihren Teller; sie schnitt ein Stück davon ab und hielt es dem Tier entgegen. Die Strecke von Schottland bis zu ihnen war nicht kurz und die Eule musste einen Teil der Nacht hindurch geflogen sein, um jetzt hier zu sein. Sie hatte sicherlich großen Hunger – was sich bestätigte, als der Schnabel nach dem Essen schnappte. Erneut schnitt Euphemia ein Stück ab, erneut fütterte sie damit die Eule, während sie selbst erst einmal beim Kaffee blieb. Kaffee half ihr beim Denken.
Fleamont derweil hatte sich wieder dem Radio zugewendet, biss hier und da gedankenversunken von seinem Frühstück ab. Das Rauschen aus dem Radio veränderte immer wieder seine Farbe, je weiter er an den Knöpfen drehte. Euphemia wusste nicht, wonach er genau suchte, war sich aber sicher, dass sie es beide in dem Moment wüssten, in dem er es gefunden hätte. „Und was machen wir jetzt mit James?“
Erneut nahm Euphemia einen großen, nachdenklichen Schluck und ließ sich nochmal nachschenken, bevor sie antwortete. „Ich hätte ja gute Lust, einen Ausflug nach Schottland zu unternehmen und ihm Bescheid zu stoßen. Es kann doch nicht angehen, dass er nichts Besseres weiß, als einen stinkenden alten Hut mit eigenwilligem Reimschema zu verzaubern, um seine Arbeit zu erledigen und das Herz einer jungen Frau zu erobern. Das kann doch nicht gut gehen!“
„Er hat dir doch sicher geschrieben, dass du nicht selber kommen sollst“, gab Fleamont zurück ohne aufzusehen, ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen.
„Ja, hat er. Weil Eltern für halbstarke Jungs schließlich immer nur peinlich sind, egal wie gut sie es meinen.“ Erneut schnalzte sie unverständig mit der Zunge und fütterte lieber der Eule noch etwas von ihrem Frühstück. „Eigentlich sollte er inzwischen ja alt genug sein, um alleine zu wissen, wie man mit Mädchen redet.“
Fleamont sah zu Euphemia auf und sein Lächeln wurde breiter, wenn auch gleichzeitig sanfter. „Als würde es dir nicht gefallen, dass er dich um Rat fragt. Außerdem kann er denke ich ganz gut mit Mädchen reden, nur eben diesem einen Mädchen nicht.“
„In Ordnung“, gab Euphemia mit einem leisen Seufzen zu und verdrehte leicht die Augen, „Natürlich finde ich es schön, dass er seine alte Mutter nicht ganz vergessen hat. Trotzdem… Wieso braucht er denn so ewig, meine zukünftige Schwiegertochter auch nur anzusprechen, hm?“
„Erinnerst du dich noch, was Sirius erzählt hat? James war so lange untendurch bei ihr, dass es überhaupt ein Wunder ist, wenn sie ein Wort mit ihm wechselt. Sein Glück, dass sie jetzt zusammen Schulsprecher sind und reden müssen.“
„Eben. Er hätte schon längst vor ihr zu Kreuze kriechen sollen. Das hätte eine so brillante junge Hexe wie Lily Evans allemal verdient.“
„Mia“, seufzte Fleamont gutmütig, als aus dem Radio eine leise Melodie ertönte, die seinen besorgten Gesichtsausdruck zu einem begeisterten kleinen Lächeln dahinschmelzen ließ. Vorsichtig, als könnte er sie damit verscheuchen, drehte er lauter.
Wahrscheinlich war es nicht das gewesen, was er gesucht hatte – aber es war noch besser! Natürlich erkannte Euphemia die Melodie sofort. Im Takt der Musik wiegend, stellte sie ihre Kaffeetasse ab und stand vom Küchentisch auf. „Das hast du doch mit Absicht gemacht, du alter Charmeur“, zwinkerte sie ihrem Mann schmunzelnd zu.
Auch Fleamont ließ von dem Radio ab und stand auf. Breit lächelnd schüttelte er den Kopf, bevor er eine Verbeugung andeutete und Euphemia auffordernd seine Hand entgegen hielt.
Sie ergriff sie und schmiegte sich in die Arme ihres Mannes, legte ihm die Hände auf die Schultern und ließ die Musik durch sich hindurch fließen. Es war eine wunderbar kitschige Swing-Nummer, die sie beide schon seit ihrem ersten gemeinsamen Tanz begleitete.
„Wie lange ist das jetzt her, dass wir das erste Mal getanzt haben?“, murmelte sie versonnen vor sich hin, die Unfähigkeit ihres Sohnes für den Augenblick vergessen, „Viel zu lange und trotzdem weiß ich es noch, als wäre es gestern gewesen.“
Sie konnte Fleamont gegen ihre Wange nicken spüren. „Ich weiß noch, wie sie die Musik lauter gedreht haben, um zu übertönen, dass draußen etwas passiert. Zum Glück sind alle Lehrer unversehrt wiedergekommen. Und ich weiß noch, wie du mich angesehen hast, als du mich zum Tanzen aufgefordert hast.“
„Ach ja?“, lächelte sie und schenkte ihrem Mann genau denselben kokett-entschlossenen Augenaufschlag, den er damals von ihr bekommen hatte. Woraufhin Fleamont sie aus- und wieder in seine Umarmung eindrehte. Euphemia lachte glücklich: „Ich wusste eben damals schon sehr genau, was ich wollte.“
„Ich weiß noch, die anderen Jungs haben dich alle für wahnsinnig erklärt, als du nicht mit Garrigan Ollivander zu diesem Ball wolltest und stattdessen lieber alleine dorthin bist.“
„Du bist auch alleine hin. Das war alles, was ich als Anreiz gebraucht habe. Und sieh uns an, mein Plan ist perfekt aufgegangen.“ Sie berührte mit ihren Lippen federleicht die weiche Haut an seiner Ohrmuschel.
Die schmachtende Stimme des Sängers schwoll mit dem Orchester an und der Regen gegen die Scheiben begleitete auf zauberhafte Weise das Schlagzeug. Ihre Hauselfe hatte in ihrer Arbeit ebenfalls innegehalten, drehte kleine Pirouetten und bewegte sich zur Musik. Selbst die Eule am Fenstersims hatte inzwischen ihr Handtuch abgeschüttelt und wiegte sich im Takt mit.
Ein gutturales „Hmmm“ war aus Fleamonts Kehle zu vernehmen und für einen Moment schloss er die Augen, bevor er Euphemia ohne Vorwarnung dippte.
Sie ließ sich weit nach hinten fallen, streckte ihren Rücken tief, sicher, dass ihr Mann sie festhielt. Sie lachte, glücklich über diese Erinnerung und über diesen spontanen Tanz. Darüber, wie verständnislos James und Sirius sie angesehen hätten, wären sie jetzt hier gewesen. Und darüber, dass sie Lily Evans ja vielleicht doch noch bald kennenlernen dürfte, nachdem sie all die Geschichten kannte.
„Willst du James also raten, allein zu diesem Ball zu gehen?“ fragte Fleamont, als er sie wieder zu sich nach oben gezogen hatte und sie erneut zur Musik einen langsamen Kreis beschrieben.
Euphemia schüttelte den Kopf. „Merlin bewahre! Lily Evans ist sicher ein sehr beliebtes Mädchen und wird so auch sicher mit einem charmanten Begleiter kommen. Nicht so charmant wie unser Sohn, aber das kann sie natürlich nicht wissen, wenn er sich in ihrer Gegenwart immer wie ein brunftiger Erumpent aufführt.“ Sie zwinkerte ihm zu, dann sah sie einen langen Moment zur Eule auf dem Fensterbrett, die Augen leicht zusammen gekniffen.
„Mia, ich kenne diesen Blick“, lachte Fleamont in gespielt vorwurfsvollem Ton, „Solltest du trotz direkter Bitte unseres Sohnes, es nicht zu tun, nach Hogwarts apparieren wollen, werde ich dich hier und jetzt auf diesem Stuhl da festbinden.“
Ein wenig sackten ihre Schultern, wenn auch eher aus Prinzip denn aus wirklicher Enttäuschung. Sie respektierte die Wünsche ihres Sohnes, immerhin war sie insgeheim überzeugt, zusammen mit ihrem Fleamont einen verantwortungsvollen und eigenständigen jungen Mann aufgezogen zu haben. „Keine Sorge, Monty. Ich werde nur einen Brief zurückschreiben und dann auf das Beste hoffen.“
Der Song ging fließend in einen anderen über, eine beschwingte Beatles-Nummer, zu der sie sich versuchte vorzustellen, wie James endlich Lily zum Tanz aufforderte. Langsam löste Euphemia sich von Fleamont, ließ es sich aber nicht nehmen, ihn lang und innig zu küssen.
Dann wandte sie sich wieder ihrer Kaffeetasse und ihrem Frühstück zu, während Fleamont das Radio leiser drehte…
Zitat:Liebster Sohn,
über das, was auch immer du deinem guten Freund Peter angetan hast, sprechen wir nochmal. Jemanden zu Madam Pomfrey zu schicken, geht über jeden Spaß hinaus – auch wenn ich trotzdem hoffe, dass was auch immer es war mit dem notwendigen Flair ausgeführt wurde.
Nun zu Lily Evans (und ja, ich weiß, es geht um Lily Evans – glaubst du wirklich, ich lasse mich von einem zusätzlichen L täuschen?): Vergiss den Sprechenden Hut! Und am besten hast du nie auch nur an so etwas wie Amortentia oder ähnliche dumme Helferlein gedacht! Oder ich verspreche dir, dass du dafür eher früher als später, aber spätestens bei der Abschlussfeier die Rache einer Mutter erleben wirst!!! Jedenfalls bin ich mit deinem Vater zusammen mehrere Pläne durchgegangen und wir sind gemeinsam zu dem Schluss gekommen, dass diesmal Ehrlichkeit weiter kommt als irgendeiner deiner großen Pläne. Immerhin rennt dir auch die Zeit davon. Also vielleicht solltest du dich am besten einfach fragen: Was würde Amitabh Bachchan tun? Was würde Rishi Kapoor tun?
Lily Evans hat deine verdammt nochmal beste Seite verdient, keine halbgaren Reimkatastrophen von alten Hüten, die bereits tausende von Schülern auf dem Kopf hatten. Und nur weil sicherlich auch einige von ihnen Sleekeazy benutzt haben, heißt das nicht, dass sie alle frisch gewaschene Haare hatten. Aber ich schweife ab.
Du wirst das alleine machen müssen und ich weiß, du schaffst das auch. Immerhin bist du unser Sohn und wir haben dich unter anderem zu einem Ehrenmann erzogen. Wenn es sein muss, geh vor Lily Evans auf die Knie und bettle, auch wenn dein Vater meint, das wäre jetzt vielleicht eher abschreckend. Aber als allererstes solltest du sie trotzdem um Verzeihung bitten.
Natürlich wäre mir auch lieber, wenn du sie mit einem großen Strauß Rosen und einem Liebeslied umgarnst, aber ich weiß nunmal leider, dass mein Sohn vieles ist, aber eben kein Sänger.
Bestelle Sirius bitte, dass er an sein Versprechen denken soll, dieses Jahr nicht beinahe von der Schule zu fliegen, sondern seinen Abschluss mit Bravour zu meistern, wie ich weiß, dass er es kann.
Bestelle Remus bitte, dass er genug essen soll. Zur Sicherheit schicke ich gleich heute noch mit einer Posteule ein Päckchen mit richtigem Essen und natürlich Schokolade los.
Bestelle Peter bitte eine gute Besserung und dass er besser auf sich aufpassen soll, wenn er mit euch Jungs unterwegs ist. Oh, und er soll seiner Mutter für das fantastische Kuchenrezept danken.
Dein Vater lässt ebenfalls Grüße bestellen und dass es nicht das Ende der Welt ist, wenn sie nein sagt. Was natürlich gelogen ist, aber du weißt ja, wie er es meint.
Deine dich liebende Mutter
P.S.: Das nächste Mal schreibe bitte nicht so schwülstig, das steht dir nicht zu Gesicht. Ich bin sicher, Lily Evans wird es auch mögen, wenn du zum Punkt kommst.
P.P.S.: Natürlich sind vier Pakete für euch unterwegs, sollte das nicht aus meinem vorangegangenen Brief zu entnehmen sein. Gib gerne Lily Evans etwas ab.
P.P.P.S.: Sollten Lily und du neue Kleidung für den Ball brauchen, habe ich den Schneider in Hogsmeade bereits verständigt. Ihr müsstet nur noch bei ihm den Stoff auswählen.
Als James an diesem Abend vom Quidditch-Training kam, taten ihm sämtliche Glieder weh. Er wusste, er war mit den Gedanken ganz woanders gewesen. Bei Lily. Bei dem Brief an seine Mum. Bei Lily. Bei dem Schulball. Aber das war doch noch längst kein Grund für Sirius, ihm einen Klatscher nach dem anderen entgegen zu schleudern!
Mit einem Seufzen ließ er sich Gesicht voraus auf die Couch des Gemeinschaftsraums fallen. Das Maunzen von Algernon, der es sich im nächsten Moment ausgerechnet auf seinem Rücken bequem machte, erwiderte er mit einem missmutigen kleinen Grummeln. Nur einen Moment einfach so liegenbleiben...
„Oh hey, James“, riss ihn Remus‘ Stimme aus seinen Gedanken, „Deine Eule von gestern ist zurück.“
Auf einen Schlag war James hellwach und wieder aufrecht, worüber Algernon sich fauchend echauffierte. „Hat sie einen Brief dabei?“
Remus klang misstrauisch: „Wem hast du denn eigentlich geschrieben? Was war so wichtig, dass du bis spät nachts noch geschrieben hast?“
„Nichts“, versicherte James hastig und war bereits selbst schon am Fenster, um dem Vogel den Brief von seiner Mum abzunehmen.
Sein Gesicht verdüsterte sich beim Lesen, wurde nachdenklich. Wo bekäme er denn auf die Schnelle einen Turban her? Oder ein Motorrad, mit dem er Evans beeindrucken könnte? Stand sie überhaupt auf Motorräder? Und wie schwierig wäre es, ein Motorrad in den großen Saal von Hogwarts zu fahren?
„Hey, Potter?“
James sah auf und fand sich Lily Evans‘ tief smaragdgrünen Augen gegenüber wieder. Hastig knüllte er den Brief zusammen und versuchte Remus‘ Aufmerksamkeit zu erlangen, so dass er ihn vielleicht im Feuer vernichten könnte, um keine Spuren zu hinterlassen. Er setzte an, etwas zu erwidern, aber ein ‚Ich war’s nicht‘ wäre zu sehr Schuldeingeständnis und ansonsten war sein Kopf mit einem Mal beängstigend leer.
„Hab ich dich etwa unterbrochen?“ fragte sie und ihr Blick ging fragend zu dem Pergament in seiner Hand.
„NEIN! Nein, nein, alles… Was… Was kann ich für dich tun, Evans?“, fand er seine Stimme wieder und gab es auf, Remus mit den Augen irgendetwas signalisieren zu wollen.
„Oh, sehr gut. Ich wollte dich nämlich fragen, ob wir nicht gemeinsam zum Schulball nächste Woche gehen wollen?“ Sie lächelte leicht, auch wenn sie seinem Blick nicht begegnete in diesem Moment. War das ein Witz? Ein Scherz, damit er…? Nein. Er wusste, Lily war verdammt clever, was er sehr an ihr liebte, aber sie wäre nicht so fies, bestimmt nicht. Hatte Remus vielleicht…? Und hatte er überhaupt richtig gehört? Lily war hier, stand direkt vor ihm, auch nachdem er ein paarmal geblinzelt hatte. Und sie wirkte… ungeduldig?
„Ähm. Jetzt wo du es sagst… Klar. Sehr gern. Auf jeden Fall. Bin dabei“, versicherte er hastig, so dass sie das, was er da zu hören gemeint hatte, gar nicht mehr zurücknehmen könnte.
„Gut“, lächelte sie breit, „Kommst du mit mir die Aufsichtsrunde machen?“
„Sekunde!“ James sprintete hinüber zum Kamin, warf den Brief hinein und zündete ihn mit einem gut platzierten Feuerzauber lichterloh an. Dann sprintete er wieder zurück zu Lily und hakte sie kurzerhand bei sich unter. „Scheiß auf Rishi Kapoor!“
Fandom: DC Comics Rating: R Wortanzahl: 69,000 Pairings: Kon/Tim, Kon/Cassie, Kon/OMC
Zusammenfassung: Eine mysteriöser Mord an der Smallville High bringt Kon dazu, ein besserer Detektiv zu werden – und ein besserer Undercover-Agent. Vielleicht sollte er sich etwas Hilfe holen. Zum Glück ist sein bester Freund in beidem ein Experte.
Kontinuität: Diese Story wurde zwischen dem Erscheinen von Red Robin #1 und Adventure Comics #1 erdacht und angefangen. Hier und da hat auch späterer Canon Eingang in die Story gefunden, aber das meiste wurde nicht berücksichtigt. Seht diese Story als AU ab diesem Punkt in der Zeitleiste.
Warnung: Diese Story enthält homophobe Schimpfwörter und einiges an generellem Fluchen, erwähnt wird auch Kindesmisshandlung und allgemein geht es um Hassverbrechen und den Tod eines Teenagers (OC).
Distclaimer und Danksagung der Übersetzerin: Die Fanart in dieser Story stammt von der wunderbaren und fantastischen sammage_art. Wer diese Story im englischen Original lesen kann, sollte das auf jeden Fall tun (zu finden HIER), genauso wie die Podfiction HIER dazu anhören, die ganz unglaublich wundertollig von bessyboo vertont wurde. Diese Story hat einen ganz besonderen Platz in meinem Fangirl-Herz, ist sie doch auch diejenige Story, zu der ich immer und immer wieder zurückkehre, mich neu in TimKon verliebe, mit leide, heule, juble,… Aller Dank gebührt iesika für diese Story.
1
Dienstag
„Chromosomenzahl“, referierte Mister Dalton, „ist eine der Hauptbestimmungsarten zur sexuellen Separation in nah miteinander verwandten Arten.“
Kon richtete sich ein wenig auf, als er das Wort ‚sexuell‘ hörte – dann aber kam auch der Rest des Satzes in seinem Gehirn an und er kritzelte erneut gelangweilt in sein Heft. Dalton war echt nett und er gab sich auch echt Mühe, aber… Kon tat der Typ sogar ein bisschen leid, weil er sich so ganz offensichtlich für sein Fach begeistern konnte und niemand an der ganzen verdammten Smallville High würde jemals irgendwas von seinem Stoff brauchen können. Thomas Baumhauer zum Beispiel, der hagere, pickelgesichtige Junge, der neben Kon saß, verdrehte mehrmals die Augen, während Dalton ihnen von Pferdehufen erzählte, als müsste sie das alles brennend interessieren.
Kon liebte Smallville. Tat er wirklich. Er liebte Ma Kent und die Farm und dass der Besitzer des Lebensmittelladens, in dem sie einkauften, selbst noch hinter der Kasse stand. Er liebte, dass es im Umkreis von 60 Meilen keinen einzigen W-Mart gab. Er liebte, dass sie mit einer Ladung Pfirsiche losfahren und einer Wagenladung voll Melonen zurückkommen konnten, ohne dass auch nur einmal mit Geld bezahlt wurde. Er hatte eine Weile gebraucht, aber Kon hatte das Dorfleben lieben gelernt, so wie Clark es sich für ihn erhofft hatte.
Aber die Smallville High hasste er immer noch.
„Ein Pferd zum Beispiel hat 64 Chromosomen“, fuhr Dalton fort. „Ein Esel hat 62. Alle Equidae sind körperlich kompatibel und können auch gekreuzt werden. Das wohl geläufigste Beispiel ist das Maultier, das das Kind einer Stute und eines männlichen Esels ist. Maultiere sind stark, intelligent, robust und langlebig – ein Phänomen, das oft als Heterosiseffekt bezeichnet wird.“
Kon hörte auf zu kritzeln und fing an aufzupassen.
„Ein Hybrid kann Eigenschaften von beiden Eltern besitzen, oder die gemischten Gene produzieren komplett neue Eigenschaften. Oft treten Charakteristika der Vorfahren wieder in Erscheinung, die bei den Eltern nicht mehr sichtbar waren – zum Beispiel Streifen bei Pferden. Aber egal wie fit diese Nachkommen sind: Hybride können keine lebensfähigen Gameten produzieren. Aufgrund der unterschiedlichen Chromosomenzahl der Eltern sind Hybride unfruchtbar.“
Kon gab sich größte Mühe, keine sichtbare Reaktion darauf zu haben. Stattdessen zog er sein Handy aus der Tasche und tippte unter seinem Pult eine Nachricht.
„Es gibt ein paar seltene Ausnahmen in weiblichen Hybriden, die aber wahrscheinlich auf Fehlsegregation in der Produktion von Geschlechtszellen zurückzuführen sind. Mister Kent, weg mit dem Handy.“
Baumhauer griente. Was für ein Idiot. Kon zeigte ihm den Mittelfinger, als Dalton sich zur Tafel umdrehte. Hinter ihnen kicherte jemand.
Japp. Kon hasste die Smallvill High.
*
„Ich hab da einen Freund“, fing Kon zu Mister Dalton nach dem Unterricht an, hielt dann aber inne. Er hatte da einen Freund, der was? Der ein Alien-Mensch-Hybrid war? Das wäre ja mal so gar nicht verdächtig. „Ähm“, versuchte Kon es erneut. „Was ist eigentlich mit Aliens?“
Dalton hielt im Sortieren seiner Unterlagen inne und sah Kon durchdringend an. „Wie, äh…“ Die Antwort traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Ein verdammt hübscher Schlag ins Gesicht. „Wie Kory Anders“, grinste er. „Meinen Sie, sie könnte mit einem Menschen Kinder zeugen?“
Dalton lachte. „Ich weiß leider nicht genug über tamaranische Physiologie, um überhaupt sagen zu können, ob sie mit einem Menschenmann kompatibel wäre.“
„Nehmen wir mal an, dass sie es ist“, versuchte Kon es. „Sie war schon mit Menschenmänner zusammen, richtig? Was meinen Sie?“
„Ich meine“, lächelte Dalton, „dass Miss Anders sich bisher nie den nötigen wissenschaftlichen Untersuchungen unterzogen hat, um so eine Frage zu beantworten. Keiner unserer Alien-Besucher hat das – oder, naja, möglicherweise halten auch die Leute, die auf solche Daten Zugriff hätten, sie unter Verschluss. Was eine echte Schande ist, weil nur ein paar Proben uns wahrscheinlich mit ziemlicher Sicherheit sagen könnten, ob das Leben auf der Erde hier oder anderswo im Universum entstanden ist.“
„Hm“, machte Kon. Das war ein ziemlich großes Ob. Wenn nicht ein existenzielles Ob. Die Leute bei Cadmus hätten die Antwort wahrscheinlich auch gewusst. Doc Mid-Nite. Vielleicht Batman. Vielleicht Tim.
“Das ist eine gute Frage, Conner”, bestätigte Dalton und sah so verdammt glücklich aus, dass Kon gar nicht anders konnte als ebenfalls zu lächeln. „Ich wünschte nur, ich würde die Antwort wissen.“
*
Nach dem Unterricht schickte Kon seine SMS ab.
Heut hybride in bio bin ich unfruchtbar
Die Antwort kam erst nach dem Mittagessen – ziemlich ungenießbaren Sloppy Joes, weshalb Kon lediglich Chips aß. Er hatte sowieso nur noch eine Stunde; das Gute an der Abschlussklasse.
Jedenfalls bist du definitiv nicht mit Menschenfrauen kompatibel; Clark ist das ebenso wenig.
Tim schrieb seine SMS immer so, in ganzen Sätzen und mit Satzzeichen. Kon wusste nicht so recht, wie er mit der Antwort umgehen sollte, also schrieb er zurück:
Oh ich bin sowas von kompatibel
Dann steckte er sein Handy wieder ein.
*
Das Interessanteste, das im Englischunterricht passierte, war ein geflüsterter Streit zwischen einem Typen und einem Mädchen in der hintersten Reihe. Anscheinend wollte er sie in seinem neuen Truck nach Hause fahren und sie wollte, dass sein Penis vertrocknete und abfiel. Viel interessanter als Faulkner.
Nach dem Unterricht steuerte Kon direkt auf sein Schließfach zu; er wollte einfach nur so viel wie möglich loswerden und dann losfliegen. Im Gang war es laut und wie immer voll, und die Wände waren tapeziert mit Plakaten für den Frühlingsball nächste Woche. Nachdem er sich seinen Weg zu seinem Schließfach gebahnt hatte, klemmte das Zahlenschloss wieder einmal. Kon sah sich kurz um und versetzte der Schließfachtür einen leichten Stoß, so dass sie auf ging und er seine Sachen hinein legen konnte. Heute würde er aber sein Biologie-Buch doch mitnehmen. Er überlegte sogar zur Abwechslung mal den Stoff nachzulesen.
Etwa drei Meter weiter schubste der glücklose Typ aus Englisch einen Jüngeren mit der Schulter, so dass dieser hinfiel. Bücher und Blätter flogen in alle Richtungen, aber der Blödmann ging einfach weiter.
Kon kniete sich hin und fing an, die verstreuten Blätter aufzusammeln. „Was für ein Arschloch“, seufzte er. Er hoffte wirklich, dass der Bastard ihn ebenfalls noch hören würde.
Der Junge grinste lediglich. „Danke“, meinte er, als Kon ihm einen Stapel Arbeitsblätter reichte. Seine blonden Haare waren aufgestellt, so wie Tim seine früher getragen hatte, und seine schmale rechteckige Brille war um einiges modischer als Conner Kents. Vermutlich war er einer der Zehntklässler.
„Keine Ahnung, ob das deine Laune hebt, aber er wurde gerade von einem Mädel in meinem Englischkurs mächtig abserviert“, sagte Kon. „Manchmal schlägt das Karma wohl im Voraus zu.“
Der Junge lachte.
„Ich bin Conner“, stellte Kon sich vor, weil hier sonst niemand jemals über seine lahmen Conner-Kent-Witze lachte.
„Matt“, erwiderte der Junge. Er krabbelte etwas auf Kon zu und streckte ihm seine Hand entgegen, die Kon auch ergriff. Ein paar der Leute, die um sie herum gehen mussten, sahen sie komisch an, aber Matt tat so, als würde er das gar nicht bemerken. Kon entschied, dass er Matt sympathisch fand.
Sie standen beide wieder auf und Kon machte sein Schließfach zu. „Man sieht sich“, meinte er noch. Matt nickte und ging.
Vielleicht konnte Conner ja doch Freundschaften schließen. Vielleicht würde er dem Arschloch morgen in Englisch ein Bein stellen. Vielleicht würde das Mädchen in der hintersten Reihe lachen. Vielleicht würde sie sogar mit ihm reden.
Vielleicht sollte Kon zusehen, dass er zurück zur Farm kam. Martha hatte heute Früh, als er gegangen war, Äpfel geschnitten und er war sich ziemlich sicher, dass das nur eins bedeuten konnte: Kuchen.
*
Es war Cobbler geworden, aber das war auch gut, erst recht mit dem leckeren Quark-Biskuit. Kon aß drei Portionen mit Eis und ein Schinkensandwich, wofür er von Martha einen vielsagenden Blick bekam. Die Milch war kalt und frisch und er trank einen guten Liter davon. Martha witzelte, dass sie eine zusätzliche Kuh bräuchte, bevor sie ihn nach draußen schickte. Er sollte das Loch im Zaun reparieren, das Krypto hineingerissen hatte, als er Hasen nachgejagt war.
Nachdem er noch das Unkraut am Truck-Stellplatz weg gebrannt hatte – ein Hitzeblick war da zehntausend Mal besser als jede Hacke – trug er Ma die Erbsen ins Haus, die sie den Vormittag über geerntet hatte. Dabei hatte er ihr gesagt, dass er das machen würde, wenn er nach Hause kam.
Er ließ drei der großen 75-Liter-Eimer auf der Veranda hinter dem Haus stehen und trug die restlichen ins Haus, so dass sie beim Schälen fernsehen könnten. Krypto folgte ihm nach drinnen und machte es sich für ein Nickerchen auf dem Rücken bequem, während Marthas Hausschuhe ihm hin und wieder den Bauch rieben.
„Weißt du eigentlich, dass Clark und Lois keine Kinder zeugen können?“ fragte er in einer Werbepause.
„Wir haben nie wirklich drüber geredet“, antwortete Martha, ohne von den Erbsen aufzusehen. Sie knickte das Ende jeder Schote um und zog an dem Faden wie an einem Reißverschluss, dann fuhr sie mit dem Finger hinein, um die Erbsen herauszulösen. Dabei zuzusehen war beruhigend. Kon für seinen Teil brauchte die Schoten nur zu berühren und sie öffneten sich. Martha war trotzdem schneller. „Ich hab es mir aber schon gedacht“, fügte sie einen Moment später hinzu.
„Tim sagt, ich kann auch keine zeugen.“
„Ich hatte mich schon gefragt“, gab Martha zurück. Sie hielt in ihrem Schälen inne und sah ihn ernst an. „Ich brauche dir nicht zu sagen, dass es andere Möglichkeiten gibt, eine Familie zu haben.“
Kon grinste. „Klar“, meinte er nur, verstummte aber wieder, als der Wetterbericht kam.
Nachdem sie jeweils einen Eimer voll Erbsen geschält hatten, stellte Kon die leeren Schalen vor die Hintertür und trug die prall mit frischen Erbsen gefüllten Ziplock-Beutel zum Gefrierschrank. Er schnappte sich zwei neue Eimer voll und nahm sie mit ins Wohnzimmer, wo ein Reporter gerade von einer Entführung bei Wichita berichtete, die sich in eine Verfolgungsjagd ausgewachsen hatte. Kon gab auf dem Weg Martha einen Kuss auf die Wange und ging, seine Superheldenpflicht zu tun.
*
Als die ganze Sache vorüber war, flog er die beiden kleinen Mädchen zurück zum Haus ihrer Mutter in Topeka. Keystone war nicht weit weg, also beschloss er, Bart noch einen kurzen Besuch abzustatten.
„Als ich gestorben bin, hab ich auf genau dieses Spiel gewartet, das rauskommen sollte“, erzählte Bart ihm. ‚Dieses Spiel‘ war Super Mecha Attack DX Gaiden und Bart wischte im PvP-Modus mit ihm regelrecht den Boden auf. Kon beschwerte sich lautstark darüber, dass das Spiel auf Japanisch war, aber wie viel Übersetzung benötigte ‚riesige Roboter und Mädels in kurzen Röcken‘ wirklich? „Nachdem wir aus der Zukunft zurück waren“, fuhr Bart fort, „hab ich’s mir vom Wühltisch für 15 Dollar geholt.“
„Ha“, machte Kon, „unerwarteter Bonus.“ Bart drängte ihn in eine Ecke und Kon gab jegliche Finesse auf, um einfach nur so schnell er konnte auf alle Knöpfe einzuhämmern. „Der Weltraum hat keine Ecken, Mann“, beschwerte er sich. „Ich war schon im Weltraum. Da gibt’s keine unsichtbaren Wände!“
„Stopp, warte“, rief Bart. „Versuch mal deine Specials. Halt Grün gedrückt und drück Lila.”
Kon versuchte es. Bart vermöbelte ihn trotzdem. „Oh, du Wichser“, grummelte er. Als Bart nur wie ein Superschurke zu lachen anfing, hielt Kon ihn auf der Couch fest und nahm ihn in den Schwitzkasten.
Kons Handy begann Enya zu spielen, was Bart ein Giggeln entlockte. Er schaffte es, das Handy aus der Tasche zu ziehen und anzunehmen, ohne Bart loszulassen, wenn auch nicht ganz ohne Anstrengung.
„Ja?“, meldete er sich. Er hielt sich mit seiner Telekinese das Handy ans Ohr und nutzte seine erneut freie Hand dazu, Bart ein Couchkissen überzuziehen.
„Bist du beschäftigt?“, fragte Tim.
„Nee, Mann. Bart und ich kämpfen nur gegen riesige Killerroboter.“
“Was für ein Zufall”, gab Tim zurück. Er klang ein wenig außer Atem. Irgendwo hinter ihm gab es eine gedämpfte Explosion, gefolgt von blechern klingenden entfernten Schreien.
„Ist das Tim?“, fragte Bart. Er wand sich und vibrierte, bis Kon ihn los ließ. „Was sagt er?“
„Alter“, stieß Kon aus, „Wo bist du denn?“
„Was ist denn los?“, wollte Bart wissen und hatte mit einem Mal das Handy in der Hand und Kon redete mit der Luft. „Was? Oh, wo denn?” Bart grinste ebenfalls, bevor er Kon am Handgelenk packte. Sie waren unterwegs.
*
Alles in allem war es ein guter Tag gewesen. In der Schule war es nicht allzu ätzend gewesen. Er hatte Zeit mit Bart und Tim verbracht und es hatte riesige Roboter gegeben, was sowieso immer spaßig war. Er würde es zum Abendessen nach Hause schaffen und seine ganzen Hausarbeiten waren alle schon erledigt. Nach dem Essen könnte er noch etwas fernsehen und die Leseaufgaben für Bio machen. Und dabei nachsehen, wie viele Programme etwas über ihren Kampf brachten.
Er schlüpfte durch sein Schlafzimmerfenster nach drinnen und duschte sich, um die ganze Hydraulikflüssigkeit loszuwerden. Martha Kent ließ ihm vieles durchgehen, aber er würde es nicht riskieren, das verdammte Zeug überall im Haus zu verteilen.
Als er nach unten kam, saß Martha am Tisch. Kon ging zu ihr und begrüßte sie mit einem Küsschen auf die Wange und einem Strauß Gänseblümchen, die er auf dem Weg von Baltimore zurück gepflückt hatte. Sie lächelte nicht. „Setz dich, Conner.“
Kon setzte sich und Furcht zog seinen Magen in die Tiefe wie flüssiges Blei. „Was ist passiert?“
Martha legte die Blumen ordentlich in die Mitte des Tischs, dann sah zu ihm auf, ihr Blick sanft aber müde. „Es ist heute jemand an deiner Schule getötet worden, Conner.“
*
Als Tim abhob, verlor Kon keine Zeit. „Ich brauch deine Hilfe.“
„Der Mord an deiner Schule. Mach deinen Computer an.“
„Woher weißt du--?“ Kon stutzte, bevor er sich erinnerte, mit wem er da eigentlich redete. Er schüttelte den Kopf und schaltete den Computer an. „Sein Name war Matt“, erklärte Kon. „Ich kenn ihn erst seit heute, aber er hat einen echt netten Eindruck gemacht.“
„Matthew David Stephens“, sagte Tim, „Keine Vorstrafen.“
Kon erwiderte düster: „Jemand hat ihn in der Umkleide zu Tode geprügelt. Er ist hier das Opfer, Tim.“
„Er wäre nicht weniger das Opfer, wenn er vorbestraft wäre“, gab Tim zurück, während Kons Computer endlich fertig hochgefahren war und ihm seinen Desktop anzeigte. „Aber es gäbe uns einen konkreten Ansatzpunkt.“
„Ich hab da einen Ansatzpunkt für dich. Jemand hat ihn heute auf dem Gang zu Boden geschubst.“
„Hm“, machte Tim überlegend.
„Ich weiß den Namen von dem Typen nicht. Pete vielleicht? Aber er ist mit mir in Englisch, ich könnte ihn also rausfinden. Ich glaub, er ist im Football-Team…“ Ein Gruppenfoto öffnete sich auf seinem Bildschirm. „Da“, meinte Kon, „oberste Reihe, der Dritte von links.“
„Peter Miller. Ich vermerke ihn als möglichen Täter. Aber eins nach dem anderen. Wir müssen erst mehr über Stephens herausfinden.“
Eine Pause entstand, in der Kon Tippen hören konnte. „Hey, ich hör ja gar keine Fledermäuse.“
Tims Ton war verflucht kühl. „Entgegen der landläufigen Meinung wohnt keiner von uns wirklich in der Höhle.“
„Okay und von wo aus hackst du meinen Computer?“
„Sundollars.“
Kon verdrehte die Augen und öffnete sich eine Dose Soder. „Tust du nicht“, gab er zurück und nahm einen Schluck.
„Oh?“ Er konnte das Lächeln in Tims Stimme hören.
„Solltest du wirklich plötzlich Red-Arbeit von öffentlichem WLAN in Cafés aus erledigen, würde ich die anderen Leute dort hören.“
„Ist nicht viel los. Nicht viele Kaffeetrinker. Posteingang.”
Das ‚Ping‘, das Kons Computer von sich gab, als die Dateien bei ihm ankamen, konnte das ‚Ping‘ eines elektronischen Timers bei Tim nicht ganz überdecken, auch wenn er sich Mühe gegeben hatte. Kon lehnte sich in seinem Stuhl zurück, bis dieser nur noch auf zwei Beinen stand und grinste breit. „Du bist in Drapers Drecksloch-Apartment.“
„Wie kommst du darauf?“ fragte Tim betont locker zurück und ja, er grinste definitiv auch.
„Weil Alfred dich diese ekelhaften Mikrowellen-Burritos nicht essen lässt.“
„Hm“, machte Tim und diesmal war es absolut ein Lachen.
Kon klickte sich durch die Dateien. Die meisten der Fotos sahen nach Jahrbuch-Fotos aus, aber es gab zwei mit Zeitungsartikeln: einer über die Pfadfinder, als Matt acht war, und einer, der noch gar nicht so lange her sein konnte. Auf dem Foto trug Matt eine Schürze und stapelte Dosen für die Smallville Food Bank.
„Hm“, machte Tim erneut.
„Bitte sag jetzt nicht, du bist enttäuscht, dass er sozial verantwortungsbewusst war.“
„Nein“, antwortete Tim. „Ich sehe mir gerade seine Familienunterlagen an. Seine Eltern haben sich vor zwei Jahren scheiden lassen. Rebecca Ann Stephens, geborene Martin, 38 Jahre alt. Patrick David Stephens, 42 Jahre alt. Matthew lebte bei seiner Mutter, alleiniges Sorgerecht. Es gibt eine einstweilige Verfügung gegen seinen Vater.“
Kon setzte sich wieder gerader auf und stellte sein Getränk ab. „Echt?“
„Seine aktuelle Adresse ist in Iowa. Ich kann nach Reiseunterlagen suchen.“
Kon fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Alter, ich hasse es, wenn‘s Familie ist. Die Scheiße ist so nicht richtig.“
„Nein“, stimmte Tim in sanftem Ton zu. „Es ist nicht richtig, aber statistisch leider wahr. Du wirst das hier nicht mögen, Kon.“
„Ich mag‘s jetzt schon nicht.“
„Nein, ich meine…“ Tim ließ den Satz unvollendet. Einen Augenblick später fuhr er fort: „Ich habe hier Krankenakten. Matthew wurde zwei Tage, bevor seine Mutter die Scheidung einreichte und die Verfügung erwirkt hat, ins Krankenhaus eingeliefert. Er ist geschlagen worden. Schwer geschlagen.“
Kon trank seine Soder aus und drückte die Dose zusammen, bis sie nur noch die Größe eines Tischtennisballs hatte. Dann legte er sie beiseite und machte sich auf die Suche nach seinem T-Shirt. „Wo wohnt er?“
„Wir sind noch nicht fertig.“
Kon ließ sich zu Boden fallen und tastete unter seinem Bett herum. Als er nichts fand, streckte er seine Telekinese aus, um weiter zu tasten. Er fand einen Stiefel, aber den anderen nicht. „Wo“, knurrte er, „wohnt er?“
Tim schwieg.
„Tim—“
„Wir gehen zusammen hin“, meinte er schließlich. „Morgen. Wir sind noch nicht fertig, Kon. Du wolltest meine Expertise. Du kriegst sie. Also setz dich hin.”
Kon setzte sich so schwungvoll, dass er seinen altersschwachen Bürostuhl einen ganzen Meter nach hinten verschob. Dann schlug er die Hände vors Gesicht.
„Ich weiß, du willst das nicht hören, aber ein Bauchgefühl und Indizien reichen nicht aus. Wenn er der Mörder ist, beweisen wir das. Wenn er es nicht ist und wir das erst zu spät herausfinden, wirst du dir auf ewig Vorwürfe machen. Glaub mir das.“
„Ich werd ihn doch nicht töten“, murmelte Kon.
„Ich habe die Fotos vom Tatort. Willst du sie?“
„Will ich sie?“, fragte Kon. „Weil wenn der Mörder nicht gerade seinen Namen mit Blut an die Wand geschrieben hat, werd ich damit nichts anfangen können. Du bist der Detektiv. Was detektivierst du?“
„Ich bin mir zu 60% sicher, dass der Mörder ein Meta oder anderes humanoides Wesen mit erhöhter Stärke ist.“
Kons Faust schlug wie ein Donnerschlag auf seinen Schreibtisch. „Nein“, knurrte er. „Verdammt nochmal, nein! Das hier ist Smallville. Hier sind keine fucking Superwahnsinnigen erlaubt! Und niemand – absolut niemand darf seine eigenen Kinder tot prügeln. Ich brech dem Bastard alle Knochen. Der kommt aus der verdammten Trage nie wieder raus, weil er nicht mehr fucking laufen können wird!“
„Kon“, sagte Tim.
Kon atmete tief durch. Er sammelte einen Holzsplitter aus seinem Bauchnabel.
„Wir gehen zusammen hin, morgen, wenn wir mehr Informationen haben. Ich sammle von hier aus so viel zusammen, wie ich nur kann, aber du wirst heute Nacht für mich ein paar Kameras installieren müssen. Ich leite dich Schritt für Schritt an.“
Kon seufzte und kippelte erneut mit seinem Stuhl nach hinten. Er legte seine Füße auf die Schreibtischplatte und kratzte sich am Bund seiner Hawkman-Boxershorts. „Du sitzt also in Gotham hinter einem Computer, während ich die ganze Drecksarbeit mache?“
„So in der Art.“
„Bekomm ich meine eigenen Netzstrumpfhosen?“
„Du hast ja schon ein Ohrloch“, meinte Tim, „das ist also der logische nächste Schritt.“
Kon musste gegen seinen Willen lachen. „Okay, wo soll ich einbrechen?“
„Lowell County Leichenschauhaus, Zimmer 3E.“
„…Weil du ein creepy Mofo bist. Okay. Soll ich zu dir fliegen und die Kameras holen?“
„Nicht nötig“, antwortete Tim und sein Ton ließ Kon sich auf das Schlimmste vorbereiten. „Du kannst die Kamera im Lüftungsschacht einen Meter links von dir wiederverwenden.“
What. The. Fuck!
Kons Stuhl krachte zu Boden, als er in die Höhe und aus dem Stuhl schnellte. „Sie hat nur noch eine knappe Woche Batterielaufzeit“, fuhr Tim aus dem am Boden liegenden Handy fort. Kon griff sich die Abdeckung des Lüftungsschachts und die Schraube, mit der sie befestigt war, drehte sich heraus. Tatsächlich befand sich dahinter eine kleine schwarze Kamera.
„Was zur Hölle, Alter!“, nuschelte er.
„Du wirst mindestens noch eine zweite brauchen“, informierte ihn Tims blecherne Stimme aus dem Handy. „Die Kamera im Schwalbennest über der Eingangstür sollte eine gute Wahl sein. Die ist sowieso redundant.“
Kon stürzte sich auf das Telefon und schrie einige Kraftausdrücke hinein. Dann warf er es gegen die Wand.
DC Comics | JayDick | Gewalt | Fluchen | ConCrit SEHR erwünscht
A/N: Ehrlich gesagt habe ich angefangen die Fanfic zu schreiben, weil ich leider keine tollen Dick/Babs Geschichten gefunden habe... Hat sich dann bisschen anders entwickelt.
Vielleicht ein paar mögliche Trigger: Es wird geflucht. Also wirklich: es wird viel geflucht. In der Story kommt es zu Canon-typischer Gewalt, teilweise auch bildlich. Das wird in späteren Kapiteln sicherlich weniger, aber trotzdem. Wenn du so was ungerne ließt, dann ist das vermutlich nicht die richtige Story für dich.
Hinzu kommt das Thema Menschenhandel und on top eine (im Moment noch) angedeutete Beziehung zwischen Jason Todd und Dick Grayson. Ich für meinen Teil habe kein Problem damit, in den Comics haben sie kaum miteinander interagiert, so dass ich es nicht (all zu) weird finde. Aber voll okay, wenn du deswegen die Story nicht lesen möchtest
Ach ja: Feedback ist herzlich willkommen. Sehr gerne auch konstruktive Kritik. Ehrlich gesagt war der Punkt der Grund, warum ich mich im Forum angemeldet habe (und weil Tenten Werbung gemacht hast, nur ganz bisschen). Aber nur mit Kritik kann eine Geschichte besser werden und man selber als Schreiberling wachsen. Von daher: Her damit, ich freue mich immer über Feedback und sehe es als Chance anstatt es persönlich zu nehmen.
Danke auch an Tenten für das geduldige Betalesen! Oh, und ich denke das alles läuft auf 3 Kapitel raus. Ich versuche ja immer kurz zu schreiben, klappt aber meistens nicht...
So, für alle, die ich jetzt noch nicht abgeschreckt habe (ich hoffe ein paar von euch sind noch übrig): Viel Spaß!
The Market
Die Männer verluden die Ware in großen Schiffscontainern unter dem grellen Licht der Autoscheinwerfer. An sich kein großes Ding, bis auf die Tatsache, dass es sich bei der Ware um gut drei Dutzend Männer und Frauen handelte, alle in ihren Zwanzigern, maximal frühen Dreißigern.
Aber es war schon fast eine Szene wie aus dem Bilderbuch – der abgelegene Ort am Hafen, umringt von bunten Containertürmen, die dank der Uhrzeit eher in Fifty Shades of Gray getaucht waren und wie Mauern eines Gefängnisses wirkten. Anstatt der Hafenscheinwerfer tauchte ein roter Ford Taunus, wie direkt aus einem Scorsese-Film gegriffen, das unheilvolle Treiben in eher dürftiges Licht. Und um die Szenerie mit der perfekt dunklen Atmosphäre zu unterstreichen, hatte es vor wenigen Minuten wie aus Eimern zu regnen angefangen. War das nicht einfach toll?
Unten schienen sie nicht wirklich damit zu rechnen, erwischt zu werden, dennoch waren die Kerle vorsichtig. An Wachen mit filmreifem Kaliber hatten sie auf jeden Fall nicht gespart. Auf den ersten Blick konnte Jason drei breitschultrige Jean-Claude-van-Damme-Verschnitte sehen, die das Verladen überwachten. Maschinengewehre ruhig in der Hand und die Möchtegern-Armani-Anzüge in dem prasselnden Regen zunehmend nass. Sogar der Al-Capone-Gedächtnis-Hut durfte bei der Uniform nicht fehlen; auf Sonnenbrillen in der Nacht hatten sie dann aber doch verzichtet.
Jason hätte fast gelacht, wäre die Lage nicht so ernst gewesen. Der Ironie, dass er vermutlich einer der Letzten war, die sich über eigenwillige Kopfbedeckungen auslassen durften, war ihm durchaus bewusst. Im Gegensatz zu den Arschlöchern da unten konnte er seine aber tragen.
Der Ansammlung gehörten fünf weitere Männer fürs Grobe an, alle an strategisch günstigen Positionen außerhalb der Scheinwerfer, in den Schatten so gut wie verborgen platziert. Von dort aus mussten sie einen idealen Überblick über Blüdhavens Hafen haben, während sie selber für das ungeübte Auge fast unsichtbar wären.
Nun, man konnte über ihn sagen was man wollte, Jasons Auge war definitiv nicht ungeübt. Trotzdem war er nur durch einen glücklichen Zufall auf die Szenerie vor ihm gestoßen. Alleine diese Tatsache beunruhigte ihn um ein vielfaches mehr als die hier angesammelte Schießkraft. Das und die Einsicht, dass er durch nichts anderes als pures Glück bis dato unentdeckt geblieben war. Um sein Glück aber nicht weiter herauszufordern hatte er sich schnell zu Boden sinken lassen und gegen das nasse, kühle Metall des hoch gelegenen Containers gepresst.
Fuck.
Menschenhändlern einen Strich durch die Rechnung zu machen war eigentlich sein Ding. Er bildete sich sehr viel darauf ein, dass er trotz seines Alleingangs oft der Erste aus seiner illustren Familie war, der von so etwas Wind bekam. Einiges an Zeit und Ressourcen floss in dieses Unterfangen. Nur so konnte er sich der Sache auf seine ganz spezielle Art und Weise annehmen – nämlich der einzig angemessenen. Nur so entging er den Vorträgen über Moral und Anstand der Ansammlung von Moralaposteln, die sich seine Familie schimpften. Aus irgendwelchen Gründen fanden sie immer noch Anstoß daran, wenn er den Asphalt mit dem Blut von Abschaum rot malte. Diese Leute verdienten nichts anderes, als dass kurzer Prozess mit ihnen gemacht wurde, anstatt sie einem Richter vorzuführen und damit noch knapp bemessene Steuergelder zu verschwenden. Auch wenn in letzter Zeit sein Finger nicht mehr ganz so leicht am Abzug gelegen hatte wie noch kurz nach seiner Rückkehr.
Man arrangierte sich eben.
Einige der Gefangenen weinten. Leise, über die Lautstärke der prasselnden Tropfen kaum hörbar, aber Jason konnte es sehen. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten, als ein junge Frau in den Container gestoßen wurde, beim Eintreten hinfiel und von unten sofort schallendes Gelächter bis zu ihm herauf ertönte. Das würde ihnen noch leidtun, dafür würde Jason schon sorgen!
Aber die Pisser mussten wirklich gut organisiert sein, denn er hatte von der Schiffsladung da unten absolut nichts mitbekommen. Jesus, er hatte nicht einmal einen Anhaltspunkt, mit welcher Organisation er es da unten überhaupt zu tun hatte. Wenn er nicht ein paar Meilen weiter abwärts einem Drogenkartell seine ganz persönliche Visitenkarte hinterlassen hätte, dann wäre ihm das Schauspiel unten völlig entgangen. Bei dem Gedanken lief ihm ein kalter Schauer den Rücken hinunter, der nichts mit den dicken Regentropfen zu tun hatte, die seine Lederjacke durchtränkten.
Aber ganz offensichtlich befand er sich auch gerade nicht auf der Höhe und wurde nachlässig.
Die vorsichtigen, leisen Schritte hinter ihm waren viel zu nahe, sicherlich unter drei Meter und trotzdem merkte er erst jetzt, dass er nicht mehr alleine war. Fuck! Dabei hatte der Tag doch so gut angefangen – und jetzt diese Shit Show.
Blitzartig rollte Jason sich zur Seite und zog in derselben Bewegung seine Waffe, ohne Skrupel, wenn nötig abzudrücken. Am besten Kopfschuss. Genau zwischen die Augen. Gleich eine Botschaft senden. Das wäre es dann zwar auch mit seinem Überraschungsmoment da unten, aber so hätte er es auch mit einem Arschloch weniger zu tun. Er hatte schon aussichtslosere Situationen gemeistert.
Doch er drückte nicht ab, ließ den nervösen Zeigefinger dennoch kurz am Abzug seiner M1911. Er wiederholte sich ja nur ungerne: Der Tag hatte doch so gut angefangen.
„Fuck, Goldie, was willst du hier?“
Jason ließ den Lauf der Waffe sinken, sicherte diese aber nicht mehr. Es gefiel ihm so gar nicht, wie schnell sein Herz pochte, aber Alter, niemand mit klarem Menschenverstand schlich sich so an ihn heran. Nicht wenn er mit besten Empfehlungen von Red Hood eine Kugel in den Kopf bekommen wollte. Andererseits war er sich nicht so sicher, ob er Nightwing wirklich in die Kategorie gesunder Menschenverstand einordnen würde. Eher unerträgliche Nervensäge und unverbesserlicher Klugscheißer.
„Dasselbe könnte ich dich fragen. Sollte ich es persönlich nehmen, dass du nicht mal geschrieben oder Hallo gesagt hast?“
„Unbedingt, wie denn sonst?“
Jason konnte Nightwings Augenrollen förmlich hören, sein eigener Blick schwenkte wieder auf das Geschehen unter ihnen. Wie hatte sich der Fucker so leicht an ihn heran schleichen können? Die Schritte vorhin hatte er vermutlich hören sollen, aber das war trotzdem viel zu spät, viel zu nah gewesen. Selbst wenn es Nightwing war, mit seinen verfluchten katzenhaften Bewegungen. Selbst wenn der Regen laut aufs Containerdach und gegen seinen Helm prasselte.
Zu. Nah.
Und sie beide wussten es. Vielleicht sollte Jason doch nochmal über den Kopfschuss nachdenken, sonst würde er sich Dick-faces Kommentare zu seiner Unachtsamkeit noch eine Weile anhören dürfen.
Das und Bs altbewährten Warum-wir-nicht-töten-Vortrag.
Doch offensichtlich war Nightwing noch nicht auf den eigentlichen Grund seines Besuches etwas weiter unten im Hafen gestoßen. Das, oder er wollte sich dieses Mal in Nachsicht üben, weil die Leute vom Drogenkartell sich noch des Lebens freuen konnten. Je nachdem wie viel Freude man bei einem Set aus gebrochenen Armen und Beinen und einer dröhnenden Gehirnerschütterung eben noch haben konnte.
Jason nannte es das Red Hood Delight.
Warum seine Familie trotzdem immer meinte, er würde sich stets unkooperativ zeigen, wollte ihm nicht in den Kopf. Vor gar nicht allzu langer Zeit hätte die Polizei den Trupp auf der Bare wegschaffen können. Nun hatten sie Verbrecher zum Verhaften, die sicherlich keinen Widerstand leisten würden.
Da.
Bitte.
Gern geschehen.
„Was haben wir?“
Nightwings Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und fuck ja. Er sollte sich konzentrieren und nicht im Selbstmitleid suhlen, wie schrecklich anstrengend seine Familie doch war.
Die unsägliche Nervensäge ließ sich lautlos neben ihm nieder und presste sich in einer schnellen, fließenden Bewegung ebenfalls gegen das Containerdach. Dabei hatte er nicht den Anstand, wie jeder normale Mensch bei dem Regen wie ein begossener Pudel auszusehen, sondern wie ein in einem überteuerten Werbefilm inszeniertes Männermodel.
Homme Douche, out now.
Jason war nun eher irritiert als wütend, ließ sich aber nichts anmerken. Es gab jetzt wichtigere Dinge als an alte Rivalitäten anzuknüpfen und über eigene Unzulänglichkeiten nachzusinnen.
„Menschenhandel, alle frisch vom Schiff. Halbe Stunde später, wir hätten nichts mehr gefunden. Drei Schuss unten beim Container. Zwei beim Kran, einer beim roten Ford, zwei auf dem Containerturm schräg rechts, einer auf dem schräg links.“
„Einer auf dem geradeaus.“
„War der Test, Dick-face.“ Jason musste unter dem roten Helm schief grinsen; er hatte es sich einfach nicht nehmen lassen können. Aber natürlich hatte sich Goldie schnell einen Überblick verschafft. Wie lange war er schon da? Ach ja, 2 ½ Minuten. Fucking Streber.
Das würde er so nicht stehen lassen, also fügte er noch weitere – wenn auch vermutlich redundante – Informationen hinzu. „Alle schwer bewaffnet, sieht nach Automatischen aus. Ähnlich international aufgestellt wie die Ware, die sie führen.“
Jason gab sich nicht einmal Mühe, seine Stimme neutral zu halten. Szenen wie diese ließen ihn im wahrsten Sinne des Wortes rot sehen und er bereute es bereits jetzt, nicht alleine hier zu sein. Obwohl die Unterstützung sicher nicht verkehrt war bei dem Aufgebot. Mit Nightwings Hilfe würden sie das wesentlich schneller über die Bühne bekommen. Auch wenn Jason das im Leben nicht zugeben würde, da konnten sie ihn eher nochmal in die Lazarusgrube werfen. Und er hasste die Grube. Aber die Wahrheit war, dass er die Typen da unten nicht kannte, nicht wusste, was noch alles dahinter steckte und wie sie agierten.
Einige Unbekannten – und Jason war noch nie ein besonderer Freund zu vieler Variablen gewesen. Er plante gerne, legte großen Wert auf gute Vorbereitung und war seinen Gegnern gerne mindestens fünf Schritte voraus. Nicht jeder war so ein Freak wie sein Bruder, der getreu dem Motto zu leben schien, dass ein Plan nur so gut funktionierte, bis es den ersten Feindkontakt gab. Was danach für gewöhnlich folgte, nannte Dick Improvisationstalent und Jason Glück der Dummen. Hatten sie wirklich dieselbe Ausbildung genossen?
„Wissen wir, wer dahinter steckt?“
„Deine Stadt, ich bin nur Tourist.“ Ja, fuck. Würde einer der Pisser also bei Bewusstsein bleiben dürfen, um erst einmal schön aus dem Nähkästchen zu plaudern.
„Nicht die Attraktion, wegen der du hier bist?“ Dick-face schien ehrlich überrascht, die weißen Linsen seiner Maske weiteten sich zwar nur kaum merklich, Jasons geschultem Auge entging die Reaktion dennoch nicht.
„Dickie, und da sie sagen du seist der Dumme von uns...“
„Awwwwww, ihr redet über mich.“
Jason schnalzte irritiert mit der Zunge, jemand musste dem Kerl im Kevlar-Strampler dringend das breite Grinsen aus dem Gesicht wischen. Jason meldete sich gerne freiwillig. Trotzdem ließ er dieses Mal Nachsehen walten. Trotz Dicks spielerischen Tonfalls konnte Jason klar seine Anspannung wahrnehmen, sie deutlich an seinen Schultern und den zusammengepressten Lippen ablesen. Ihm ging es ja selbst nicht anders.
„Augen auf den Tatort, Dick-face! Meinst du, wir können uns kurz darauf konzentrieren, anstatt dein aufgeblasenes Ego weiter zu streicheln? Warum bist du überhaupt hier, wenn du nicht mal selber weißt, was in deiner Stadt vorgeht?“
„Am Dock sollte ein Drogendeal vonstatten gehen. Da scheint sich aber schon jemand drum gekümmert zu haben.“ Nightwings Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er eine genaue Vorstellung davon hatte, wer wohl dieser Jemand sein konnte. Vermutlich hatte er Glück, dass der Dreck hinten noch nach seiner Mama winseln konnte und unter ihnen zwischen den Containern für Ablenkung in Form eines Prime-Time-würdigen Action-Thrillers gesorgt wurde. Nightwings Aufmerksamkeit hätte sonst vermutlich eher ihm und nicht dem Treiben da unten gegolten.
„Dann habe ich einen Irren mit rotem Helm gesehen, der sich davon stiehlt und bin ihm gefolgt. Hat sich dabei nicht besonders heimlich angestellt...“, fügte er im Plauderton hinzu. Die zweite seiner Ausführungen war Jasons Meinung nach völlig unnötig.
„Liegt vielleicht daran, dass dieser Jemand nichts Falsches gemacht hat und sich nicht verstecken muss.“
Das entsprach nur zum Teil der Wahrheit, aber Jason würde sich eher die Zunge abbeißen, als Goldie einzugestehen, dass er ihn überrascht hatte. Er spürte, wie wieder Wut in ihm aufkeimte und der kleine Junge von früher rebellierte, weil ‚er’ mal wieder besser war. Weiterer Punkt an fucking Golden-boy. So viel konnte er gar nicht essen, wie er sich aus Trotz gerade übergeben wollte.
„Jay...“
Dicks Tonfall wurde sanfter, als hätte er seine Gedanken lesen können. Er streckte die Hand nach ihm aus, doch Jason wich schnell aus, stand auf und machte sich zum Absprung bereit.
„Sie meinten auch den Dummen und Nervigen von uns. Alter, ich frage mich, wie die Leute darauf kommen... Können wir uns mal wieder aufs Wesentliche konzentrieren? Ich kümmere mich um das Gesocks unten, du hältst mir oben den Rücken frei...“
Nightwing stand in einer schnellen Bewegung auf und nickte. Er stand Jason aber auch im Weg und hielt ihn davon ab, seinen großen Auftritt genießen zu können. Denn ja, Jason würde das genießen, dem Abschaum ein herzliches Willkommen von Red Hood zu bereiten.
„Keiner stirbt, verstanden? Du schickst einen unter die Erde und ich verhafte dich im Anschluss höchstpersönlich.“
Sein dummes Haar klebte ihm gegen die Schläfen und es war einfach nicht fair, dass Dick selbst jetzt noch attraktiv war mit seinem dummen Gesicht, in seiner dummen Uniform und vor allem voller Energie – auch Nightwing fieberte darauf gleich auszuteilen.
Aber Dick meinte es ernst, keine Frage, und Jason konnte das Gefühl von Irritation und Verrat nicht ganz abschütteln. Musste diese unnötige kein-Töten-blah-blah-yadda-yadda Ansprache denn wirklich jedes Mal kommen? Zu gerne hätte er jetzt zu diskutieren angefangen, aber ihnen lief die Zeit davon. Da unten waren sie kurz vorm Zusammenpacken, und das wusste der Fucker sicherlich auch. Scheiß drauf.
„Jesus... bist du deine B-Imitation nicht irgendwann mal leid? Ja, fein, okay. Kein Töten, solange ich es vermeiden kann. Aber wenn es sie oder ich heißt, oder sie oder eine der Geiseln, dann garantiere ich für nichts...“
Und deswegen arbeitete er lieber alleine, dann konnte er sich diesen ganzen Mist sparen. Es war doch jedes Mal dasselbe. Warum einfach, sicher, wenn es auch schwer ging?
„Bei sie oder du bin ich aber bereit, nochmal ein Auge zuzudrücken...“, fügte er in einem Nachgedanken hinzu. Ach, er war einfach ein großzügiger Kerl.
Goldie schien es zu reichen; er schenkte ihm sein bestes Zahnpasta-Werbung-Lächeln und Jason machte sich eine mentale Notiz, irgendwo doch noch ein Bild von einem jungen Dick Grayson mit Zahnspange und Pickeln zu finden.
„Übrigens, du hast der Charmante und der Hübsche in deiner Aufzählung vergessen...“ Damit sprang Nightwing in einer geschmeidigen Bewegung vom Container ab und hatte den Nerv, in der Luft noch Saltos zu schlagen, bevor er auf der anderen Seite landete und nach einer Rolle weiter rannte, ohne an Geschwindigkeit zu verlieren.
Angeber.
Das Bild von Pickelgesicht würde er finden. Eines, wo er auch pummelig war und einen unmöglichen Haarschnitt hatte – in der Kombination. Vom letzteren gab es genügend belastendes Beweismaterial. Und zur Not würde Photoshop herhalten müssen.
Aber nun galt es erst einmal, sich der Crew da unten zu widmen. Ein letztes Mal ließ Jason den Blick über die Shit-Show da unten schweifen, verinnerlichte sich die Standorte von Arschloch Nummer 1 bis 9, nahm jeden einzelnen wie ein Raubtier seine Beute ins Visier. Dann ließ er sich über die Kante fallen.
Der Aufprall war hart, aber kalkuliert. Vielleicht bekam er Abzüge in der B-Note, darauf legte es Jason aber auch gar nicht an. Schnell musste es sein, effizient – er war kein Zirkusäffchen, das bei jeder Gelegenheit seine Kunststücke aufführen musste und auf Applaus hoffte.
In Sekundenbruchteilen hatte er den Kerl neben dem alten Ford erreicht. Jason ließ mit aller Wucht den Knauf seiner Waffe gegen dessen Schläfe krachen. Es steckte genug Kraft dahinter um Arschloch Nummer 1 ins Taumeln zu bringen und die Haut unter dem Metall aufzureißen. Blut strömte aus einer hässlichen Platzwunde und färbte die Schultern des durchnässten teuren Anzugs rot.
Wie leicht wäre es gewesen, dem Kerl jetzt einfach das Genick zu brechen. Verdient hätte er es, keine Frage. Auch wer nur Wache stand, während Menschen wie Vieh behandelt wurden... So jemand wollte es nicht anders. Verdiente es nicht anders.
Bevor Nummer 1 wieder zu sich finden konnte, hatte Jason ihn bereits in den Würgegriff genommen und drückte mit allem, was er hatte, zu. Im Moment schirmten sie die Scheinwerfer des Wagens ab, doch standen ihre Chancen, nicht ins Kreuzfeuer zu kommen, nicht besonders gut. Jason hatte nicht vor, sie durch zu frühen Alarm weiter zu verschlechtern.
Nummer 1 zappelte, schlug um sich und versuchte sich aus Jasons Griff zu lösen. Die fünf Sekunden, die ihm blieben, reichten trotz solidem Körperbau nicht aus, um sich zu befreien. Der Druck auf den Karotissinus und der damit einhergehende, suggerierte Bluthochdruck im Kopf führten zum gewünschten Shutdown.
Kein Ruf, kein Schuss, noch kein Alarm.
Jason übte dennoch weiter Druck aus, während er Nummer 1 weiter hinter den Wagen und damit noch mehr aus dem Sichtfeld der anderen zog. Nur um auf Nummer sicher zu gehen. Nichts war so lästig wie ein Gegner im Rücken, der durch eine unnötige Achtlosigkeit wieder viel zu schnell auf den Brettern stand. Die Narbe einer alten Schusswunde unter seinem rechten Schulterblatt war sein Zeuge.
Waffe weg. Kabelbinder. Festgezurrt. Scheiß auf Zirkulation. Da waren es nur noch acht – minus den MFs, um die sich Nightwing kümmern würde.
Soviel zum einfachen Teil.
Gebückt rannte Jason in relativer Dunkelheit die Containerwand entlang, frisch erbeutetes MG5 mit Gurt über der Schulter. Um das Geräusch der harten Sohlen seiner Stiefel auf dem Boden musste er sich keine Gedanken machen; der strömende Regen schluckte alles.
Nummer 2 stand links vom Container, in den gerade die letzten Leute verladen wurden. Alles in seiner Körperhaltung deutete darauf hin, dass der Wichser Spaß hatte. Übertriebene Kopfbewegungen, während er die Ware begutachtete und mit den Augen praktisch auszog. Lobendes Schnalzen mit der Zunge, wenn eine besonders junge Frau an ihm vorbei musste. Süffisantes Grinsen im viel zu jungen Gesicht. Dieses wurde ihm Jason mit Freuden weg prügeln. Jetzt, in diesem Moment nicht der rasenden Wut in ihm nachzugeben, verlangte ihm alles ab.
Das Problem war, er stand viel zu nah dran; hier bei einem Angriff nicht bemerkt zu werden, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Nummer 3 und 4 würden auf jeden Fall mitmischen, außerdem hatte er noch Nummer 5 auf dem Containerturm hinter sich im Nacken. Dann noch 6 und 7 beim Kran. Um die anderen hatte sich Nightwing bestimmt schon gekümmert. Aber trotzdem, riskant.
Riskant, aber nicht unmöglich.
Schnell suchten Jasons Augen die Nachtkulisse nach den vertrauten Umrissen Nightwings ab, um einschätzen zu können, wie weit er mit dem Frühjahrsputz tatsächlich gekommen war. Außerhalb der Autoscheinwerfer konnte er schneller vorgehen, musste nicht ganz so leise operieren wie Jason hier unten am Boden. Auf dem Containerturm gegenüber war er nicht, wo war er also?
Wie zur Antwort krachte Nummer 5 schreiend von oben auf Nummer 3 und riss diesen zu Boden. Dicht gefolgt von Nightwing, der in einer grazilen Bewegung neben ihnen landete, abrollte und den Haufen aus Gliedmaßen sogar noch als Sprungbrett zu nutzen schien, um Fuß voran im Gesicht von Nummer 4 zu landen. Schwerkraft war für Goldie offenbar auch ein Fremdwort.
Fuck it, das war es dann mit heimlich. Wenn man es positiv sehen wollte: Kein Grund mehr, sich weiter zurückzuhalten.
Na dann: Hallo Nummer 2!
Jason setzte sich wie ein Panzer in Bewegung. Zwei schnelle Schritte, dann traf mit ungebremstem Schwung der Knauf seiner M1911 gegen den Kehlkopf des Mannes, ließ ihn luftlos aufkeuchen und die Automatische hochziehen. Diese war leider nicht gesichert und gab ratternde Schüsse von sich, dank des Überraschungsmoments zum Glück nur ungezielte... Jason war jedoch bereits einen Schritt weiter und aus der Schusslinie. Genauer gesagt stand er schräg neben Nummer 2 und donnerte ihm den Knauf der Pistole gegen die Kniekehle, brachte den Mann aus dem Gleichgewicht und damit auf die Knie.
Das Maschinengewehr feuerte immer noch und wie aus der Ferne drangen verängstigte Schreie und Kreischen an sein Ohr, vermutlich die Gefangenen. Also keine Zeit verlieren. Erst die rückhändige Hammerfaust gegen den Kopf – der lächerliche Al-Capone-Gedächtnis-Hut flatterte von der Birne – dann folgte der Knauf mit der Rechten direkt auf dieselbe Stelle. Keine Chance, dass Nummer 2 noch klar sehen, geschweige denn denken konnte. Ein weiterer Fausthieb gegen die Schulter brachte den Mann auf den Rücken. Der war erledigt. Doch anstatt dem Zucken seines Zeigefingers am Auslöser nachzugeben, blies Jason ihm mit einem brutalen Tritt unters Kinn die Lichter aus. Nicht viel hätte gefehlt, und er hätte ihm damit das Genick gebrochen. Für den Moment würde sich Jason aber mit dem nach hinten schnellenden Kopf und dem Sprühregen aus Blut zufrieden geben, der in Zeitlupe an ihm vorbei zog.
Kurzer Blick zu Nightwing, der seine beiden Escrima-Sticks in schnellen kreuzenden Bewegungen auf Nummer 4 einregnen ließ und seinem Gegner die Waffe bereits aus der Hand geschlagen hatte. Im Gegensatz zu Jason setzte er nicht auf pure Körperkraft, sondern eine schnelle Sequenz gezielter Treffer. In einem brutalen Ballett hielt er die Angreifer auf Distanz, verwirrte sie mit den vielen Hieben an strategischen Stellen und dummen Sprüchen, die über Regen und Geschreie glücklicherweise nicht zu verstehen waren. Zu sehr pochte das Blut in seinen Ohren.
Aber der Anblick, wie eine tollwütige Raubkatze. Fucking Poesie.
Ziepte vielleicht auch bisschen in der Hose, aber beim Kampf halb steif zu werden, war für Jason nichts Neues. Der Rausch, das Adrenalin, kein Grund sich dafür zu schämen. Ein Therapeut hätte seine wahre Freude an ihm...
Wirklich Zeit, um sich das Spektakel anzusehen, blieb aber nicht, so sehr Nightwings Backflip, der Nummer 4 bewusstlos in eine sich rot färbende Pfütze zurückfallen ließ, auch zum Verweilen einlud. Die beiden Idioten vom Kran kamen angerannt und setzten Schüsse ab, anstatt vernünftig zu sein und das Weite zu suchen.
Darwinismus, der griff.
Sich darauf verlassend, dass Nightwing die wenigen Leute die noch draußen im Regen standen in den Container hinter Metall in relative Sicherheit bringen würde, sprintete Jason los. Im Zickzack, direkt vor den Lauf musste er den beiden auch nicht.
Sie waren vielleicht gut bewaffnet, mit dem Zielen hatten sie es dennoch nicht so. Jason schon. Egal was Dick vorhin gesagt hatte, das war ein klarer sie oder er-Fall. Er ließ sich zu Boden fallen, nutze den Schwung seines Anlaufs und schlitterte den nassen Asphalt entlang. Shit, er mochte diese Hose.
Wie im Rausch setzte er die ersten vier Schuss ab.
Nummer 6 kreischte in einem unangenehm hohen Ton auf, als es ihm die rechte Kniescheibe zertrümmerte und die zweite Kugel in den linken Oberschenkel traf. Musik in seinen Ohren. Keine Chance, so das Gleichgewicht zu halten. Nummer 6 krachte ungebremst nach vorne, Gesicht voran auf den harten Boden. Platsch. Musste weh tun.
Fast gleichzeitig riss es Nummer 7 die Schulter zurück. Doch trotz doppeltem Treffer reichte es noch nicht aus, ihn auf die Bretter zu schicken. Der wusste nicht, was gut für ihn war und Jason konnte das nur gut heißen.
Längst schon wieder auf den Beinen, prallte er auf Nummer 7, nutzte die vor den Oberkörper erhobenen Unterarme, um das Maschinengewehr umzulenken. Sie feuerte die letzten Schüsse. Rattern. Klimpern. Kugeln gegen den korrosionsbeschichteten Stahl der Container. Genug. Irgendwann war auch das beste Magazin leer.
Jason zog schnell den rechten Ellenbogen hoch und hämmerte diesen mit boshafter Präzision in Nummer 7s Gesicht. Er konnte fühlen, wie die Nase unter dem Hieb brach, sehen, wie das Blut spritzte. Schnelle Rechts-links-Kombination gegen den Hals, um ihn auf etwas Distanz zu bekommen, dann geladener seitlicher Tritt auf die Brust.
Rippen brachen. Jasons grinste. Nummer 7 ging endlich auf die Bretter.
Schnell war Jason über ihm, trat das MG3 außer Reichweite und ließ Nummer 7 in den Lauf seiner Waffe blicken. „Bitte. Biiiiitte tu mir den Gefallen und versuch aufzustehen, Arschloch! Gib mir einen Grund!“
Es juckte ihn im Finger am Abzug und Jason konnte ehrlich nicht sagen, was er tun würde, sollte der Kerl hier irgendwas versuchen. Nummer 7 funkelten ihn böse an, wie ein aufgeputschter Kampfhund, dem eben ein Maulkorb angelegt worden war. Wenn er gekonnt hätte, dann hätte er ihn erschossen.
Aber es war nicht Nummer 7, der den Schuss abgab.
Jason schnellte herum. Nummer 6 wusste offensichtlich nicht, was gut für ihn war. Er hielt das Maschinengewehr in zittrigen Händen und versuchte auf Jason zu zielen, verfehlte aber sein Ziel. Hinten beim Container ertönte ein schmerzerfüllter Aufschrei.
Fuck.
Dummer Fehler. Fuck, fuck, fuck!
Jason sah rot, feuerte sein Magazin in beide Hände von Nummer 6. Kein Chirurg der Welt würde den Brei wieder zu richtigen Gliedmaßen zusammensetzen können. Während er das Magazin wechselte, ließ Jason seine Militärstiefel auf die Hände von Nummer 7 krachen – auch der würde heute nicht mehr schießen. Vermutlich nie wieder.
Dann drehte sich Jason um und sprintete zurück.
Dick war getroffen, das konnte man sehen. Er hatte sein Gewicht auf die linke Seite verlagert. Stur wie er war, ruhte er sich aber nicht aus, sondern humpelte zum Container und sprach mit den Leuten, schien beruhigend auf sie einzureden. Den Trupp menschlichen Abschaums hatte er zuvor bereits mit Kabelbindern gesichert.
Als Jason neben ihm zu stehen kam, funkelte er ihn finster an. Oh, der war sauer.
„Red, war das wirklich nötig?“ In Momenten wie diesem klang er so sehr wie Bruce, dass es Jason kalt den Rücken hinunter lief und er sich wieder ganz klein fühlte. Ohne Frage, Dick meinte den Einsatz von Schusswaffen. Herrgott, er war ‚angeschossen’ und wollte wirklich zu diskutieren anfangen.
Hier?
Jetzt?
Echt jetzt?!
„Kehr du mal lieber vor der eigenen Haustür. Wenn ich mich recht erinnere, sind heute nicht nur Tropfen vom Himmel gefallen.“
Zu seiner Überraschung erwiderte Dick darauf nichts, stoisches [font=Tahoma, Verdana, Arial, sans-serif]„Mhm“ mal nicht mitgezählt. Er musste wirklich Schmerzen haben und das hier schnell abwickeln wollen. So schnell gab Dick sonst nicht klein bei.
Jason versuchte seine Irritation abzuschütteln und schluckte die verbleibenden Worte hinunter, die ihm noch auf der Zungen lagen. Mit Dick sollte man sein Glück nicht herausfordern. Lieber ging er auf die Knie und betrachtete seinen Oberschenkel. Eine Kugel war glatt durchgegangen, das Kevlar kein wirkliches Hindernis für Waffen des hier aufgefahrenen Kalibers. Die Wunde blutete wie blöd, aber soweit er es auf die Schnelle einschätzen konnte, waren keine Arterien getroffen worden. Bei den momentanen Wetter- und Lichtverhältnissen aber schwer mit Sicherheit zu beurteilen. In jedem Fall würde sie gereinigt und verbunden werden müssen.
Dennoch schwappte über Jason ein Gefühl der Erleichterung. Goldie hatte verdammt noch einmal Glück gehabt.
Der Gurt der erbeuteten Waffe kam jetzt gut gelegen. Jason löste schnell das MG davon ab und legte mitsamt eines seiner Handschuhe einen improvisierten Druckverband an. Das musste reichen, bis er sich das in Ruhe ansehen konnte.
Während der ganzen Zeit redete Dick weiter beruhigend und mit einer Engelsgeduld auf die Männer und Frauen im Container ein. Er war gut in sowas, mit seinem einnehmenden Lächeln und seiner jungenhaften Art sicherlich auch der bessere Ansprechpartner als Jason. Red Hood sollte Furcht auslösen, Nightwing konnte zugänglich sein, wenn er nicht gerade Hiebe auf Verbrecher einregnen ließ.
Tja, dumm nur, dass der Haufen Arschlöcher sich jetzt mit Red Hood unterhalten durfte.
Jason ging zu Nummer 2 zurück, den hatte er eh noch gefressen, und knallte ihm das kalte Eisen der M1911 gegen die Wange. Genügend Schwung, dass es weh tat und dem Wichser klar sein musste, dass er es verdammt ernst meinte; nicht genug, um die Lichter ein zweites Mal auszuknipsen.
„Wir können das jetzt einfach oder aber auf die harte Tour machen“, fing Jason an, wurde dann aber direkt unterbrochen.
„Fick dich!“
Einen Sekundenbruchteil später hatte das blutige Lächeln von Nummer 2 klaffende Lücken und der Kerl durfte am Lauf seiner Waffe nuckeln.
„Ich erkläre dir auch gerne, wie das läuft, weil ich ein so netter Kerl bin. Ich stelle dir eine Frage, du antwortest. Alles andere, und du kannst deine Nahrung künftig mit dem Strohhalm zu dir nehmen.“
Jason hatte einen Tonfall angeschlagen, als würde er einem Kleinkind erklären, warum man sich vorm Abendessen die Hände waschen sollte. Dass er dabei seelenruhig mit der Pistole im Mund von Nummer 2 ruckelte und gegen die noch vorhandenen Zähne stieß, wollte dazu nicht so ganz passen, verfehlte aber selten seine Wirkung.
„Hast du es dann immer noch nicht kapiert? Nun, dann wirst du beim Essen im Rollstuhl sitzen.“ Leichtes Schnippen mit dem freien Zeigefinger gegen die beiden Kniescheiben des Gefesselten. „Reicht auch noch nicht? Alter, dann hoffe ich, deine Auftraggeber zahlen gut. Du wirst dir eine Krankenschwester anheuern müssen, die dir deine Suppe hin hebt.“ Vielsagendes Nicken in Richtung der gebundenen Hände.
Nightwing würde ihn das im Leben nicht machen lassen, aber das konnte der Kerl vor ihm natürlich nicht wissen. Und der Ausdruck in seinem zuschwellenden Gesicht signalisierte, dass die Botschaft durchaus angekommen war. Braver Junge.
„Na dann fangen wir doch noch mal an: Für wen arbeitest du?“
Nur widerwillig zog er seine Waffe wieder aus Nummer 2s Mund heraus. Aber sie würden hier nicht weiter kommen, wenn der Kerl ihm nur den Lauf voll sabberte und man vor lauter Brabbeln nichts verstand.
„Ich weiß ehrlich nicht...’“
Fing gar nicht gut an. Jason seufzte und brach dem aufjaulenden Kerl die Nase. Und hier hatte er gedacht, dass er schlau genug war zu kooperieren.
„Überlege dir die nächsten Worte ganz genau. Strohhalm, Rollstuhl, Krankenschwester... liegt bei dir.“
Nummer 2 wimmerte gequält und spuckte Blut sowie einen weiteren Zahn zu Boden. War wohl nicht mehr ganz so leicht unter diesen Umständen zu sprechen, aber das war nicht Jasons Problem. Um hier etwas mehr Schwung in die Sache zu bringen, richtete er den Lauf der M1911 auf das rechte Knie.
„The Market. Sie nennen sich The Market.“ Na also, ging doch. Etwas schwer zu verstehen über das ganze nasale Sabbern, aber der Kerl redete. „Was ich sagen wollte, war: ich weiß wirklich nicht, wer dahinter steckt, habe die nie persönlich getroffen.“
Nummer 2 duckte sich, als würde er den nächsten Hieb erwarten, der dann aber nicht kam.
„Wie wurdet ihr dann angeheuert?“ Zeitungsannonce war ja wohl auszuschließen. „Und wie bekommt ihr dann eure Anweisungen? Tut mir leid, dir das sagen zu müssen, hinter den großen Kalibern hat nicht so viel gesteckt.“
Ein roter Sabbertropfen lief Nummer 2 Kinn entlang, als er sich überschlug schnell zu antworten.
„Post. Paket! Also ich meine... im Briefkasten war ein Paket mit Uniform, Wegwerfhandy und 10k Dollar. Über das Handy kamen die Koordinaten, Uhrzeit...“
Er hätte weiter zuhören sollen, doch Jason sah rot.
Er drückte ab, Waffe immer noch aufs rechte Knie gerichtet und Nummer 2 sackte jaulend zur Seite. Sah ihn aus weit aufgerissenen Augen entsetzt an, denn er hatte doch brav geantwortet. Aber Scheiße, für gerade mal 10 fucking k stand er seelenruhig daneben, wie Menschen in Container verladen wurden und weiß Gott was für einem Schicksal entgegen blicken durften!
Er wollte sich auch dem linken Knie annehmen, da spürte Jason einen festen Griff an der Schulter. „Red Hood, es reicht!“
Bestimmend, aber immerhin klang Nightwing nicht so, als würde es ihm besonders leidtun, was mit Nummer 2 passiert war, sondern als würde er Jason von einer Dummheit abhalten. Fuck. Hätte B ihn nicht so indoktriniert, dann hätten sie unter anderen Umständen vielleicht ein gutes Team abgegeben.
Um jetzt aber keine Diskussion loszutreten, sicherte Jason die Waffe und steckte diese ins Halfter. Gleichzeitig gab er sich sichtlich Mühe, die Muskeln seiner Schultern zu lockern und den Körper wieder zu entspannen. Dick sprach gut auf Körpersprache an – und Tatsache, er ließ seine Schulter wieder los. Vielleicht hatten auch die Sirenen in der Ferne damit zu tun.
Das machte es deutlich einfacher Nummer 2 abzutasten, der wie ein geschlagener Hund vor ihm wegzuckte. Dabei machte sich Jason keine große Hoffnung; so dumm, das Wegwerfhandy hier bei sich zu tragen, war selbst diese traurige Ansammlung an menschlichem Abschaum nicht. Und tatsächlich, nichts außer einem Zippo, das er kurzerhand einsteckte.
„Okay, verstanden. Nein, Hood ist bei mir... Weitestgehend... Ja, wir machen uns auf den Weg.“ Dicks Stimmlage hatte sich geändert, war sachlicher, kürzer angebunden. Ein Blick nach oben zeigte, dass er nun in sein Com-Tech sprach, vermutlich mit Al oder Tim. Hoffentlich nicht mit B.
„Uns geht es gut.“ Also Alfred. B setzte voraus, dass sie alles im Griff hatten.
So oder so, die örtlichen Behörden bereits im Anmarsch und waren Dank des kleinen Präsents weiter unten im Hafen auch verdammt nah. Höchste Zeit, sich aus dem Staub zu machen.
Sah wohl nicht nur er so; Goldie drehte sich um, verzog dann aber direkt das Gesicht, als er zu viel Gewicht auf das rechte Bein verlegte.
„Kannst du laufen?“
Instinktiv streckte er seinen Arm nach Dick aus, der für einen kurzen Moment den Eindruck machte, als würde er das Hilfsangebot ausschlagen. Dummer Sturkopf. Aber vielleicht war er doch nicht so dumm wie er aussah, denn nach kurzem Zögern nahm er die Hilfe an und stützte sich an Jason ab.
„Ich glaube, wir sind schneller wenn du mich trägst...,“ kam die kleinlaute Antwort. So wie er Dick kannte, musste ihn das Eingeständnis einiges an Überwindung gekostet haben. Stolzes kleines Vögelchen, das der Welt immer aufs Neue beweisen wollte, wie selbstständig es doch war.
„Polizei und Krankenwagen sind schon unterwegs, wir haben vielleicht eine Minute. Höchstens zwei,“ fügte er wie zur Rechtfertigung an.
„Immer die Jungfrau in Nöten.“ Jason konnte nicht anders als unter seiner Maske süffisant zu grinsen.
„Meinetwegen. Wenn der Ritter in scheinender Rüstung dann aber auch so gut wäre, uns schnell zum Ross zu bringen...“
Kurz war Jason versucht den patzigen Unterton damit zu quittieren, Dick nicht wie vermutlich angenommen in Huckepack zu nehmen, sondern wie eine Braut auf beide Arme. Aber sie hatten hier beide einen Ruf zu verlieren, und vielleicht fühlte er sich auch ein bisschen schlecht, dass Dick angeschossen worden war, weil er Nummer 6 nicht rechtzeitig die Waffe aus der Hand getreten hatte.
Also entschied er sich für den Mittelweg und schulterte Nightwing während die Sirenen immer näher kamen.[/font]